Donnerstag, 28. Februar 2013

Bei fast 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland ist Deutschland Fachkräfte aus dem Rest der Welt angewiesen? [das Mantra Fachkräftemangel]

 
Nicht-EU-Ausländer: Fachkräfte sollen leichter nach Deutschland kommen

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=16347#h09
 


Qualifizierte Menschen aus Ländern außerhalb der EU sollen leichter in Deutschland arbeiten können – auch wenn sie keinen akademischen Abschluss haben. Damit will die Bundesregierung Fachkräfte-Engpässe in bestimmten Berufen abmildern.

Anmerkung unseres Lesers J.A.:

Bei fast 4 Millionen Arbeitslosen in Deutschland und weit über 20 Millionen in der EU ist Deutschland Fachkräfte aus dem Rest der Welt angewiesen???? Welchen Sinn soll so etwas haben, wenn nicht den offensichtlichen: die Löhne weiter unter Druck zu setzen und mit radikalem Lohndumping auch den letzten Unbotmäßigen davon abzuhalten, einen Lohn zu fordern, von dem er/sie leben kann.

Ganz klar sollen sämtliche Marktmechanismen außer Kraft gesetzt (gäbe es einen Fachkräftemangel, dann stiegen auch die Löhne) und Armutslöhne für alle Zeiten festgeschrieben werden.

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Mut zu mehr Populismus und Agitprop im Wahlkampf! ... Sich gegenüber den anderen Parteien anbiedern ist nicht sein Ding .. Beppe Grillo


Mut zu mehr Populismus und Agitprop im Wahlkampf!

 

von Wolfgang Huste

[via scharf-links.de]
 
 

http://scharf-links.de/90.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=33119&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=36ff87a859

 

Beppe Grillo erreichte mit seiner Protestpartei "5 Sterne" aus dem Stand heraus rund 25% der Wählerstimmen. Er wirkt wie die Hefe im zähen, langweiligen und korrupten Politeinerlei der etablierten Parteien.

DIE LINKE sollte nun seinen erfolgreichen Wahlkampf analysieren und im besten Sinne für sich kopieren, zumindest große Teile davon.

Statt auf hausbackene Infostände, statt auf Saalveranstaltungen, die insbesondere auf Jugendliche eher "langweilig" statt "mitreißend" wirken, setzte Beppe Grillo von Anfang an auf einen widerständigen, kämpferischen und populistischen (!) Agitprop-Straßenwahlkampf, ganz nach der Devise: "Wahlkampf macht man nicht in geschlossenen Räumen- sondern nah beim Volk, auf den Straßen und Plätzen!".

Seine Ansage: "Keine Koalition mit einer anderen Partei!" kam bei den Italienerinnen bestens an. Sich gegenüber den anderen Parteien anbiedern ist nicht sein Ding, er vertraut selbstbewusst auf seine eigenen Stärken- und hatte damit großen Erfolg! Beppe Grillo präsentierte sich im Wahlkampf unbestechlich, mit klarer Kante gegenüber den anderen Parteien und: er konnte die Massen begeistern- überall! Man nahm ihm ab, dass bei ihm Person und Programm eine glaubwürdige Einheit bilden. Was lehrt uns sein Erfolg?

Nicht Plakate, das massenhafte Verteilen von 'give aways', oder Veranstaltungen in geschlossenen Räumen bringen den entscheidenden Wahlerfolg- sondern weit eher kreative, widerständige, kämpferische und glaubwürdige, "freche" Aktionen "vor Ort" - und das direkte, zwischenmenschliche Gespräch! Was mir vorschwebt ist ein "Mitmach-Wahlkampf", kombiniert mit einem "Bündnis- bzw. Vereinigungswahlkampf".

Was heißt das für uns konkret?

Erstens: DIE LINKE sollte nicht nur auf ihre eigenen Kräfte vertrauen, sondern von Anfang an ein breites Bündnis mit fortschrittlichen, zumindest (!) aber mit Kapitalismus kritischen Gruppen und Organisationen aufbauen, sich da entsprechend "wohlwollend und großzügig öffnen", ohne sich also selbst zu zensieren, was selbstverständlich nicht bedeuten soll, sich ideologisch "beliebig" zu verhalten. Pluralismus ist keinesfalls identisch mit einer Vielfalt in politischen "Dummheiten". Nicht unsere "geschlossene Parteistruktur" sollten wir in den Vordergrund rücken, sondern weit eher die Bereitschaft zur engen und sehr bewussten (!) Zusammenarbeit mit den uns "befreundeten" Organisationen.

Zweitens: Präsentieren wir uns als parlamentarisches Sprachrohr und "Organisator" für alle, die bei der herrschenden Elite, bei den neoliberalen Politikern, kein Gehör finden und die sich nicht auf der Sonnenseite des Lebens befinden. Engagieren wir uns gemeinsam (!) und gleichberechtigt (!) mit der außerparlamentarischen Opposition für eine lebensfreundliche, radikal demokratische, pazifistische, antimilitaristische, antifaschistische, antirassistische und pro ökologische, pro feministische Gesellschaftsordnung weit jenseits des real existierenden Kapitalismus! Konkret: Wenn hier oder da ein Betrieb bestreikt wird, muss DIE LINKE für alle sichtbar und hörbar "vor Ort" sein, selbstverständlich!

Die sozialistische Demokratie als Alternative zum real existierenden Kapitalismus ist sicherlich nicht nur für mich das Ziel all unserer Bestrebungen. Dieses Ziel können wir nur mit vielen anderen Organisationen und Gruppen gemeinsam erreichen. "Auch" in den Gewerkschaften existiert (noch) ein linker, klassenbewusster und kämpferischer Flügel, den wir gezielt (!) ansprechen sollten. Und: Es wäre bestens, wenn "Promis", konkreter: Polit-Kabarettisten wie Pisper, Schramm oder Priol, bereit wären, für DIE LINKE im besten Sinne zu werben. Günther Grass machte damals für die SPD Wahlkampf. Ich frage mich: Welcher deutschsprachige Schriftsteller mit einem überregionalen Bekanntheitsgrad wäre prinzipiell bereit, für DIE LINKE Wahlkampf zu betreiben? Mir fällt da nur Harry Rowohlt ein.

Bei dem Begriff "Populismus" rümpfen manche eventuell die Nase. Insbesondere in Deutschland verbinden viele mit dem Begriff "Populismus" eher negative Assoziationen. Dennoch: Es macht sicherlich Sinn, "populistisch", im Sinne von "demokratisch populär" und volksnah, sich für eine glaubwürdige, widerspruchsfreie (!) Friedenspolitik einzusetzen, ebenso für eine Sozialpolitik, die statt Profite und Bankenrettungen die Menschen und die Natur in den Fokus ihrer politischen Betrachtungen nimmt, ebenso eine breite Bündnisarbeit, eine bezahlbare Gesundheits- und Energieversorgung für alle, letztendlich die Demokratisierung der Demokratie.

Drittens: Wichtig ist, dass wir ideologisch gut fundiert und glaubwürdig argumentieren! Meine Devise lautet hier: "Mehr Mut zur Agitation und Propaganda!". Das Bundeswahlprogramm der Linken ist hervorragend, schon in seinem Entwurf, es braucht sich demnach keinesfalls zu verstecken. Es gilt nun, die Kernaussagen dieses Programms – gut "verpackt" – massentauglich (!) und ab sofort (!) sehr selbstbewusst, in einer klaren, verständlichen Sprache, in die Öffentlichkeit zu transportieren. Es macht sicherlich auch Sinn, italienische und türkische/kurdische Einwanderer in ihrer jeweiligen Sprache gezielt anzusprechen.

Viertens: Wahlkampf ist keine Einbahnstraße! Demnach braucht DIE LINKE "alle" fortschrittlichen Kräfte, also Sozialistinnen, Kommunistinnen, Libertäre, Mutualistinnen, Gewerkschafterinnen, Naturschutzorganisationen, die Organisationen der Erwerbslosenselbstverwaltung, die progressiven Gläubigen und die progressive Frauenbewegung (die männliche Schreibform denke ich hier immer mit!)!

Fünftens: Wer den Systemwechsel, zumindest aber einen Politikwechsel, anstrebt, sollte DIE LINKE mit seinen Möglichkeiten aktiv und engagiert "vor Ort" unterstützen, jeder mit seinen Möglichkeiten- und zwar in der realen und (!) in der virtuellen Welt. Wir sollten da keine künstlichen Gewichtungen schaffen, in dem wir das eine gegen das andere ausspielen bzw. bewerten. Stärken wir also nicht nur DIE LINKE im Speziellen- sondern mit ihr auch die gesamte außerparlamentarische, facettenreiche Bewegung im Allgemeinen. Das wäre bestens! Venceremos!

VON: WOLFGANG HUSTE


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[via Nachdenkseiten] --->>> Viel Nähe, wenig Distanz: Journalisten sind Teil der Elitenetzwerke


Viel Nähe, wenig Distanz: Journalisten sind Teil der Elitenetzwerke

[via Nachdenkseiten]

 


Uwe Krüger im Gespräch mit Brigitte Baetz
"Meinungsmacht", so heißt ein neues Buch, das sich mit dem Problem von Distanz und Nähe im Journalismus beschäftigt. Geschrieben hat es der Leipziger Medienforscher Uwe Krüger. Er hat in einer wissenschaftlichen Studie untersucht, wie eng die führenden Journalisten des Landes mit den Eliten aus Politik, Militär und Wirtschaft verbunden sind.

Quelle: dradio

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Dienstag, 26. Februar 2013

Die Mittelschicht unterstützt in ihrer Mehrheit eine Politik, die vor allem der Oberschicht dient.. [Ulrike Herrmann: 2010]

     

Die Mittelschicht unterstützt in ihrer Mehrheit eine Politik, die vor allem der Oberschicht dient

[Ulrike Herrmann - Hurra, wir dürfen zahlen - DER SELBSTBETRUG DER MITTELSCHICHT (2010)]


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vertiefend --->>> "Es geht, davon bin ich überzeugt, den wenigsten Studierenden um Wissen als solches (...)" [Grundrisse]

   

Torsten Bewernitz: Das Sein verstimmt das Bewusstsein

(Grundrisse - Heft 29)

 

http://www.grundrisse.net/grundrisse29/verstimmt_das_Bewusstsein.htm

 

 

Soundtrack: Daddy Longleg: "Crime"

"we never said we know a simple way
we never said that everything's okay
so fuckin governments shut up
so goddamn know-it-alls piss off

who the fuck knows what's going on
who brings the food, the streets, the goods
we are the workers, we know what's going on
we should know how to organize!"

(von "Barricadas", Falling Down Records 2007)

Um kaum einen Begriff ranken so viele linke Mythen wie um den des Bewusstseins. Ob Parteien, Gewerkschaften, NGOs (Nichtregierungsorganisationen) oder Autonome – unisono heißt es, um die Welt zu verändern, sei ein Bewusstsein der Verhältnisse notwendig.

Insbesondere unter Studierenden und Intellektuellen dominiert daher ein Verständnis von Bewusstsein, nach dem dieses durch Lesen und Lernen zu erwerben sei. Die Folge sind Seminare, Bücher, Abendveranstaltungen oder Beiträge wie dieser (wobei dieser, um es vorweg zu sagen, nicht Bewusstsein schaffen will, sonder in der Tat belehren). DozentInnen, AutorInnen und ReferentInnen fühlen sich folglich als VermittlerInnen dieses Bewusstseins. Sie haben sich ausführlich mit einem Thema beschäftigt, gelten als ExpertInnen für einen bestimmten Bereich und vermitteln dieses weiter.

Dieses Verständnis von 'Bewusstsein' definiert den Begriff als 'politisch'. Unter den Tisch fällt das ökonomische Bewusstsein über die eigene Klassenlage. Das politische Bewusstsein kann sich als durchaus fatal erweisen, es muss keineswegs in ein Engagement führen, sondern es kann auch ein Bewusstsein sein, dass Neoliberalismus fördert oder sich als 'nationales Bewusstsein' artikuliert.

Für Intellektuelle und Studierende, die einmal Intellektuelle werden wollen (den Autoren eingeschlossen) und insbesondere für PolitikerInnen, die nicht nur in Parteien zu finden sind, ist es wichtig, sich als VermittlerInnen von 'Bewusstsein' zu verstehen, schließlich bestimmt diese Aufgabe ihr eigenes Bewusstsein: Wir haben viel Zeit damit verbracht, uns selber weiterzubilden, Spezialisten zu werden und wollen unser erworbenes Wissen nicht für uns behalten oder sind überzeugt, dass unsere 'Politik' für alle richtig ist. In diesem Punkt unterscheiden sich Autonome nur unwesentlich von Sozial- oder auch Christdemokraten.

Daran ist weniger falsch, als dieser Beitrag im Folgenden implizieren wird. Das erworbene und erarbeitete Wissen weiter zu geben ist moralische und oft auch ökonomische Rechtfertigung für die zeitliche Investition in die Bildung. Dieses nicht weiter zu vermitteln, würde die Idee der Bildung ad absurdum führen. Diese Aufgabe manifestiert das Bewusstsein der Intellektuellen.

Allein: Vorträge etwa über die 'Globalisierung', Bewegungen am anderen Ende der Welt oder Organisationsstrukturen neonazistischer Organisationen präsentieren nur angelesenes und angeeignetes Wissen. Sie sind sinnvoll, denn die Struktur der WTO oder der G8 zu begreifen, kann helfen, die eigenen Verhältnisse in einen größeren Zusammenhang zu stellen und etwa den eigenen Arbeitsvertrag anders zu sehen, die Struktur neonazistischer Organisationen erklärt evtl., warum eine Kameradschaft ein Dorffest ausrichtet, Nachhilfeunterricht organisiert o.ä. Um eine solche Veranstaltung zu besuchen oder einen Beitrag oder ein Buch zu solchen Themen zu lesen, muss ich aber bereits eine Form von Bewusstsein haben, das Verständnis, dass diese Themen etwas mit meinem Alltagsleben zu tun haben: Wenn ich eine Veranstaltung über Strukturen einer neonazistischen Organisation besuche, ist mir bereits bewusst, dass Neonazis ein Problem sind, wenn ich ein Buch über 'Globalisierung' lese, weiß ich bereits, dass diese Auswirkungen auf mein Leben hat.

Solche Beiträge prägen also gar nicht das Bewusstsein, denn es ist bereits vorhanden. Sie erweitern maximal mein Wissen und fördern das Bewusstsein des anwesenden Experten. Sind die ExpertInnen mal zur Abwechslung keine SozialwissenschaftlerInnen, sondern z.B. JuristInnen, ist das für meinen Alltag sogar sehr praktisch. Aber auch dann habe ich die Veranstaltung besucht oder das Buch gelesen, weil ich bereits von der Notwendigkeit dieser Informationen überzeugt war. Oder aber ich besuche die Veranstaltung aufgrund meines eigenen Bewusstseins als Intellektueller, ich fühle mich aufgrund meiner Identität verpflichtet, mich fortzubilden oder meinen Senf zum Thema abzugeben. Vielleicht möchte ich das sogar in kritischer Absicht, weil ich anderer Meinung als die ReferentIn bin und das kundtun möchte. Ich fürchte dann, dass die ReferentIn den anderen Anwesenden ein 'falsches Bewusstsein' vermitteln könnte.

Das setzt voraus, dass wir unser Wissen für das bessere, kompetentere und letztendlich wahrere halten. Wenn die Gäste unserer Veranstaltung uns dann erzählen, dass der Nazi von nebenbei aber doch eigentlich ganz nett sei, weil er unsere Oma betreut oder unseren Sohn auf die Hüpfburg beim Stadtfest begleitet, wenn sie uns erklären, dass noch nie jemand von der WTO bei ihnen im Betrieb war, um eine neue Regelung einzuführen, dann halten wir das für ("notwendig falsches") Bewusstsein. Unser Sein als Intellektuelle hat unser Bewusstsein als BesserwisserInnen und KlugscheißerInnen bestimmt.

Vielleicht aber haben unsere Gäste recht: Der Nazi von nebenan ist möglicherweise wirklich ganz nett, hat Spaß an der Betreuung meiner Oma, beginnt deswegen demnächst sein freiwilliges soziales Jahr und ist danach längste Zeit Nazi gewesen. Wir haben Wissen über die Strukturen der neonazistischen Organisationen, aber keine Erfahrung mit dem Nazi von nebenan. Und darauf kommt es an, wenn es darum geht, Bewusstsein zu entwickeln. Was wir als Bewusstsein verkaufen, ist blanke Ideologie.

Das zeigt den Fehler an der ganzen Sache: Der Referent und ich haben genau das selbe Bewusstsein eines Intellektuellen, der Wissen angesammelt hat. Keiner von uns beiden kann mehr Bewusstsein schaffen als der oder die andere, wir präsentieren lediglich unser Wissen und unsere Meinungen. Die Übernahme dieses Wissens und dieser Meinungen halten wir dann für eine Erweiterung des Bewusstseins der weiteren Anwesenden.

Das ist schlichtweg arrogant. Und diese Arroganz ist das Dilemma der modernen Linken. Anstatt davon auszugehen, dass die Zuhörenden oder Lesenden eine andere Form von Wissen haben (das ja unbestreitbar sprachlich verwandt ist mit dem Bewusstsein) und dieses mit dem unseren austauschen, glauben wir, durch unser ExpertInnen- Wissen Bewusstsein schaffen zu können oder sogar zu müssen. Wir verwechseln Bewusstsein und Bildung. Dadurch, dass jemand überwiegend mit Menschen verkehrt, die studieren und mit Theorie umgehen, entwickelt man das eigene Bewusstsein. Wer mit Menschen verkehrt, die das nicht tun, kennt vielleicht dennoch Menschen, die ein beeindruckendes Klassenbewusstsein an den Tag legen: Nicht- Studis oder Nicht-Intellektuelle, die noch nicht Marx oder Kropotkin gelesen haben.

Die 'linken' Intellektuellen gehen davon aus, dass jedeR studiert, weil sie/er etwas wissen wollte, 'um Dinge umzusetzen'. Da liegt der Hase im Pfeffer: Sie wollten vorher schon etwas umsetzen, hatten bereits eine Idee –und die kam nicht aus dem Nichts. Sie kam aus der Schulzeit, aus der Familie, aus der Kultur, im besten Falle aus der Erkenntnis, dass das vorherige Arbeitsleben einen nicht erfüllte. Darüber hinaus vermuten 'linke Intellektuelle', alle würden deswegen studieren, sie schließen, völlig illegitim, von sich auf alle.

Studieren nicht die Meisten eher, um entweder einen Arbeitsplatz zu bekommen oder aber einen besonders gut dotierten?

Es geht, davon bin ich überzeugt, den wenigsten Studierenden um Wissen als solches, sondern, gerade in Zeiten des Bologna-Prozesses, bedeutet es einfach eine Ausbildung für etwas, was man später mal machen möchte – Lehrer, Manager, Professor oder leitender Angestellter. Oder aber autonomer Kommunenbewohner, der sich durch (Schein-)Selbständigkeit oder Hartz IV finanziert.

Woher kommt die Idee, dass letzterer Lebensentwurf besser wäre als der einer 16jährigen Hauptschülerin, deren Zukunftsvision 'Hartz IV kriegen oder Superstar werden' ist?

Jener Hauptschülerin, die irgendwann einmal auf einem Privatsender auftauchte, wird das Bewusstsein abgesprochen, dass der autonome Kommunenbewohner in Scheinselbständigkeit haben soll. Sie basht Intellektuelle, argumentiert populistisch und wird vielleicht 'rechts'. Hat sie deswegen weniger Bewusstsein? Nein!

Wie viele ökonomische – und auf die kommt es an – linke Projekte scheitern genau daran? Weil Leute erst gar nicht mitmachen, weil der Scherbenhaufen ein Desaster nicht nur für eine Person, sondern für ein reales, ökonomisches Kollektiv – sei es eine Familie oder eine Kommune - ein Desaster darstellen könnte? Nicht umsonst betont z.B. die Streikforschung, dass über einen Streik nicht auf der Betriebsversammlung, sondern am Küchentisch entschieden wird, weil von einem ausbleibenden Lohn oder einer Entlassung nicht nur eine Person betroffen ist.

Junge Linke, die vielleicht noch andere Finanzierungsquellen haben – sei es, dass sie immer wieder einen neuen Job finden oder aber Mama und Papa in der Hinterhand haben – spüren diese Bedrohung nicht dermaßen: Und darum ist die moderne Linke ein Jugendphänomen. Linke ökonomische Projekte scheitern oft genau an diesen verschiedenen Ansprüchen: Sobald eine ökonomisch attraktivere Lösung in Griffweite ist, ist das kollektive ökonomische Projekt von gestern: Man ist ja nicht weg, sondern immer noch in der Antifa, bei dem Anti-Atom- oder Kriegstreffen oder im Theoriezirkel und konstatiert dann am besten noch ein mangelndes Bewusstsein derjenigen, die dort nicht sind. Man ist enttäuscht von den GenossInnen, die bei der letzten Hausbesetzung oder Demo nicht dabei waren. Vielleicht waren sie ja arbeiten um sich oder ein Kollektiv zu ernähren? Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Deswegen muss die Frage erlaubt sein: Wie gehen die, die studiert haben, sich mit Theorie beschäftigen und eine 'politische' Alltagspraxis haben, mit denen um, die all das nicht haben? Sind das 'Spießer'? Oder - noch schlimmer – 'Prolls'? Mit denen man sich gar nicht auseinandersetzt? Die in der U-Bahn einfach nur nerven? Die andere Musik (Schlager) hören und Fußball besser als Yoga finden? Befinden wir uns in einer 'linken Szene', die prima miteinander klarkommt, weil da ja alle das richtige 'politische' Bewusstsein haben?

Schmeißen wir Leute mit einer Deutschlandfahne auf dem Parker oder nach einem frauenfeindlichen Witz sofort aus dem autonomen Zentrum, damit wir nicht noch einmal Diskussionen führen müssen, über die wir doch schon vor 10 Jahren einen Konsens erreicht haben? Oder ganz polemisch: Haben wir unser gemütliches Plätzchen im Kapitalismus gefunden, in einer Wagenburg, einer Kommune oder einem besetzten Haus?

Das alles sind Sachen, die ich durchaus gut finde, zu denen ich hin gehe, weil auch ich gerne Punk höre, mich mit Theorie auseinandersetze und auch glücklich bin, wenn ich nicht – wie am Arbeitsplatz – nach einer Kindesmisshandlung den nächsten Ruf nach der Todesstrafe hören muss oder rassistische Türkenwitze vor einem Fußballspiel. Aber das ist nicht das wahre Leben und oft langweilig. An dem Punkt wünsche ich manchmal, ich würde mich für Fußball interessieren und nicht nur für meine Arbeitsbedingungen.

Ein schönes Beispiel für das Missverständnis zwischen politischem und ökonomischem Bewusstsein sind die Studierendenproteste gegen die Erhebung von Studiengebühren: Die GegnerInnen von Studiengebühren argumentieren, dass alle Studierenden gegen Studiengebühren sein müssten, weil dadurch weniger Bildung für viele erhältlich sei. Das soll auch für Konzernbesitzertöchter und Politikersöhne gelten. Wenn diese nicht gegen Studiengebühren seien, sei das falsches Bewusstsein.

Das ist schlichtweg falsch. Das Kind des reichen Unternehmers hat ein immenses Bewusstsein davon, dass es selber keinen Schaden durch Studiengebühren hat, vielleicht sogar einen Nutzen, wenn weniger Arbeiterkinder studieren und die Lehrenden dadurch mehr Zeit für ihn oder sie.

Notwendig falsch ist sein oder ihr Bewusstsein höchstens in dem Sinne, dass das Unternehmerkind automatisch davon ausgeht, später eine gehobene Position einzunehmen und keine ökonomischen Probleme zu haben. Hintergrund ist aber nicht, dass ihnen niemand erklärt hat, dass sie jederzeit plötzlich ArbeitnehmerInnen werden können, sondern, dass sie diese Erfahrung nie gemacht haben. Ihr Bewusstsein ist ihrer aktuellen Situation durchaus angemessen.

Ein ganz anderes Beispiel: Stellen wir uns eine Ärztin vor, die aufgrund massiver geschlechtlicher Diskriminierung entscheidet, ihren Job in einer Klinik aufzugeben und sich selbstständig zu machen, um nicht weiter vom mangelnden Wohlwollen alter männlicher Chefärzte abhängig zu sein, die der Meinung sind, das Frauen nicht operieren können.

Sie kommt aus besserem Hause, hat 1968 studiert, setzt sich für Minderheiten ein und liest Marx und Sartre. Mit der neuen eigenen Praxis sieht sie sich der Situation ausgesetzt, Büro- und Reinigungskräfte einzustellen. Diese erwarten einen gewissen Lohn, Urlaub etc., keineswegs bahnbrechende Forderungen, sondern die arbeitsrechtlich garantierten Mindeststandards. Dennoch fühlt sich die Ärztin nach einer gewissen Zeit über den Tisch gezogen, entwickelt eine entsprechende Aversion gegen Gewerkschaften und Parteien, die Gewerkschaftsforderungen unterstützen. Sie hatte guten Grund, selbstständig zu werden, spendet jährlich an Greenpeace oder amnesty international. Obwohl sie diese Praxen weiterhin beibehält, entwickelt sie ein Bewusstsein dafür, dass sie ihre Angestellten ausbeuten muss. Sie entwickelt ein Klassenbewusstein – und zwar das für sie durchaus richtige. Kein Grund, sie zu verachten, denn ihre Handlungsmotivationen sind vollkommen nachvollziehbar.

Sie hat sich bei aller Sympathie für Befreiungsbewegungen und bei aller Empathie für soziale Gerechtigkeit durch ihr Leben und ihr Studium einen gewissen Lifestyle angeeignet (den Bourdieuschen Habitus), den sie nicht missen möchte und über den sie nicht hinaus denken kann. Darüber hinaus hat sie vielleicht Familie, die mit ernährt werden muss. Sie ist vielleicht mit den Ansprüchen in ihre Selbständigkeit hinein gegangen, eine Gemeinschaftspraxis mit egalitärer Bezahlung zu gründen.

Es hat aber nicht gereicht, erstens, legitimer Weise, nicht für die Familie und zweitens, nicht so legitim, weil sie ihren Lebensstil nicht ändern wollte – zum Teil aber auch, folgt man dem Bourdieuschen Habitus-Begriff, weil sie nicht konnte.

 

Ein kollektives Projekt, das so unsicher ist, dass es nach einigen Jahren scheitern könnte, kam gar nicht erst in Frage, denn das hätte das familiäre Kollektiv gefährdet. Ihre Klasseninteressen haben sich massiv verändert, und das war ökonomisch auch nicht anders möglich. Trotz dieses Verständnisses muss ich aber als Putzkraft in der selben Praxis gegen sie intervenieren, wenn ich auch nur einen Funken Bewusstsein habe.

Einige der ReferentInnen und BesucherInnen linker Veranstaltungen und LeserInnen linker Bücher und Zeitschriften werden sich genau so entwickeln wie in diesem fiktiven Beispiel. Das Wissen aus den Veranstaltungen und Büchern steht ihnen nach wie vor zur Verfügung, ebenso das T-Shirt mit dem roten Stern, das Palästinenser- Tuch, der Kapuzenpulli und die anderen Symbole vermeintlich 'linken' Bewusstseins.

Am notwendigen Verhalten ändern diese Symbole gar nichts. Falsches Bewusstsein haben sie dann, wenn sie trotz ihrer ökonomischen Position weiterhin jeder Lohn- und Urlaubsforderung nachgeben, weil sie sie politisch richtig finden. Dann würden sie so falsch liegen wie Studierende, die für einen Minimallohn in der Kneipe schuften und ihren Urlaubsanspruch vergessen. Nach dem Studium wird sich womöglich. herausstellen, dass die einstmals Liberalen prima ArbeitsrechtlerInnen sind und die Linken vorbildliche Ausbeuter werden. Ob sie jemals Marx oder Friedman gelesen haben oder auch nur eine einzige linke Info-Veranstaltung besucht haben, ob sie während des Studiums klassische Musik oder Punkrock gehört haben, hat darauf keinen Einfluss.

Bewusstsein heißt eben nicht, zu wissen, was diese oder jene TheoretikerInnen mal gesagt haben oder wie die Weltwirtschaft funktioniert. Bewusstsein heißt, die eigene Lage zu erkennen und beurteilen zu können. Was sich heute Politik oder politisches Engagement schimpft, hat damit selten etwas zu tun. Im besten Falle wird sich der liberale Student einer Gewerkschaft anschließen und die linke Ärztin einem Arbeitgeberverband, um die entsprechenden Interessen besser durchsetzen zu können.

In diesem Moment ist aus der Klasse an sich die Klasse für sich geworden. Es bestimmt eben nicht der/die (ideologische) TheoretikerIn das Bewusstsein, sondern allein das Sein, die blanken Rahmenbedingungen der eigenen Existenz. Wenn ökonomisch relevante Argumente mein Handeln motivieren, habe ich vielleicht ein schlechtes Gewissen, aber kein falsches Bewusstsein. Von jenen, die dieses Bewusstein haben, ein anderes Handeln einzufordern – und das ist das Geschäft linker Politik – kann keinen Erfolg haben.

Wir sind auf uns selber gestellt. Notwendig ist nicht ein weiterer Vortrag, sondern ein Erfahrungsaustausch, damit wir nicht alleine da stehen.

Die Hauptschülerin, die Ärztin und der arbeitende Familienvater waren eben doch begrenzt determiniert.

Menschen sind nicht frei in der Gesellschaft des Kapitalismus und es ist absolut nicht sozialistisch oder anarchistisch, das zu behaupten:

Wenn dem so wäre, bräuchte es kein Engagement für einen Anarchismus. Keine Entscheidung ist undeterminiert – das zu behaupten, ist letztendlich Ideologie. Menschen, die entsprechend anders entscheiden, diese Entscheidungen vorzuwerfen, ist autoritär. Die Existenz einer solchen Freiheit vorauszusetzen, würde erstens bedeuten, dass der Neoliberalismus mit seinem Diktum 'Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied' recht hätte:

Wenn ich leide, bin ich selber Schuld. Ich alleine kann das ja ändern. Zweitens verkennt es vollkommen die Struktur des Kapitalismus(der klassische Fehler des Anarchismus), wenn der Mensch so frei wäre, ist seine Rolle im Kapitalismus seine freie Entscheidung: Ich werde wie die zitierte Hartz IV-Hauptschülerin ALG II-Empfänger – wie es die US-amerikanischen 'Freegans', die sich für AnarchistInnen halten, ausdrücken: "Wer arm ist und darunter leidet, ist selber Schuld' – oder aber erfolgreicher Selbständiger: Dass das nicht funktioniert, merkt jedeR Arbeitslose sehr schnell. Wer nicht nur mit linken AnarchistInnen rumhängt, sondern auch mit (Schein-)Selbstständigen, Angestellten extrem kapitalistischer Firmen und Arbeitslosen, die nie studiert haben, merkt schnell, dass diese alle nie frei entschieden haben: Der Wunsch nach Freiheit und die philosophische Diagnose, der Mensch sei frei in seinen Entscheidungen, sind etwas sehr Unterschiedliches. Und nur den Wunsch braucht es, um Anarchist zu sein. Die Diagnose, es sei schon so, teilen die Ideologen des Neoliberalismus.

Aus der Erkenntnis, dass das 'Sein' nicht zu Erkennen ist, zu schließen, dass es nicht existiere, ist genau so fehlerhaft wie zu behaupten, es sei auf eine bestimmte Weise. Diese Version von Freiheit wird zu einem egomanen Individualismus und dieser ist ein Hauptproblem heutiger anarchistischer PraktikerInnen.

Das Rezept, das ich dagegen setze, ist der Austausch von Erfahrungen in einem ökonomischen Sinne. Diese entstehen nicht in einem wissenschaftlichen Theorieaustausch, sondern in einem Austausch der ökonomischen Abhängigkeiten und einer gemeinsamen Wehrhaftigkeit. In einer halbwegs egalitären Gesellschaft determinieren uns Dein, mein, Annas und Peters Bewusstsein und nicht nur das meine –woher um Himmels Willen soll das kommen? Aus Büchern? Das eigene 'Bewusstsein', das schon mal gar keines ist, wenn es einzig und allein meines ist, weil es dann partikular ist, erschient arg beliebig. Es ist dem populistischen Begriff der 'Anarchie' als Chaos und Terror nicht besonders fern. Eine heutige Freiheit des einzelnen Menschen zu konstatieren, ist nicht Grundannahme jeder anarchistischen Theorie und Praxis, es ist das Gegenteil: Es ist von hinten bis vorne Neoliberalismus.

Solidarität entsteht nicht durch das Lesen von Büchern oder dem Hören von Musik. Das ist bestenfalls Mitleid. Wir können uns weder mit einem 'israelischen' noch einem 'palästinensischen' Volk noch mit einer indigenen Bewegung in Chiapas solidarisch erklären, weil Voraussetzung jeder Solidarität das Nachvollziehen der Ausbeutung anhand der eigenen Verhältnisse ist. Um uns mit Israel oder Palästina solidarisch zu erklären, müssten wir uns national definieren und entweder eine entsprechende Schuld oder eine entsprechende Situation erkennen. Allerdings können wir Ähnlichkeiten in staatlicher Repression und ökonomischer Ausbeutung erkennen, wenn wir mit den Menschen reden, und dort auch entsprechend solidarisch sein. Das ist das Faszinierende z.B. an der EZLN: Sie erzählen und machen Erfahrungen begreif- und vergleichbar.

 

Die Ausbeutung in der Maquiladora mag intensiver sein als die im deutschen CallCenter: Nach einem Austausch erkenne ich gemeinsame Strukturen. Erst so kann ich solidarisch handeln. Für alles andere könnten wir auch in die Kirche gehen. Wenn Buch und Musik das Kriterium für Bewusstsein wären, dann täte es auch Die Bibel und der Choral – und dann täte es auch 'Mein Kampf' und Rammstein. Es ist klar, das so etwas fatal ist. Niemand bekommt von mir auch nur einen Hauch von Solidarität, weil er Bakunin liest und Slime hört.

Das Sein bestimmt (und verstimmt) das Bewusstsein. Etwas marxistische Theorie täte dem Anarchismus auch in diesem Punkt ganz gut.

e-Mail: bewernt@uni-muenster.de




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Empörung über d. Managergehälter werde gleichzeitig umgelenkt in e. Idealisierung + Romantisierung d. mittelständischen Unternehmer

   

 

Die Empörung über die Managergehälter werde gleichzeitig umgelenkt in eine Idealisierung und Romantisierung der mittelständischen Unternehmer, so dass in der Vorstellung vieler Deutscher inzwischen der Klassenkampf zwischen dem "guten" mittelständischen Unternehmer gegen die "bösen" Konzerne und ihre Manager stattfinde (98).

[Ulrike Herrmann - Hurra, wir dürfen zahlen - DER SELBSTBETRUG DER MITTELSCHICHT (2010)]


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Herr Gührs [SPD] sollte doch lieber ... die neoliberale, halb Europa ins Elend stürzende Politik, der Merkel-Regierung bekämpfen


Angriff auf Lötzschland

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=16308#h17
 


Bürgerin heraus: Gesine Lötzsch, Philologin, 51, bis 2012 zwei Jahre lang glücklose Parteivorsitzende der Linken. Gührs, 30, ist der aufstrebende neue Kandidat für die SPD im Wahlkreis Nummer 87, Berlin-Lichtenberg. Lötzsch hat den Bezirk seit 2002 immer gewonnen…

Er (Gührs) will nicht nur um das Direktmandat in seinem Bezirk kämpfen, sondern für das Aus der Linkspartei im Bund. Deren Genossen fürchten im September die Fünfprozenthürde. Für diesen Fall brauchen sie wenigstens drei Direktmandate, um trotzdem in den Bundestag einzuziehen.

Quelle:
Tagesspiegel

http://www.tagesspiegel.de/berlin/kampf-um-die-direktmandate-angriff-auf-loetzschland-/7827574.html

Anmerkung J.K.:

Hier bin ich doch etwas sprachlos über das was in den Köpfen mancher Sozialdemokraten umgeht. Haben wir in Deutschland keine anderen Sorgen, als dass die Linke im Bundestag vertreten ist? Der gute Herr Gührs sollte doch lieber sein ganzes Engagement darauf verwenden die neoliberale, halb Europa ins Elend stürzende Politik, der Merkel-Regierung zu bekämpfen. Aber für den Genossen Gührs scheint die Linke der politische Hauptgegner zu sein und es ist zu befürchten, dass er damit in der SPD nicht alleine ist.


Nach allen gängigen Prognosen reicht es für rot-grün sowieso nicht, es sei denn die FDP fliegt aus dem Bundestag. Und man darf davon ausgehen, das dies bis zur Bundestagswahl so bleiben wird, da das größte Problem der SPD immer noch Steinbrück heißt. Was wäre also gewonnen wenn die Linke aus dem Bundestag fliegen würde? Das einzige politische Korrektiv gegen den neoliberalen Mainstream wäre verschwunden.
Der Vergleich ist sicher weit hergeholt aber man fühlt sich doch etwas an die Situation vor 1933 erinnert, als sich Sozialdemokraten und Kommunisten lieber bis auf das Messer bekämpften als gemeinsam gegen die Nazis vorzugehen.


Ich werde Herren Gührs jedenfalls bitten mir am Wahlabend ein Foto seines dummen dreinblickenden Gesichtes zu schicken wenn es nicht für rot-grün reicht, sondern es zu einer schwarz-grünen Koalition kommt.


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-->> Schwarz-Grün - da würde etwas zusammenwachsen, was zusammengehören könnte: [via Nachdenksiten]


Schwarz-Grün – was sonst?

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=16308#h16
 
 


Die Grünen können ihre Zukunft nicht länger nur an eine SPD ketten, die zur Mehrheitsbildung nicht fähig ist. Gestalten können auch die Grünen nur als Regierungspartei.

Schwarz-Grün – da würde etwas zusammenwachsen, was zusammengehören könnte: die beiden – von ihrer Wählerstruktur – größten bürgerlichen Parteien. Mit Kompetenzen, die sich ergänzen. Der Wertkonservativismus beider Parteien wäre die Brücke.

Wenn die CDU über den 22. September hinausdenkt, dann sollte sie bei einem entsprechenden Wahlausgang den Preis an die Grünen zahlen. Der Lohn der CDU für Schwarz-Grün wäre die strategische Zukunftsfähigkeit. Die Alternativen sind Siechtum und Abstieg.

Quelle:
Sprengsatz

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--->>> Selbstinszenierung von Managern: Die 70 Jungfrauen des Kapitalismus [via Nachdenkseiten]


Selbstinszenierung von Managern: Die 70 Jungfrauen des Kapitalismus

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=16308#h08
 


Die Verkürzung der Gymnasialzeit, der Studiendauer, die Hartz-Reformen, der Ausbau der Kinderbetreuung – was auch immer in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt an Reformen in die Wege geleitet wurde, folgte, anders als zuvor, nicht irgendwelchen Utopien von einer besseren Gesellschaft, sondern einem ökonomischen Zweck: Die Wettbewerbsfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt zu erhöhen.

Angela Merkel profilierte sich als Europapolitikerin nicht, weil sie auf immaterielle Werte gesetzt hätte, sondern als Hüterin ökonomischer Stabiltät. Die Bewertung einzelner Länder durch Rating-Agenturen ist dabei zu einem entscheidenden Kriterium geworden. Wenn der "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher anlässlich seines neuen Buchs "Ego" davon spricht, dass "alles ökonomisiert" sei, dürfte er damit nicht nur die deutsche Gesellschaft meinen, sondern die EU – ja, letztlich die ganze Welt. (…)

Mit dem Slogan "Work hard, play hard" hatte das Wirtschaftsmagazin "Business Punk" dem Hedonismus hart arbeitender Jungmanager ein einprägsames Motto verschafft. Wer heute Karriere macht, tut das in der Regel nicht mehr, damit es die Kinder einmal besser haben oder um sich bescheidenen Wohlstand zu gönnen. Der ist in der Bundesrepublik, die Einfamilienhausgürtel um die Großstädte zeigen dies auf deprimierende Weise, spätestens seit den Siebzigern selbstverständlich. Heute stehen Luxusmode-Boutiquen, der inflationäre Gebrauch des Wortes "Glamour", die Inszenierungen in Computerspielen oder Pornos, Sex-Skandale bei Volkswagen oder Hamburg-Mannheimer für das eskapistische Ziel schneller, rauschhafter Belohnung nach harter Arbeit.
Quelle:
spiegel.de

Anmerkung C.R.:
Leider können solche Sätze viel zu selten im politischen Teil des "Spiegels" gelesen werden.

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Sparen für den Chef --->>>Sie heißt zwar noch Betriebsrente, ist aber zunächst einmal rein Arbeitnehmer-finanziert.


Sparen für den Chef

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=16308#h10
 
 


Das Altersvermögensgesetz Paragraf 3, Nr. 63 Einkommenssteuergesetz wurde parallel zur Riester-Rente 2001 durchs Parlament gebracht. Es sollte den Arbeitnehmer großzügig beim Sparen über den Betrieb fördern.

Jüngste Berechnungen aber zeigen: In Wahrheit entlastet diese Form der betrieblich organisierten Privatvorsorge, wie schon bei Riester, vor allem die Arbeitgeber von Sozialbeiträgen.

Der Arbeitnehmer profitiert kaum, wenn nicht die Arbeitgeber zuschießen. Nur gemerkt hat das bisher kaum jemand. Auch zehn Jahre nach ihrer Einführung nicht.

Es ist ein Rentenbetrug auf Samtpfoten.
Der Etikettenschwindel beginnt schon beim Namen. Demnach spart man mit Entgeltumwandlung für eine Betriebsrente. Darunter verstehen aber die allermeisten Bürger eine Leistung der Arbeitgeber. Damit aber hat die 2001 verabschiedete Eichel-Rente oder Entgeltumwandlung nichts gemein. Sie heißt zwar noch Betriebsrente, ist aber zunächst einmal rein Arbeitnehmer-finanziert. Der Arbeitgeber schließt zwar für den Arbeitnehmer einen Vertrag, gibt aber – wenn überhaupt – nur Zuschüsse.

Die Eichel-Förderung sollte zu betrieblicher Altersvorsorge ermuntern, hat aber letztlich dazu geführt, dass sich immer mehr Unternehmen von ihrer sozialen Verantwortung verabschiedet haben. Überhaupt liest sich die Eichel-Förderung wie Sozialpolitik, konzipiert vom Steuerberater.

Quelle:
Kontext: Wochenzeitung

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#Ideologie und #Wahrheit des #Gemeinspruchs: "Sozial ist, was Arbeit schafft!" #Niedriglohn als #Staatsprogramm [Zur Vertiefung!!]

 

Klarstellungen zur elenden öffentlichen Debatte über Hartz-IVler und andere Sozialfälle mit und ohne Arbeit:

Ideologie und Wahrheit des Gemeinspruchs: "Sozial ist, was Arbeit schafft!"

Niedriglohn als Staatsprogramm

 
 
[via argudiss.de]

Veranstaltung vom 18.03.2010 in München

Referent: Wolfgang Möhl, Redakteur des GegenStandpunkt

 

Teil 1: Eine öffentliche Debatte und die aktuelle Lage

Teil 2: Gerechtigkeit am Arbeitsmarkt: Kritik des Gerechtigkeitsargumentes

 
 

Teil 3+4: Kapitalwachstum – Arbeitsmarkt – und Sozialpolitik

 

Teil 5: Der neues Reformbedarf mit Hartz IV und Mindestlohn: Niedriglohn als Normalexistenz

 

Teil 6: Der Sozialstaat als Agentur des "allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation" (Marx)

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--->>> Die Lüge von der "Staatschuldenkrise" [via Nachdenkseiten]


Die Lüge von der "Staatschuldenkrise"

[via Nachdenkseiten]http://www.nachdenkseiten.de/?p=16333#more-16333

Die Kanzlerin, der Finanzminister, die meisten Parteien, die Medien sowieso, reden ständig von der "Staatsschuldenkrise" und begründen damit den alternativlosen "Sparkurs".
Zumindest Merkel und Schäuble müssten es besser wissen. Vor allem der Finanzminister müsste doch wissen, was sein eigenes Ministerium offiziell bekannt gibt. Danach liegt der Anstieg der Schulden nicht in der "Haushaltswirtschaft", sondern in den Effekten der Finanzmarktkrise.
Behauptungen wider besseres Wissen nennt man landläufig Lügen. Von Wolfgang Lieb

In der regierungsoffiziellen "Mittelfristige Projektion der öffentlichen Finanzen" heißt es:

"Sowohl der starke Anstieg (der Schulden (WL)) als auch der zu erwartende Rückgang bis 2016 sind maßgeblich durch Einflüsse bedingt, deren Ursache nicht in der Haushaltswirtschaft liegen. In Abbildung 9 wird der Verlauf der Maastricht-Schuldenquote mit den Quoten verglichen, die sich ohne die Effekte der Finanzmarktkrise beziehungsweise ohne die Effekte der Finanzmarkt- und der Staatsschuldenkrise ergäben. So wird deutlich, dass die Schuldenquote bereinigt um die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkriseneffekte aufgrund der deutlichen Verbesserung der Finanzierungssalden aller Gebietskörperschaften und des fortgesetzten BIP-Zuwachses seit 2010 bis zum Ende des Finanzplanungshorizonts stetig auf rund 62 % zurückgeht und sich damit dem Maastricht-Referenzwert von 60 % annähert."

Und wo sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf zur Einhaltung der "Schuldenbremse"?
Selbstverständlich bei "Strukturreformen in den sozialen Sicherungssystemen [PDF - 742 KB]" und "Strukturreformen" sind das Tarnwort für Einsparungen in den sozialen Sicherungssystemen.




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Montag, 25. Februar 2013

Sein Buch läge heute voll im neoliberal-nationalistischen Trend, sah doch schon er überall »Faulenzer, Drückeberger und asoziale Elemente« den Sozialstaat plündern.

Vor nicht allzu langer Zeit, der Erste Weltkrieg war gerade mit einer Niederlage für das Deutsche Reich zu Ende gegangen und die erste deutsche Demokratie begann sich mehr schlecht als recht zu etablieren, agitierte ein gewisser Gustav Hartz, Mitglied der monarchistischen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) gegen das Sozialsystem der Weimarer Republik.

Hartz war 1924 kurzeitig Reichstagsabgeordneter und 1928 erschien sein wichtigstes Buch »Irrwege der deutschen Sozialpolitik und der Weg zur sozialen Freiheit«, das in der Öffentlichkeit viel beachtet und heftig kritisiert wurde. 

Sein Buch läge heute voll im neoliberal-nationalistischen Trend, sah doch schon er überall »Faulenzer, Drückeberger und asoziale Elemente« den Sozialstaat plündern.

Zwar war Gustav Hartz nicht mit dem zu zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen Untreue und Begünstigung verurteilten Peter Hartz verwandt, dennoch mutet es wie ein Treppenwitz der Geschichte an, dass führende »Sozialstaatsreformer« damals wie heute denselben Familiennamen haben, bemerkt der Politikwissenschaftler Christoph Butterwege.

Er verweist in einem rechtzeitig zum fünften Jahrestag des »Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« erschienenen Bandes auf wichtige historische Parallelen bei der Vernichtung des Sozialstaates in der Weimarer Krisenrepublik und der heutigen Zeit.

Verblüffend ähnlich ist nicht nur die Wortwahl damaliger und heutiger Protagonisten – auch für den ehemaligen »Superminister« Clement sind Arbeitslose nur »Parasiten« –, ebenso austauschbar sind die Argumente gegen sozialstaatliche Schutzregeln mit Verweis auf Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung sowie die konkrete Ausgestaltung des Arbeitslosenrechts mit erzwungenen Arbeits-einsätzen als Gegenleistung für die bloße Existenzsicherung.

Die Herausgeber dieses empfehlenswerten Bandes, die Sozialwissenschaftlerin Sandra Kotlenga und der evangelische Pfarrer und Sozialethiker Jürgen Klute, wollten eine Bilanz der Folgen der Eliminierung des sozialen Sicherungsnetzes in diesem Land ziehen.

Es werden dabei auch Aspekte und Wirkungsbereiche einer kritischen Analyse unterzogen, die bisher in der Argumentation gegen die Hartz-Gesetze kaum oder nur wenig Erwähnung fanden. Einen Schwerpunkt bildet die Auseinandersetzung mit dem Konzept des (bedingungslosen) Grundeinkommens. Befürworter und Kritiker kommen zu Wort, wobei sich die Contrabeiträge im Wesentlichen auf die neoliberalen Ansätze des Grundeinkommens beziehen.

Der Sozialwissenschaftler und Lehrbeauftragte der Humboldt-Universität Andrej Holm befasst sich mit den wohnungspolitischen Auswirkungen von Hartz IV. Auf Grund der bundesweit vorliegenden Forschungsergebnisse müsse von einer »räumlichen Restrukturierung der Stadt und der Ausgrenzung der Überflüssigen« gesprochen werden. Den Hartz IV-Betroffenen bleibe weitestgehend nur der Wegzug in die innerstädtischen Substandardwohnungen und die Großsiedlungen am Stadtrand.

Der am Progress Institut Wirtschaftsforschung (PTW) beschäftigte Karsten Schmidt stellt die Entwicklung der aktiven Arbeitsmarktpolitik nach 2002 dar. Er weist nach, dass der finanzielle Umfang der aktiven Arbeitsmarktpolitik seit Beginn der »Reformen« kontinuierlich zurückgefahren wird. Ebenso verhängnisvoll für die Betroffenen ist die Tatsache, dass die sogenannten »Ein-Euro-Jobs«, die nachweislich die geringsten Eingliederungserfolge überhaupt haben, das bei Weitem dominierende arbeitsmarktpolitische Förderinstrument darstellen, obwohl es dem Sinn des Gesetztes nach die arbeitsmarktpolitische Ultima Ratio darstellen soll. Ein wichtiges Ergebnis seines Aufsatz lautet: »Ein wesentliches Reformparadigma – das »Fördern« – erweist sich als rein rhetorische Formel.«

In ihrer zusammenfassenden Analyse legen die Herausgeber dar, dass von den »Hartz-Reformen« nicht nur die Erwerbslosen betroffen sind, sondern nahezu alle abhängig Beschäftigten. Die Liquidierung des Sozialstaates ermöglicht Unternehmen, immer schlechtere Arbeitsbedingungen durchzusetzten. Wenn das »überflüssige Menschenmaterial« – kein geringerer als Karl Marx spricht in diesem Zusammenhang von der »industriellen Reservearmee« – endlich so wenig Geld bekommt, dass es für jeden Lohn alles macht, gibt es automatisch den erhofften Lohndruck auf jene, die (noch) für einen Mehrwert tätig sind.

Gustav Hartz befände sich, würde er in der heutigen Zeit leben, in bester Gesellschaft zu den Hartz IV-Parteien in Deutschland. Die Frage der ökonomischen Verwertbarkeit der »Überflüssigen« hatte seine Deutschnationale Volkspartei identisch beantwortet wie heute SPD, FDP, CDU, CSU und die Grünen.

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Freitag, 22. Februar 2013

Vor allem d. #Besserverdiener #würden in #Krisen d. #Wert #eines #Menschen an dessen #Leistung #messen.

     
 
"Insgesamt stellt die Studie eine Entsolidarisierung
und eine Ökonomisierung der Gesellschaft fest."
Eisigen_jargon_der_verachtung_
Rechtspopulismus wächst unter Besserverdienern
(Frankfurter Rundschau - 4/5. 12. 2010 - Seite 6)


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Nach oben ducken, nach unten knüppeln Sozialchauvinistische Reflexe nehmen in Deutschland zu auch in unteren Bereichen d. Gesellschaft.

   

 

 

 

Nach oben ducken, nach unten knüppeln

Sozialchauvinistische Reflexe nehmen in Deutschland zu,
auch in den unteren Bereichen der Gesellschaft.

Sie sind Ausdruck einer autoritären Form der Krisenbewältigung.

[via linksnet.de]
 
 
http://www.linksnet.de/de/artikel/27311

 
 

In den letzten Monaten haben sich in verschiedenen Städten Bündnisse gegen Sozialchauvinismus gegründet. Sie haben damit einen bisher in der linken Debatte weniger bekannten Begriff in die Öffentlichkeit gebracht.

 Auf einem von dem Berliner Bündnis erstellten Plakat wird Sozialchauvinismus als "eine Krisenideologie" bezeichnet, "die mit Feindseligkeit gegen alle verbunden ist, die nicht ins Idealbild einer kapitalistischen Leistungsgesellschaft passen". Oft versuchen Träger dieser Ideologie, damit die eigene Nützlichkeit in der Gesellschaft aufzuwerten. Fast jeder wird im Alltag schon auf sozialchauvinistische Phänomene gestoßen sein. 

EIN BEISPIEL AUS DEM NAHVERKEHR

Bevor der Zeitungsverkäufer überhaupt begonnen hat, in der Berliner U-Bahn seinen Spruch aufzusagen, wird er von einem Fahrgast aus dem Waggon mit einer Schimpfkanonade bedacht: Ob man in der Bahn, als zahlender Kunde, denn immer mit diesen Versagern belästigt werden müsse. Dafür erntet der Mann mittleren Alters, Typ Vertreter, bei anderen Fahrgästen Zustimmung. Da nützt es nichts, dass der Verkäufer mittels eines Ausweises am Revers die Rechtmäßigkeit seiner Arbeit dokumentieren will. Auch seine Distanzierung von denen, die seinen Berufsstand in ein schlechtes Licht rückten, weil sie nicht berechtigt seien, Zeitungen zu verkaufen und den verständlichen Zorn des Publikums auf sich zögen, haben wenig Erfolg.

So bekommt man in einer Alltagsszene illustrativ vorgeführt, wie der Sozialchauvinismus funktioniert. Menschen, die Probleme haben, in der kapitalistischen Leistungsgesellschaft vom Rand wegzukommen, bekommen den Zorn derer ab, die selbst nur ein Rad im Getriebe sind. Ihre Angepasstheit demonstrieren sie durch freche Sprüche in Richtung derer, die in der sozialen Hackordnung noch weiter unten stehen. An ihnen wird die Aggression ausgelassen, die sich beim tagtäglichen Katzbuckeln vor dem Chef oder Vorarbeiter oder auch nur vor dem Kollegen, der eine Stufe höher gerückt ist, angesammelt hat. Auch der Gescholtene traut sich nicht, einer solchen Behandlung zu widersprechen. Stattdessen versucht er sich als produktives Mitglied der kapitalistischen Leistungsgesellschaft zu präsentieren, indem er auf die "schwarzen Schafe" verweist, die nicht so gut funktionieren würden.

Was hier beispielhaft dargestellt wurde, findet sich in allen Poren der Gesellschaft. Oft genug sind die Akteure Menschen, die selbst am Rand der kapitalistischen Leistungsgesellschaft leben, also allen Grund hätten, dagegen aufzubegehren. Doch mit Sozialchauvinismus grenzen sie sich von anderen ab. Das kann die erwerbslose Nachbarin sein, die sich zu ihrem ALG II noch etwas dazu verdient und beim Jobcenter denunziert wird. Das kann der nichtdeutsche Leiharbeiter sein, der von Kollegen im selben Betrieb geschnitten und diskriminiert wird.

GETEILTE SOLIDARITÄT

Die Soziologen Hajo Holst und Ingo Matuschek von der Universität Jena zeigen anhand eines Betriebs mit ca. 6.000 Beschäftigten und starker IG-Metall-Verankerung auf, wie ein betriebswirtschaftliches Denken, das sich vor allem um die Rettung des Standorts dreht, zur Entsolidarisierung gegenüber Erwerbslosen und LeiharbeiterInnen führt. Diese werden von einer Mehrheit der Befragten nur unter dem Aspekt des Nutzens für den Betrieb gesehen. Holst und Matuschek erklären dieses Verhalten vor dem Hintergrund verstärkter Fragmentierungen in der Arbeitswelt und der Identifikation mit dem eigenen Betriebsstandort.

"Allerdings ist das normativ 'Gute' des eigenen Betriebs permanent bedroht. Insbesondere die langjährig Beschäftigten sind sich bewusst, dass die das hohe Maß an Identifikation und Loyalität befördernden positiven Merkmale des Standorts auf eigenen, immer wieder neu zu erbringenden Flexibilitätsleistungen beruhen", schreiben die Soziologen in einem kürzlich erschienenen Buch. [1] Und weiter: "Auf dieser Basis hat sich in der Belegschaft eine 'kompetitive' Solidarität herausgebildet, die zwar einer solidarischen Gleichbehandlung aller Beschäftigten das Wort redet, die aber von jeden einzelnen entsprechende Leistungen einfordert".

Zur positiven Identifikation mit dem Betrieb gehört auch die Bereitschaft, sich mehr als nötig zu engagieren, um zum Erfolg des Unternehmens beizutragen. In dieser Sichtweise gehören Leiharbeiter nicht zur Betriebsfamilie. Deswegen hat ein Großteil der Belegschaft auch keine Probleme damit, dass diese weniger verdienen und weniger Rechte haben. Sogar die Forderung nach mehr Druck auf Erwerbslose, damit diese jede Arbeit annehmen, ist aus der Belegschaft häufiger zu hören. Auch hier spielt der Leistungsbegriff eine wichtige Rolle. Wer bereit ist, zum Wohl des Bosses zu buckeln, der verlangt das auch für die Allgemeinheit. So rücken Erwerbslose, die für ihre Rechte kämpfen und nicht bereit sind, ihre Arbeitskraft um jeden Preis zu verkaufen, schnell in die Nähe von Leistungsverweigerern. Und für solche, das ist das Fazit von Holst und Matuschek, "wird die Luft unter den Kollegen dünner".

EIN NEUES FEINDBILD

Die Diskussion um den Sozialchauvinismus hat durch die mittlerweile mehr als ein Jahr alte Debatte um Thilo Sarrazin (SPD) an Bedeutung gewonnen. Der ehemalige Berliner Senator und Deutsche-Bank-Manager hatte mit seinen Äußerungen nicht in erster Linie muslimische MigrantInnen im Visier, wie es in großen Teilen der linksliberalen Medien nahegelegt wird. Zu seinem Feindbild zählen vielmehr alle, die dem Standort Deutschland aus seiner Sicht nicht nützen, wie in einem von Sebastian Friedrich herausgegebenen Sammelband herausgearbeitet wird. [2] Betroffen davon sind ALG-II-EmpfängerInnen ebenso wie migrantische Jugendliche. Das hat Sarrazin bereits in seiner Zeit als Berliner Senator immer wieder deutlich gemacht. Seine Person ist dabei nur der "Lautsprecher" eines Sozialchauvinismus, der Teile der Elite mit "Bild-Lesern" zusammenschweißt.

So hat der sich selbst als "Neo-Aristokrat" bezeichnende Philosoph Peter Sloterdijk die sozialchauvinistische Grundannahme in einem FAZ-Aufsatz in Reinform dargeboten. Während im ökonomischen Altertum die Reichen auf Kosten der Armen gelebt hätten, würden in der "ökonomischen Moderne die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven" leben. Die Leistungsträger und die Unproduktiven sind zentrale Kategorien im sozialchauvinistischen Diskurs. Letztere werden auch gerne als "Transferbezieher" abgewertet. Damit können Erwerbslose genau so gemeint sein wie Aufstocker, aber auch ganze Staaten wie Griechenland im EU-Diskurs. So wurde der "Transferbezieher", der angeblich nicht von eigener Arbeit lebe, zum neuen Feindbild.

HETZE GEGEN DIE CHAVS

Sozialchauvinistisches Denken kann sich mit Unterdrückung auf "ethnischer" Grundlage verknüpfen. Das zeigt sich in den vielerorts um sich greifenden Angriffen gegen Roma und Sinti. Den Angegriffenen wird vorgeworfen, nicht leistungsbereit genug zu sein. Wie sich solche rassistische Stereotypen wiederum mit dem Hass auf das Proletariat verbinden kann, wenn dieses nicht angepasst und eingehegt in die bürgerliche Gesellschaft ist, zeigt sich in Großbritannien am Siegeszug des Begriffs "Chavs", der wahrscheinlich von "Chaavi", dem Roma-Wort für "Kind", abgeleitet wurde. Er tauchte vor knapp zehn Jahren in der Öffentlichkeit auf und wurde immer populärer.

"Er kam zuerst in der Bedeutung von 'junger Angehöriger der Arbeiterklasse in legerer Freizeitkleidung' in den Wortschatz. Aber es schwangen immer auch hasserfüllte, klassenbezogene Bedeutungen mit, ein Chav war gleichbedeutend mit 'antisozialem Verhalten', Geschmacklosigkeit und Nutzlosigkeit", schreibt der Historiker Owen Jones. Er hat kürzlich ein Buch über die Dämonisierung der Arbeiterklasse geschrieben. [3] Nun hat die Kampagne gegen die Chavs ein neues Beispiel geschaffen: Als im Spätsommer in britischen Städten Riots ausgebrochen waren, erreichte die Hetze ihren Höhepunkt. "Plünderer sind Abschaum", diese Parole, die bei den Aufräumarbeiten des patriotischen Mittelstands zu sehen war, wurde im öffentlichen Diskurs weitgehend Konsens. Für viele waren diese Plünderer mit den Chavs identisch.

Jones zeigt auch auf, wie die Kampagne gegen die Unterklasse und die Ideologie vom Ende der Arbeiterklasse verschmelzen. Das Klischee vom Chav tauchte zu einer Zeit auf, als Journalistinnen und Politiker aller Couleur behaupteten, wir alle – auch die vermeintlich aufstrebende Arbeiterklasse – seien nun Mittelschicht. Mit einer großen Ausnahme: All das, was von der alten Arbeiterklasse übrig war, wurde zum problematischen Rest degradiert. So schrieb der rechtsstehende Journalist Simon Heffer: "Was früher einmal die ehrbare Arbeiterklasse genannt wurde, ist fast ausgestorben. Was Soziologen als Arbeiterklasse zu bezeichnen pflegten, arbeitet dieser Tage normalerweise überhaupt nicht, sondern wird vom Sozialstaat unterhalten." Sie habe sich stattdessen zu einer "verkommenen Unterschicht", dem Prekariat, entwickelt. "Wer außerhalb von Mittelschichtbritannien bleibt, ist selbst schuld daran", fasst Jones diese Propaganda zusammen, die keineswegs Großbritannien vorbehalten ist.

DER NORMALE WAHNSINN

Dass ganze Menschengruppen als faule, unproduktive "Schmarotzer" beschimpft werden, ist in Deutschland seit Langem bekannt. Diese Hetze erlebt immer wieder Konjunkturen, etwa wenn diese durch das Zusammenspiel von Boulevard und Politik die Form einer Kampagne annimmt. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Interview des ehemaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, in dem er gegen die "spätrömische Dekadenz" in unserer Gesellschaft wetterte. Es war nur der Startschuss für eine neue Kampagne gegen Erwerbslose, eine der vielen, die zur Verfestigung des Hartz-Regimes beitragen.

Mit der Kategorie des Sozialchauvinismus werden diese Unterdrückungsmechanismen sozial verortet. So kann verhindert werden, dass daraus ein rein moralisierender Diskurs entsteht, wie es beim Rassismus oft der Fall ist. Der Kampf gegen Sozialchauvinismus und Rassismus ist aber vor allem ein Eingriff in soziale Praxen und kann völlig unterschiedliche Formen annehmen. Dass man auch gegen sozialchauvinistische Spaltungen streiken kann, machten finnische Stahlkocher in diesem Sommer deutlich. Sie traten in den Ausstand, um polnische Leiharbeiter bei ihrem Kampf für gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen gegen den deutschen Konzern Beroa zu unterstützen. Der mehrtägige Solidaritätsstreik setzte die Bosse schnell unter Druck. Ein Beroa-Vertreter sagte daraufhin zu, dass das Unternehmen sich zukünftig an die finnischen Gesetze und die vertraglich vereinbarten Bestimmungen halten werde. Der Umgang mit den Leiharbeitern, der in Finnland für Empörung sorge, sei in mitteleuropäischen Ländern üblich, rechtfertigte er sich noch.

Damit hat der Beroa-Vertreter ein wahres und vernichtendes Urteil über die solidarische Kampffähigkeit und -bereitschaft auch der DGB-Gewerkschaften ausgesprochen. Eine Auseinandersetzung mit sozialchauvinistischen Ideologien und Tendenzen, die sich auch unter Lohnabhängigen und Erwerbslosen verbreitet sind, ist unbedingt notwendig. Dagegen hilft nur die Entwicklung von kollektiver Solidaritätsarbeit und Gegenwehr im Alltag. So wird bei Begleitaktionen von Erwerbslosen im Jobcenter eben nicht nach "guten" und "schlechten" Erwerbslosen unterschieden und die gesellschaftliche Spaltung reproduziert. Dadurch kann ein politisches Bewusstsein entstehen, das Sozialchauvinismus zurückdrängt. Ganz verschwinden wird er so schnell nicht, aber zumindest könnte ein Klima erzeugt werden, indem die Mehrausbeutung von Leiharbeitern nicht mehr zum mitteleuropäischen Standard gerechnet wird.

Peter Nowak

Dieser Artikel erschien zuerst in der DIREKTE AKTION 208 – NOV/DEZ 2011.

 

LITERATUR ZUM THEMA

[1] Sebastian Friedrich (Hg.): Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der Sarrazindebatte, Münster 2011.

[2] Thomas Haipeter & Klaus Dörre (Hg.): Gewerkschaftliche Modernisierung, Frankfurt a.M. 2011, u.a. mit dem Beitrag von Hajo Holst & Ingo Matuschek.

[3] Owen Jones: Chavs. The Demonization of the Working Class, London 2011.

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Nicht die Armen in der Welt leben über ihre Verhältnisse, sondern ihre reichen Ausbeuter!(inkl. SilliconSaxcony DD) [95.Thesen]

   


Unsere 95.Thesen
 
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15. Nicht die Armen in der Welt leben über ihre Verhältnisse, sondern ihre reichen Ausbeuter!

 

Unsere 95 Thesen

 

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vertiefend -->> #Hartz-IV: #ausgrenzende #Aktivierung oder Lehrstück über die #Antastbarkeit #Würde des #Menschen

   


Hartz IV: ausgrenzende Aktivierung

oder Lehrstück über

die Antastbarkeit der Würde des Menschen

[via Linksnet]
 
http://linksnet.de/de/artikel/20254
 

Überarbeitetes und mit Anmerkungen und Literaturverweisen versehenes Manuskript zum Thema "Erfahrungen aus der lokalen Umsetzung des SGB II - Strukturen, Leistungsprozess, Handlungsbedarfe"

"Allein der Mensch als Person betrachtet, d. i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über allen Preis erhaben; denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d. i. er besitzt eine Würde (einen absoluten inneren Wert), wodurch er allen andern vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnötigt, sich mit jedem anderen dieser Art messen und auf dem Fuß der Gleichheit schätzen kann."
(Immanuel Kant)

"Wer in Wort oder Schrift oder tätlich oder sonstwie die moralische Gleichheit der Menschen (Bürger und Nicht-Bürger) angreift, also den Versuch unternimmt, eine [Â…] Gruppe von Personen, sei es kollektiv, sei es individuell [Â…] vom Genuß der dem Staatsbürger zustehenden Rechte (u. a. insbesondere von dem einer legalen Pursuit of happiness) auszuschließen [Â…], der macht sich - gleichgültig ob ein derartiger Versuch glückt oder nicht - des ›Verbrechens gegen die Menschenwürde‹ Schuldig und soll mit Kerker [Â…] bestraft werden."
(Hermann Broch)

I

(1) Folgt man der Entstehungsgeschichte des modernen demokratischen Rechtsstaats, so stößt man auf den von der Erfahrung des nationalsozialistischen Terrorregimes beförderten und geprägten Grundgedanken, daß die staatliche Ordnung durch einen politischen Werteund Verhaltenskodex zu spezifizieren und abzusichern sei. Dies läßt sich in besonderer Weise ablesen an der "Grundgesetz" genannten ›Verfassung‹ (2) der Bundesrepublik Deutschland, die ja bekanntlich als Schutzvorkehrung gegen einen Rückfall in die Barbarei der Herrschaft eines autoritären oder totalitären Staats entworfen worden ist und eben deswegen staatliches Handeln nicht nur im Sinne formaler Rechtsstaatlichkeit an Gesetz und Recht bindet (Art. 20 III GG), sondern dieses auch zur Achtung und zum Schutz der als objektive Werteordnung verstandenen Grundrechte verpflichtet (Art. 1 III GG), wie sie im Grundrechtsteil des Grundgesetzes (Art. 1-19 GG) niedergelegt ist. Dort heißt es in der verfassungsrechtlichen Fundamentalnorm von Art. 1 I GG zum Schutz der Menschenwürde ebenso kurz wie gehaltvoll, und zwar ganz in der Tradition der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948, in deren Präambel deutlich hingewiesen wird auf die barbarischen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, die diese Verkündung der Menschenrechte als ein von allen Völkern und Nationen zu erreichendes gemeinsames Ideal motiviert hatten: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Wer sehen will, der sieht, daß die gegenwärtig sich vollziehende Metamorphose der Gesellschaft sich als ein rücksichtsloser Bruch mit der eigenen Geschichte entpuppt, bei der an die Stelle eines contrat social, der Individuen und Gesellschaft miteinander verbindet, zunehmend ein Partikularismus tritt, der sich allein an wirtschaftlichem Erfolg orientiert und dem die Durchsetzung ökonomischer Interessen auch mit den Mitteln außerökonomischer Zwangsgewalt als legitim erscheint. Daß von diesem Gesellschaftsvertrag immer mehr Abstand genommen wird, läßt sich überall erkennen: an der Arroganz, mit der die Apologeten der fundamentalistischen Heilslehre des Neoliberalismus das Gesetz der freien Konkurrenz als das einzige Gesetz, das sie gelten lassen, verkünden und durchsetzen, an dem massenhaften Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Prekarität der Arbeitsverhältnisse, an dem Ab- und Umbau der sozialstaatlichen Sicherungs- und Unterstützungssysteme, an der wachsenden Zahl von Menschen, die aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden und denen die Chance auf Teilhabe verwehrt wird. Zugleich wird Abschied genommen von einer Utopie, die seit über 200 Jahren das große Ziel abendländischer Politik war: nämlich von einer demokratisch verfaßten Gesellschaft autonomer Individuen, die die Art und Weise ihres Zusammenlebens selbst bestimmen. Im Gegenteil, beschritten wird ein Weg in einen autoritären Staat, bei dem nicht nur die seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert mühsam erkämpften sozialen Errungenschaften wie etwa der Normalarbeitstag oder die sozialstaatlichen Arrangements zum Beispiel zur Sicherung der Reproduktion der Arbeitskraft bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit den Gesetzen des Marktes geopfert werden, sondern bei dem auch die Leidtragenden dieser Entwicklung, die sogenannten Modernisierungsverlierer, intensivierter gesellschaftlicher Kontrolle und verschärfter staatlicher Repression ausgesetzt sind. Hierbei kommt der Sozialpolitik, gewissermaßen von ihren ursprünglich solidarischen Füßen auf den nunmehr sozialdarwinistischen neoliberalen Kopf gestellt, eine zentrale Schlüsselstellung zu, indem sie, statt die Sicherung der Existenz zu gewährleisten, fortan subjektive Unsicherheit und Verunsicherung zur Grundlage der von ihr im Einklang mit den Verfechtern der neoliberalen Heilslehre geforderten Eigenverantwortung erhebt. Deutliches Beispiel hierfür ist jene Politik, die unter dem Euphemismus "aktivierender Sozialstaat" (3) - insbesondere mit der Verabschiedung des umgangssprachlich Hartz IV genannten "Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt " (SGB II) (4), das organisatorisch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und materiell die Existenz-, das heißt die "Grundsicherung für Arbeitsuchende" zum Gegenstand hat - , einen Paradigmenwechsel in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik herbeigeführt hat, dessen längerfristigen Konsequenzen für die soziale und politische Realität der bundesrepublikanischen Gesellschaft so recht noch gar nicht abzusehen sind.

Um zu begreifen, was sich tatsächlich vor unseren Augen abspielt, ist es erforderlich, genau hinzuschauen und sich den Unterschied zwischen Intention und Proklamation zu vergegenwärtigen, will sagen, es ist zu bedenken, daß das, was einem in Form einer Regierungserklärung oder eines Gesetzestextes als Ziel präsentiert wird, nicht mit den Absichten übereinstimmen muß, die sich hinter den öffentlichen Verlautbarungen wortreich verkleidet verbergen. Und dies wiederum verlangt, das geäußerte Wort zum einen zwar wortwörtlich ernst zu nehmen, es zum anderen aber auch kritisch daraufhin zu befragen, ob und inwieweit es auch mit dem ihm eigentlich entsprechenden Handeln übereinstimmt, und, so dies nicht der Fall ist, über die möglichen Gründe für die festgestellte Inkongruenz von Wort und Tat zu reflektieren. Mit Blick auf die Frage, was sich tatsächlich hinter der Aktivierungspolitik à la Hartz IV verbirgt, sollen daher im folgenden, selbstredend ohne die Frage erschöpfend beantworten zu können, im ersten Schritt (II) einige Aspekte beleuchtet werden, anhand deren die Absurdität der von vielen geteilten Annahme plausibilisiert werden kann, der Gesetzgeber verfolge mit dem SGB II das Ziel der ›Integration‹ der Arbeitslosen.(5) Es ist vielmehr das Gegenteil der Fall, das heißt, daß an die Stelle der bisherigen politischen Programmatik der Gewährleistung von Chancen gesellschaftlicher Teilhabe durch sozialstaatliche (Wieder-)Eingliederungsmaßnahmen die neoliberale Praxis der sozialpolitischen Produktion und Verwaltung sozialer Ausgrenzung getreten ist. Sodann werden im zweiten Schritt (III) einige Überlegungen anzustellen sein hinsichtlich der unheilvollen, weil sozial desintegrativen und politisch involutiven (6) Konsequenzen der beschriebenen Politik für eine ihrem Anspruch nach demokratisch verfaßte Gesellschaft.

II

Eine sprachanalytische Befassung mit § 1 I SGB II klärt einen darüber auf, so man dem syntaktischen Aufbau eine Bedeutung zumessen will, daß nicht die Absicherung des Lebensunterhalts, sondern die Stärkung der Eigenverantwortung das vordringlichste Ziel von Hartz IV ist. Die sich hierin artikulierende Betonung der Eigenverantwortung beruht zum einen auf dem sozialpolitischen Stereotyp, daß die durch den Sozialstaat geleistete Hilfe unwirksam sei und den Status scheinbarer wie auch realer Hilfebedürftigkeit der Betroffenen verfestige, weil die den Betroffenen erwiesene Hilfe nicht nur deren Eigenmotivation und -initiative nicht fördere, sondern diese sogar hemme. Zum anderen gründet sie klar erkennbar auf der Annahme, daß man nur die durch den Staat gewährte Fremdhilfe hinreichend weit zurücknehmen müsse, um bei den Betroffenen die Einsicht zur Notwendigkeit von Eigen- oder besser Selbsthilfe befördern zu können (vgl. statt anderer ausdrücklich Feist 2000), womit die Vertreter des Stereotyps den Betroffenen prinzipiell Handlungsvermögen unterstellen und Eigenverantwortung für ihr Handeln und damit Schuld für Verfehlungen zuschreiben. Hierzu ist kritisch anzumerken, daß verantwortlich jemand jedoch nur für das ist, wofür er etwas kann, was die Frage nach der Bedeutung und den Voraussetzungen des Dafür-Könnens aufwirft.

Als Minimalbedingung gehört hierzu die Handlungsfähigkeit, das heißt das Vermögen einer Person, kausal und intentional Ereignisse herbeiführen, Zustände verändern, Prozesse auslösen, also etwas in der Welt bewirken zu können. Einer Person zurechenbar sind allerdings nur solche Handlungsfolgen, die sie normalerweise voraussehen und aufgrund dieser Voraussicht auch kontrollieren und, bei unerwünschten Folgen, auch vermeiden hätte können. Die Frage, ob eine Person etwas für die Folgen ihres Handelns kann, läßt sich mithin letztlich nur dann beantworten, wenn man Aussagen über die internen und externen Handlungsbedingungen machen kann, unter denen konkret gehandelt wird, wozu kognitive Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten, Willensstärke und psychische Dispositionen wie Selbstkontrolle und -steuerung ebenso gehören wie die materiellen, zeitlichen, kulturellen und sozialen externen Faktoren, die aus dem Handelnden die Person gemacht haben, die sie ist.

Wenn nun die Theoretiker und Praktiker der Eigenverantwortung die Adressaten ihrer Hilfsmaßnahmen anzuhalten trachten, eigenverantwortlich zu handeln, so ist in der realen Welt - anders als in den Köpfen der Apologeten der Eigenverantwortung - zunächst einmal völlig offen, ob es sich bei den Voraussetzungen und Bedingungen eigenverantwortlichen Handelns um ein tatsächlich vorhandenes und nur wieder zu aktivierendes (7) internes persönliches Vermögen handelt und ob der Mobilisierung des Handlungsvermögens externe Hemmnisse entgegenstehen. Daraus folgt, daß sowohl im Falle eines unzureichenden Handlungsvermögens wie auch im Falle der Existenz externer Restriktionen zur Mobilisierung desselben dem Adressaten der staatlich verordneten Eigenverantwortung, wie sie namentlich im SGB II ihren konkreten Niederschlag gefunden hat, eine Aufforderung zur eigenen Initiative als grotesk erscheinen muß und von ihm als eine - unter Umständen sogar repressiv aufgenötigte - Form der Fremdbestimmung und Disziplinierung erlebt wird, was selbstredend auch dann zutrifft, wenn der Adressat der Aufforderungen sich selbst und seine Fähigkeiten anders deutet und versteht, als ihm seine Aktivierer zumuten.

Der hier in Rede stehende Sachverhalt der Priorisierung der Eigenverantwortung gegenüber der Existenzsicherung ist nun in besonderer Weise aufschlußreich, weil er einen spezifischen Bruch symbolisiert mit der Tradition des Sozialstaates, wie er in Art. 20 I GG seinen verfassungsrechtlichen Ausdruck gefunden hat. Denn mit der Betonung der Eigenverantwortung als inhaltlichem Kern der neuen Grundsicherung wird Abstand genommen von der Idee, die das alte Gesetz zur Existenzsicherung, das seinerzeitige BSHG, noch explizit leitete. Dort hieß es nämlich in § 1 II BSHG, Aufgabe der Sozialhilfe sei es, "dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht". Dies hatte selbstredend damit zu tun, daß die Institutionalisierung der Sozialhilfe seinerzeit, das heißt 1962, mit der festen Überzeugung erfolgte, vor dem Hintergrund der ›Wirtschaftswunder‹ genannten prosperierenden und mit Vollbeschäftigung einhergehenden ökonomischen Entwicklung käme Armut nur noch die Bedeutung eines gesellschaftlichen Randphänomens zu, weswegen der Fürsorge beziehungsweise Sozialhilfe denn auch die Rolle eines "Lückenbüßers" (Achinger 1958: 110) zugewiesen wurde. Eine Überzeugung, die sich allerdings alsbald als haltlos erwies, als sich mit der ökonomischen Krise 1974/75 Arbeitslosigkeit als strukturell bedingte und dem zentralen Auslöser für den Bezug von Sozialhilfe (vgl. Brinkmann et al. 1991) zu verfestigen begann. Indem sich nun die Gesetzgebung, vor allem finanz- und arbeitspolitisch (8) motiviert, mit dem SGB II von dem Leitgedanken der Führung eines menschenwürdigen Lebens distanziert hat, ist sie wieder auf den Stand vor dem BSHG zurückgefallen, als Fürsorge Hilfebedürftigen gewährt wurde lediglich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, nicht aber um ihrer selbst willen. Ein Sachverhalt, den das Bundesverwaltungsgericht mit einer Entscheidung aus dem Jahre 1967 wie folgt kritisierte: "Wenn die Bundesrepublik als ein sozialer Rechtsstaat verfaßt und dem Staat die Menschenwürde anvertraut ist, so kann die Fürsorge nicht mehr als polizeiliche Armenpflege verstanden werden. Sie ist ein Teil der der staatlichen Gewalt aufgegebenen aktiven Sozialgestaltung, und innerhalb dieser aktiven Sozialgestaltung hat der einzelne Hilfesuchende eine Subjektstellung" (BVerwGE 27/63).

Zur Realisierung der programmatischen Kernaussage des SGB II sind nach § 1 i.V.m. § 4 zwei Leistungsarten vorgesehen: zum einen und zuvörderst Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und zum zweiten und nachgeordnet Leistungen zur Existenzsicherung. Auch hierin zeigt sich im Vergleich zum seinerzeitigen BSHG die grundlegende Neuausrichtung der sozialstaatlichen Existenzsicherung. Heute wie damals wird nur denjenigen das Recht auf Existenzsicherungsleistungen zuerkannt, die entweder über kein existenzsicherndes Einkommen oder verwertbares Vermögen verfügen oder nachweisbar erwerbsunfähig sind. Umgekehrt formuliert heißt dies aber auch, daß heute wie damals eine Verpflichtung besteht, die eigene Arbeitskraft zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Allerdings mit dem bedeutsamen Unterschied, daß heute nicht mehr wie damals der Satz gilt "Arbeit statt Sozialhilfe", sondern vielmehr "Arbeit für Sozialhilfe", mit dem das geänderte Verständnis formelhaft auf den Punkt gebracht wird und das im Angelsächsischen mit der Phrase "welfare to work" (9) seine sprachliche Entsprechung hat. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, auf seiten des hilfebedürftigen Bürgers bestünde eine Pflicht, die staatlich gewährte Existenzsicherung als Gegenleistung ›abzuarbeiten‹, eine Vorstellung, die einen zwar durchaus an das neutestamentarische Gebot "Wenn einer nicht arbeiten will, dann soll er auch nicht essen!" (2. Thess. 3, 10) erinnert, das aber in jenen Tagen gemünzt war gegen eine müßiggehende Oberschicht, während es heutzutage abstellt auf Hunger und Verelendung als Triebkraft für Arbeitsmotivation und damit auf den stummen Zwang der Existenznotwendigkeiten. (10) Wenn man dieser Leistung-Gegenleistung-Konzeption anhängt, die ja insofern einen Einbruch der Ökonomie in das Soziale darstellt, als es dem gemeinen politischen und auch wissenschaftlichen Denken zunehmend unmöglich erscheint, sich eine Leistung ohne Gegenleistung vorzustellen, dann ist es nur konsequent, sich nicht mehr ernsthaft, wie es der Gesetzgeber mit dem SGB II tut, um die Eingliederung der hilfebedürftigen Arbeitslosen in den Ersten Arbeitsmarkt (11) zu kümmern, sondern diesen ›Arbeit um jeden Preis‹ aufzuzwingen. Was man unter dem euphemistisch als "Aktivierung" beschriebenen Aufzwingen von ›Arbeit um jeden Preis‹ zu verstehen hat, mögen ein paar Hinweise verdeutlichen.

Den erwerbsfähigen hilfebedürftigen Beziehern von Arbeitslosengeld II stehen, wie den dem Arbeitsförderungsrecht SGB III zu subsumierenden Arbeitslosen auch, zwar Leistungen nach SGB III zu, gemäß § 16 I SGB II jedoch nur als Kann-Leistungen. Wegen der begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel für Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung kommt dies allerdings faktisch einem Ausschluß von diesen Leistungen gleich, was im Klartext gesprochen heißt, daß den Arbeitslosengeld-II-Beziehern im Regelfall keine existenzsichernde Erwerbsarbeit angeboten, sondern nur die Pflicht auferlegt wird, in einem rechtlich prekären Status eine Gegenleistung für den Erhalt der Grundsicherung zu erbringen, sei es in Form von Minioder Midi-Jobs (12) oder in Form der Arbeitssimulation in Praktika ohne Aussichten auf Übernahme in reguläre Beschäftigung oder von Maßnahmen zur Überprüfung der Arbeitswilligkeit oder im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, also den sogenannten Zusatz- oder Ein-Euro-Jobs (13), die zwar den Arbeitsgelegenheiten des früheren BSHG nachgebildet sind (14), denen aber im SGB II eine völlig andere arbeitsmarktpolitische Aufgabe zugewiesen wird, nämlich nicht Arbeitslosigkeit wie früher als temporäres individuelles, sondern als strukturelles kollektives ›Schicksal‹, sprich als Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Es sprechen etliche Gründe dagegen, daß nun mit den im SGB II vorgesehenen Eingliederungsleistungen das Ziel der möglichst schnellen und quantitativ bedeutsamen Verringerung der Massenarbeitslosigkeit zu realisieren ist, so man denn damit die Eingliederung in eine existenzsichernde sozialversicherungspflichtige sowie arbeits- und tarifrechtlich abgesicherte Erwerbsarbeit verbindet und nicht ›Arbeit um jeden Preis‹. Der wichtigste Grund hierfür ist wohl der, daß angesichts der de facto bestehenden enormen Arbeitsmarktlücke zwischen Arbeitskraftnachfrage (offene Stellen) und Arbeitskraftangebot (Stellensuchende) zuungunsten des letzteren jegliches Eingliederungsbemühen, sei es auch das bestgemeinte, über gelungene Einzelfälle hinaus ins Leere laufen muß. Dies ist darauf zurückzuführen, daß vermittlungsorientierte Dienstleistungen wie etwa die hier in Rede stehenden Eingliederungsleistungen Information, Beratung sowie umfassende Unterstützung durch den hierfür in den §§ 4 I 1, 14 SGB II vorgesehenen "persönlichen Ansprechpartner" (15) - im managerialen Verdummungsdeutsch der Hartz-Kommission nunmehr "Case-Manager" (Hartz et al. 2002: passim) genannt (16) - strukturell unzulänglich sind, da sie Ziele und Wirkungen anstreben, die außerhalb der Reichweite der Dienstleistungskette liegen, soll heißen, daß die Besetzung oder gar Schaffung von Arbeitsstellen durch die Dienstleister, auch wenn sie dies wollten, selbst nicht herbeigeführt werden kann. Und auch nicht soll, zumindest wenn es nach den neoliberalen "Evangelisten des Marktes" (Dixon 2000) ginge, denen jeglicher Staatsinterventionismus als ein den Markt lähmendes Gift erscheint, es sei denn, dieser diene der Inneren Sicherheit, wovon die gegenläufige Entwicklung vom "Rückzug des wohltätigen Staates" einerseits und dem "Vormarsch des strafenden Staates" andererseits (vgl. etwa Wacquant 1997 mit Bezug auf die USA) beredtes Zeugnis ablegt.

Der hier beschriebene Sachverhalt des strukturellen Unvermögens, Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt bei Massenarbeitslosigkeit in Übereinstimmung zu bringen, ist dem Alltagsdenken ebenso gewiß wie die banale Tatsache, daß man Geld nicht zweimal ausgeben kann. Daraus wird für gewöhnlich gefolgert, wenn die bestehende Arbeitsmarktlücke schon nicht auf direktem Wege zu schließen sei, so müsse sie doch wenigstens prospektiv auf indirektem Wege geschlossen werden können durch Maßnahmen zu Erhalt, Verbesserung oder Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit (17), im Workfare-Jargon "employability" genannt, wie sie etwa mit den Ein-Euro-Jobs verbunden werden. Es ist hier nicht der geeignete Ort, um sich mit der ökonomischen Torheit der Ein-Euro-Jobs eingehend auseinandersetzen zu können, auf die Frage ihrer Grundgesetzkonformität beziehungsweise -widrigkeit wird weiter unten noch einzugehen sein. Doch vor dem Hintergrund der ernüchternden Befunde empirischer Studien zu den Eingliederungseffekten von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in reguläre Beschäftigung (vgl. Caliendo et al. 2005) ist soviel klar, zumindest dem wissenschaftlichen Denken im Gegensatz zu dem stark vorurteilsbehafteten Alltagsdenken, daß die Beschäftigung von Arbeitslosen in Ein-Euro-Jobs dem vorrangig herausgestellten Ziel von Hartz IV einer möglichst raschen Eingliederung in den Ersten Arbeitsmarkt wenig zuträglich ist. Im Gegenteil. Es kann sogar begründet angenommen werden, daß gerade die Politik der "Aktivierung" von Arbeitslosen durch Beschäftigung in Ein-Euro- Jobs in doppelter Weise kontraproduktiv ist, weil mit ihr erstens die Gefahr der Ersetzung oder Verdrängung regulärer Beschäftigung am Ersten Arbeitsmarkt zunimmt und weil sie zweitens nicht zur gesellschaftlichen Integration der Arbeitslosengeld-II-Bezieher beiträgt, sondern umgekehrt zu deren sozialen Ausgrenzung, denn Ausgrenzung, verstanden als Beschränkung oder Vorenthaltung von namentlich über Erwerbsarbeit und Geld vermittelter Teilhabe an mehr oder weniger zentralen Bereichen oder Ressourcen der Gesellschaft, beginnt nicht erst mit Langzeitarbeitslosigkeit, sondern bereits mit der Beschäftigung in prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Es wird hier bewußt von ›sozialer Ausgrenzung‹ und nicht von ›sozialer Exklusion‹ gesprochen, weil letztgenannter Begriff im Kontext der die deutschsprachige Exklusionsdebatte dominierenden Luhmannschen Systemtheorie nicht notwendigerweise eine "problematische individuelle Lebenslage" (Scherr 2004: 62) bezeichnet. Hieraus sollte allerdings nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, der ungleichheits- beziehungsweise klassentheoretische Begriff ›soziale Ausgrenzung‹ beschreibe seinerseits nur den umfassenden und dauerhaften Ausschluß von Personengruppen aus allen gesellschaftlichen Teilsystemen. Er stellt vielmehr ab auf ein Kontinuum mit den "Extremen von physischer Entfernung einerseits und der Wegnahme des wichtigsten Mittels der sozialen Teilhabe: nämlich Geld andererseits " (Steinert 2000: 10), wobei ein Phänomen nur dann als ›soziale Ausgrenzung‹ kategorisierbar ist, wenn es so häufig und weit verbreitet ist "dass man es nicht mehr als selbstverschuldet sehen kann, dass es vielmehr als das Ergebnis unpersönlicher Kräfte außerhalb der Kontrolle der Betroffenen verstanden werden muss" (ebd.: 8), wie Massenarbeitslosigkeit zum Beispiel, der mit Maßnahmen ›sozialer Kontrolle‹ nur unzulänglich begegnet werden kann. (18)

Gleichviel: Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, daß mit der Maxime "Jede Arbeit ist besser als keine" (19), die der "aktivierenden Arbeitsmarktpolitik" zugrundeliegt, es unter Umständen gelingen mag, Arbeitslose in irgendeine Arbeit zu bringen. Doch es ist zu erwarten, daß es damit auch unter den Erwerbstätigen zu einer Verbreitung von Einkommensarmut (20) kommt, wodurch der Weg gebahnt wird in eine Gesellschaft, die von dauerhafter drastischer sozialer Ungleichheit geprägt ist. Dies zeigen jedenfalls die Erfahrungen aus den USA und Großbritannien (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2005: 215), jene Länder also, die mit ihrer Workfare-Politik unter Bill Clinton und Tony Blair der damaligen rot-grünen Bundesregierung als Vorbild dienten für deren workfare-politisches Konzept des "aktivierenden Sozialstaates" mit seinem sich auch im SGB II wiederfindenden zentralen Handlungsgrundsatz des "Fördern und Fordern".

Das im SGB II zuvörderst genannte Ziel der Vermittlung von hilfebedürftigen Arbeitsuchenden auf im Ersten Arbeitsmarkt faktisch nicht vorhandene Arbeitsplätze zwingt die Grundsicherungsträger respektive deren Fachpersonal vor dem Hintergrund des Diktats des wirtschaftlichen, das heißt effizienten und effektiven Umgangs mit den vorhandenen knappen Ressourcen zur fortwährenden "fürsorglichen Belagerung" ihrer Klientel, mit der elementare Grundrechte mißachtet oder gar außer Kraft gesetzt werden. Seinen Ausdruck findet dies in der Art und Weise, wie das ebenfalls aus dem US-amerikanischen und britischen Kontext stammende Konzept des Case- beziehungsweise Care-Managements durch die Hartz-Kommission (vgl. Hartz et al. 2002: 66 ff.) im Hinblick auf die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und Aufrechterhaltung der Arbeitswilligkeit aufgegriffen und im SGB II implementiert wurde. (21)

Ursprüngliches Ziel des Case-Managements war, zwei Orientierungen so effizient und effektiv wie möglich in Übereinstimmung zu bringen, nämlich die Bedarfe des hilfesuchenden Klienten auf der einen Seite mit den Angeboten der Erbringer "personenbezogener sozialer Dienstleistungen" (vgl. grundlegend Bauer 2001) auf der anderen Seite, wobei im Idealfall die Tätigkeit des Case-Managers in seiner Rolle als ›Anwalt des Klienten‹ (22) darauf zielt, beide Orientierungen zugunsten der Bedarfsnotwendigkeiten des konkreten Einzelfalls zu integrieren.

Dies heißt allerdings nicht, alles zu tun, was der Klient will, noch ihm etwas anzudienen, was er nicht will, sondern mit dem Klienten gemeinsam Bewältigungsstrategien zu entwickeln, die seiner spezifischen Bedarfslage angemessen sind (vgl. Buestrich, Wohlfahrt 2005: 313 f.), weil nämlich die Frage, ob Hilfebedürftigkeit besteht, nicht allein von dem Helfer festzustellen ist, sondern nur das Ergebnis einer gemeinsamen Erörterung sein kann, wie auch die Mittel, mit denen, und die Ziele, auf die hin zu helfen ist, keineswegs von Anfang an festliegen, sondern ebenso als Ergebnis eines diskursiven Prozesses legitimierbar sein müssen, sofern an der vernunftmäßig begründbaren Einsicht und dem darauf aufbauenden Postulat festgehalten wird, daß es ein Recht des Hilfebedürftigen auf ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben gibt, dem die sittlich begründete Pflicht korrespondiert, diesem die hierzu erforderliche Unterstützung angedeihen zu lassen. Zu ignorieren, daß nur der Hilfebedürftige selbst authentisch über seine Hilfebedürftigkeit befinden kann, hieße, dessen Würde zu verletzen und dessen Vorstellung von der Führung eines gelingenden Lebens zu mißachten. Denn wie kann es angehen, des Menschen Würde für unantastbar zu halten und schützen zu wollen, wie es zum Beispiel das Grundgesetz in seiner Fundamentalnorm Art. 1 GG vorsieht, ohne daß diejenigen, die da Würde besitzen sollen, mitbestimmen, was denn ihre Würde wirklich sei?

In vorstehendem Verständnis von Case-Management wird die Beziehung zwischen Case-Manager und Klient also als ein sozialer Interaktionsprozeß beschrieben, in dem Helfer und Klient gemeinsam mit der Definition dessen beschäftigt sind, was dem Klienten fehlt und wie Abhilfe geschaffen werden kann. Gegen eine solche normativ aufgeladene Sichtweise läßt sich allerdings mit der Kühle des analytischen Blicks der prinzipielle Einwand formulieren, daß in Organisationen institutionalisierte und verberuflichte Hilfe weder auf der Grundlage von reziproken Erwartungsstrukturen noch auf der von religiös-moralischen Motiven, sondern auf der von Entscheidungsprogrammen erbracht wird (23), in denen definiert ist, wem wann wie geholfen werden kann, soll oder muß, womit zugleich die Herausbildung einer asymmetrischen Beziehung zwischen dem hilfebedürftigen beziehungsweise -suchenden Klienten und dem potentiell hilfeleistenden Helfer verbunden ist.

Jenseits dieser grundsätzlichen Kritik, die gegen die ideologisch verbrämte Sicht des Case-Managers als ›Anwalt des Klienten‹ vorgebracht werden kann, weil sie unzulässigerweise von den sachlichinhaltlichen, zeitlich-räumlichen und sozial-interaktiven Rahmenbedingungen des beruflichen Hilfeprozesses (vgl. Wolff 1981) abstrahiert, ist mit Blick auf den im SGB II institutionalisierten Hilfeprozeß festzuhalten, daß hier das Case-Management mitnichten beschrieben werden kann als ein sozialer Interaktionsprozeß, der sich charakterisieren ließe durch Freiwilligkeit der Inanspruchnahme der Hilfe, eine symmetrische Helfer-Klient-Beziehung und Offenheit hinsichtlich des Ergebnisses der Hilfe, also Grundsätze und Bedingungen, wie sie für das Gelingen von sozialen Beratungsleistungen zur Unterstützung von Hilfesuchenden in prekären materiellen Lebenslagen wie Arbeitslosigkeit oder Armut (vgl. insbesondere Bartelheimer/ Reis 2001) vorausgesetzt sind.

Dies kommt allein schon deutlich in dem von der Hartz-Kommission verfolgten Ziel zum Ausdruck, das Case-Management als ein Präventionsinstrument zu konzipieren, mit dem Langzeitarbeitslosigkeit frühzeitig erkannt werden soll, um eine damit gegebenenfalls erforderliche Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen ausschließen zu können (vgl. Hartz et al. 2002: passim). Es zeigt sich ferner in der Betonung des "Fordern" gegenüber dem "Fördern", das sich zum einen ablesen läßt an der Regelungssystematik des SGB II selbst, das dem Grundsatz des "Fordern" mit § 2 eindeutig Priorität einräumt vor dem des "Fördern" mit § 14 und welches das "Fordern" ausgestaltet als Muß- Leistung und das "Fördern" lediglich als Kann-Leistung, was gleichbedeutend ist mit einer Suspendierung individueller Rechte (vgl. Schruth 2004: 3). Es läßt sich zum anderen auch und vor allem identifizieren an der in § 48 SGB II vorgesehenen Zielvereinbarung, die der Grundsicherungsträger, das heißt hier die Bundesagentur für Arbeit, abschließen muß zur Erreichung der SGB-II-Ziele mit dem für sie zuständigen Ministerium im Einvernehmen mit dem Finanzministerium. Da Zielvereinbarungen betriebswirtschaftlich ausgerichtet sind beziehungsweise sich an der Haushaltslage orientieren, stellen sie den finanziellen Handlungsrahmen dar, innerhalb dessen sich der Case-Manager zu bewegen hat, so daß ihm denn auch so gut wie kein Handlungsspielraum verbleibt, um im Rahmen der Dienstleistungserbringung entsprechend der ihm im Ideal zugedachten Rolle als ›advocate‹ anwaltlich im Interesse der Klienten zu handeln. Im Gegenteil, der Case-Manager gerät dadurch in die Rolle eines ›gate-keepers‹, also eines Türstehers, dessen Aufgabe darin besteht, arbeitslosen hilfebedürftigen Klienten den erstmaligen oder fortgesetzten Zugang zu den Unterstützungsleistungen zu verwehren, indem sie durch vorgeschaltete Aktivierungsmaßnahmen, etwa sogenannte "Sofortangebote" (24), und aggressives Case-Management, das heißt Strategien der "Verfolgungsbetreuung" (25), mit Leistungsausschlüssen oder -kürzungen konfrontiert werden (vgl. Fetzer 2006: 34 ff.).

Daß durch den Case-Manager also eine Selektion stattfindet, die sich nicht an dem Hilfebedarf des Klienten orientiert, sondern an den finanz- und organisationspolitischen Interessen des Grundsicherungsträgers, dies wird verstärkt durch die widersprüchlichen Bedingungen, unter denen sein Handeln erfolgt, nämlich auf den Arbeitsmarkt objektiv keinen maßgeblichen Einfluß nehmen zu können, dafür aber sehr wohl auf den hilfesuchenden und -empfangenden Arbeitslosen, so daß sich die den Hilfeprozeß steuernden Anstrengungen einer Vermittlungsarbeit auch zwangsläufig darauf konzentrieren, das auf der Makroebene angesiedelte Problem der Massenarbeitslosigkeit auf der Mikroebene des individuellen Verhaltens durch Anpassung, sprich Unterwerfung der Klienten an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes zu überwinden, was wiederum die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von repressiven Mitteln wie die Einrichtung von Arbeitszwang oder die Drohung mit der Reduzierung oder gar vollständigem Entzug der Unterstützungsleistungen erhöht.

Nahegelegt wird diese Sichtweise aufgrund der sich mit dem Neoliberalismus vollziehenden Neudefinition des Verhältnisses von Staat, Ökonomie und Gesellschaft, wonach das Ökonomische nicht mehr, wie im Frühliberalismus, ein fest umrissener und eingegrenzter gesellschaftlicher Bereich mit spezifischer Rationalität, Gesetzen und Instrumenten ist, sondern nunmehr prinzipiell die Gesamtheit menschlichen Handelns umfaßt und über die Form des Marktes Staat und Gesellschaft als Organisationsprinzip dient (vgl. Lemke et al. 2000: 14 ff.), wandelt sich auch der Bürger vom Arbeitskraftbesitzer zum Unternehmer seiner selbst beziehungsweise zum "Arbeitskraftunternehmer" (Voß/Pongratz 1998). Dieser hat nicht bloß seine Arbeitskraft, sondern seine ganze Persönlichkeit als Ware auf dem Markt gewinnbringend feilzubieten, was erfordert, sich selbst als Unternehmen zu begreifen und entsprechend zu führen, das heißt, den gesamten eigenen Lebenszusammenhang aktiv an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und unternehmerischen Kalkülen auszurichten. Das von der Hartz-Kommission inaugurierte und an das "Wörterbuch des Unmenschen" (Sternberger et al. 1986) erinnernde und demzufolge auch zu Recht zum Unwort des Jahres 2002 erklärte Wort "Ich-AG" (vgl. hierzu namentlich Lessenich 2003b) bringt expressis verbis die hinter ihm stehende Ideologie zum Ausdruck: Das Akronym ›AG‹ steht für das Ich als Aktiengesellschaft, für das ökonomische Individuum, für den arbeitskraftbesitzenden Menschen als Unternehmer seiner selbst, bei dem gewissermaßen Unternehmer- und Managerfunktion zusammenfallen, so daß er zugleich als "Eigentümer und Betriebsleiter seiner selbst" (Bröckling 2000: 154) erscheint. - Und was den erwähnten Arbeitszwang anbelangt, so handelt es sich dabei nicht um eine bloße Denkmöglichkeit: In seinem Gutachten zur Vereinbarkeit ausgewählter Bestimmungen des SGB II mit dem Grundgesetz kommt Wende zu der Einschätzung, daß - gemessen am Maßstab des Verbotes von Arbeitszwang und Zwangsarbeit, wie es Art. 12 II, III GG vorsieht - die Reduzierung und der Entzug des Arbeitslosengeldes II gemäß § 31 I SGB II grundgesetzwidrig ist, "soweit die Aufnahme von Arbeitsgelegenheiten gegen den Willen des Betroffenen verlangt wird und diesem der Arbeitsmarkt verschlossen ist" (Wende 2004: 54). Für eine solche Praxis ist die Bundesrepublik Deutschland bereits vor einigen Jahren schon einmal von einem Sachverständigenausschuß der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen gerügt worden, weil die Verpflichtung von sozialhilfeempfangenden Asylbewerbern auf der Grundlage der im BSHG vorgesehenen Arbeitsgelegenheiten als "nicht mit den Bestimmungen zum Verbot der Zwangsarbeit vereinbar" (zit. nach: Bust-Bartels 2004: 1) sei. Dort ist in Art. 2 I des von der Bundesrepublik Deutschland 1957 ratifizierten ILO-Übereinkommens Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit festgelegt: "Als ›Zwangs- oder Pflichtarbeit‹ gilt jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.")

Erleichtert wird dem Case-Manager das obig beschriebene Vorgehen durch ein politisch und massenmedial hergestelltes gesellschaftliches Klima der "Entsachlichung und normative[n] Dichotomisierung von Problemen" (Prisching 2003: 231), in dem wider besseres Wissen (26) zum Zwecke der Verdeckung handfester Interessenlagen Arbeitslose unter Generalverdacht gestellt werden, "Drückeberger", "Faulenzer", "Sozialschmarotzer" oder "Parasiten" zu sein, so daß es völlig legitim erscheint, gegen diese vermeintlich das Gemeinwohl schädigenden ›innerstaatlichen Feinde‹ mit aller Härte und ›Null-Toleranz‹ (vgl. Hansen 1999) vorzugehen und ihre soziale Ausgrenzung voranzutreiben, sie "auszufördern", wie es im Behördenjargon unverblümt heißt. Beispiel hierfür ist unter anderem die unsägliche, vom vormaligen Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement zu verantwortende Mißbrauchskampagne, in der auf der Grundlage ausgewählter Einzelfälle von Sozialleistungsmißbrauch Arbeitslose (27) pauschal der "Abzocke" (BMWA 2005: passim) bezichtigt und expressis verbis als "Parasiten" (ebd.: 10) bezeichnet wurden, eine Kategorisierung, die vorzunehmen in bezug auf Menschen sich vor allem wegen ihrer Nähe zur Propagandasprache des Nationalsozialismus (vgl. unübertroffen Klemperer 1969) (28) verbietet, die sich aber, wie ersichtlich, nichtsdestoweniger einer gewissen Beliebtheit erfreut, weil sie es erlaubt, die mit ihr bezeichneten Personen auszugrenzen (vgl. Steinert 2000: 17). (29) Dem scheint, zumindest auf den ersten Blick, die Einberufung eines Ombudsrates Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. Bergmann et al. 2005) durch Clement selbst zu widersprechen, zielt doch die aus Schweden stammende Grundidee der Institution eines Ombudsmanns darauf, einen Treuhänder mit der Wahrnehmung spezifischer Rechte der Bürger gegenüber dem Staat zu beauftragen, um deren ungerechte Behandlung durch diesen zu verhindern (30), und zwar unter anderem durch eine objektive Betrachtung des zwischen Staat und Bürger strittigen Sachverhalts und durch Abwägung der von beiden Seiten vorgebrachten Argumente. Betrachtet man sich jedoch die personelle Besetzung des Ombudsrates, so kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, als sei hier gewissermaßen der Bock zum Gärtner gemacht worden, weil dessen Mitglieder in den Chor derer einstimmen, die, wie Clement und eine ihm willfährige Journaille, die hilfesuchenden und -empfangenden Arbeitslosen pauschal diskriminieren, indem sie diese zum Beispiel ungerechtfertigt zu den Verursachern der Kostenexplosion beim Arbeitslosengeld II abstempeln. (31)

III

Die hier bloß in groben Zügen dargestellte Aktivierungspolitik, die mittels Maßnahmen der Entsicherung und Entrechtung auf eine Re-Kommodifizierung der Arbeitskraft (32) zielt, das heißt, die Arbeitskraftbesitzer wieder verstärkt den Marktgesetzen ungeschützt auszuliefern, um die Betroffenen zu marktkonformem und eigenverantwortlichem Verhalten anzuhalten, erweist sich nicht nur in sozialer Hinsicht als höchst problematisch, führt sie doch qua Aufkündigung des bislang geltenden "impliziten Gesellschaftsvertrages" (Moore 1987: passim), Arbeit existenzsichernd zu entgelten, zu einer dauerhaften Ausgrenzung immer größerer Bevölkerungsgruppen, mit der nicht ganz unwahrscheinlichen Folge, daß mit der gesellschaftlichen Wiederkehr der zwar arbeitenden, aber sozial entsicherten und entrechteten Armen sozialdesintegrative Rückwirkungen auf die Mehrheitsgesellschaft verbunden sein werden. (33) Denn das soziale Draußen der Ausgrenzung liegt nicht im gesellschaftlichen Jenseits, sondern ist aufs engste mit dem sozialen Drinnen verschränkt (vgl. Simmel 1992: 522 f.). Zudem findet eine Abkehr vom bisher vorherrschenden Familienlohnmodell statt, wonach das über den Arbeitsmarkt zu erzielende Einkommen hinreichen sollte für den Unterhalt des Arbeitnehmers selbst und seiner Familienangehörigen. Es ist in diesem Zusammenhang an Art. 23 III der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die von der Bundesrepublik Deutschland 1973 ratifizierten und bindende Pflichten begründenden UN-Menschenrechtskonventionen von 1966 zu erinnern, in denen kodifiziert ist, daß Arbeit eine Bedingung für ein würdevolles Leben ist, eine Arbeit allerdings, die an eine Entlohnung geknüpft ist, die es ermöglicht, sich und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz zu sichern.

Höchst problematisch ist die Aktivierungspolitik überdies in sowohl verfassungs- beziehungsweise menschenrechtlicher als auch in politischer Hinsicht, was den wortreichen und tatkräftigen Befürwortern der Aktivierungsideologie aber offensichtlich gleichgültig ist. Die Gleichgültigkeit gegenüber (Grund-)Rechtsverstößen zeigt sich nicht nur in den als verfassungswidrig monierten Bestimmungen des SGB II, sie äußert sich auch in der Ignoranz von Politik und Verwaltung gegenüber der Rechtsprechung, so zum Beispiel in der durch das zuständige Ministerium qua Dienstanweisung legitimierten Praxis der Grundsicherungsträger, zusammenlebende Paare zu einer eheähnlichen Einstandsgemeinschaft zu erklären, obwohl nach höchstrichterlichem Recht ein unterhaltsrechtlicher Anspruch unter nichtverheirateten Paaren nach dem BGB nicht existiert. Die ebenfalls auf einer Dienstanweisung fußende Praxis, nichtleibliche Eltern zum Unterhalt für ihre Stiefkinder heranzuziehen, obwohl es nach dem BGB bei Stiefeltern keine Unterhaltspflicht gibt, ist zwischenzeitlich aufgrund einer Vielzahl von Rechtssprüchen und Beschwerden durch Weisung zwar eingestellt worden, ohne allerdings in der Weisung darauf hinzuweisen, daß der Grundsicherungsträger die zu Unrecht nicht gezahlten Leistungen von Amts wegen nachzuzahlen hat. (vgl. Thomé 2006: 4)

Der Bruch, der sich hier mit dem Wechsel vom keynesianischen Welfare State zum schumpeterianischen Workfare State (vgl. Jessop 1994: 57 ff.) vollzieht, ist nicht nur einer, der mit Blick auf die angestrebte Revitalisierung beziehungsweise Entfesselung der Kräfte des Marktes eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger durch eine neu herzustellende Balance von deren Rechten und Pflichten entsprechend der Maxime des "Fördern und Fordern" zum Gegenstand hat, sondern auch einer, mit dem der Weg in eine andere Republik geebnet zu werden scheint, eine Republik, der das Prädikat, "sozialer Rechtsstaat" zu sein, fürderhin kaum noch ernsthaft zugesprochen werden kann.

Wer eine solche Einschätzung für überzogen hält, den könnte ein Blick in das alles Handeln staatlicher Organe bindende Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eines Besseren belehren, in dem der in Art. 1 I GG formulierte Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatspostulat des Art. 20 I GG seit jeher die zentrale Bezugsnorm aller Sozialpolitik war und das nach dem "Ewigkeitsklausel" genannten Art. 79 III GG in seinem Wesensgehalt, wie übrigens auch die in Art. 20 I GG niedergelegten grundlegenden Prinzipien für die rechtliche und organisatorische Gestaltung des Staates, unabänderbar und damit auch nicht politisch disponibel ist. Als verfassungsrechtliche Leitvorstellung sozialstaatlicher Maßnahmen hatte der Schutz der Menschenwürde Eingang gefunden sowohl in das vielfach als Sozialcharta für die Bundesrepublik Deutschland bezeichnete SGB I als auch in das seinerzeitige Existenzsicherungsgesetz BSHG, nicht aber, wie bereits erwähnt, in das heutige Grundsicherungsgesetz SGB II. Da neben dem SGB II jedoch kein weiteres Existenz- beziehungsweise Grundsicherungsgesetz für erwerbsfähige Hilfebedürftige existiert, kommt eben diesem, und zwar hergeleitet aus der Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde, die Aufgabe zu, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Unterstützungsleistungen zu sichern.

Nun läßt sich aber dem Grundgesetz selbst oder einer diesbezüglichen einfachgesetzlichen Ausgestaltung nicht entnehmen, was im einzelnen unter einem menschenwürdigen Dasein zu verstehen ist. Deswegen ist es angezeigt, auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurückzugreifen. Dieses hat 1970 klargestellt, daß die Gewährleistung des bloßen physischen Existenzminimums für ein menschenwürdiges Dasein nicht hinreicht, weil dem Hilfeempfänger gesellschaftliche Teilhabe möglich sein muß, also in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ein Leben "ähnlich wie diese" (BVerwGE 36, 258) führen zu können, wobei auf die herrschenden Lebens

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