Voller Tank und leerer Bauch
Elmar Altvater über Probleme der Autogesellschaft und mögliche Alternativen
Der Absatz brummt. Deutsche Autokonzerne melden steigende Gewinne. Auto-Krise? War da was? Allerdings, meint Elmar Altvater.
Der emeritierte Politik-Professor, der im Wissenschaftlichen Beirat von attac aktiv ist, hält das Auto ökologisch wie ökonomisch für ein Auslaufmodell.
Auf der Konferenz Auto.Mobil.Krise, die Ende Oktober in Stuttgart stattfindet (vgl. ak 553), wird er unter anderem über Wege aus der Krise diskutieren. ak sprach mit ihm über Spritfresser, Elektro-Wagen und Alternativen zum Auto-Verkehr.
ak: Vor zwei Jahren war in der ZEIT folgender Satz zu lesen: "Das Auto ist eine dermaßen erfolgreiche Erfindung, dass unsere Umwelt nicht nach dem Bedarf des Menschen gestaltet ist, sondern nach dem Bedarf des Menschen im Automobil." Haben Sie eine Erklärung für die Erfolgsgeschichte des automobilen Individualverkehrs?
Elmar Altvater: Das Auto erleichtert natürlich das Leben enorm. Ob nun als Produktionsmittel, als Lastwagen oder Traktor - die Arbeit wird unglaublich erleichtert, die Produktivität gesteigert. Damit wachsen nicht nur die Profite, auch die Löhne können steigen. Es ist also für alle Klassen gut. Für den Personenverkehr ist es ebenfalls sehr praktisch, weil man völlig ungehindert seine Mobilität ausleben kann. Und was für eine Mobilität! Wer ist schon früher von einer Stadt mal eben 50 Kilometer ins Umland gefahren und nach ein paar Stunden wieder zurück? Das ist ein so gewaltiger individueller Fortschritt und deshalb ist das Auto auch so schwer aus dem Leben wegzudenken.
Im letzten Jahr, auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise, urteilten Sie im Gesprächsband mit Raul Zelik "Vermessung der Utopie", das Auto stecke in seiner finalen Krise. Heute melden die Autokonzerne wieder Gewinne. Was ist aus der Krise der Autogesellschaft geworden?
Von der Aussage bin ich auch ein Jahr später noch überzeugt. Das Auto ist von den fossilen Energieträgern abhängig, vor allem vom Öl, und das geht bekanntlich zur Neige. Zudem sind das Auto und die mit ihm verbundene Lebensweise hauptverantwortlich für den Klimakollaps.
Die zerstörerischen Folgen des Autoverkehrs sind lange bekannt. Doch in der Krise haben die Regierungen der großen Autoproduzenten ihre Industrien mit Abwrackprämien und ähnlichen Maßnahmen gestützt.
In diesen Ländern hängen viele Arbeitsplätze von der Automobilproduktion ab. Die Abwrackprämie war ein Mittel, um der Absatzkrise entgegenzutreten. Ob sie etwas gebracht hat, darf man bezweifeln. Die vorgezogenen Käufe von 2009 fehlen möglicherweise 2010 oder 2011. Momentan ist in Deutschland eine kleine Zwischenkonjunktur zu verzeichnen - in den USA zum Beispiel nicht - aber das ist ein kurzfristiges Feuer.
Eine Erholung des Auto-Absatzes halten Sie nicht für vorstellbar?
Nein. Erstens ist die Finanzkrise keineswegs überstanden, sondern es werden neue Blasen aufgepumpt, die irgendwann platzen. Zum Zweiten bringt auch die Realwirtschaft nicht das Wachstum, aus dem die Renditen für die Finanzmärkte abgezweigt werden könnten. Es fehlt eine neue Welle von Investitionen und eine solche wird es jedenfalls in der Automobilindustrie nicht geben. Vielleicht wird es sie in den Biotechnologien geben oder in der Gentechnologie, vielleicht auch in der Elektronik; oder man findet sie dadurch, dass man die Ressourcen in der Tiefsee plündert. Oder es wird sie als Großprojekte mit erneuerbaren Energien geben, wie etwa das Desertec Projekt. Man kann viel spekulieren, wo sich ein neues Feld für große Investitionen auftun könnte, aber kein Bereich, der in Frage kommt, hat direkt mit dem Automobil zu tun.
Die Autoindustrie experimentiert mit kleineren Modellen, neuen Brennstoffen und Elektromotoren.
Aber sie produziert diese Superschlitten, die SUVs (Sport Utility Vehicles). Die großen Modelle von Audi, BMW, VW usw. sind allesamt Spritfresser. Da ist mit Elektro-Antrieben nichts zu machen, denn damit können solche schweren Kisten nicht über lange Strecken bewegt werden.
Zudem ist ein zentrales Problem bei Elektro-Autos überhaupt noch nicht gelöst, nämlich, was passiert, wenn es einen Unfall gibt. Elektro-Autos sind rollende Chemie-Bomben. Die Akkumulatoren stecken voller Chemie; was ist, wenn die bei einem Crash kaputtgehen und ihre schrecklichen Emissionen freisetzen? Auch deshalb wird in absehbarer Zeit ein flächendeckender Umstieg auf Elektro-Autos gar nicht möglich sein.
Was ist mit anderen Treibstoffen?
Wollte man Autos auf erneuerbare Energieträger umstellen, würde sich die Krise wahrscheinlich noch verschärfen. Zum Beispiel, wenn man Biomasse als Treibstoff nutzt. Die landwirtschaftlichen Flächen, die man braucht, um Bio-Sprit herzustellen, stehen nicht für die Nahrungsproduktion zur Verfügung. "Food or Fuel" - so war mal ein Bericht der UN Welternährungsorganisation FAO überschrieben. Das ist ein großes Problem, das auf uns zukommt, und es wird noch große Konflikte mit sich bringen.
Hinzu kommt, dass die Biomasse industriell hergestellt wird, mit allem, was dazu gehört: Dünger, Maschinerie, lange Transportwege. Hier wird eine ganze Kette von Negativfolgen in Gang gesetzt: Der großflächige Anbau von Monokulturen beseitigt auch die biologische Vielfalt. Bienen sterben, weil sie keine Nahrung mehr finden, dadurch verschwinden Pflanzen und es gibt auch für die Menschen weniger zu essen. Es ist also eine Lüge oder Selbstbetrug zu sagen, man könnte die fossilen Treibstoffe durch Bio-Sprit ersetzen. Mit der eingesetzten Technologie, mit der sozialen Organisation und den ökonomischen Interessen, die dahinter stehen, geht das nicht.
Was ist die Alternative?
Ich bin kein Autohasser. Aber es gibt nur eine Alternative: weg vom Auto. Man muss die Lebensweise umstellen, das ist die einzige Möglichkeit. Dafür müsste man Schnittstellen-Konzepte erproben, die Fuß- und Fahrradwege, öffentlichen Nahverkehr und Schienenfernverkehr intelligent miteinander verknüpfen und das Auto dort nutzen, wo es schwer ersetzbar ist.
Daneben wird es auch darum gehen, eine bestimmte Form der Mobilität aufzugeben. Nehmen wir die Shopping-Center, die in den neuen Bundesländern überall auf der grünen Wiese errichtet wurden. Die steigern den Autoverkehr ganz ungemein. Sie mindern aber die Lebensqualität, weil die Innenstädte veröden. Hier müsste man über eine andere Raumordnungspolitik diskutieren, darüber, wie Städte und Gemeinden organisiert sein sollen. Man würde sehr viel Lebensqualität gewinnen können, und ich denke auch, dass das vielen Leuten einleuchten würde. Gerade ältere Menschen, die nicht Auto fahren, erleben ohnehin nur die negativen Seiten des Autoverkehrs.
Was steht solchen Mobilitätskonzepten im Wege?
Nun, wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft und da werden Entscheidungen nicht nach der Vernunft getroffen, sondern danach, was man damit verdienen kann. Und wenn in der Auto-Industrie noch Kapital fixiert ist, dann kann man es nicht einfach stilllegen, denn dann würden die Rückflüsse aus dem Verkauf von Automobilen verloren gehen. Das machen die Unternehmen nicht. Man müsste sie staatlich dazu zwingen, aber dazu sind zur Zeit weder die Regierung noch die Parteien noch die Bevölkerung bereit.
Wer kommt dann überhaupt als Träger eines solchen Umbaus in Frage?
Es gibt eine ganze Reihe sozialer Bewegungen, die sich für eine andere Mobilität stark machen. Es gibt Fahrradclubs, die teilweise sehr intelligente Verkehrskonzepte entwickelt haben. Auch von der Auto-Konferenz in Stuttgart verspreche ich mir solche Impulse. Vielleicht kann sie dabei helfen, dass auch die Gewerkschaften wieder stärker über industriepolitische Konversionsstrategien nachdenken, so wie sie das in den 1970er Jahren im Bereich der Rüstungsproduktion getan haben. Aber einen anderen Entwicklungsweg, weg vom Auto, einzuschlagen, wird nicht von heute auf morgen gelingen. Er erfordert noch viel Arbeit und permanenten politischen Druck.
Fahrradclubs und Automobilkonferenzen sollen den Abschied vom Auto gegen alle Widerstände auf den Weg bringen?
Ja sicher. Alle Bewegungen gehen vom Jetzt aus, das kann man nicht umgehen. Und es gibt derzeit keine große politische Bewegung, die sich die Abschaffung des Autos auf die Fahnen schreibt. Das wird sich experimentell entwickeln müssen. Und die Gesellschaft wird die Grenzen der Autogesellschaft erkennen müssen. Das Öl wird ja nicht einfach ausgehen, sondern es wird sehr viel teurer werden. Schon heute können sich die Menschen in vielen Ländern und Weltregionen Mobilität schlicht nicht leisten. Diese Erfahrung werden auch die Menschen in den Industrieländern machen.
Wenn Sie einen Ausblick auf die nächsten Jahre wagen sollten: Welche Konflikte rund um Mobilität werden besonders wichtig?
Bedeutungsvoller als die Automobilfrage ist in absehbarer Zeit der Flugverkehr. Die Steigerungsraten der letzten Jahre sind so unerträglich groß, dass man da einen Stopp machen muss. Das bedeutet wirklich drastische Eingriffe in die Rentabilitätskalkulationen der großen Fluggesellschaften und all derjenigen, die mit dem Flugverkehr zu tun haben. Es braucht eine Steuer auf Kerosin, eine andere Raum- und Verkehrspolitik, vielleicht auch das Verbot von Flügen auf kurzer Strecke in Deutschland oder Europa. Dafür muss man sich mit den Lobbygruppen anlegen. Es ist also schwer zu erreichen, aber es ist notwendig.
Wo sehen Sie Hoffnungsschimmer?
Ich sagte ja bereits, von der Autokonferenz in Stuttgart erhoffe ich mir aufklärerische Impulse. Das Automobil hat ja auch seine kulturelle Bedeutung, es ist eine Lebensform. Es ist wie das Handy aus dem Leben kaum wegzudenken. Aber die gegenwärtige Generation wird erleben, dass das Öl ausgeht und dass der Klimakollaps uns teuer zu stehen kommt und uns das Leben sehr ungemütlich machen wird. Das Problem ist: Obwohl wir wissen, dass diese Ereignisse auch damit zu tun haben, wie wir uns mit dem Auto bewegen, tun wir zu wenig.
Vielleicht kommt hier wieder die kulturelle Seite ins Spiel, die Sie angesprochen haben. Das Auto als Statussymbol ...
Das ist nicht mehr so der Fall. Jeder kann sich heute ein großes Auto leisten, dafür haben schon die Finanzmärkte gesorgt. Dieses Prinzip ist ja eine der Ursachen für die aktuelle Krise. Die Leute bekommen einen Kredit, verschulden sich und das Auto, das sie kaufen, ist die Sicherheit. Wenn sie die Raten nicht bezahlen können, wird es ihnen einfach wieder weggenommen.
Früher war das Auto als Statussymbol für das Selbstwertgefühl der Fahrer sehr wichtig. Heute ist es ein Gebrauchsgegenstand, der sich durch Funktionalität auszeichnet. Diesen Wandel kann man ablesen, wenn man die Autowerbungen von früher und heute miteinander vergleicht. Die Leute sind weniger an einem Ersatzsymbol interessiert, man muss auch einen Ersatz für die Funktion des Autos finden. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber beim Auto gibt es wirklich nur eine einzige Lösung: weniger. Weniger Autofahren, weniger Autos, und stattdessen vernünftigere Fortbewegungs- und Verkehrssysteme. Ein solcher Umbau erfordert Eingriffe in die Kapitalverwertung, und das heißt: heftige Konflikte mit der Auto-Industrie. Aber anders wird es nicht gehen.
Interview: Jan Ole Arps
Die Konferenz Auto.Mobil.Krise findet vom 28. bis 30. Oktober in Stuttgart statt. Infos unter www.auto-mobil-krise.de
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