Freitag, 30. November 2012

Deutschland: sehr schwache reale Einzelhandelsumsätze [das sins Aufgaben für alle PR- und Werbeagenturen u. d. Wachstum wächst..]

 
Deutschland: sehr schwache reale Einzelhandelsumsätze

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=15325#h04
 


Das Statistische Bundesamt (Destatis) berichtete heute Morgen erneut von sehr schwachen deutschen Einzelhandelsumsätzen auch für den Monat Oktober 2012. Die nominalen Einzelhandelsumsätze bei den unbereinigten Originaldaten stiegen zwar um +1,6% zum Vorjahresmonat, aber bereits die unbereinigten realen Umsätze sanken um -0,8% zum Vorjahresmonat.

Der Oktober 2012 hatte mit 26 Verkaufstagen, einen Verkaufstag mehr als noch der Oktober 2011. Berücksichtigt man die Saison- und Kalendereffekte (Census X-12-ARIMA Verfahren) ging es im Vergleich zum Vormonat kräftig abwärts, nominal um -2,5% und real um -2,8% zum Vormonat!

Diese Daten dokumentieren weiterhin für Deutschland eine langanhaltende Konsumschwäche der privaten Haushalte, denn immer noch liegen die saisonbereinigten und realen Einzelhandelsumsätze um -4,98% unter dem Niveau von 2000 und um -5,16% unter dem Jahr 1994, dem Beginn der langen Datenreihe!

Deutschland reale Einzelhandelsumsätze

Quelle: Querschuesse http://www.querschuesse.de/deutschland-sehr-schwache-reale-einzelhandelsumsatze/


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Robert Misik - Die gehobene Mittelschicht und die Oberschicht im "Anlagenotstand" [via Nachdenkseiten]

 
Robert Misik – Die gehobene Mittelschicht und die Oberschicht im "Anlagenotstand"

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=15325#h06
 


Ein Grollen geht durch unsere Gesellschaft. Eine Wut und Aufstandsstimmung baut sich auf. Aber es ist nicht der Groll der Unterprivilegierten, sondern der Groll der Oberen Zehntausend und der gehobenen Mittelschicht.

Dauerhaft niedrige Zinsen machen es immer schwerer, kleine und mittlere Finanzvermögen zu erhalten – vom Vermehren ist ohnehin gerade keine Rede. Kaum etwas versetzt diese Kreise mehr in Panik als der "Anlagenotstand": Nirgendwo Finanzanlagen, die noch nennenswerte Zinsen abwerfen und einigermaßen risikofrei sind.

Aber natürlich trifft all das auch die normale Mittelschicht: Auch wer Lebensversicherungen abgeschlossen hat, kann von den versprochenen Renditen nur mehr träumen. Wird sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern? Und wäre das überhaupt wünschenswert?

Quelle: Robert Misik

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zur Vertiefung --->>> Unser Leben ist mehr wert als ihre Profite! [via Revolutionäerer Sozialistischer Bund] Leseanempfehlung!!!

 
Unser Leben ist mehr wert als ihre Profite!
[via RSB - Revolutionär Sozialistischer Bund / IV.Internationale]

http://www.rsb4.de/content/view/2930/91/?c_id=lcl-ad&c_keyword=re-50-lnk
 

13 Vorschläge des RSB für eine soziale und demokratische Wende!

Die BefürworterInnen des Kapitalismus und ihre parlamentarischen Handlager (CDU/CSU, FDP, Grüne, SPD) versuchen das Profitsystem und ihre jeweiligen Varianten neoliberaler Politik als alternativlos darzustellen.

Die Linke sieht sich als grundlegende Alternative zu diesen Parteien und spricht sogar von der Notwendigkeit eines "demokratischen Sozialismus", aber ihr "realpolitisches" Ziel ist die Teilhabe an der Verwaltung des Kapitalismus. Eine Perspektive, die den Bruch mit dem Profitsystem anstrebt, hat Die Linke jedenfalls bisher nicht angeboten.

Revolutionären SozialistInnen wird aus diesen Kreisen gerne "Utopismus" und "Sektierertum" vorgeworfen. Diese billige Polemik kann eine konkrete Auseinandersetzung mit unseren politischen Forderungen jedoch nicht ersetzen.

Unsere dreizehn Vorschläge für eine soziale und demokratische Wende sollen dazu beitragen, die gemeinsame außerparlamentarische Opposition gegen die neoliberale Offensive von Kabinett und Kapital zu entwickeln. Sie erfordern zumeist einen Bruch mit der herrschenden Logik der kapitalistischen Profitmaximierung. Vor allem aber sind es Forderungen, deren Umsetzung die Misere von Millionen Lohnabhängigen, Erwerbslosen und RentnerInnen beenden würde.

1. Mindestlohn jetzt!


Kein Mensch kann ein Leben ohne materielle Not mit weniger als 1.500 € brutto im Monat führen. Deshalb muss das Mindesteinkommen sofort auf diesen Betrag angehoben werden. Wir müssen durchsetzen, dass kein Branchentarif (und keine Rente) unter diesem Mindestbetrag liegt. Seit Jahren wächst die Produktivität und gleichzeitig steigen die Lebenshaltungskosten. Als Antwort auf die wachsende Armut trotz Arbeit fordern wir die Einführung eines Mindeststundenlohns von 12 €, der jährlich an die Preissteigerungen angepasst wird.


2. Hartz IV muss weg!


Im Rahmen der "Agenda 2010" wurden die sogenannten Hartz­gesetze beschlossen. Insbesondere Hartz IV bedeutet die staatlich organisierte Enteignung und Entwürdigung von erwerbslosen Menschen. Wir treten für die umgehende Abschaffung dieses unsozialen Gesetzes ein.

Statt Hartz IV müssen alle Betroffenen sofort Anspruch auf 700 € Mindesteinkommen plus Warmmiete im Monat geltend machen können. Nicht die Hartz-IV-BezieherInnen, sondern die Banken, großen Firmen, ManagerInnen und BerufspolitikerInnen müssen zur Offenlegung sämtlicher Einkommen und Vermögen gezwungen werden.
Darüber hinaus fordern wir einen zeitlich unbegrenzten Rechtsanspruch auf Arbeitslosengeld für alle Erwerbslosen.


3. Schluss mit der sozialen Unsicherheit!


Befristete Verträge, Saisonjobs, Scheinselbstständigkeit (Ich-AGs), Billigjobs mit staatlichen Zuschüssen, Praktika für Jugendliche, Minijobs, erzwungene Teilzeitjobs, nicht zuletzt die immer mehr verbreitete Zeitarbeit – das alles sind Erscheinungen einer zunehmenden sozialen Unsicherheit in der Arbeitswelt. Diese Maßnahmen erhöhen die Erpressbarkeit von Millionen Menschen – und die Profite. Sie haben jedoch keinerlei positiven gesellschaftlichen Beschäftigungseffekt. Deswegen treten wir für unbefristete Vollzeitarbeitsverträge als allgemeingültige rechtliche Norm ein.

4. Entlassungen verbieten!


Zerstörte Existenzen, geschlossene Betriebe, verarmte Regionen und eine ungeheure Vergeudung menschlicher Arbeit und Erfahrungen sind das Ergebnis der Jagd nach immer höheren Profiten und Dividenden. Das ist kein Naturgesetz.
Es muss Schluss sein mit der Arbeitsplatzvernichtung! Es ist sehr wohl möglich, etwas gegen sie zu tun:

  • •        Durch die Rücknahme der riesigen Subventionen und Steuergeschenke an das Kapital.
  • •        Durch die entschädigungslose Enteignung von Unternehmen, die trotz Profiten entlassen oder Standorte schließen.
  • •        Durch die Weiterführung dieser Betriebe unter gesellschaftlicher Kontrolle und die Sicherung der Arbeitsplätze durch einen aus Unternehmerbeiträgen finanzierten Solidarfonds, der die Lohnfortzahlung und den Arbeitsvertrag mit allen damit verbundenen Rechten sichert.


5. Arbeitszeit drastisch verkürzen!


Trotz des anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwungs im Lande des Exportweltmeisters sind nach wie vor Millionen offiziell als erwerbslos registriert.
Die Perspektive der Arbeitszeitverkürzung ist keine neue Idee, aber sie ist völlig unter die Räder der kapitalistischen Offensive zur Arbeitszeitverlängerung bei gleichzeitiger Lohnsenkung geraten.

Wenn die Massenarbeitslosigkeit wirklich bekämpft werden soll, erfordert das kürzere Arbeitszeiten und damit Arbeit für alle. Wir treten deshalb für die 30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich in allen Beschäftigungsverhältnissen ein. Wir sind gegen Jahresarbeitszeitkonten, gegen flexibilisiertes Arbeiten ohne Ende und Lohneinbußen, aber für Neueinstellungen, die dem Umfang der Arbeitszeitverkürzung entsprechen.


6. Renten sichern!


Mit vorgeschobenen und obendrein verlogenen demografischen Argumenten hat die Große Koalition die "Rente mit 67" beschlossen. Sie verschärft nicht nur für Junge und Alte die Probleme auf dem Arbeitsmarkt, sondern ist eine reine Rentenkürzung.

Gleichzeitig mehren sich die Reichtümer der Herrschenden und die Einnahmen der Rentenversicherungen, so dass genügend Geld für eine ausreichende Rente für alle vorhanden ist. Deshalb schlagen wir ein faktisches Rentenalter von 60 Jahren vor, eine abschlagsfreie Rente nach 40 Beschäftigungsjahren und einen Rentensatz von 75 % des bisherigen Bruttoverdienstes (mindestens 1.500 €) vor.

7. Privatisierung der öffentl. Unternehmen und Dienstleistungen stoppen!


Erziehung, Bildung, Kultur, Gesundheit, Energie- und Trinkwasserversorgung, Kommunikation, Wohnung, Verkehrswesen, Kitaplätze und Altenpflegeheime sind soziale Grundbedürfnisse und dürfen nicht als Waren im Dienste der Profitmaximierung missbraucht werden.
Wir schlagen vor, die öffentlichen Dienstleistungen zu verteidigen, weiterzuentwickeln und zu verbessern. Deshalb müssen die bisherigen Privatisierungen zurückgenommen und das Monopol der öffentlichen Hand wiederhergestellt werden. Für neue gesellschaftliche Bedürfnisse müssen zusätzliche öffentliche Dienste geschaffen werden.


8. Frau und Mann gleichstellen!


Die strukturelle Benachteiligung von Frauen in Familie, Arbeitswelt und Öffentlichkeit ist nicht beseitigt. Wir führen deshalb den Kampf für die vollständige Emanzipation der Frauen weiter.
 Wir treten ein für gleichen Lohn bei gleichwertiger Arbeit in allen Beschäftigungsverhältnissen. Ebenso treten wir für eine Angleichung der Renten von Frauen ein, die durch erzwungene Teilzeitarbeit und durch mutterschaftsbedingte Auszeiten zwangsläufig unterbrochene Erwerbsbiografien haben.

Die immer noch verbreitete Gewalt gegen Frauen (und Kinder) muss gesellschaftlich geächtet und gesetzlich verfolgt werden. Zusätzlich müssen die Schutzeinrichtungen für Frauen (Frauenhäuser) erhalten bleiben.


9. Ausgrenzung, Rassismus und Neo­faschismus bekämpfen!


Das "Problem" sind nicht die ImmigrantInnen, sondern Rassismus und Diskriminierung. Die zunehmende Zahl restriktiver Einwanderungsgesetze in den letzten Jahrzehnten verhindert nicht die Einwanderung, sondern treibt die MigrantInnen in die Illegalität und macht sie leichter angreif- und damit für die modernen Sklavenhalter ausbeutbar.

Die Lösung liegt in der Gleichheit der Rechte: Recht auf Bestimmung des Aufenthalts- und Wohnortes, Legalisierung der "Illegalen" und ein neues Staatsbürgerrecht, das nicht an die Nationalität gekoppelt ist, sondern das aktive und passive Wahlrecht allen Einwohner­Innen bei allen Wahlen zubilligt. Für die volle politische, soziale und rechtliche Gleichstellung!
Der wachsenden Gefahr durch den Neofaschismus ist mit einer konsequenten Politik der Aktionseinheit entgegenzutreten.

10. Die Umwelt erhalten!


Alle Parlamentsparteien haben sich mittlerweile als "Kämpfer" gegen den Klimawandel und für den Umweltschutz maskiert. Aber keine stellt real die kapitalistische Produktionsweise infrage, die den Profiten zuliebe die Umwelt zerstört und die Erde bedroht.

Wir treten für das Verbot des Anbaus von genmanipulierten Pflanzen ein. Gegen den Klimawandel fordern wir einen gesellschaftlich koordinierten Umbau der Energieerzeugung und -nutzung. Das bedeutet den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie sowie den geplanten Ersatz fossiler Brennstoffe durch saubere und erneuerbare Energieträger. Das erfordert ferner die bestmögliche Verringerung des Energieverbrauchs durch den Bau bzw. die Sanierung von Gebäuden, den systematischen Ausbau des schienengebundenen öffentlichen Personen- und Güterverkehrs sowie das Verbot des Güterfernverkehrs auf der Straße.

11. Demokratische Rechte verteidigen!


Angesichts der verschärften Angriffe auf unsere demokratischen Rechte ist eine entschlossene Gegenwehr erforderlich. Ein uneingeschränktes Demonstrations- und Streikrecht ist hierfür unabdingbar. Der Ausbau des Überwachungsstaates, der unter dem Vorwand der "Terrorbekämpfung" stattfindet, muss verhindert werden.

Die wichtigen Entscheidungen, die unseren Alltag betreffen, werden nicht in Parlamenten gefällt, sondern hinter verschlossenen Türen in den Aufsichtsräten und Finanzinstitutionen. 300 000 KapitaleignerInnen, 100 000 ManagerInnen und 100 000 BerufspolitikerInnen betreiben den Klassenkampf von oben gegen 36 Millionen Arbeiterinnen und Angestellte und real 6-7 Millionen Erwerbslose. Dem müssen wir den Klassenkampf von unten entgegensetzen.

Menschen sollen zu einem demokratischen politischen Engagement ermutigt werden, das dem System des Berufspolitikertums entgegengesetzt ist. Wir treten für die Abschaffung der 5 %-Klausel bei Wahlen ein. Wir schlagen vor, direkte Demokratie im gesellschaftlichen Leben zu verankern und die Entscheidungs- und Kontrollgewalt der Menschen auf die Unternehmen, die Medien, die Stadtviertel und Kommunen auszudehnen.

12. Gegen das Europa der Bosse und Banken, für ein Europa der ArbeiterInnen!


2005 haben die Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden der EU-Verfassung der "freien und unverfälschten Konkurrenz" zum Scheitern verholfen. Wir setzen uns in Europa für die Angleichung der sozialen Rechte auf dem jeweils höchsten Niveau ein. Wir wollen europaweit gültige Mindestlöhne und ein gleiches Arbeitsrecht genauso wie den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen. Der Versuch, mit der Reform des europäischen Grundlagenvertrags die fehlende Zustimmung der Bevölkerungen zu ersetzen, ist europaweit zu bekämpfen.

13. Internationale Solidarität organisieren!


Im Gegensatz zur europäischen Aufrüstung und dem zunehmenden internationalen militärischen Engagement der Bundeswehr treten wir für den Austritt Deutschlands aus der NATO, den endgültigen Verzicht auf Atomwaffen und den Rückzug der deutschen Truppen aus dem Ausland ein. Schluss mit der Ausplünderung der südlichen Länder durch Multis wie Siemens, BASF und Daimler! Schluss mit der Unterstützung diktatorischer Regime. Sofortige und einseitige Streichung der Schulden, die den Großteil der Bevölkerungen der armen Länder erdrosseln.

Was das kostet?
Unsere Vorschläge sind mit einigen finanziellen Kosten verbunden. Aber deswegen sind sie nicht unrealistisch. Denn die Reichtümer zu ihrer Finanzierung sind vorhanden und zwar mehr denn je. Die einzige Frage, die sich stellt, ist: Wer bezahlt?

Unser Vorschlag lautet, das Geld von denen zurückzuholen, die es sich auf Kosten der Gesellschaft aneignen. Das Problem ist also rein politischer Natur.
Als Erstes sollten selbstverständlich die unproduktiven oder schädlichen Ausgaben der öffentlichen Hand gestrichen werden: die Subventionen und Steuererleichterungen für Privatunternehmen und alle Geschenke an die Konzerne.

Parallel dazu bedarf es einer Einkommenssteuerreform, die die Progression wieder herstellt. Unternehmensgewinne sollen mit 50 % besteuert und die Bemessungsgrundlage für die Vermögenssteuer durch Einbeziehung der Firmenvermögen verbreitert werden.

Skandalös ist die ungleiche Verteilung der Reichtümer, die zwar von der großen Mehrheit erzeugt, aber nur von einer kleinen Minderheit abgeschöpft werden. Seit den 80er Jahren ist der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt gegenüber den Kapitalerträgen gesunken – das ist der wahre Jahrhundertraub! Dieses Geld zurückzuholen dient sowohl der volkswirtschaftlichen Entwicklung als auch der sozialen Gerechtigkeit.

Gemeinsam die außer­parlament­a­rische Opposition aufbauen!
All diese Vorschläge sind keine Erfindung von uns. Sie sind in politischen,  sozialen, gewerkschaftlichen und betrieblichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre entwickelt worden. In Teilen sind sie bereits in der sozialen Bewegung und den Gewerkschaften verankert.

Die Forderung nach der 30-Stundenwoche bei vollem Lohn und Neueinstellungen wird zum Beispiel von der sozialen Bewegung vertreten.
In einer Reihe von Arbeitskämpfen wurden fantasievolle Aktionsformen entwickelt wie tagelange Betriebsversammlungen (Alstom Ma­nn­heim), Tor- und Betriebsbesetzungen (Freudenberg Weinheim und Bike Systems Nordhausen) oder Streikeinsatzkommandos (Unikliniken NRW). Solche Kampfformen gilt es aufzugreifen und zu verallgemeinern.

Praktisch alle wichtigen gesellschaftlichen und demokratischen Rechte wurden und werden durch Streiks (wie dem Kampf der LokführerInnen) und außerparlamentarische Bewegungen durchgesetzt oder vorbereitet. Diese Erkenntnis ist eine Voraussetzung für eine grundlegende Änderung der Kräfteverhältnisse im Interesse der arbeitenden Klasse durch einen politischen Generalstreik.

Wir wollen diesen dreizehn Vorschlägen mehr Gehör verschaffen, damit sie im Zentrum zukünftiger Mobilisierungen des Widerstands und des Aufbaus einer wirksamen ausserparlamentarischen Opposition stehen. Sie allein kann eine soziale und demokratische Wende im Interesse der großen Mehrheit erreichen.

 

Hier die PDF-Version der 13 Vorschläge des RSB für eine soziale und demokratische Wende herunterladen 


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Empörung über d. Managergehälter werde gleichzeitig umgelenkt in e. Idealisierung + Romantisierung d. mittelständischen Unternehmer,..

   

 

Die Empörung über die Managergehälter werde gleichzeitig umgelenkt in eine Idealisierung und Romantisierung der mittelständischen Unternehmer, so dass in der Vorstellung vieler Deutscher inzwischen der Klassenkampf zwischen dem "guten" mittelständischen Unternehmer gegen die "bösen" Konzerne und ihre Manager stattfinde (98).

[Ulrike Herrmann - Hurra, wir dürfen zahlen - DER SELBSTBETRUG DER MITTELSCHICHT (2010)]


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#Ideologie und #Wahrheit des #Gemeinspruchs: "Sozial ist, was Arbeit schafft!" #Niedriglohn als #Staatsprogramm

   

 


Klarstellungen zur elenden öffentlichen Debatte über Hartz-IVler und andere Sozialfälle mit und ohne Arbeit:

Ideologie und Wahrheit des Gemeinspruchs: "Sozial ist, was Arbeit schafft!"

Niedriglohn als Staatsprogramm

 
 
[via argudiss.de]

Veranstaltung vom 18.03.2010 in München

Referent: Wolfgang Möhl, Redakteur des GegenStandpunkt

 

Teil 1: Eine öffentliche Debatte und die aktuelle Lage

Teil 2: Gerechtigkeit am Arbeitsmarkt: Kritik des Gerechtigkeitsargumentes

 
 

Teil 3+4: Kapitalwachstum – Arbeitsmarkt – und Sozialpolitik

 

Teil 5: Der neues Reformbedarf mit Hartz IV und Mindestlohn: Niedriglohn als Normalexistenz

 

Teil 6: Der Sozialstaat als Agentur des "allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation" (Marx)

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--->>> Hartz IV ist ein #Baustein, ein #Instrument zum #Machterhalt der #Besitzenden [via scharf-links.de]

 

Eine Jobcenter-Mitarbeiterin klagt Hartz IV an

von gegen-hartz

[via scharf-links.de]


"Der Menschenabfall - Die Toten aus der Hartz IV-Maschine": Eine Jobcenter-Mitarbeiterin klagt das Hartz IV System an

Seit August 2005 bin ich Beschäftigte in der Hartz-IV-Maschine mit täglichem Kunden- kontakt. Häufig schon wurde ich von Freunden und Bekannten aufgefordert, meine Erfahrungen einem größeren Publikum öffentlich zu machen.

Vor wenigen Tagen hatte ich damit begonnen, erste Stichworte und Überschriften zu Papier zu bringen. Eine der Überschriften lautet: "Die Toten aus der Maschine". Gemeint ist die Hartz IV-Bürokratie, die Hartz IV-Maschine.

Am 26. September 2012 war es soweit. Eine Mitarbeiterin des Jobcenters Neuss wurde von einem ihrer "Kunden" tödlich mit einem Messer verletzt. Die Reaktion der Bundes-agentur für Arbeit war symptomatisch: Übergriffe in Behörden kämen leider immer wieder vor, sagte die Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA), Ilona Mirtschin. "Es sind Einzelfälle, die hohe mediale Aufmerksamkeit erregen. Das ist nichts, was spezifisch für Jobcenter ist."

In einigen Jobcentern und Arbeitsagenturen würden externe Sicherheitsdienste beschäftigt, die im Falle eines Konflikts einschreiten könnten. Die BA biete Mitarbeitern, die regelmäßig in Kontakt mit Kunden sind, spezielle Deeskalationstrainings an. Für mich kam es nicht überraschend, dass am 26. September 2012 eine meiner Kolleginnen durch einen ihrer "Kunden" zu Tode kam.

Anders als es die Bundesagentur für Arbeit durch ihre Sprecherin verlauten ließ, liegt die Ursache dafür in der Struktur, im System, in der Organisation der Verwaltung des "Menschenabfalls". Jenes "Menschenabfalls", der in den Jobcentern zu nützlichen Mitgliedern für die Gesellschaft recycelt werden soll. Dabei wird über Leichen gegangen, nicht nur im übertragenen Sinne, sondern im Wortsinn.

Die Ursache liegt in der Struktur der Gewalt, die gegen Hartz IV Leistungs-berechtigte wie gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern täglich, stündlich, ja minütig ausgeübt wird

Die getötete Kollegin ist nicht die erste Tote aus der Maschine. Und die Ursache liegt in der Struktur der Gewalt, die gegen Hartz IV Leistungsberechtigte wie gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern täglich, stündlich, ja minütig ausgeübt wird. Eine Gewalt, die von den Mächtigen, den Besitzenden ausgeht, wobei die Politik nichts anderes ist als ihre bezahlte Hure. Der Begriff des "Menschenabfalls" begegnete mir in Zygmunt Baumans Veröffentlichung "Flüchtige Zeiten, Leben in der Ungewissheit" aus dem Jahre 2008.

Er bezieht sich darin auf Menschen, die in verschiedenen Lebenssituationen an den Rand oder aus der Gesellschaft heraus gedrängt werden: "Solange es möglich ist, den Bevölkerungsüberschuss (den Teil, der nicht in die `normale´ Gesellschaft reintegriert und nicht für die Aufnahme in die Kategorie der `nützlichen´ Gesellschaftsmitglieder wiederaufbereitet werden kann) regelmäßig aus einem bestimmten Gebiet zu entfernen, innerhalb dessen ein ökonomisches und soziales Gleichgewicht angestrebt wird, sind Menschen, die dem Abtransport entgangen sind und in dem betreffenden Gebiet verbleiben, für das `Recycling´ beziehungsweise für die `Rehabilitation´ vorgesehen. Sie sind nur vorübergehend `draußen´, der Zustand ihrer Exklusion ist eine Abnormität, die ein Heilmittel und eine Therapie verlangt; man muss ihnen auf jeden Fall helfen, so schnell wie möglich wieder `hinein´zukommen. Sie sind das `Ersatzheer an Arbeitskräften´ und müssen in Form gebracht und erhalten werden, so dass sie bei nächster Gelegenheit in den aktiven Dienst zurückkehren können. (…) Je länger die `überflüssige´ Bevölkerung im Land bleibt und mit dem `nützlichen´ (…) Rest in Berührung kommt, desto weniger kann die beruhigende Eindeutigkeit der Trennlinien zwischen `Normalität´ und `Abnormität´ zwischen vorübergehender Untauglichkeit und der endgültigen Zuordnung zum `Abfall´ aufrechterhalten werden. Dem `Abfall´ zugeordnet zu werden kann nicht mehr, wie zuvor, als Schicksal wahrgenommen werden, das auf einen relativ kleinen Teil der Bevölkerung beschränkt ist, sondern wird zu etwas, das jeden treffen kann. (…) Die gewohnten Werkzeuge und Interventionsstrategien (…) sind zu schwach und kaum geeignet, um dieser neuen Form des `Abfallproblems´ zu begegnen."

Man erinnert sich unweigerlich an Gerhard Schröders vollmundige Ankündigung der Agenda 2010, an die medienwirksame Inszenierung der Überreichung des Datenträgers (auf dem die Hartz-Gesetze abgespeichert waren) von Peter Hartz an den Kanzler. Vollmundig erklärte der Kanzler im Blitzlichtgewitter der Pressefotografen, das Ersatzheer an Arbeitskräften werde mit Hartz IV in Form gebracht, um bei dem zu erwartenden Aufschwung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen zu können.

Sozialhilfe (für Erwerbsfähige) und Arbeitslosenhilfe wurden zusammengefasst zu einer neuen Leistung: Arbeitslosengeld II, offiziell "Grundsicherung für Arbeitsuchende" gerne auch "Hartz IV" genannt. Tatsächlich handelt es sich bei einem Großteil der Leistungsempfänger von Arbeitslosengeld II um Menschen, die aus verschiedenen Gründen gar nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen (können oder wollen), oder um Beschäftigte, die einen Hungerlohn erhalten und aufstockend Leistungen beziehen.

Generelle Bezeichnung "Langzeitarbeitslose" irreführend

Empfänger von Arbeitslosengeld II generell als Langzeitarbeitslose zu bezeichnen, wie in weiten Teilen der Medien und in Sonntags-Talkauftritten von Politikern üblich, ist irreführend. Nur ein geringer Teil der Leistungsberechtigten gerät allein deswegen in den fragwürdigen Genuss von Hartz IV-Leistungen, weil er zuvor gearbeitet hat, arbeitslos wurde und nach 12 bis 18 Monaten sein Arbeitslosengeld I ausgelaufen ist und der Arbeitslose noch nicht wieder "recycelt" werden konnte.

Im Rahmen der Agenda 2010 wurde die Zeitarbeit (auch Leiharbeit oder Arbeitnehmerüberlassung genannt) ausgebaut. Rot-Grün senkte die Steuersätze für Spitzenverdiener und brachte mit Rentenreform und Riester-Rente eine Sozialkürzung ungeahnten Ausmaßes über das Land. Dinge, die heute im Jahre 2012, im aktuellen Vorwahlkampf auf die Bundestagswahl 2013 von den SPD-Oberen angeprangert werden als seien sie des Teufels und nicht die Ausflüsse ihrer eigenen, früheren Politik.

Der "Basta-Kanzler", der "Kanzler der Bosse" hat sich bei seinem jahrzehntelangen Marsch durch die Institutionen korrumpiert. Selbstgefällig und narzisstisch ließ er seinen Allerwertesten auf dem Sessel im Kanzleramt nieder, beseitigte mit Oskar Lafontaine den letzten Makroökonom aus dem Kabinett, posierte nebenberuflich im Designeranzug und mit Imponierzigarre im Wochenmagazin "Stern", und ließ sich fortan vom Kapital durch die Manege treiben um sich am Ende seiner politischen Karriere vom Musterdemokraten und russischen Neuzaren Wladimir Putin auf einen noch bequemeren Sessel als den im Kanzleramt hieven zu lassen: ein Beratersessel bei Gazprom.

Nachdem die Bundestagswahl im Herbst des Jahres 1998 Rot-Grün als Sieger hervorbrachte, ich befand mich gerade am Ende meines Studiums der Sozialarbeit, jubelten die Professoren und nebenberuflich Lehrenden an meiner Fachhochschule: jetzt wird alles besser, sozialer, gerechter. Auf meinen Einwand und meine Prognose hin, dass all jene sozialen Grausamkeiten, die von einer Kohl-Regierung gegen eine starke SPD-Opposition im Bund und Mehrheit im Bundesrat bis dato nicht durchsetzbar waren, in Kürze aber mit Kanzler Schröder kommen würden, erntete ich von den "Experten" nur ungläubiges Kopfschütteln. Leider behielt ich recht.

Nun wird immer wieder versichert, die Reformen seien unverzichtbar gewesen und hätten die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gesichert. Man stehe heute im internationalen Vergleich wirtschaftlich und die Arbeitsmarktstatistik (per Gesetz und dienstlicher Anweisungen manipuliere ich diese Statistik täglich) betrachtend besser da als vor den Reformen, besser da als Länder, die diese Reformen bislang versäumt hätten: Frankreich, Griechenland, Spanien etc. Durch alle Medien, über alle Kanäle wird diese Botschaft beständig auf die Bevölkerung abgeschossen. Wer dem nicht folgt, der wird als Antidemokrat, als Antieuropäer diffamiert.

Doch das ist die Realität: Der Rückzug der Politik von der Macht, ihre Selbstentmachtung, und die damit einhergehende Machtübernahme durch das Kapital (also durch die wirtschaftlich Mächtigen und global Handelnden) presst in immer unverhohlener Weise das sogenannte Humankapital aus. Die Konzentrierung des Reichtums in wenigen Händen und die Umverteilung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums nach oben lassen das Heer des "Menschenabfalls" global anwachsen. Die dem kapitalistischen System immanente Expotentialfunktion des Wachstums und sein Zinssystem führen zu immer neuen Übernahmeschlachten. Übernommen werden dabei aber mittlerweile nicht bloß andere Unternehmen sondern ganze Volkswirtschaften.

Hartz IV ist ein Baustein, ein Instrument zum Machterhalt der Besitzenden

Die aktuelle Entwicklung in Europa, bei der ein Rettungsschirm den nächsten jagt und die Europäische Zentralbank bereits den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen ausgerufen hat, all dies bloß um angeblich die Märkte zu beruhigen, zeigt die unendliche Gier des Dämons Mammon. Der entfesselte Kapitalmarkt hat nun auch mit den von den Regierungen zu leistenden Bürgschaften endlich Zugriff auf das Steuereinkommen der Nationalstaaten, insbesondere Deutschlands als derzeit potentestem Bürge.

Er diktiert, wo es lang geht: Lohnkürzungen und Sozialabbau in den Ländern, die unter den Schutz der Rettungsschirme flüchten wollen oder müssen. Es stellt sich nicht lange die Frage, wann auch dieser fette Happen Kapitals für die meisten schmerzhaft, für die Besitzenden aber gewinnbringend verschlungen, verdaut und in Form von weiteren Einschränkungen der Menschenrechte ausgeschissen sein wird.

Die Kapitulation der Politik vor den wirtschaftlich Mächtigen konnte nicht treffender auf den Punkt gebracht werden als unlängst im Morgenmagazin des öffentlich rechtlichen Fernsehens durch den Auftritt eines FDP-Politikers, immerhin Mitglied des Bundestags. Befragt zu den Entscheidungen des Bundestags im Zusammenhang mit den Euro-Rettungsschirmen gab er zu, die wenigsten Politiker würden die Dinge in ihrer Komplexität verstehen. Er selbst nehme sich da nicht aus, anderenfalls säße er ja (besser bezahlt) in den Schaltzentralen der Banken.

Hartz IV ist ein Baustein, ein Instrument zum Machterhalt der Besitzenden, zur Zementierung der wirtschaftlichen Ungerechtigkeit und Ungleichheiten, davon bin ich heute nach sieben Jahren der Mitarbeit in der Hartz IV-Maschine überzeugt. So wie es die IWF-Toten bei Unruhen gibt, wenn die Regierungen armer Länder gezwungen werden, die Lebensmittelpreise freizugeben und ihre Ordnungskräfte auf die Protestierenden schießen lassen, so wie es die Monsanto-Toten gibt, weil der indische Reisbauer durch zu kaufendes Saatgut und dazu passende Pestizide krank und überschuldet lieber den Freitod wählt, so gibt es die Toten aus der Hartz IV-Maschine: Menschen, denen in ihrer Verzweiflung nichts besseres einfällt, als sich selbst oder andere zu töten.

Dem Täter aus Neuss musste klar gewesen sein, dass er durch seine Tat nicht nur das Leben eines anderen sondern letztlich auch sein eigenes kleines und (von den Mächtigen) beschissenes Leben zerstören würde. Er hatte in dieser Weltordnung keine Chance, und meine Kollegin leider auch nicht.

(Name der Autorin der gegen-hartz-Redaktion bekannt)

http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/eine-jobcenter-mitarbeiterin-klagt-hartz-iv-an-9001142.php

 

 


VON: GEGEN-HARTZ



Posted via email from Dresden und Umgebung

"Es sind nicht mehr die Unternehmer, [...] #stattdessen #beuten #angeblich die #Armen die #Mittelschicht #aus."

   

Es sind nicht mehr die Unternehmer, die ihre Angestellten ausbeuten – stattdessen beuten angeblich die Armen die Mittelschicht aus" (158).

Ulrike Herrmann: Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht.
Westend Verlag, Fankfurt/Main, 2010. 223 Seiten. 16.95 Euro



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Zur Vertiefung -->> Die zerstörende Gesellschaft: Wirtschaftslehre von heute [via Nachdenkseiten]

 
 Die zerstörende Gesellschaft: Wirtschaftslehre von heute

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=14757#h01


Die Höhe des Schadens, der den Ländern rund um den Globus durch schlechte Wirtschaftspolitik auferlegt wird, findet Dean Baker, der Leiter des Center for Economic and Policy Research, erstaunlich.

Dabei, so schreibt er, wäre zumindest die kurzfristige Lösung recht einfach.

Posted via email from Bilderwelten

#Bombengeschäft am #Bodensee - Das große Schweigen "Der Tod ist ein Meister vom Bodensee" [via Kontext] Lesebefehl

 

Bombengeschäft am Bodensee

von Susanne Stiefel (Text) und Martin Storz
[via Kontext]

http://www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/11/bombengeschaeft-am-bodensee/

Mörderisches Geschäft in malerischer Kulisse: Rüstungsstadt Friedrichshafen.

Minen, Panzer und Raketen? Hier doch nicht. Nicht in dieser scheinbar heilen Welt von sauber geweißelten Orten und Segelbooten vor malerischer Alpenkulisse. Doch die Bodenseeregion ist einer der wichtigsten Rüstungsstandorte in Deutschland. Hier werden Waffen produziert, die anderswo töten. Und kaum einer spricht darüber.

Die Abendsonne färbt den Bodensee am Überlinger Ufer blutrot. Die Fachwerkhäuser rund um das Münster verströmen diesen Hauch von Idylle, den Urlauber so schätzen. Es ist November, Spätherbst am Bodensee. Touristen verirren sich nun selten in die Gassen, Überlingen gehört wieder den Bewohnern. Wer vom Tourismus lebt, überwintert. Die anderen sind froh, dass sie bei Diehl oben am Berg Arbeit haben. Bei Diehl Defence, wo Minen, Zünder, Granaten und modernste Raketen zusammengebaut werden, eben alles, was kracht und explodiert, was Menschen zerfetzt und Leben zerstört.

Überlingens OB Sabine Becker: Niemandem sind Kriege behaglich, aber die Welt ist nunmal anders. Doch darüber redet man hier nicht so gerne. Schließlich ist Diehl der größte Gewerbesteuerzahler in der 22 000-Einwohner-Stadt, sorgt für Arbeitsplätze neben Tourismus und Landwirtschaft, sponsert Vereine und Kulturveranstaltungen. Bringt Glanz in die Provinz, wenn etwa der Verteidigungsminister den Waffenproduzenten am Ort besucht. Pazifisten findet man in Überlingen selten.

Die Oberbürgermeisterin jedenfalls gehört nicht dazu. Ihr Rathaus duckt sich im Schatten des Münsters, den Ratssaal ziert Holzschnitzerei aus dem 14. Jahrhundert. Hier wurde früher Recht gesprochen, die Hände konnte man in einer eigens ins Holz geschnitzten Wanne in Unschuld waschen. "Niemandem sind Kriege behaglich, aber die Welt ist eben anders", sagt Sabine Becker, über Krieg und Frieden entschieden nun mal andere: "Als Kommunalpolitikerin kümmere ich mich um genügend Kindergarten-Plätze, dass der Haushalt in Ordnung ist und die Stadt verschönert wird." Da hilft es, dass bei der Produktion und Entwicklung moderner Lenkflugkörper keine Emissionen entstehen. Diehl ist eine saubere Fabrik.

"Der Tod ist ein Meister vom Bodensee"

In Überlingen steht nicht die einzige Waffenschmiede am See. Wer die B 31 am Bodensee Richtung Osten fährt, sieht die Fabriken aufgereiht am Straßenrand wie Soldaten, sauber und ordentlich sieht das aus, keine rauchenden Schlote, Hightech zwischen Reben. Oberschwäbische Waffenstraße nennen Rüstungsgegner diese Route in Anlehnung an die idyllische oberschwäbische Barockstraße. In Immenstaad passiert man EADS Cassidian/Astrium, den Rüstungszweig der EADS, der Kampfflugzeuge herstellt, Drohnen und Raketen. In Friedrichshafen beherrscht MTU/Tognum das Stadtbild, wo Motoren für Panzer, Haubitzen und U-Boote produziert werden. Und die Zahnradfabrik ZF gleich nebenan liefert das dazu passende Getriebe. Ebenfalls in Friedrichshafen und etwas weiter östlich in Lindau und Lindenberg produziert Liebherr Elektronik und Steuerungssysteme für den Kampfhubschrauber Eurocopter. Und es sind noch viele kleinere Zulieferer darüber hinaus, die sich im Dunstkreis der Großen hier im Dreiländereck angesiedelt haben. "Der Tod ist ein Meister vom Bodensee", variiert der profilierte Rüstungsgegner Jürgen Grässlin die "Todesfuge" von Paul Celan.

Deutschland ist einer der größten Waffenexporteure. Nach den USA und Russland liegt es laut dem Stockholmer Friedensinstitut SIPRI auf Platz drei. Dabei hat Deutschland das strengste Waffenkontrollgesetz, das es verbietet, deutsche Waffen in Spannungsgebiete zu liefern und das die Einhaltung von Menschenrechten zu einem wichtigen Kriterium für die Genehmigung von Rüstungsexporten macht. Doch derzeit wird geliefert an Pakistan, den Irak, Saudi-Arabien, Südkorea und Bahrain, an Länder also, die nicht eben Vorbild sind in Sachen Menschenrechte. Entscheidungen über die jährlich rund 16 000 Einzelgenehmigungen fällt das Bundesausfuhramt, das dem Wirtschaftsministerium unterstellt ist. Größere Entscheidungen, wie etwa über die Lieferung von bis zu 1200 Fuchs-Radpanzern nach Algerien, werden im Bundessicherheitsrat getroffen, einem geheim tagenden Gremium unter dem Vorsitz von Angela Merkel und acht Ministern.

Cassidian: Rüstungszweig der EADS, produziert in Immenstaad. Laut Rüstungsexportbericht der Bundesregierung von 2010 wurden in diesem Jahr für mehr als zwei Milliarden Rüstungsgüter exportiert, ein Blick auf die Vergleichsliste zeigt, dass das Rüstungsgeschäft seit 2002 kontinuierlich wächst. Das Geschäft mit dem Krieg ist also ein Bombengeschäft. Und Diehl in Überlingen verdient kräftig mit. Im vergangenen Jahr etwa hat Diehl Defence in Überlingen 611 Millionen Umsatz gemacht, wie dem Geschäftsbericht zu entnehmen ist.

Das wollen wir doch genauer wissen und gerne persönlich mit den Verantwortlichen reden. Doch die Diehl-Geschäftsführung spricht weder über die Gewinne aus dem Rüstungsgeschäft noch über die Waffen gerne. Und auch nicht über die Toten und Verletzen, die ihre Raketen made am Bodensee verursachen. Die Anfrage sei zu kurzfristig, mehrere Wochen im Voraus möchten schon sein, wenn man über ein solch sensible Themen sprechen wolle, sagt der Öffentlichkeitssprecher Charles Weston am Telefon. Schriftlich beantwortet man ("Bitte verzichten Sie auf die Nennung von Namen") dann vier von elf Fragen ("Bitte haben Sie Verständnis") und lässt knapp ausrichten: Nein, eine waffenfreie Welt könne man sich nicht vorstellen. Ja, Verteidigungsminister Thomas de Maiziere war diesen Sommer zu Besuch.

Zum Jubiläum verzierte Marzipanraketchen

Beim 50-Jahr-Jubiläum des Verkaufsschlagers aus dem Haus Diehl Defence, der Lenkflugkörper, war man nicht so zurückhaltend. Dort wurden im Oktober vor zwei Jahren zur Feier des Tages verzierte Marzipanraketchen gereicht. Und mit bunten Cocktails, die die Namen "Sidewinder" und "IRIS-T" trugen, den Hightech-Erfolgsprodukten aus der Waffenschmiede, durften die Feiernden stilgerecht anstoßen. Das tat etwa der Abteilungsleiter Rüstung im Verteidigungsministerium ebenso wie der stellvertretende Inspekteur der Luftwaffe. Man kennt sich. Dafür sorgt schon die Lobbyarbeit. Diehl hat seine Berliner Vertretung am Pariser Platz, gleich neben dem Brandenburger Tor und in Sichtweite des Reichstags. Von den verschiedenen Sidewinder-Typen lieferte Diehl bis zum Jubiläumsjahr rund 35 000 Flugkörper.

Versteckt hinter lustigem Soldaten-Graffito: das Diehl-Werk in Überlingen.

Das Diehl-Werk liegt oberhalb Überlingens mit freiem Blick auf den Bodensee und die Alpen. An den Bäumen am Werksparkplatz hängen die letzten bunten Herbstblätter, sie konkurrieren chancenlos mit dem Graffito vor dem Zaun, das in grellbunten Farben das Soldatenleben zeigt. Kameras bewachen das umzäunte Werksgelände, und schneller als man schauen kann, radelt der Mann vom Werkschutz heran und will wissen, warum man hier draußen rumsteht. Beobachtet wird bei Diehl ganz genau.

Es war Ferdinand Graf von Zeppelin, der schon 1899 seine Luftschiffe am Bodensee montieren ließ und damit den Grundstein für den Rüstungsstandort Bodensee legte. In seinem Dunstkreis gediehen Dornier und Maybach, später MTU. Schon im Ersten Weltkrieg waren mehr als 3000 Menschen in Friedrichshafen damit beschäftigt, ein Drittel der deutschen Flugzeuge zu produzieren. Begünstigt wird der Standort durch die Nachbarschaft mit Österreich und der Schweiz, die ebenfalls im Rüstungsgeschäft mitmischen. Und nicht zuletzt durch die Landschaft. Die meisten der ehemaligen Diehl-Geschäftsführer leben noch im Ruhestand am Bodensee. Und auch qualifizierte Fachkräfte wissen das idyllische Umfeld ihres mörderischen Arbeitsplatzes durchaus zu schätzen.

Das weiß auch Oswald Burger zu berichten. Mit keckem Hut trifft er zum Gespräch am Überlingen Hafen ein, ein 63-Jähriger mit Schnauzer, der einst aus Überzeugung im roten Marburg studiert hat und heute zwischen Pragmatismus und Zynismus changiert. "Mein pazifistischer Gestus wurde im Laufe der Jahre abgeschliffen", sagt der pensionierte Lehrer. Die Schwester hat bei Diehl gearbeitet, der Schwager bei Maybach, der Schwiegersohn ist Entwicklungsingenieur bei MTU. Das bremst.

Einst hat er die Geschichte des Überlinger Stollens recherchiert, in dem die Nazis Zwangsarbeiter für die Rüstungsindustrie einsetzten. Das hat ihm das Bundesverdienstkreuz eingebracht. Heute organisiert er deutsch-israelische Begegnungen, bei denen die Jugendlichen nicht nur Kasernen besuchen, sondern auch im firmeneigenen Segelclub mit Diehl-Mitarbeitern diskutieren. Die deutsch-jüdischen Kulturtage werden ebenfalls vom Raketenbauer oben am Berg gesponsert. Das ist der Kooperation mit dem israelischen Rüstungskonzern Rafael, die Diehl seit Jahren pflegt, sicher nicht hinderlich. "Ich bin zerrissen", sagt Burger, der seit fast 30 Jahren für die SPD im Überlinger Gemeinderat sitzt. Die Überlinger sagen übrigens Bodenseewerk, nicht Waffenschmiede, zu ihrem Hauptgewerbesteuerzahler.

Das große Schweigen

Der Expazifist und Exsozialist Burger kennt die Gründe für das große Schweigen: Die Kirchgänger arbeiten bei Diehl, deshalb hält sich die Kirche zurück. Die Gewerkschafter sitzen als Betriebsräte bei Diehl, deshalb gehören weder die Gewerkschaft noch die SPD zu den großen Kritikern. Die Vereine werden großzügig von Diehl gesponsert. Und in den Schulen sitzen die Kinder von Geschäftsführern, oder es gibt gleich Kooperationsverträge mit Rüstungsfirmen wie beim Karl-Maybach- oder dem Zeppelin-Gymnasium in Friedrichshafen. Das Sein bestimmt das Bewusstsein – Burger kennt das Marx-Zitat noch aus seinen Politseminaren bei Professor Wolfgang Abendroth in Marburg.

Lothar Höfler: Den Verantwortlichen einen Namen, den Toten ein Gesicht geben.Das bekommt auch Lothar Höfler immer wieder zu spüren. Der 73-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, genau hin und den Rüstungsfirmen auf die Finger zu sehen. Seit zwei Jahren ist nachzulesen, was der gelernte Ingenieur und seine Mitstreiter recherchiert und zusammengetragen haben. Eine etwas andere Heimatkunde, die sich von der Idylle nicht blenden lassen will. Ihr ehrgeiziges Ziel: Den Tätern ein Gesicht und den Opfern einen Namen zu geben. Das ist nicht einfach. Denn die Rüstungsindustrie, die sich selbst lieber als "Sicherheits- und Wehrbranche" bezeichnet, gehört nicht zu den mitteilungsfreudigen Branchen.

Lothar Höfler trägt sein Haar in einer Länge, die heute nicht mehr so in ist, den Mund hat er sich noch nie verbieten lassen. Er war selbst ein Saulus, hat 15 Jahre lang bei Liebherr in der Rüstungsproduktion gearbeitet. Dann hat sich der junge Ingenieur selbständig gemacht, weil er nicht mehr "Teil einer Tötungsindustrie" sein wollte. Höfler liebt den Bodensee. In seiner kleinen Wohnung am Lindauer Marktplatz hängen alte Drucke der Inselstadt, er hat viele Einzelfotos von Lindaus Seeseite akribisch zu einer Gesamtsicht zusammengefügt. Doch das hindert ihn nicht daran, den Finger in die Wunden zu legen. Die Wunden, die Waffen nun mal schlagen. Seit Jahren tragen er und seine Mitstreiter Informationen zusammen, aus Werbebroschüren der Rüstungsindustrie, von Luft- und Seefahrts-Messen mit so harmlosen Namen wie Euronaval oder Aero India. Detailliert haben sie dieses geballte Wissen auf ihrer Homepage zusammengestellt. Firma für Firma, Panzer für Panzer, Rakete für Rakete. Und eine Rüstungskarte vom Bodensee zusammengestellt.

Stuttgarter Friedenspreis an "Aktion Aufschrei – stoppt den Waffenhandel"

Diehl ist auch dabei, klar. Höfler weiß aus vielen Gesprächen, dass Menschen, die ihr Geld mit Rüstung verdienen, so tun, als unterscheide sich ihr Produkt nicht von Rührgeräten oder Akkuschraubern. Er kennt die Argumente: "Wenn Sie von einer Welt ohne Waffen träumen, sind Sie naiv", sagt etwa der Rektor des Karl-Maybach-Gymnasiums in Friedrichshafen, der einen Kooperationsvertrag mit EADS unterschrieben hat. "Wenn wir es nicht machen, machen es andere", sagt der Ingenieur bei MTU. "Wenn wir die Firmen nicht hätten, hätten wir hier im Bodenseekreis mehr als drei Prozent Arbeitslosigkeit", sagt der Rektor des Graf-Zeppelin-Gymnasiums. Und überhaupt: Kooperieren würden sie schon lange mit EADS, Bewerbertraining, Darstellung – was soll daran denn Schlimmes sein?

MTU vor Alpenkulisse.

Die Frau, die unten am Überlinger Landungsplatz, direkt vor Peter Lenks Walserbrunnen, Schokolade und Souvenirs verkauft, hat gar noch nie von Diehl gehört. "Ich wohn' erst seit fünf Jahren hier", sagt sie. Raketen waren noch nie Thema im Pralinenladen. Der Chef der örtlichen Narrenzunft, den sie in Überlingen Narrenmudder nennen, heißt im richtigen Leben Wolfgang Lechler, schreibt Mundartgedichte und würde gerne mehr erzählen. Doch weil er bei Diehl arbeitet, fragt der Produktingenieur vorsichtshalber mal in der Öffentlichkeitsabteilung nach. "Kein Treffen möglich", verfügt Öffentlichkeitsarbeiter Charles Weston.

Lothar Höfler und seine Mitstreiter wollen diese Kultur des Schweigens brechen. Und sie bekommen Unterstützung.

Der diesjährige Stuttgarter Friedenspreis wird  an die Kampagne "Aktion Aufschrei – stoppt den Waffenhandel" vergeben, ein breites gesellschaftliches Bündnis, getragen unter anderem von Pax Christi, Brot für die Welt und DFG-VK. Das neue Buch des "Zeit"-Autoren Hauke Friedrichs, "Bombengeschäfte", nennt Höfler und seine Mitstreiter von Waffen vom Bodensee als Quelle. Und auch Jürgen Grässlin sitzt derzeit an einem "Schwarzbuch Waffenhandel, wie Deutschland am Krieg verdient". Der blutrote Bodensee wird nicht länger totgeschwiegen.

Stuttgarter Friedenspreis 2012 an die Aktion Aufschrei: Veranstaltung im Theaterhaus, Donnerstag 22.November, 19.30 Uhr


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gleich um 20:15 Uhr in #KONTRASTE auf #tagesschau24 mehr zu. Thema "Lebensgefährliche Blindgänger in Deutschlands Städten"


Lebensgefährliche Blindgänger in Deutschlands Städten
 
[Kontraste - Sendung vom 29.11.2012]
 
http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_29_11/tickende_zeitbomben.html

Lebensgefährliche Blindgänger in Deutschlands Städten

Deutschlandweit liegen tausende Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg unter Straßen und Wohngebieten. Ihre Zünder sind marode und die Gefahr wächst, dass sie von selbst detonieren. Seit Jahren fordern Experten, gezielt nach Blindgängern zu suchen. Doch die Bundesregierung weigert sich, für die Beseitigung alliierter Bomben die Kosten zu übernehmen.

Nicht nur die Bundeswehr tut sich schwer mit dem Erbe der Nazi-Diktatur. Auch andere Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs sind noch allgegenwärtig - und höchst gefährlich! Erst Dienstag wurde in Duisburg eine 10-Zentner Bombe gefunden. Mitten in der Nacht werden rund 4.000 Menschen im Stadtteil Kasselerfeld aus ihren Betten geklingelt. Deutschlandweit werden noch zehntausende solcher Blindgänger im Boden vermutet. Doch die Bombenbeseitigung geht viel zu langsam. Das Problem ist ein politisches: Bund und Länder können sich nicht einigen, wer dafür bezahlen soll. Gregor Witt.

München vor einigen Wochen: Spezialisten sprengen einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg, nachdem Tausende Einwohner von Schwabing ihre Wohnungen verlassen haben.

München am Tag danach: Als die Bewohner in ihre Häuser zurückkehren stehen sie vor einem Trümmerfeld. Die Sachschäden gehen in die Millionen. Den Blindgänger zu entschärfen oder aus der Stadt zu bringen war zu gefährlich. Die Bombe könne dabei unkontrolliert explodieren, befürchteten die Spezialisten.

Oranienburg bei Berlin. Hier weiß man um die Gefahren alter Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg. Deshalb wird seit Jahren systematisch nach ihnen gesucht. Viele haben chemische Langzeitzünder wie der Blindgänger in München. Brandenburgs Innenminister meint, wer hier lebt, ist ständig in Gefahr.

Dietmar Woidke (SPD), Innenminister Brandenburg
"Es werden vermutet weitere 300 Bomben, Großbomben mit chemischen Langzeitzündern. Und diese chemischen Langzeitzünder werden in der Tat jeden Tag gefährlicher. Es besteht immer die Gefahr, dass sie jetzt im Laufe der Zeit dann selbst detonieren und deswegen ist eine Beräumung dringend notwendig."

In den letzten Kriegsmonaten haben die Alliierten mehr als 18.000 Bomben über Oranienburg abgeworfen, um die dortigen Rüstungswerke zu zerstören. Vermutlich jede zehnte ist damals nicht explodiert. Jahr für Jahr werden acht bis zwölf Blindgänger wie dieser gefunden.

Evakuierungen gehören zum Alltag. Genauso wie Sprengungen.

Die Anwohner schwanken zwischen Angst und Gewöhnung.

Anwohnerin
"Man lebt damit. Das kennen wir ja schon ein paar Jahre. Man arrangiert sich irgendwie damit."

Mann
"Wenn man so denkt, könnte gleich hochgehen und man sitzt in der Schule."

Frau
"Ich hoffe nur, dass nicht so mal geht wie in München vor kurzer Zeit, dass doch mal was Schlimmeres passiert."

Pro Jahr gibt Brandenburg für Bombensuche und Räumung allein in Oranienburg rund 4 Millionen Euro aus. Doch langsam stößt das Land an seine finanziellen Grenzen. Denn die Bundesregierung zahlt nur einen geringen Teil der Kosten. Begründung: Der Bund sei nur für eher selten auftretende Bomben der Wehrmacht, so genannte "reichseigene" Munition zuständig.

Dietmar Woidke (SPD), Innenminister Brandenburg
"Bei reichseigener Munition kriegen wir die Kosten vom Bund erstattet. Bei alliierter Munition ist es so, dass das Land derzeitig allein auf weiter Flur steht. Aus meiner Sicht sind das Kriegsfolgen des Zweiten Weltkrieges und deswegen sollte der Bund auch hier mit in die Verantwortung gehen und die Länder nicht alleine lassen."

Die Länderkammer meint, laut Grundgesetz sei der Bund dazu verpflichtet, sich an der Beseitigung dieser Kriegsfolgen zu beteiligen. So steht es jedenfalls im aktuellen Gesetzentwurf.

Es ist seit 1992 der fünfte Versuch, den Bund zur Kostenübernahme zu zwingen. Doch alle Bundesregierungen haben sich bisher geweigert. Auch die schwarz-gelbe schiebt den schwarzen Peter an die Länder zurück. Auch sie bezieht sich dabei aufs Grundgesetz, nach dem die Länder, Zitat:
"... für die Gefahrenabwehr … zum Schutz der Bevölkerung verantwortlich sind."

Dietmar Woidke (SPD), Innenminister Brandenburg
"Ich denke, das ist ein vorgeschobenes Argument. Der Bund sollte hier sich klar bekennen, dass er auch eine Verantwortung dafür trägt, die Länder zu unterstützen, die Folgen des 2. Weltkrieges zu beseitigen und um solche handelt es sich hier."

Jetzt liegt der Gesetzentwurf erneut im Bundestag. Doch niemand erwartet, dass die schwarz-gelbe Parlamentsmehrheit gegen die eigene Regierung stimmen wird.

Der Streit ums Geld könnte die Bürger bald teuer zu stehen kommen - wie in Langenhagen bei Hannover. Immer wieder haben die Alliierten hier wichtige Bahnlinien und Rüstungsunternehmen bombardiert. Auf den alten Luftbildaufnahmen kann man noch heute erkennen, wo möglicherweise Blindgänger liegen. Bislang hat das Land für die Suche und Beseitigung der Blindgänger gezahlt. Auch, als unter dieser Schule eine Bombe gefunden wurde.

Doch weil Niedersachsen sparen will, hat sich das Land aus der Bombensuche zurückgezogen und die Mittel drastisch gekürzt. Städte und Gemeinden sollen sich jetzt selbst um die Bombensuche kümmern. Und die können sich das Geld ja beim Bürger holen, meint Niedersachsens Innenminister:

Uwe Schünemann Innenminister Niedersachsen (CDU)
Archiv 18.5.2011

"In der Zukunft wird es so sein, dass die Kommunen auch die Privaten beauftragen müssen. Sie müssen dann auch die Rechnungen bezahlen. Allerdings können sie dieses weitergeben auch an private Grundstücksbesitzer, wo die Bombe dann aufgefunden und beseitigt wird."

So droht im Streit ums Geld unterzugehen, worum es eigentlich geht: Noch immer leben bundesweit Hunderttausende in der Nähe von Weltkriegsbomben. Gefährlich, eigentlich sogar unverantwortlich.


Beitrag von Gregor Witt



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Unselige Traditionspflege bei der Bundeswehr - mehr um 20:15 Uhr in #KONTRASTE auf #tagesschau24 am 30.11.


Unselige Traditionspflege bei der Bundeswehr
 
 
[Kontraste - Sendung vom 29.11.2012]
 
http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_29_11/unselige_tradition.html

 

Nach Kontraste-Recherchen wurde auf einer offiziellen Veranstaltung der Bundeswehr zum Volkstrauertag ungehindert Liedgut der Waffen-SS vorgetragen. Einer der renommiertesten deutschen Forschungspreise für Militärhistoriker ist nach einem ehemaligen SS-Mitglied benannt. Noch immer sind zahlreiche Bundeswehrkasernen nach Wehrmachtsoffizieren benannt, die tief in die nationalsozialistische Rassen- und Eroberungspolitik verstrickt waren. Obwohl dies dem Bundesverteidigungsministerium bekannt ist, wurden die Kasernen nicht umbenannt.

Immer wieder haben wir in den vergangenen Jahren darüber berichtet, wie einstige Nazi-Helden in der Bundeswehr geehrt werden und den Soldaten heute als Vorbild dienen sollen. Immer wieder versicherte die Bundeswehr nach unseren Berichten, dies seien Einzelfälle, denen man nachgehen würde. Daher dachten wir, inzwischen hätte sich etwas geändert. Doch was meine Kollegen Caroline Walter, Gregor Witt und Moritz Schäfer bei erneuten Recherchen zur Bundeswehr erlebt und herausgefunden haben, wollten sie zuerst selbst kaum glauben.

Gedenkfeier der Bundeswehr zum Volkstrauertag - im Ehrenhain des Ausbildungszentrums Munster. Die Bilder wurden uns zugespielt.

Bei der Zeremonie müssen Bundeswehrsoldaten auch Kränze für Wehrmachtsdivisionen ablegen, darunter auch für berüchtigte Eliteeinheiten.

Wie die Panzergrenadier Division Großdeutschland. Sie beging Massaker an dunkelhäutigen Soldaten der französischen Armee, nachweislich nicht das einzige Kriegsverbrechen.

Geehrt wird auch das Panzerkorps Feldherrnhalle. In dieser Einheit waren viele aus der Schlägertruppe SA.

Unter den Gästen der Bundeswehr sind zahlreiche Veteranen der Wehrmacht, auch der Waffen SS. Am Abend davor gab es schon ein "Traditionstreffen" im Offiziersheim der Bundeswehr.

Mann
"Ich gehöre zur 12. SS-Panzerdivision 'Hitlerjugend'."

Sein Verband galt als besonders fanatisch. Der Veteran hatte engen Kontakt zu dem SS-Oberführer Meyer, der kanadische Kriegsgefangene erschießen ließ.

Im Ehrenhain spielt ein Veteran ein besonderes Lied für seine Kameraden, während Bundeswehrsoldaten daneben stramm stehen müssen.

Mann
"Das ist das Treuelied der Waffen SS."

Wie kann so etwas im Jahr 2012 in einer Kaserne der Bundeswehr noch möglich sein?

Winfried Nachtwei ist sprachlos, als wir ihm die Bilder zeigen. Er war lange im Verteidigungsausschuss des Bundestages und hat sich immer gegen solche Umtriebe engagiert.

Winfried Nachtwei (Bü90/Grüne)
ehem. Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag

"Hier entsteht der Eindruck, als seien Bundeswehrangehörige und Wehrmachtssoldaten gemeinsame Kameraden, als wäre eine ungebrochene Tradition zwischen Wehrmacht, Krieg gegen die europäischen Nachbarn, und Bundeswehr heute – und das geht absolut nicht."

Das Verteidigungsministerium schreitet seit Jahren nicht dagegen ein.
Dabei verkündet Minister de Maiziere öffentlich immer einen hohen Anspruch.

Thomas de Maizière (CDU), 14.10.2011
Bundesminister der Verteidigung

"Wir brauchen Erziehung zur Tradition. Und Traditionspflege, das heißt für mich: die ganze Geschichte im Blick haben und das Gute sich zum Vorbild nehmen."

Von wegen: Etliche Kasernen tragen noch immer die Namen von hochrangigen Nazi-Offizieren. Wie die General Hüttner Kaserne in Hof. Hans Hüttner war Ritterkreuzträger und galt damals als "überzeugter Nationalsozialist", kämpfte immer an vorderster Front.

Wir fragen am Standort der Kaserne, am Volkstrauertag, wie man hier den Namenspatron Hüttner sieht.

Reservist
"Ich sehe ihn als ganz normalen Soldaten und auch ihm muss man gedenken."
KONTRASTE
"Kann so jemand noch ein Vorbild sein wie Hüttner?"
Reservist
"Ja, ich denke schon."
KONTRASTE
"Warum?"
Reservist
"Er war General und ein guter Führer, kann man sagen."

Auf jeden Fall war Hüttner dem Führer treu bis zum Schluss. 1943 hielt er eine Durchhalterede:
"Einmal wird auch dieser Krieg siegreich zu Ende gehen und dazu wollen wir alle unserem Führer helfen!"

KONTRASTE
"Kann man all das heute ausblenden als Bundeswehr?"
Reservist
"Ich kann das als Reservist ausblenden und kann es sortieren. Ich kann erkennen, dass er nationalsozialistisch tätig gewesen ist. Aber ich heute als Führungskraft in der Wirtschaft muss auch manchmal Durchhaltereden halten und weiß genau, wie das ausgeht."
KONTRASTE
"Nun gibt es eine Diskussion, ob man die Kaserne umbenennen sollte. Was halten Sie davon?"
Kriegsteilnehmer
"Ein Unsinn. Man will unsere Historie verwischen. Man will uns die Götter nehmen."

Hüttner - nicht das einzige falsche Vorbild für Soldaten heute.

KONTRASTE liegen exklusiv Gutachten des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr vor. Darin finden wir noch viele andere belastete Kasernennamen.

Zum Beispiel die Freiherr von Fritsch Kaserne. Generaloberst Fritsch schrieb in einem Brief nach der Reichspogromnacht. Es seien drei Schlachten zu schlagen und eine davon, Zitat:
"…gegen die Juden. Und der Kampf gegen die Juden ist der Schwerste."

Bis zu seinem Tod war er Hitler loyal ergeben, so das Bundeswehrgutachten.

In der Fritsch Kaserne sieht auch mancher Soldat das Wehrmachtserbe kritisch.

KONTRASTE
"Finden Sie so jemand kann ein Vorbild für Sie sein?"
Soldat
"Nein, er kann kein Vorbild sein. Aber wenn die Kaserne so heißt – ich habe sie nicht so benannt, sag ich mal. Und wenn ich hierher versetzt werde, dann ist es nun mal mein Auftrag."

Nicht "traditionswürdig" sind all diese Namensgeber – das war schon 2004 das Ergebnis der Gutachten, die das Verteidigungsministerium selbst in Auftrag geben hatte.

Doch damals verschwanden sie im Giftschrank – bis heute.

In einem aktuellen Antrag fordern Abgeordnete aus dem Verteidigungsausschuss von Minister De Maiziere, die Gutachten endlich öffentlich zu machen und belastete Kasernen umzubenennen.

Doch das Ministerium schiebt die Verantwortung ab: Der Prozess soll "von unten nach oben" stattfinden, ergebnisoffen.

Wie das aussieht, erklärt uns der Standortälteste der Hüttner Kaserne.

Standortältester General Hüttner Kaserne
"Dieser Prozess beginnt zunächst einmal mit einer Meinungsbildung der Dienstellenleitung des Standortkommandanten des Standortältesten. Dann geht es hier natürlich den militärischen Weg nach oben, dann wird die Kommune hier, der OB, gegebenenfalls auch der Regierungspräsident eingebunden und dann entscheidet letztendlich der Minister und dann kommt man hier bei uns in der Bundeswehr zu einer Umbenennung."

Oder auch nicht. Das Absurde daran: Seit 1982 gibt es einen eindeutigen Traditionserlass, der vorschreibt: für die Bundeswehr sind nur Personen traditionswürdig, die sich um Recht und Freiheit verdient gemacht haben. Danach dürfte keine Kaserne nach Fritsch oder Hüttner benannt sein.

Das meint auch Winfried Nachtwei. Er hat jahrelang miterlebt, wie das Ministerium beim Wehrmachtserbe taktiert.

Winfried Nachtwei (Bü90/Grüne)
ehem. Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag

"Der Bundeswehrführung und dem Ministerium fehlt es in diesem Zusammenhang an Rückgrat. Rückgrat und Selbstbewusstsein wird von den Soldaten selbstverständlich verlangt, aber in der Auseinandersetzung um belastete Kasernennamen, da hat sich das Ministerium über viele Jahre immer wieder weggeduckt."

Auch dieser mächtigen Behörde der Bundeswehr muss man Ignoranz vorwerfen: Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung vergibt den "Werner Hahlweg Preis" für Militärgeschichte. Seit 1992 wird der als renommiert geltende Preis an junge Akademiker verliehen.

Doch wer war dieser Werner Hahlweg?

Spurensuche in den Archiven: Nach Aktenlage ist Werner Hahlweg bereits 1933 in die SS eingetreten. Er war auch Mitglied im "Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund", der damals an der Bücherverbrennung beteiligt war. 1936 ist Hahlweg dann in die NSDAP eingetreten.

Hahlweg hat nicht nur Dienst in der SS geleistet, wie hier vermerkt. Für die NSDAP Gaupropagandaleitung wirkte er mit bei der Ausstellung "Das politische Danzig – zum Kampf gegen die polnische Bedrohung". In der Ausstellung finden sich die besten Wünsche von Adolf Hitler an die Gauleitung.

Später war Hahlweg bei der Wehrmacht und nahm an einem "Kommando in den besetzten Gebieten" teil, so steht es in den Akten. 1942 wurde Hahlweg Dozent für Geschichte in Berlin – unter einschlägigen Historikern des Nationalsozialismus.

Wir zeigen dem renommierten Militärhistoriker Detlef Bald die belastenden Dokumente.

Detlef Bald
Historiker

"Es ist erschreckend und es ist geradezu skandalös, dass man, als dieser Preis begründet wurde, nicht ordentlich die Biographie recherchiert hat. Ein derartig ins Dritte Reich, in den Nationalsozialismus integrierte und involvierte Wissenschaftler taugt nicht für unsere Bundesrepublik und die Kultur unserer akademischen Welt."

Nach dem Krieg wurde Hahlweg Dozent an der Uni Münster. Seine linientreue Karriere im Dritten Reich hat er nie öffentlich aufgearbeitet. Als Nachlass stiftete er den Wissenschaftspreis dem Bundesamt der Bundeswehr.

Prof. Tuchel ist Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit NS-Biographien. Was sagt er zum "Werner Hahlweg Preis"?

Prof. Johannes Tuchel
Leiter Gedenkstätte Deutscher Widerstand

"Ich denke, dass wir nicht unbedingt Opportunismus und Eintritt in eine totalitäre Partei als vorbildhaftes Verhalten im Jahre 2012 betrachten müssen. Vor diesem Hintergrund würde ich empfehlen, dass man heute den Werner-Hahlweg-Preis nicht mehr vergibt."

KONTRASTE hat bei mehreren Preisträgern nachgefragt. Keiner wusste von der NS-Vita Hahlwegs. Alle zeigten sich überrascht, teilweise sogar fassungslos. Wir sollten die Institution fragen, die den Preis vergibt, das Bundesamt. Es ist dem Verteidigungsministerium unterstellt.

Wir konfrontieren die Behörde mit Fakten, die sie bisher ignoriert hat. Die Antwort, Zitat:
"Aufgrund Ihrer Anfrage haben wir ... beauftragt, die Vita Werner Hahlwegs einer umfassenden Prüfung zu unterziehen, ob an der Stiftung und Namensgebung festgehalten werden kann."

Verteidigungsminister De Maiziere sollte endlich durchgreifen in Sachen Vorbilder und Tradition. Auch damit so etwas – wie das Treuelied der Waffen SS – keinen Raum mehr in der Bundeswehr hat.

Das Bundesverteidigungsministerium und das Ausbildungszentrum Munster haben kurz vor der Sendung auf unsre Recherchen reagiert. Man nähme die Vorkommnisse, Zitat: "zum Anlass einer eingehenden Überprüfung" Man werde Sorge tragen, Zitat - "dass der Eindruck einer Traditionslinie zu Verbänden der ehemaligen Wehrmacht bzw. Waffen-SS künftig nicht entstehen kann." Wir nehmen Sie beim Wort.


Beitrag von Caroline Walter und Gregor Witt



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Unselige Traditionspflege bei der Bundeswehr - mehr um 20:15 Uhr in #KONTRASTE auf #tagesschau24 am 30.11.


Unselige Traditionspflege bei der Bundeswehr
 
 
[Kontraste - Sendung vom 29.11.2012]
 
http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_29_11/unselige_tradition.html

 

Nach Kontraste-Recherchen wurde auf einer offiziellen Veranstaltung der Bundeswehr zum Volkstrauertag ungehindert Liedgut der Waffen-SS vorgetragen. Einer der renommiertesten deutschen Forschungspreise für Militärhistoriker ist nach einem ehemaligen SS-Mitglied benannt. Noch immer sind zahlreiche Bundeswehrkasernen nach Wehrmachtsoffizieren benannt, die tief in die nationalsozialistische Rassen- und Eroberungspolitik verstrickt waren. Obwohl dies dem Bundesverteidigungsministerium bekannt ist, wurden die Kasernen nicht umbenannt.

Immer wieder haben wir in den vergangenen Jahren darüber berichtet, wie einstige Nazi-Helden in der Bundeswehr geehrt werden und den Soldaten heute als Vorbild dienen sollen. Immer wieder versicherte die Bundeswehr nach unseren Berichten, dies seien Einzelfälle, denen man nachgehen würde. Daher dachten wir, inzwischen hätte sich etwas geändert. Doch was meine Kollegen Caroline Walter, Gregor Witt und Moritz Schäfer bei erneuten Recherchen zur Bundeswehr erlebt und herausgefunden haben, wollten sie zuerst selbst kaum glauben.

Gedenkfeier der Bundeswehr zum Volkstrauertag - im Ehrenhain des Ausbildungszentrums Munster. Die Bilder wurden uns zugespielt.

Bei der Zeremonie müssen Bundeswehrsoldaten auch Kränze für Wehrmachtsdivisionen ablegen, darunter auch für berüchtigte Eliteeinheiten.

Wie die Panzergrenadier Division Großdeutschland. Sie beging Massaker an dunkelhäutigen Soldaten der französischen Armee, nachweislich nicht das einzige Kriegsverbrechen.

Geehrt wird auch das Panzerkorps Feldherrnhalle. In dieser Einheit waren viele aus der Schlägertruppe SA.

Unter den Gästen der Bundeswehr sind zahlreiche Veteranen der Wehrmacht, auch der Waffen SS. Am Abend davor gab es schon ein "Traditionstreffen" im Offiziersheim der Bundeswehr.

Mann
"Ich gehöre zur 12. SS-Panzerdivision 'Hitlerjugend'."

Sein Verband galt als besonders fanatisch. Der Veteran hatte engen Kontakt zu dem SS-Oberführer Meyer, der kanadische Kriegsgefangene erschießen ließ.

Im Ehrenhain spielt ein Veteran ein besonderes Lied für seine Kameraden, während Bundeswehrsoldaten daneben stramm stehen müssen.

Mann
"Das ist das Treuelied der Waffen SS."

Wie kann so etwas im Jahr 2012 in einer Kaserne der Bundeswehr noch möglich sein?

Winfried Nachtwei ist sprachlos, als wir ihm die Bilder zeigen. Er war lange im Verteidigungsausschuss des Bundestages und hat sich immer gegen solche Umtriebe engagiert.

Winfried Nachtwei (Bü90/Grüne)
ehem. Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag

"Hier entsteht der Eindruck, als seien Bundeswehrangehörige und Wehrmachtssoldaten gemeinsame Kameraden, als wäre eine ungebrochene Tradition zwischen Wehrmacht, Krieg gegen die europäischen Nachbarn, und Bundeswehr heute – und das geht absolut nicht."

Das Verteidigungsministerium schreitet seit Jahren nicht dagegen ein.
Dabei verkündet Minister de Maiziere öffentlich immer einen hohen Anspruch.

Thomas de Maizière (CDU), 14.10.2011
Bundesminister der Verteidigung

"Wir brauchen Erziehung zur Tradition. Und Traditionspflege, das heißt für mich: die ganze Geschichte im Blick haben und das Gute sich zum Vorbild nehmen."

Von wegen: Etliche Kasernen tragen noch immer die Namen von hochrangigen Nazi-Offizieren. Wie die General Hüttner Kaserne in Hof. Hans Hüttner war Ritterkreuzträger und galt damals als "überzeugter Nationalsozialist", kämpfte immer an vorderster Front.

Wir fragen am Standort der Kaserne, am Volkstrauertag, wie man hier den Namenspatron Hüttner sieht.

Reservist
"Ich sehe ihn als ganz normalen Soldaten und auch ihm muss man gedenken."
KONTRASTE
"Kann so jemand noch ein Vorbild sein wie Hüttner?"
Reservist
"Ja, ich denke schon."
KONTRASTE
"Warum?"
Reservist
"Er war General und ein guter Führer, kann man sagen."

Auf jeden Fall war Hüttner dem Führer treu bis zum Schluss. 1943 hielt er eine Durchhalterede:
"Einmal wird auch dieser Krieg siegreich zu Ende gehen und dazu wollen wir alle unserem Führer helfen!"

KONTRASTE
"Kann man all das heute ausblenden als Bundeswehr?"
Reservist
"Ich kann das als Reservist ausblenden und kann es sortieren. Ich kann erkennen, dass er nationalsozialistisch tätig gewesen ist. Aber ich heute als Führungskraft in der Wirtschaft muss auch manchmal Durchhaltereden halten und weiß genau, wie das ausgeht."
KONTRASTE
"Nun gibt es eine Diskussion, ob man die Kaserne umbenennen sollte. Was halten Sie davon?"
Kriegsteilnehmer
"Ein Unsinn. Man will unsere Historie verwischen. Man will uns die Götter nehmen."

Hüttner - nicht das einzige falsche Vorbild für Soldaten heute.

KONTRASTE liegen exklusiv Gutachten des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr vor. Darin finden wir noch viele andere belastete Kasernennamen.

Zum Beispiel die Freiherr von Fritsch Kaserne. Generaloberst Fritsch schrieb in einem Brief nach der Reichspogromnacht. Es seien drei Schlachten zu schlagen und eine davon, Zitat:
"…gegen die Juden. Und der Kampf gegen die Juden ist der Schwerste."

Bis zu seinem Tod war er Hitler loyal ergeben, so das Bundeswehrgutachten.

In der Fritsch Kaserne sieht auch mancher Soldat das Wehrmachtserbe kritisch.

KONTRASTE
"Finden Sie so jemand kann ein Vorbild für Sie sein?"
Soldat
"Nein, er kann kein Vorbild sein. Aber wenn die Kaserne so heißt – ich habe sie nicht so benannt, sag ich mal. Und wenn ich hierher versetzt werde, dann ist es nun mal mein Auftrag."

Nicht "traditionswürdig" sind all diese Namensgeber – das war schon 2004 das Ergebnis der Gutachten, die das Verteidigungsministerium selbst in Auftrag geben hatte.

Doch damals verschwanden sie im Giftschrank – bis heute.

In einem aktuellen Antrag fordern Abgeordnete aus dem Verteidigungsausschuss von Minister De Maiziere, die Gutachten endlich öffentlich zu machen und belastete Kasernen umzubenennen.

Doch das Ministerium schiebt die Verantwortung ab: Der Prozess soll "von unten nach oben" stattfinden, ergebnisoffen.

Wie das aussieht, erklärt uns der Standortälteste der Hüttner Kaserne.

Standortältester General Hüttner Kaserne
"Dieser Prozess beginnt zunächst einmal mit einer Meinungsbildung der Dienstellenleitung des Standortkommandanten des Standortältesten. Dann geht es hier natürlich den militärischen Weg nach oben, dann wird die Kommune hier, der OB, gegebenenfalls auch der Regierungspräsident eingebunden und dann entscheidet letztendlich der Minister und dann kommt man hier bei uns in der Bundeswehr zu einer Umbenennung."

Oder auch nicht. Das Absurde daran: Seit 1982 gibt es einen eindeutigen Traditionserlass, der vorschreibt: für die Bundeswehr sind nur Personen traditionswürdig, die sich um Recht und Freiheit verdient gemacht haben. Danach dürfte keine Kaserne nach Fritsch oder Hüttner benannt sein.

Das meint auch Winfried Nachtwei. Er hat jahrelang miterlebt, wie das Ministerium beim Wehrmachtserbe taktiert.

Winfried Nachtwei (Bü90/Grüne)
ehem. Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag

"Der Bundeswehrführung und dem Ministerium fehlt es in diesem Zusammenhang an Rückgrat. Rückgrat und Selbstbewusstsein wird von den Soldaten selbstverständlich verlangt, aber in der Auseinandersetzung um belastete Kasernennamen, da hat sich das Ministerium über viele Jahre immer wieder weggeduckt."

Auch dieser mächtigen Behörde der Bundeswehr muss man Ignoranz vorwerfen: Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung vergibt den "Werner Hahlweg Preis" für Militärgeschichte. Seit 1992 wird der als renommiert geltende Preis an junge Akademiker verliehen.

Doch wer war dieser Werner Hahlweg?

Spurensuche in den Archiven: Nach Aktenlage ist Werner Hahlweg bereits 1933 in die SS eingetreten. Er war auch Mitglied im "Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund", der damals an der Bücherverbrennung beteiligt war. 1936 ist Hahlweg dann in die NSDAP eingetreten.

Hahlweg hat nicht nur Dienst in der SS geleistet, wie hier vermerkt. Für die NSDAP Gaupropagandaleitung wirkte er mit bei der Ausstellung "Das politische Danzig – zum Kampf gegen die polnische Bedrohung". In der Ausstellung finden sich die besten Wünsche von Adolf Hitler an die Gauleitung.

Später war Hahlweg bei der Wehrmacht und nahm an einem "Kommando in den besetzten Gebieten" teil, so steht es in den Akten. 1942 wurde Hahlweg Dozent für Geschichte in Berlin – unter einschlägigen Historikern des Nationalsozialismus.

Wir zeigen dem renommierten Militärhistoriker Detlef Bald die belastenden Dokumente.

Detlef Bald
Historiker

"Es ist erschreckend und es ist geradezu skandalös, dass man, als dieser Preis begründet wurde, nicht ordentlich die Biographie recherchiert hat. Ein derartig ins Dritte Reich, in den Nationalsozialismus integrierte und involvierte Wissenschaftler taugt nicht für unsere Bundesrepublik und die Kultur unserer akademischen Welt."

Nach dem Krieg wurde Hahlweg Dozent an der Uni Münster. Seine linientreue Karriere im Dritten Reich hat er nie öffentlich aufgearbeitet. Als Nachlass stiftete er den Wissenschaftspreis dem Bundesamt der Bundeswehr.

Prof. Tuchel ist Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit NS-Biographien. Was sagt er zum "Werner Hahlweg Preis"?

Prof. Johannes Tuchel
Leiter Gedenkstätte Deutscher Widerstand

"Ich denke, dass wir nicht unbedingt Opportunismus und Eintritt in eine totalitäre Partei als vorbildhaftes Verhalten im Jahre 2012 betrachten müssen. Vor diesem Hintergrund würde ich empfehlen, dass man heute den Werner-Hahlweg-Preis nicht mehr vergibt."

KONTRASTE hat bei mehreren Preisträgern nachgefragt. Keiner wusste von der NS-Vita Hahlwegs. Alle zeigten sich überrascht, teilweise sogar fassungslos. Wir sollten die Institution fragen, die den Preis vergibt, das Bundesamt. Es ist dem Verteidigungsministerium unterstellt.

Wir konfrontieren die Behörde mit Fakten, die sie bisher ignoriert hat. Die Antwort, Zitat:
"Aufgrund Ihrer Anfrage haben wir ... beauftragt, die Vita Werner Hahlwegs einer umfassenden Prüfung zu unterziehen, ob an der Stiftung und Namensgebung festgehalten werden kann."

Verteidigungsminister De Maiziere sollte endlich durchgreifen in Sachen Vorbilder und Tradition. Auch damit so etwas – wie das Treuelied der Waffen SS – keinen Raum mehr in der Bundeswehr hat.

Das Bundesverteidigungsministerium und das Ausbildungszentrum Munster haben kurz vor der Sendung auf unsre Recherchen reagiert. Man nähme die Vorkommnisse, Zitat: "zum Anlass einer eingehenden Überprüfung" Man werde Sorge tragen, Zitat - "dass der Eindruck einer Traditionslinie zu Verbänden der ehemaligen Wehrmacht bzw. Waffen-SS künftig nicht entstehen kann." Wir nehmen Sie beim Wort.


Beitrag von Caroline Walter und Gregor Witt



Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

#Rüstungsatlas #Bodensee , u. a. mit #Motoren für #Panzer, #Hubschrauber und #U-Boote. #Rosenkranz und #Rüstung


 
Rosenkranz und Rüstung
von Josef-Otto Freudenreich (Text), Jo Röttgers und Martin Storz (Fotos)

[via KONTEXT]
 
http://www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2011/10/rosenkranz-und-ruestung/

Pulsschlag - Wie eine Region tickt

Grünes Bauernland: der Weiler Ewigkeit in Leutkirch. Foto: Jo Röttgers 

Das Klischee hält sich hartnäckig: Oberschwaben ist Bauernland, tiefschwarz und stockkatholisch. Nichts aber ist wahr ohne sein Gegenteil. Oberschwaben ist Hightech, grün und voller Freidenker. Nicht zu vergessen die Rüstungsindustrie, die sich am Bodensee breitgemacht hat. Landvermessung Teil drei.

Ausgestattet mit einem Rosenkranz, sauberen Schuhen und einem sauberen Hals, zogen wir aus, um nach Maria Steinbach zu fahren. Ausgangspunkt war der Bahnhof in Waldsee, wo wir in einen Schienenbus stiegen, über Kißlegg und Leutkirch reisten und in Aichstetten den Zug verließen, nachdem wir hinter uns die roten Ziehharmonikatüren zugezogen hatten. Jetzt hieß es noch sechs Kilometer pilgern, viele "Vater unser" und "Gegrüßet seist du Maria" zu beten, bis wir bei der "Schmerzensmutter" mit der durchbohrten Brust angekommen waren. Das war das Ziel. Die Maria, die ihre Gesichtsfarbe wechselt, Augen und Lider bewegt und Tränen weint.

Ob wir das damals geglaubt haben? Schwer zu sagen, weil unsere Welt aus vielen Wundern bestand. Das ganze Oberschwaben war voll von Gesundbeterinnen, umherfliegenden Geistern, unstandesgemäßen Liebschaften, und gegen alles halfen diese Wallfahrten. Warum also sollte die Mater dolorosa nichts Mirakulöses bewirken, wie die katholische Kirche schon 1730 festgestellt hat? Und weil sie auch noch in Steinbach zu Hause war, durfte der Pilger erwarten, dass er dort seine Last, sprich seine Steine, loswerden konnte.

Industrie am Bodensee: Zeppelin und ZF. Foto: Martin Storz

Einer Erscheinung waren wir uns aber ganz sicher. Sie hörte auf den Namen Löwen und war ein Gasthaus, in dem es etwas gab, das uns wie Gotteslohn dünkte: Leberkäswecken und Sinalco und eine Kegelbahn. Von allem hatten wir Kinder im alltäglichen Leben Anfang der 60er-Jahre zu wenig, wodurch die Bereitschaft, ja das Drängen, wallfahren zu gehen, enorm gesteigert wurde. Später sind wir dann nicht mehr so gerne nach Steinbach gepilgert.

Das hatte wahrscheinlich damit zu tun, dass andere Glaubenskrieger verkündeten, Religion sei Opium fürs Volk, worauf es nicht mehr opportun erschien, mit dem Rosenkranz durch die Gegend zu laufen. Das war die Zeit, in der man kein Auge mehr für die Kreuze auf den Drumlins hatte, jene walfischförmigen Rundbuckel, die diese Landschaft prägen. Man sah eher die Schlösser auf den Hügeln, von wo aus die Herren auf ihre Knechte herunterschauten. Man erkannte ihre politischen Vertreter, die alles fangen und heben wollten, was nicht bei drei im Beichtstuhl war und die CDU wählte.

Die Enge zwischen den Zwiebelkirchtürmen

Der Biberacher Landrat Wilfried Steuer war so einer. So katholisch, dass er sogar ein eigenes Kreuz brauchte. Man spürte schmerzhaft die Enge zwischen den Zwiebelkirchtürmen, das Beharren auf Brauchtum und Tradition, das in Musikkapellen, Schützenvereinen, fürstlichen Wäldern und Bekenntnisschulen festgeklopft wurde, als gelte es, ein Bollwerk gegen alles Fremde aufzubauen.

Dieser Oberschwabe ward uns zum Feind, zum Ewiggestrigen, zum verhockten Bruder, der allenfalls zur Fasnet zum Mensch wurde. Wer etwas auf sich hielt, musste aus dieser Hölle raus. Nach Tübingen mindestens oder nach Stuttgart, wo die Theologie der Befreiung ("Hoch die Kanzel, tief der Verstand, Kampf dem schwäbischen Oberland") oder die lebenslange Kehrwoche ("Let's putz") winkte. Dass beides ziemlicher Unfug war, sollten wir erst später merDas persönliche Kreuz des vormaligen Biberacher Landrats Wilfried Steuer. Foto: Martin Storzken. Es ist wohl eine Frage des Alters, diese Menschen und ihren Landstrich begreifen und schätzen zu lernen. Denn: nichts ist ohne sein Gegenteil wahr.

Der Oberschwabe mag ein Dickkopf sein, mancher gar ein Holzkopf. Aber er ist nicht blöd, wie die Stuttgarter gerne glauben (machen möchten). Er haust nicht hinter den sieben Bergen, wo er erst durch die schwäbsche Eisebahne zivilisiert wurde, oder um es mit dem Spott des Bodensee-Anrainers Martin Walser auszudrücken: "Unser Mittelalter hat jetzt elektrisch Licht." Der Oberschwabe ist nur nicht der Pietist, der verzichtet und leidet und das Ende der Zumutungen erst im Himmel erwartet. Er ist bockig wie der Rebell von Ravensburg, der Schullehrer Rudolf Bosch, der für die Gesamtschule kämpft. Er ist sündig wie der Künstler Manfred Scharpf, der böse Sachen sagt und mit Vorliebe nackte Frauen malt. Und er ist liberal-barock wie der Landrat Kurt "Jack" Widmaier, der die Nackten in seinem Amtszimmer hängen hat.

Die geistige Flexibilität bei den Benediktinern abgeguckt

Das hat sich sogar schon bis zum Hamburger "Stern" herumgesprochen, dem der schwarze Jack eine lange Geschichte wert war. Nur weil er in seiner Funktion als Chef der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke OEW gesagt hat, dass er kein Atomdepp sei. Fortan war Widmaier der "Green Jack", worüber sich mein Schulkamerad Kurt gewiss gefreut hat, auch wenn's nur ein Teil der Wahrheit ist. Das Schlitzohr hat einfach gemerkt, dass Grün im Trend liegt, und eine geistige Flexibilität an den Tag gelegt, die er sich bei den Benediktinern abgeguckt hat. Und die sind wichtig, um Leute wie den Landrat zu verstehen.

Die Ordensbrüder in der braunen Kutte waren schon immer für erneuerbare Energie. Während der Pietist vom Neckar die Fron der Arbeit zum Prinzip erhob, jeden Tag die Angel zum Fangen eines Fisches auswarf, in der Hoffnung, das einer anbeiße, legten die Benediktiner künstliche Fischteiche an. So mussten sie nicht fasten, wurden ruhig und rund – wie Widmaier, der diesen Menschenschlag wie kaum ein anderer verkörpert. Schaffig schon, aber auch lebenslustig, mit einem Hang zum Vergnügen, das sich insbesondere zu Fasnetszeiten "auf unsittliche Weise" äußert, wie alte Quellen behaupten. Widmaier sagt, seine Landsleute seien die glücklichsten Menschen in Deutschland. Statisch abgesichert, natürlich.

Der Bussen mit seiner Wallfahrtskirche gilt als der heilige Berg Oberschwabens. Foto: Jo Röttgers

Warum also keine Windräder auf dem Bussen, dem heiligen Berg Oberschwabens? Dorthin ziehen die Pilger immer noch, um reichen Kindersegen zu erbeten. Der Bussen als Symbol von Moderne und Tradition. Das würde bestimmt auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann gefallen, der nur wenige Kilometer von der heiligen Stätte entfernt, in Riedlingen, in die Schule gegangen ist. Gemächlich kreisende Windräder vor gelbem Löwenzahn. Was für eine Symbolik im Turbokapitalismus, was für ein Signal an die Rastlosen, die im Hamsterrad dem Glück nachjagen? Die scheinbare Rückständigkeit der Oberschwaben wandelte sich zum Zukunftsmodell: Es geht um Leben, nicht nur ums Überleben.

Was die Stuttgarter alles übersehen, wenn sie an den Bodensee fahren

Das Bild vom windkraftbetriebenen Bussen ist noch Vision, zugegeben, aber keine Fantasterei. Das mögen die Altwürttemberger glauben, die am Wochenende über die A 81 an den Bodensee brettern, um dort ihre Ferienwohnungen zu beziehen oder ihre Boote zu entern. Sie lassen links liegen, wovon sie wissen müssten, wenn sie etwas lernen wollten. Möglicherweise würden sie auf Biohöfe und Bioläden, alternative Magazine und Blogs und auf Manfred "Manne" Lucha und Agnes Malczak stoßen. Der eine hat einen Ring im Ohr, die andere ein Piercing in der Lippe. Keine Freaks. Der eine ist Abgeordneter im Landtag, die andere sitzt im Bundestag. Beide Grüne, beide in Ravensburg, und dort hat die Partei 30 Prozent.

Landvermessung zwischen Sigmaringen und Wangen, zwischen Ulm und Bodensee. Foto: Martin Storz

Irgendjemand muss sie wohl gewählt haben, den gelernten Sozialarbeiter, der den "Jack", den Landrat, duzt, und die 26-jährige Politikstudentin, die man sich, mit ihren roten Haaren und dem knalligen Lidstrich, so gar nicht in der Kirchenbank vorstellen kann. Aber beide können sogar mit den Bauern. Deren Braunvieh prägt die Idylle, die man von Postkarten her kennt. Die sanft geschwungenen Hügel, saftigen Wiesen, kleinen Weiher und dunklen Moore und natürlich die Kirchen und Klöster. Sie suggerieren das Himmelreich des Barock, das Irdisches wegzuglänzen scheint und dennoch überall zugegen ist. Die Industrie. Keine rauchenden Schlote, gut, aber Liebherr, Ratiopharm, Weishaupt, Hymer. Alle große Nummern im Business.

Nicht zu vergessen den Sprengstoffgürtel um den Bodensee, wo sich die Crème der deutschen Rüstungsbetriebe zwischen Äpfeln und Hopfen niedergelassen hat: ZF, MTU, EADS, Diehl Defence, Wo am Bodensee gerüstet wird. Grafik: Kampagne gegen RüstungsexportLiebherr-Aerospace, Rheinmetall usw.

Hier arbeiten Tausende von Menschen, und hier werden Milliarden umgesetzt, unter anderem mit Motoren für Panzer, Hubschrauber und U-Boote.

Der Tourist merkt davon nichts, weil die Namen künstlich, die Hightechschmieden sauber und die Endprodukte weit weg sind.

Es sei denn, er schaut sich den Rüstungsatlas Bodensee an – oder erinnert sich an die jüngsten Meldungen, nach denen in dem gesegneten Landstrich an ein atomares Endlager gedacht wird. 

Spätestens dann wird die Schmerzensmutter Maria wieder Tränen weinen.



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