Samstag, 30. Juni 2012

Ergänzt werde diese Stigmatisierung durch die Kriminalisierung, nämlich dass Arbeitslose massenhaft der Schwarzarbeit nachgingen.

  Ergänzt werde diese Stigmatisierung durch die Kriminalisierung, nämlich dass Arbeitslose massenhaft der Schwarzarbeit nachgingen.

[Ulrike Herrmann - Hurra, wir dürfen zahlen - DER SELBSTBETRUG DER MITTELSCHICHT (2010)]


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--->>> Ein #skandalöses #Provinzurteil mit #bundesweiter #Auswirkung [via scharf-links.de]


Ein skandalöses Provinzurteil mit bundesweiter Auswirkung

von Wolfgang Huste

[via scharf-links.de]
 
 

http://scharf-links.de/46.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=26210&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=775162e9f8

 

Am 28. Juni wurde in der tiefen Provinz, im Amtsgericht Ahrweiler, nach rund 90 Minuten Gerichtsverhandlung, ein skandalöses Urteil mit bundesweiter Rlevanz gefällt. Anwesend waren 52 BesucherInnen, darunter einige Genossinnen und Genossen, Gewerkschaftsfunktionäre, ein Vertreter der Piraten, die Presse und SWR – Radio.

Ich wurde dazu verdonnert, 2000 Euro Strafe zu zahlen, weil ich Ende August 2011 auf meinem "privaten" Blog www.wolfgang-huste-ahrweiler.de zu einer friedlichen Blockade eines Neonaziaufmarsches in Dortmund aufrief, der am 3. September 2012 stattfand.

Das ist ein Skandalurteil! Mein Anwalt und ich haben sofort nach Bekanntgabe des Urteils Revision eingelegt. Nun laden wir den Oberbürgermeister von Dortmund, Ullrich Sierau, als Zeugen vors Oberlandesgericht Koblenz.. Der Dortmunder Oberbürgermeister hat damals ebenfalls zur friedlichen Blockade des damaligen Neonaziaufmarsches aufgerufen, mit ca. 1000 weiteren Menschen, darunter die komplette Landtagsfraktion der Partei DIE LINKE und die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.

Die Urteilsbegründung war sehr perfide: Von Links organisierte Sitzblockaden provozierten Gewalt von Rechts und dienen den Nazis als Legitimation für die Gewaltanwendung. Das heißt also im Umkehrschluß: Laßt die Glatzen einfach marschieren und dafür bleibt es friedlich. So einen Bullshit mussten wir uns gestern anhören!! Als Sozialwissenshcafler weiß ich - andere auch: Die Neonazis werten es als Zustimmung der Bevölkerung, wenn keiner gegen sie demonstriert, nach dem Motto: "Wer nicht gegen uns ist, ist für uns!".

Die Rhein-Zeitung aber auch der General-Anzeiger haben ausführlich über das Gerichtsverfahren berichtet. Siehe hier:
http://www.rhein-zeitung.de/region/bad-neuenahr_artikel,-Ahrweiler-Nazigegner-Huste-muss-2000-Euro-Strafe-zahlen-_arid,446054.html

Was nutzt uns eine NPD-Datei, wenn in der Provinz (und nicht nur da!) engagierte AntifaschistInnen kriminalisiert werden, z.B. dann, wenn sie öffentlich zur friedlichen Blockade eines genehmigten Neonazi-Aufmarsches aufrufen, wie am 28.6.2012 im Amtsgericht Ahrweiler geschehen. Das ist mit Sicherheit das falsche Signal! Und dieses Skandalurteil wurde unter eine Rot-Grünen Regierung gefällt! Das Landgericht Koblenz bleibt aber anscheinend wie gehabt "tief schwarz".
Neonazis werden nun frohlocken ob dieses reaktionären Urteils.

Der anwesende Staatsanwalt hat in öffentlicher Hauptverhandlung das Abhalten von Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche mit strafbarer Selbstjustiz gleichgesetzt hat.. Das ist tolldreist. So ist Rheinland-Pfalz, so ist die StA Koblenz.
Oberbürgermeister Ullrich Sierau, Dortmund, hat den Aufruf des Bündnisses 'Dortmund nazifrei' unterzeichnet, das friedliche Blockaden anstrebt.
Sierau: "Ich halte in Kenntnis der einschlägigen Urteile z.B. des Bundesverfassungsgerichts friedliche Sitzblockaden durchaus für ein legitimes Mittel im Kampf gegen den braunen Sumpf. Eine wehrhafte Demokratie muss sich gegen ihre Feinde wehren können. Dafür trete ich ein."

Quelle: Homepage der Stadt Dortmund. Siehe hier:
http://www.dortmund.de/de/leben_in_dortmund/nachrichtenportal/nachricht.jsp?nid=147288

wolfgang-huste-ahrweiler.de/2012/06/29/ein-skandaloses-provinzurteil-mit-bundesweiter-auswirkung-von-wolfgang-huste

VON: WOLFGANG HUSTE


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neoliberale Theorie + Praxis kennt keine Menschenrechte. abhängig Beschäftigten können diese Freiheit bekanntlich nicht wahrnehmen.


Freiheit der Arbeit

Die universellen Menschenrechte gelten auch für die Arbeitsverhältnisse

Ein Einwurf von Werner Rügemer

[via arbeitsunrecht.de]

http://arbeitsunrecht.de/?p=503


Die gegenwärtig vorherrschende Kapitalmacht agiert, wenn sie es für passend hält, bekanntlich außerhalb des Rechtsstaats, außerhalb der parlamentarischen Demokratie und nicht zuletzt außerhalb der universellen Menschenrechte. Diese Feststellung ist banal. Sie wird allerdings dadurch kompliziert (scheinbar), dass gerade Vertreter dieser Kapitalmacht sich weltweit für den Rechtsstaat, für die parlamentarische Demokratie und neuerlich wieder besonders heftig für die Menschenrechte einsetzen.

Dabei werden "die Menschenrechte" bekanntlich selektiv und widersprüchllich reklamiert, nach dem Motto Franklin D. Roosevelts "Hurensohn hin oder her – es muss nur unser Hurensohn sein". So wird in Peking und Moskau die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit für Personen und Gruppen reklamiert, deren politischer Hintergrund im Dunkeln gehalten wird. Gleichzeitig werden im Westen Bloccupy-Manifestationen gnadenlos abgeräumt. Im Protokoll der Frankfurter Polizei nach den verbotenen Demonstrationen gegen die Bankenmacht stand als Grund für Festnahmen: Antikapitalismus. Freiheit der Meinung? "Rebellen" wie die Taliban sind einmal gut, wenn es passt, und dann sind sie böse, wenn es auch wieder passt. Libyens Gaddafi wurde hofiert, als es passte und dann zum Mord freigegeben, als es auch wieder passte.

Die neoliberale Theorie und Praxis kennt keine Menschenrechte.

Die abhängig Beschäftigten können diese Freiheit bekanntlich nicht wahrnehmen. Sie anerkennt ernsthaft nicht einmal die bürgerlichen Gesetze der klassischen Kapitaldemokratien. Ihr oberstes Prinzip ist die "Freiheit des Einzelnen", wobei es in der Praxis nur die einzelnen Privateigentümer sind, die diese Freiheit wahrnehmen können.

Wenn deshalb etwa Gewerkschafter in den Hinterhöfen und sweat shops des Westens verfolgt und getötet werden, wenn hunderttausende junge Frauen kaserniert werden, um unter menschenunwürdigen Bedingungen Jeans, Computerteile und iPhones für westliche Konzerne zu montieren und nach einigen Jahren gesundheitlich verschlissen sind – da werden keine Menschenrechte reklamiert. Wenn in Deutschland unliebsame Beschäftigte und Betriebsräte ausspioniert und entlassen werden – da bleiben unsere Menschenrechtler taub und stumm.

Welches Vertragswerk wurde 1973 von der Bundesrepublik ratifiziert?

Der UNO-Sozialpakt ist auch in den westlichen Kapitaldemokratien bekanntlich bzw. unbekanntlich unmittelbar geltendes Recht und zwar seit über drei Jahrzehnten. Der Sozialpakt, auf der Erklärung der universellen Menschenrechte fußend, enthält soziale und Arbeitsrechte: das Recht auf Arbeit, auf gewerkschaftliche Organisierung, auf angemessene Entlohnung, auf gleiche Bezahlung von Mann und Frau, auf Wohnung, auf Gesundheitsversorgung, auf Schutz vor Armut. "Universell" bedeutet: der Staat, wenn er Menschenrechte verletzt, kann sich nicht auf seine Souveränität berufen.

Für die bundesdeutsche Unternehmerschaft, die sich nach dem Nationalsozialismus zu christlich und liberal firmierenden Parteien bekannte beziehungsweise sie finanzierte, legal und illegal, galten auch nach 1945 die Beschäftigten nicht als handelnde und schon gar nicht als frei handelnde Subjekte. Unbarmherzig lehnten Unternehmer und ihre Parteien den Vorschlag ab, die Industrie- und Handelskammern abzuschaffen. Die hatten sich begeistert in das unfreie und deshalb gewerkschaftsfreie NS-Wirtschaftssystem integriert, halfen bei Arisierung und bei der Zwangsvermitgliedschaftung auch der Kleinstgewerbetreibenden wie Markthändler und Scherenschleifer. Der alternative Vorschlag nach 1945 lautete: Ersetzt die Industrie- und Handelskammern durch Wirtschaftskammern, in denen auch die lohnabhängig Beschäftigten vertreten sind! Das wurde abgelehnt. Und die Kleingewerbetreibenden sind  weiter Zwangsmitglieder. Freiheit?

Eingeschrumpfter Restbestand von 1791

Die heute von den Vertretern der dominierenden Kapitalmacht reklamierten Menschenrechte sind ein eingeschrumpfter Restbestand der Grundrechte, die im Ersten Zusatz zur US-Verfassung ("First Amendment") aus dem Jahre 1791 festgehalten wurden: Freiheit der Rede, der persönlichen Meinung, der Presse und der Religionsausübung. Doch inzwischen hat sich der Kapitalismus entwickelt und fortentwickelt, und die kapitalistische Führungsmacht hantiert immer noch mit dem Grundrechtsverständnis aus der kapitalistischen Prähistorie.

Es kann zudem gefragt werden, ob wenigstens diese Rechte im eigenen Staat realisiert werden. Freiheit der persönlichen Meinung und der Presse – herrscht nicht stattdessen die von wenigen Konzernen oktroyierte Gleichmacherei und professionelle Desinformation? Diffamierung des Islam – Freiheit der Religionsausübung?

Rechtsbruch in Gesetzesform

Die Hartz-Gesetze I bis IV als Gesamtmachwerk sind nicht nur ein Bruch mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Menschenwürde, Schutz des Eigentums und der Privatsphäre, Berufsfreiheit), sondern weitergehend mit den universellen Menschenrechten (Recht auf Arbeit, Verbot der Zwangsarbeit).

Die Finanz- und Wirtschaftskrise wurde nicht nur durch die Deregulierung des Finanz- und Wirtschaftsrechts befördert. Die Krise wurde auch durch die Deregulierung des Sozial- und Arbeitsrechts vorangetrieben. Nicht zufällig wurden in den Vorreiterstaaten des Neoliberalismus, USA und Großbritannien, gleich zu Beginn Gewerkschaften überwacht, geschwächt und auch zerschlagen. So konnten die privaten Kapitalakteure mächtiger und freier werden, auf Kosten der Freiheit der anderen.

Die gegenwärtigen "Spar"auflagen der Finanzakteure für den griechischen Staat hebeln soziale und Arbeitsrechte unbekümmert aus: Tarifverträge und erworbene Rentenansprüche werden für ungültig erklärt. Den griechischen Gewerkschaften wurde zugleich und auf einen Schlag die bisherige Finanzierung entzogen. Dagegen wurde die überaus üppige staatliche Alimentierung der korrupten Großparteien beibehalten – allen "rigorosen" Sparauflagen zum Trotz.

Das Einfordern von universellen Rechten auch im Produktionsprozess

Ein Staat, der die Egoismen einer gierigen, rechtlosen Minderheit über die Rechte und die Freiheit der Mehrheit stellt – kann der als Anwalt der Menschenrechte auftreten? Und was ist von Medien zu halten, die die herrschende Menschenrechts-Hetze begleiten und vorantreiben?

Für die Entmachtung der gegenwärtigen Kapitalmacht ist es elementar, dass die regulär und prekär Beschäftigten, die Noch-Beschäftigten, die an der Beschäftigung Gehinderten und alle von Beschäftigung Abhängigen nicht nur höhere Löhne und Gehälter und höhere Transfers fordern. Vielmehr müssen sie ihre Arbeits- und Sozialrechte als universelle und unkündbare Menschenrechte einfordern: Freiheit in der Arbeit, Recht auf Arbeit, Recht auf Bildung von Gewerkschaften und betriebliche Vertretung, Recht auf sicheres Leben und auf Wohnung, Schutz vor Armut, Recht auf politischen Streik.

Wir wollen nicht einfach "mehr vom Kuchen", sondern wir wollen die Menschenrechte!

Dass zu ihnen auch mehr beziehungsweise sehr viel mehr vom gemeinsam gebackenen Kuchen gehört, versteht sich von selbst. Aber wer mit der Forderung "mehr vom Kuchen" nur die von allen Menschenrechten befreite kapitalistische Gier und Macht hilflos nachäfft, wird selbst nie "mehr vom Kuchen" bekommen, oder nur in Ausnahmefällen und nie auf Dauer.

Menschenrechte müssen gegen die Vertreter von privatmächtigen Einzelinteressen erkämpft werden. Schon der bürgerliche Nationaldichter Goethe schrieb:

Wer das Recht auf seiner Seite hat, muss derb auftreten. Ein höflich Recht will gar nichts heissen.

 

Der Artikel erschien zunächst in lunapark21, Nr. 18 / Sommer 2012

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Weiter führende Links

Menschenrechte

EU und Griechenland

  • Politikanalyse:   "Griechische Gewerkschaften und die Krise – Ein wichtiger Akteur unter Druck", Zoe Lanara, Friedrich-Ebert-Stiftung März 2012 (pdf-download)
  • Hintergrundartikel, EU im Notstandmodus, Florian Rödl in Blätter für deutsche und Internationale Politik, Mai 2012.

Zur Zwangsmitgliedschaft in der IHK

Zur Rolle der Industrie- und Handelskammern in der Nazi-Zeit

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Tatsächlich sei die Schwarzarbeit das klassische Delikt der Mittelschicht, sozusagen als "schichtinterne Kreislaufwirtschaft"

  Tatsächlich sei die Schwarzarbeit das klassische Delikt der Mittelschicht, sozusagen als "schichtinterne Kreislaufwirtschaft" (143).

[Ulrike Herrmann - Hurra, wir dürfen zahlen - DER SELBSTBETRUG DER MITTELSCHICHT (2010)]


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--->>> Bundesfreiwilligendienst ist neuer "Niedrigstlohnsektor" [und auch im #SilliconSaxony #Dresden hoch gejubelt!!!]


Bundesfreiwilligendienst ist neuer "Niedrigstlohnsektor"

 

[via scharf-links.de]

 
 
http://scharf-links.de/41.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=26219&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=793c2f15c7

"Für Jubelgesänge gibt es nach einem Jahr Bundesfreiwilligendienst keinen Grund, denn in den zwölf Monaten seit Aussetzung der Wehrpflicht ist es zu dramatischen Fehlentwicklungen gekommen.

Die Öffnung des Dienstes für alle Altersgruppen hat dazu geführt, dass vor allem in Ostdeutschland immer mehr Ältere und Erwerbslose in den Bundesfreiwilligendienst gedrängt werden und für ein Taschengeld wichtige Aufgaben im sozialen Bereich erledigen.

Dies widerspricht der Grundidee eines Freiwilligendienstes und verhindert die dringend notwendige Schaffung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze in diesem Sektor", kritisiert Harald Koch, für die Fraktion DIE LINKE Mitglied im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement sowie im Finanz- und Verteidigungsausschuss, anlässlich des einjährigen Bestehens des Bundesfreiwilligendienstes am 1. Juli 2012. Koch weiter:

"Die starke Nachfrage nach Freiwilligendienstlern bedeutet noch lange nicht, dass es sich beim Bundesfreiwilligendienst um ein Erfolgsmodell handelt. Sie ist vielmehr eine direkte Folge der katastrophalen Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung.

Wo die Vermittlung in echte sozialversicherungspflichtige Jobs nicht funktioniert, arbeitsmarktpolitische Instrumente reihenweise weggekürzt werden und Angebote für Menschen jeden Alters fehlen, bleibt als Alternative oft nur der Bundesfreiwilligendienst.

Der Bundesfreiwilligendienst darf kein neuer 'Niedrigstlohnsektor' in der Grauzone zwischen klassischem bürgerschaftlichem Engagement und regulärer Erwerbsarbeit sein. Um die reichlich vorhandene Arbeit im sozialen Bereich zu bewältigen und zu verhindern, dass Ältere aus finanzieller Not in den Dienst gedrängt werden, brauchen wir mehr gute, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Jung und Alt sowie eine den Lebensstandard sichernde Rente. Freiwilligendienste sollten in erster Linie Lern- und Bildungsdienste für junge Menschen sein und dürfen nicht dazu missbraucht werden, reguläre Beschäftigung zu verdrängen.

Den Bundesfreiwilligendienst in seiner jetzigen Form lehnt DIE LINKE daher ab. Stattdessen wollen wir die bestehenden Jugendfreiwilligendienste mithilfe erfahrener zivilgesellschaftlicher Akteure weiter ausbauen und stärken."



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Donnerstag, 28. Juni 2012

Die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) sollte "Gesellschaft für Konsum-Propaganda" heißen [genau!!!]


global news 2713 27-06-12: Die GfK-Mogelpackung "Konsumklima"

[via jjahnke.net]

 

http://www.jjahnke.net/rundbr92.html#2713

 


Die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) sollte "Gesellschaft für Konsum-Propaganda" heißen. Denn sie versucht immer wieder, den Deutschen die heile Welt des Konsumierens vorzutäuschen, obwohl die Realitäten ganz anders aussehen. Nun beruht diese rosa Kunst, die mit "Forschung" wirklich nichts zu tun hat, eh nur aus nicht nachprüfbaren Umfragen. Tatsächlich stagniert der zuletzt umgefragte Wert für das Konsumklima im Juni (Abb. 04711).

Aber forsch setzt die GfK sofort auf eine Prognose des erst noch bevorstehenden Monats Juli und signalisiert dann kaffeesatzlesend einen hauchdünnen Anstieg ihres "Zählers" von 5,7 Punkten auf 5,8 Punkten. Das ist umso unwahrscheinliche als der Einzelhandelsumsatz bereits seit Juli vergangenen Jahres im Abschwung begriffen ist (Abb. 14696).

Dabei stürzt die Konjunkturerwartung, wie die GfK selbst einräumt, für Juni erheblich ab. Doch die soll eigenartigerweise beim Konsumklima keine größere Rolle spielen. Dazu in den Erläuterungen des Konsumklima-Indikators der GfK:

"Dieser Indikator soll die Entwicklung des privaten Verbrauchs erklären. Seine wesentlichen Einflussfaktoren sind die Einkommenserwartung, die Anschaffungs- und die Sparneigung. Die Konjunkturerwartung wirkt eher indirekt über die Einkommenserwartung auf das Konsumklima."Leider findet die GfK in ihrer Propaganda für mehr Konsum willfährige dumme oder unehrliche Journalisten, vor allem immer wieder beim SPIEGEL, der dann die Schlagzeile setzt: "Kauflaune der Deutschen steigt trotz Euro-Krise". Was für ein verdummender Blödsinn!



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Viele "Linke" übersehen leider (...) einfach aus Unkenntnis der realen Lebenssituation der Betroffenen.- Warum von Hartz IV Betroffene nicht demonstrieren

 

Warum von Hartz IV Betroffene nicht demonstrieren

 Warum von Hartz IV Betroffene nicht auf die Straße gehen und zu "Wutbürgern" werden?
Ein Kommentar von Dieter Carstensen

[via gegen-hartz.de]

http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/warum-von-hartz-iv-betroffene-nicht-demonstrieren-41178.php


Wer sich diese Frage stellt und sie massenhaft als "Wutbürger" auf den Straßen vermisst, hat wohl nicht die nötige Nähe zu von Hartz IV betroffenen Menschen oder sich nicht die Mühe gemacht, die einschlägigen soziologischen Studien, z.B. des Armutsforschers Wilhelm Heitmeyer, Uni Bielefeld zu studieren. Ich zitiere mal aus: "

Entsolidarisierung – Die neue Heitmeyer-Studie über deutsche Zustände" 2010

"Viele Menschen reagieren auf die Krise, indem sie Heitmeyer zufolge eine pessimistische Erwartungshaltung gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung einnehmen und zugleich auf der Vorstellung eines vermeintlich intakten privaten Umfelds beharren."
Die Betroffenen gehen nicht mehr auf die Straße, weil sie resigniert haben, sich schämen und ausgegrenzt fühlen. Ihre Erfahrung ist, selbst wenn sie mal aktiv wurden, verändert hat sich für sie nichts und oft wurde ihr Protest durch Parteien für ihre Zwecke instrumentalisiert und missbraucht.

Hinzu kommt, dass man bei 350 Euro netto/Monat sich meist nicht mal eine Fahrkarte für die nötigsten privaten Fahrten leisten kann und wenn dann z.B. eine Demo in Köln stattfindet, 50 km von meiner Heimatstadt weg, können sich die Betroffenen nicht mal so eben die 20,50 Euro für die Rückfahrkarte dorthin abzwacken.

Ich rede täglich mit Betroffenen von Hartz IV, die allermeisten gehen sehr sorgsam mit ihrem wenigen Geld um, die Wenigsten rauchen oder trinken und trotzdem müssen sie jeden Cent rumdrehen.

Wenn nicht mal das Geld für den Monatsbeitrag in einem Sportverein drin ist, dann überlegt man sich, wenn irgendwo eine Demo ist, kann ich mir die Fahrt leisten, auf was muss ich dafür in diesem Monat verzichten und was bringt mir die Teilnahme?

Was bringt es, mit als "Wutbürger" dabei zu sein, auf der Demo, wenn ich dafür dann z.B. auf das lange nötige neue Paar Schuhe verzichten muss?

Wenn man mit diesen betroffenen Menschen spricht, ihnen richtig zuhört, wundert man sich nicht, dass sie nicht massenhaft auf den Straßen sind.

Wie Wilhelm Heitmeyer konstatierte, die Verarmung und Verelendung in unserer Gesellschaft geht einher mit einem innerlichen Rückzug aus dieser, sowie einer Vereinzelung und Vereinsamung der Betroffenen.

Viele "Linke" übersehen leider diese Zusammenhänge, ich denke, nicht aus böser Absicht, sondern einfach aus Unkenntnis der realen Lebenssituation der Betroffenen.

Schon in der Weimarer Republik scheiterte die Linke mit ihrer "Verelendungstheorie", die davon ausging, dass wenn es den Massen erst richtig elend ginge, würden sie zu Massen gegen den Kapitalismus auf die Straßen gehen.

Komisch, liest niemand mehr Geschichtsbücher? Dann stellt sich nämlich die Frage gar nicht mehr, warum die Betroffenen nicht massenhaft auf der Straße zu "Wutbürgern" werden! (
Dieter Carstensen, Sozialarbeiter)


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"[...] die Zuversicht, niemals zum Prekariat zu gehören, verleite die Mittelschicht, sich mental mit den Unternehmern zu verbünden.²

[...] die Zuversicht, niemals zum Prekariat zu gehören, verleite die Mittelschicht, sich mental mit den Unternehmern zu verbünden.

[Ulrike Herrmann - Hurra, wir dürfen zahlen - DER SELBSTBETRUG DER MITTELSCHICHT (2010)]


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dass die Belegschaften von Leiharbeitsfirmen ihre rechtlich garantierte "Option" zur Wahl eines Betriebsrats nur selten ergreifen (können).


Weiterentwicklung: Leiharbeit

Geschrieben von: Ingrid Artus

[via sozin.de]

http://sozin.de/kategorien/85-leiharbeit/2734-weiterentwicklung-leiharbeit

 


Leiharbeit ist zweifellos eine besonders prekäre Beschäftigungsform. Dies gilt für die unterdurchschnittliche Entlohnung, die geringere Beschäftigungssicherheit, die schlechteren Arbeitsbedingungen und auch für die reduzierten Mitbestimmungschancen.

Rein formal besitzen Leiharbeiter freilich das gleiche Recht auf die Wahl eines Betriebsrats wie alle anderen Beschäftigten: Theoretisch dürften sie erstens in "ihrem" Leiharbeitsbetrieb einen Betriebsrat wählen; zweitens haben sie ab einer Einsatzdauer von drei Monaten auch das aktive (aber nicht das passive) Wahlrecht in "ihrem" Entleihbetrieb.

In der Praxis erweist sich dieses "doppelte Recht auf Mit­bestimmung" jedoch als halbierte Mitbestimmungsoption.

Nur in sehr wenigen Leiharbeitsfirmen - etwa bei Branchenführern wie Randstad, Adecco, Manpower - existiert ein Betriebsrat.

Angesichts der hohen Fluktuation der Beschäftigten, der verstreuten Einsatzorte und häufig auch prekären individuellen Situationen ist es wenig erstaunlich, dass die Belegschaften von Leiharbeitsfirmen ihre rechtlich garantierte "Option" zur Wahl eines Betriebsrats nur selten ergreifen (können).

 

mehr lesen  http://www.boeckler.de/40333_40393.htm


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und wenn wir schon mal dabei sind. - Ansprache an Millionäre [Erich Kästner] geniaaal...

   

 
und wenn wir schon mal dabei sind…

Ansprache an Millionäre

Warum wollt ihr so lange warten,
bis sie euren geschminkten Frauen
und euch und den Marmorpuppen im Garten
eins über den Schädel hauen?

Warum wollt ihr euch denn nicht bessern?
Bald werden sie über die Freitreppen drängen
und euch erstechen mit Küchenmessern
und an die Fenster hängen.

Sie werden euch in die Flüsse jagen.
Sinnlos werden dann Schrei und Gebet sein.
Sie werden euch die Köpfe abschlagen.
Dann wird es zu spät sein.

Dann wird sich der Strahl der Springbrunnen röten.
Dann stellen sie euch an die Gartenmauern.
Sie werden kommen und schweigen und töten.
Niemand wird über euch trauern.

Wie lange wollt ihr euch weiter bereichern?
Wie lange wollt ihr aus Gold und Papieren
Rollen und Bündel und Barren speichern?
Ihr werdet alles verlieren.

Ihr seid die Herrn von Maschinen und Ländern.
Ihr habt das Geld und die Macht genommen.
Warum wollt ihr die Welt nicht ändern,
bevor sie kommen?

Ihr sollt ja gar nicht aus Güte handeln!
Ihr seid nicht gut. Und auch sie sinds nicht.
Nicht euch, aber die Welt zu verwandeln,
ist eure Pflicht!

Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig.
Ihr sollt euch keine Flügel anheften.
Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig.
Wir sprechen von Geschäften.

Ihr helft, wenn ihr halft, nicht etwa nur ihnen.
Man kann sich, auch wenn man gibt, beschenken.
Die Welt verbessern und dran verdienen -
das lohnt, drüber nachzudenken.

Macht Steppen fruchtbar. Befehlt. Legt Gleise.
Organisiert den Umbau der Welt!
Ach, gäbe es nur ein Dutzend Weise
mit sehr viel Geld…

Ihr seid nicht klug. Ihr wollt noch warten.
Uns tut es leid, ihr werdet's bereuen.
Schickt aus dem Himmel paar Ansichtskarten!
Es wird uns freuen.

Erich Kästner


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ob Hartz-IV-Empfänger Sozialschmarotzer sind, #lenkt davon ab, was am #anderen #Ende d. #Gesellschaft #passiert

   

Interview

"Deutschlands Eliten haben sich radikalisiert"
Die Frage, ob Hartz-IV-Empfänger Sozialschmarotzer sind oder nicht, lenkt davon ab, was am anderen Ende der Gesellschaft passiert, meint Michael Hartmann. Der Soziologe spricht im Interview über die Hartz-IV-Debatten, Mittelschichten und die reicher werdenden Reichen.
 


Thilo Sarrazin hat jüngst Hartz-IV-Empfängern kaltes Duschen empfohlen, wenn das Geld fürs warme Wasser nicht reicht. Ein Einzelfall?

Die Fälle häufen sich. Seit Wochen läuft die Westerwelle-Debatte um angebliche Sozialschmarotzer, der Philosoph Peter Sloterdijk macht sich für die sogenannten "Leistungsträger" stark, die der Steuerstaat zugunsten der Unproduktiven enteigne, die als kultiviert und nachdenklich geltende "Zeit" malt auf ihrer ersten Seite das Schreckbild der "Einwanderung in die Sozialsysteme". Das ist zwar durch Fakten nicht zu belegen, aber es wird umgehend auf dem Titel der "Bild"-Zeitung zitiert. Eine erstaunliche Allianz. Und eine Aktivistin des Hamburger Volksbegehrens zur Rettung des grundständigen Gymnasiums bedauert im Fernsehen, dass seit den 80er Jahren ein "akademisches Proletariat" herangezüchtet worden sei, das "weder für eine wissenschaftliche noch für eine gehobene akademische Laufbahn" tauge. All das und das öffentliche Echo zeigen mir, dass salonfähig geworden ist, was Sarrazin sagt.

Die Hamburger Eltern, die das dreigliedrige Schulsystem erhalten wollen, dürften vom Alter her doch auch zu jenen gehören, die von Ausbau und Öffnung der Schulen und Universitäten seit den 60er Jahren profitiert haben?

Sicher sind da Bildungsaufsteiger von damals dabei. Mit dem klassischen alten Bildungsbürgertum bekommen Sie die gut 15 Prozent der Wahlberechtigten nicht zusammen, die jetzt in Hamburg für ein Volksbegehren gestimmt haben. Ich nehme vielen dieser Eltern durchaus ab, dass sie glauben, der Bildungserfolg sei größer, wenn man schwächere Schüler, das heißt vor allem Migranten und sozial Schwache, aus den weiterführenden Schulen fernhält – auch wenn alle Studien das Gegenteil belegen. Aber dazu kommt natürlich auch die Überlegung, dass so 60 Prozent eines Jahrgangs praktisch keine Chance mehr auf ein Studium haben, als Konkurrenz für die eigenen Kinder also ausscheiden. Dafür sorgt das dreigliedrige Schulsystem.

Hat sich Deutschlands Elite verändert?

Sie ist erstens homogener geworden. Die politische Elite hat sich der wirtschaftlichen angeglichen. Im neuen Kabinett Merkel haben drei Großbürgerkinder zentrale Ministerien inne: Guttenberg aus einer der 400 reichsten Familien Deutschlands und 800 Jahre altem Adel, de Maizière aus einer gut vernetzten Hugenottenfamilie und von der Leyen. Das gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie. Man ist immer mehr unter sich und wird mit anderen Lebenswirklichkeiten gar nicht mehr konfrontiert. Zweitens haben sich Deutschlands Eliten radikalisiert – das sieht man an Äußerungen wie den zitierten.

Wollen Sie alle Angehörigen der Eliten unter Generalverdacht stellen?

Natürlich denken nicht alle gleich. Aber wenn es um Grundsätzliches geht, ums Geld, stelle ich fest, dass es relativ wenig Differenzen gibt. Als ich zum Beispiel auf dem Arbeitgebertag darauf hinwies, dass sich der Wunsch nach einem besseren Schulsystem nicht mit einer Reduzierung oder gar Abschaffung der Erbschaftssteuer vertrüge, grummelten 90 Prozent im Saal deutlich.

Worauf führen Sie das zurück?

Der Kuchen ist schlicht kleiner geworden. In den 70er und 80er Jahren gab es mehr zu verteilen, da war man bereit, auch an das ärmere Drittel der Gesellschaft abzugeben. Jetzt aber geht es darum festzulegen, wie die Kosten der Finanzkrise verteilt werden. Und da heißt es dann: Die Hartz-IV-Empfänger verjubeln unsere Steuern.

Wollen Sie sagen, Missbrauch gibt es nicht?

Sicherlich gibt es den, aber selbst fünf bis zehn Prozent Missbrauchsfälle würden bei den infrage kommenden Summen den Kohl nicht fett machen. Das Getöse um die Frage, ob Hartz-IV-Empfänger Sozialschmarotzer sind oder nicht, lenkt davon ab, was am anderen Ende der Gesellschaft passiert. Der durchschnittliche Deutsche hat sein Vermögen zwischen 2002 und 2007 praktisch nicht steigern können, gerade einmal von 15 000 auf 15288 Euro. Anders war dies bei den oberen zehn Prozent mit einem Vermögen von mindestens 222 295 Euro, die um 6,6 Prozent zulegen konnten. Und richtig gewonnen hat in dieser Zeit das eine Prozent an der Spitze, mit Vermögen ab 817 181 Euro netto. Sie haben in fünf Jahren zehn Prozent dazugewonnen. Das heißt, dass dieser sehr kleine Teil der Bevölkerung, der nahezu ein Viertel des gesamten Vermögens in Händen hält, fast 150 Milliarden dazugewonnen hat. Darüber wird nicht geredet; dabei wäre es doch naheliegend zu fragen, ob nicht sie ihren Anteil leisten müssten. Schließlich hat die staatliche Rettung der Banken vor allem ihr Geld gesichert.

Danach müsste die Masse der Steuerzahler fragen.

Das zu verhindern ist der Sinn all dieser Äußerungen. Die Mittelschichten sollen glauben, mit denen oben in einem Boot zu sitzen. Sloterdijk weitete seinen Begriff der Leistungsträger von Interview zu Interview mehr aus, selbst Westerwelle spricht inzwischen von der Krankenschwester, die man in Schutz nehmen müsse gegen die Hartz-IV-Empfänger, die von ihren Steuern lebten. Es gibt einen massiven Versuch, die Fronten so zu ziehen. Und er scheint zu funktionieren.

Das Gespräch führte Andrea Dernbach.

Michael Hartmann, Jahrgang 1952, ist seit 1999 Professor für Soziologie an der TU Darmstadt und forscht zu sozialer Ungleichheit und über Bildung und Erziehung in Deutschland.

(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 06.04.2010)

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Ergänzt werde diese Stigmatisierung durch die Kriminalisierung, nämlich dass Arbeitslose massenhaft der Schwarzarbeit nachgingen.

Ergänzt werde diese Stigmatisierung durch die Kriminalisierung, nämlich dass Arbeitslose massenhaft der Schwarzarbeit nachgingen.

[Ulrike Herrmann - Hurra, wir dürfen zahlen - DER SELBSTBETRUG DER MITTELSCHICHT (2010)]


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Europäische Wirtschafts- und Währungsintegration als #Strategie #kapitalistischer #Herrschaft [via Grundrisse]


Jannis Chasoglou: Von Maastricht zu Europe 2020 –
Europäische Wirtschafts- und Währungsintegration als Strategie kapitalistischer Herrschaft

 

[via Grundrisse - Heft 42]

 


Zwanzig Jahre ist es nun her, dass die Staaten der damaligen Europäischen Gemeinschaft sich in Maastricht auf dasjenige Vertragswerk einigten, das sowohl die Weichen für die Gründung der Europäischen Union als auch für die Einführung des Euro als gemeinsamer Währung stellte. Die Stadt in den Niederlanden ist seitdem als der Ort des vielleicht wichtigsten Meilensteins der Europäischen Integration zum Synonym für ihre zunehmend monetaristisch-liberale, den Interessen breiter Bevölkerungsanteile immer stärker widersprechende Ausrichtung geworden. Die Mehrheit der kritischen Integrationsforscher sieht dies als Folge der Dominanz neoliberaler wirtschaftspolitischer Konzepte und der Interessen kapitalistischer Unternehmen innerhalb der EU.

Diese Autoren wünschen sich eine – möglicherweise umfassende – Reform der Institutionen auf europäischer Ebene, um den Weg hin zu einer stärker wohlfahrtsstaatlich, ökologisch und/oder beschäftigungspolitisch orientierten Europäischen Integration zu ebnen[1]. Demnach wird die EU implizit als neutrales Terrain angenommen, auf dem sich momentan vor allem Konzerninteressen durchsetzen, was aber durchaus auch anders sein könnte. In Abgrenzung von solchen Sichtweisen wird in diesem Artikel die Europäische Integration, wie wir sie von ihren Anfängen bis in die Gegenwart erleben, selbst als Herrschaftsstrategie des Kapitals konzipiert werden. Herrschaft soll dabei für die institutionalisierte Durchsetzung politischer Strategien einer bestimmten Klasse oder Klassenfraktion stehen, mit der die langfristigen Ziele des Erhalts und der Festigung ihrer Position, also des Eigentums an den Produktionsmitteln und möglichst hoher Profitraten, erreicht werden sollen.

Der Europäische Integrationsprozess wird zunächst von seinen Anfängen her beleuchtet und dabei im Wesentlichen in zwei Phasen unterteilt werden. Der Schwerpunkt des Artikels wird auf den Entwicklungen und Implikationen der Integration seit Anfang der 90er Jahre liegen. Es wird darum gehen, wie seitdem in den zentralen Verträgen und Strategiepapieren der EU, insbesondere dem Maastricht-Vertrag, der Lissabon-Strategie, "Global Europe" und der "Europe 2020"-Agenda, die Interessen der großen europäischen Konzerne zum Ausdruck kommen. Es ist weit verbreitet, gerade auch unter kritischen AutorInnen, hinter politischen Entscheidungen der nationalen Regierungen andere, dem angeblichen "nationalen Interesse" fremde Kräfte wirken zu sehen.

Die Wettbewerbsorientierung der europäischen Staaten wird oft genug als das unvermeidliche Resultat der "Globalisierung" angesehen, in der die Nationalstaaten angeblich nur noch als Spielbälle hin und hergeworfen würden. Für bewusste Interessenpolitik und auf Vorherrschaft abzielende Strategien des Kapitals bleibt in dieser Betrachtungsweise kein Platz mehr. Hier sollen auch diese Vorstellungen einer kritischen Prüfung unterzogen werden.

Die Europäische Integration treibt mit einer Reihe von Initiativen wie der Wirtschafts- und Währungsunion, der Lissabon-Strategie, der EASDAQ-Initiative, dem Financial Services Action Plan (FSAP) und anderen auch die Integration und Deregulierung der Finanzmärkte  voran[2]. Daran sind vor allem in den letzten Jahren auch mächtige Lobbygruppen beteiligt. Ein integrierter paneuropäischer Kapitalmarkt wird von den zentralen EU-Institutionen und den Interessenvertretungen der Großindustrie als Vorrausetzung für die Wettbewerbsfähigkeit des Kapitals allgemein gesehen, weil er die Finanzierungsoptionen für die Geschäftstätigkeit verbessert und so die Profitraten steigert[3].

Gleichzeitig erhöht die Finanzmarktintegration einerseits den Konkurrenzdruck auf kleine und mittlere Unternehmen und wirkt sich andrerseits negativ auf die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen aus, indem die Arbeitslosigkeit hoch bleibt, flexible Arbeitsbedingungen verlangt sowie die sozialen Sicherungssysteme und die Lohnniveaus tendenziell abgebaut werden[4]. Folglich spielt auch der Finanzsektor eine wichtige Rolle als Träger und Profiteur der Europäischen Integration als Herrschafts- und Konkurrenzstrategie des europäischen Kapitals. Aus Platzgründen wird sich die vorliegende Betrachtung jedoch auf das Kapital der Industrie konzentrieren. Das impliziert keineswegs, die engen und wachsenden Verflechtungen zwischen dem Kapital der Kredit- und Kapitalmärkte einerseits und den industriellen Unternehmen zu leugnen. Allerdings äußern sich die materiellen Interessen der verschiedenen Kapitalfraktionen tendenziell entsprechend ihrer Funktion im Verwertungsprozess in verschiedenen politischen Maßnahmen.

Die keynesianisch-antikommunistische Phase der Integration

Es lassen sich im historischen Verlauf der Europäischen Integration grob zwei Phasen unterscheiden: Eine vom Keynesianismus und dem Kalten Krieg geprägte und eine monetaristische und expansive Phase. Erstere begann 1951 mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und den Römischen Verträgen von 1957, mit denen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) geschaffen wurden. Es war die Zeit der Blockkonfrontation zwischen Kapitalismus und Sozialismus, die Zeit der Truman-Doktrin und des Griechischen Bürgerkriegs sowie einige Zeit später der Berlin- und der Kubakrise. An die Stelle der Rivalitäten zwischen den kapitalistischen Großmächten, die in die beiden Weltkriege geführt hatten, trat vordergründig das "containment" des Kommunismus als oberste Priorität – freilich ohne dass deshalb die innerkapitalistischen Rivalitäten jemals verschwunden wären. Um Kriege zwischen den führenden kapitalistischen Staaten Europas künftig unwahrscheinlich werden zu lassen und die Region angesichts starker kommunistischer Bewegungen in Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland und anderswo zu einem Bollwerk gegen den Kommunismus zu machen, war eine festgefügte europäische Wirtschaftszusammenarbeit mit einer Politik für den ökonomischen Wiederaufbau der naheliegendste Weg. Außerdem bestand in Paris und London ein Interesse an der Einbindung Westdeutschlands, um eine revanchistische Wende wie nach dem Ersten Weltkrieg zu verhindern.

Die zwei Jahrzehnte des Nachkriegsbooms sahen in den entwickelten kapitalistischen Ländern einen vorher und nachher nie erlebten Schwung an Konzessionen an die ArbeiterInnenklasse. Notwendige Bedingung dafür waren die durch das "Wirtschaftswunder" geschaffenen materiellen Spielräume, doch trotzdem waren es vor allem der Druck der Systemkonkurrenz und eine relativ kampfbereite ArbeiterInnenbewegung, die diese in soziale Errungenschaften verwandelten. In dieser Periode war daher auch die Europäische Integration von einer Politik des Massenkonsums und der Beschäftigungsförderung geprägt. Wie die gesamte Periode, so stand auch die Europäische Union als kapitalistische Herrschaftsstrategie unter dem Namen John Maynard Keynes, indem sie auf Förderung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und die Schaffung stabiler Akkumulationsbedingungen setzte.

Die Wende der 70er

Dies änderte sich, als unter dem Eindruck von Stagflation, dem Kollaps des Bretton Woods-Systems und Weltwirtschaftskrise der Keynesianismus in den 70ern weltweit in die Defensive geriet. Pinochets Militärputsch in Chile 1973, der Machtantritt Deng Xiaopings 1978, die als "Volcker-Schock" bekannte schlagartige Anhebung der Leitzinsen der US-Notenbank durch deren neuen Chef Paul Volcker im Jahr 1979, Margaret Thatchers Wahl zur britischen Premierministerin im selben Jahr und Ronald Reagans Amtsantritt 1981 waren die ersten politischen Siege der neoliberalen wirtschaftspolitischen Doktrin. Mit der Rückkehr des Kapitalismus nach Osteuropa, Russland und China etablierte sie sich schließlich als hegemoniale Weltsicht und Richtschnur des politischen Handelns.

Es stellt sich natürlich automatisch die Frage, wie binnen nur eines Jahrzehnts die neoliberale Doktrin trotz ihrer offenkundigen methodisch-theoretischen Defizite und Schwächen als wissenschaftliche Theorie[5] die Positionen des Keynesianismus derartig umfassend überrennen konnte. Sicherlich kam es den "Chicago Boys" und anderen Vertretern des Monetarismus gelegen, dass die keynesianisch geschulte Politik daran gescheitert war, die schweren ökonomischen Turbulenzen der 70er Jahre zu verhindern. Aber da es in den folgenden Jahrzehnten bis zum heutigen Tag auch mit neoliberalen Konzepten nicht gelungen ist, anhaltendes und hohes Wirtschaftswachstum wiederherzustellen, ist der Hauptgrund für den Erfolg der sogenannten "neoliberalen Konterrevolution" wohl an anderer Stelle zu suchen. David Harvey bietet eine Antwort: Die Wende zum Neoliberalismus war eine generelle Offensive zur Bereicherung der herrschenden Klasse auf Kosten aller anderen und zur Zerschlagung der Verhandlungsmacht der Arbeiterschaft. Als Klassenkampf von oben ist der Neoliberalismus demnach eine Strategie zur Festigung der Klassenherrschaft und von Anfang an nie etwas anderes gewesen[6].  Die immense Umverteilung von Renten, Löhnen und Sozialleistungen hin zu Kapitalgewinnen entsprach den neuen Bedürfnissen des hochkonzentrierten Kapitals nach Restauration der Profitmargen. Die damit einhergehende Aushöhlung der inneren Märkte konnte zunächst zum Teil durch die Erschließung der neuen Absatzsphären in Osteuropa, der ehemaligen Sowjetunion und der VR China kompensiert werden. Gleichzeitig drängte die herrschende Politik auch zunehmend auf eine Öffnung ehemals dekommodifizierter Sektoren für private Investitionen (Privatisierung der Rentenfonds, der Hochschulen usw.). Auf den von rechtlichen Schranken weitgehend befreiten Finanzmärkten verschob sich das Schwergewicht zunehmend von den Kredit- auf die Kapitalmärkte und der Finanzsektor schwoll auf ein Vielfaches der produktiven Wirtschaftsbereiche an[7]. Die creatio ex nihilo, in der Natur unmöglich, schien in der Ökonomie möglich und unbegrenzt fortsetzbar. Die relative Abkopplung des Wertpapierhandels und seiner Preisentwicklung von der materiellen Produktion schuf neue wirksame Nachfrage. Durch Ausweitung der Kreditvergabe und Spekulation wurde Kaufkraft geschaffen, der nirgendwo ein realer Wert im Sinne verausgabter abstrakt menschlicher Arbeit gegenüberstand. Auf diese Weise konnte über die letzten drei Jahrzehnte verhindert werden, dass die fortschreitende "Akkumulation durch Enteignung" (Harvey)[8] der erweiterten Reproduktion den Boden unter den Füßen entzog.

Wenn also die keynesianisch geprägte Phase der Europäischen Integration vor allem von dem Bemühen geprägt war, politische Spannungen zu beseitigen und die ökonomische Zusammenarbeit zu stärken, um besser den Einfluss der UdSSR bekämpfen zu können, zielt die aktuelle Integrationsphase vor allem auf die Aufwertung des europäischen Kapitals in der weltweiten Konkurrenz ab. Zu diesem Zweck führen die europäischen transnational operierenden Konzerne eine lang anhaltende Offensive gegen die charakteristischen Merkmale der keynesianischen Wirtschaftspolitik und die in dieser Phase errungenen sozialen Rechte. Auch wenn diese Politik bei weitem keine Spezifik der EU-Länder darstellt, dienen doch die verschiedenen Institutionen der Europäischen Integration – hervorzuheben wären z.B. die EU-Kommission, die EZB, die EWWU – vielfach als Hebel zu ihrer Durchsetzung. Der "acquis communautaire" der konzernfreundlichen Integration wird in diesen Institutionen kodifiziert und für alle Mitgliedsländer und Anwärter verbindlich gemacht. Durch besondere "lock-in"-Effekte[9] schränkt die EU zudem auf verschiedensten Wegen, direkt und indirekt, die Handlungsspielräume der nationalen Regierungen ein. Zu nennen wäre hier vor allem der Maastricht-Vertrag, der die Haushaltspolitik der Euro-Länder und derer, die es werden wollen, auf die Einhaltung der Konvergenzkriterien von maximal 3% Haushaltsdefizit und maximal 60% Staatsschuldenquote verpflichtet. Das ist aber nicht alles: Durch die Liberalisierung des Kapitalverkehrs und der Niederlassungsfreiheit kommt es in der EU zu einem Steuersenkungswettbewerb bei den Unternehmens- und indirekt auch den Einkommenssteuern[10]. Indem einerseits ein großes Haushaltsdefizit verboten ist, andrerseits aber auch die Einnahmenseite untergraben wird, nimmt die EU das Volumen der Staatsausgaben von zwei Seiten aus in die Zange. Flankiert wird dieser Mechanismus durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, der in der Praxis in aller Regel zugunsten wirtschaftsliberaler und konzernfreundlicher Prinzipien entscheidet[11]. Extreme Beispiele für die Einwilligung von nationalen Regierungen in die Einschränkung ihrer finanziellen Spielräume sind natürlich die Länder, die von der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF heimgesucht werden.

All diese Einschränkungen der politischen Spielräume werden jedoch keinesfalls den nationalen Regierungen gegen ihren Willen diktiert – schließlich war es die souveräne Entscheidung jeder Regierung, sich den Regeln des Integrationsprojektes zu unterwerfen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass es den Regierungen der Mitgliedsstaaten sehr zupass kommt, die Umsetzung unpopulärer Maßnahmen neben den "Sachzwängen der Globalisierung" nun auch den Vorgaben aus Brüssel anlasten zu können. So war in Schweden 1993-94 wohl einer der ausschlaggebenden Gründe für den EU-Beitritt, dass die konservative Regierung sich davon erhoffte, den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat mithilfe der europäischen Ebene unter "Anpassungsdruck" zu setzen[12] - "Anpassung" selbstverständlich an die Erfordernisse der Standortkonkurrenz. Selbst in Ländern wie Griechenland ist es falsch und irreführend, von einer fremden "Besatzung" zu sprechen[13]: Würden die entsprechenden Programme nicht von mächtigen AkteurInnen in diesen Ländern mitgetragen, allen voran den großen Kapitalgruppen, wären sie auch nicht durchsetzbar.

ERT - Lobby für die Interessen des Großkapitals

Das Großkapital der EU überlässt seine Interessenvertretung nicht allein den Regierungen und supranationalen Institutionen auf europäischer Ebene, auch wenn diese in der Vergangenheit durchaus alles taten, um ein solches Vertrauen zu rechtfertigen. Der Anfang der 80er Jahre gegründete European Round Table of Industrialists (ERT), die bedeutendste Lobbygruppe der europäischen Großindustrie, war an der Erstellung aller entscheidenden europäischen Verträge direkt beteiligt[14]. An den "Empfehlungen" des ERT kommt keine Institution der EU vorbei, selbst gesetzt den Fall, dass der Wille dazu bestünde. Die Mitglieder des Round Table beschäftigten 2011 etwa 6,6 Mio. Menschen und legten einen Umsatz von 1,6 Bio. € auf die Waage[15]. Besonders stolz scheint man im ERT auf die eigene Rolle beim Zustandekommen der Einheitlichen Europäischen Akte 1985 und der Einführung des Binnenmarkts in den Folgejahren zu sein. So verweist der ERT auf seiner Homepage darauf, dass der ehemalige Kommissionspräsident und große Förderer des Binnenmarkt-Projekts Jacques Delors die zentrale Rolle des ERT öffentlich anerkannt habe[16]. Der ERT hatte in den 80er Jahren seine ökonomische Macht direkt als Hebel eingesetzt, um die Widerstände nationalstaatlicher Regierungen gegen die Einführung des Europäischen Binnenmarkts auszuschalten. Er nutzt ein komplexes Beziehungsgeflecht zu den Schlüsselfiguren der EU-Institutionen wie dem Europäischen Rat, der Kommission, dem Ministerrat, dem Europäischen Parlament und dem europäischen Arbeitgeberverband Businesseurope, um die "Wettbewerbsfähigkeit" zur ersten Priorität der strategischen Ausrichtung der Europäischen Integration zu erheben[17]. Der ERT äußert wirtschaftspolitische Empfehlungen auf den EU-Gipfeln und war maßgeblich an der Erstellung des Maastricht-Vertrags, der Wirtschafts- und Währungsunion, der Lissabon-Agenda und der Finanzmarktintegration insgesamt beteiligt[18]. Letztere etwa wurde bereits in ihren Grundzügen im Voraus von einem "Beratergremium zur Wettbewerbsfähigkeit", dem neben Unternehmensvertretern auch Politiker und Gewerkschaftsführer angehörten, ausgearbeitet. Die Lissabon-Strategie stellte das zentrale Dokument zur strategischen Orientierung der EU in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends dar. Vorbild war die US-Ökonomie aus der Zeit des "New-Economy"-Booms in den 90er Jahren, der in hohem Maße auf den billigen und rechtlosen Arbeitskräften der USA fußte[19]. Charakteristischerweise geriet dieses oft genug als krisenfrei gepriesene Wachstumsmodell bereits 2000, also dem Jahr der Lissabon-Strategie, in die Krise.

Die Wirtschafts- und Währungsunion war zum einen ein Hebel, um mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und dem Maastricht-Vertrag "fiskale Disziplin" bei den Euro-Anwärtern durchzusetzen. Zum zweiten ermöglicht sie innerhalb der Eurozone einen von Wechselkursschwankungen ungehinderten Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital. Drittens erlaubt der Euro den europäischen Industriestaaten, mit dem US-Dollar in Konkurrenz um die Vorzüge des Weltwährungsstatus zu treten. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Wirtschaftslobby in der EU sich stark für eine europäische Währungsunion einsetzte.

Lissabon-Strategie und "Global Europe": Wettbewerbsfähigkeit als oberstes Ziel

Die Lissabon-Strategie hatte das erklärte Ziel, bis zum Jahr 2010 die EU "zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen". Um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu steigern, sollte das Wachstum durchschnittlich 3% betragen. Das sollte erreicht werden durch einen Ausbau des freien Verkehrs von Arbeitskräften und Dienstleistungen, außerdem sollten 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen, die Beschäftigungsquote gesteigert und "soziale Ausgrenzung" bekämpft werden[20]. Zudem wurden im Rahmen der Durchführung bisher geschützte Sektoren für private Investoren geöffnet, Unternehmenssteuern gesenkt, die Arbeitszeit verlängert und die Arbeitsmärkte mit Minijobs und ausgehöhltem Kündigungsschutz "flexibilisiert"[21]. Der europäische Gewerkschaftsbund ETUC begrüßte diese Generaloffensive gegen den Lebensstandard der Lohnabhängigen mit dem Argument, dass Wachstum und Beschäftigung darin auch eine Rolle spielten[22].

Die Lissabon-Strategie fand ihre Konkretisierung in der BRD als Agenda 2010 inklusive der Hartz-Gesetze und der Aushöhlung des kostenlosen Gesundheitswesens. Auf europäischer Ebene  mündete sie in die "Bolkestein"-Richtlinie, die in fast allen Dienstleistungsbereichen, auch der öffentlichen Daseinsvorsorge, weitgehende Investitionsfreiheit für private Konzerne durchsetzt und in die "Europäische Nachbarschaftspolitik" (ENP) sowie die "Global Europe"-Strategie in der Handelspolitik.

Die angrenzenden Länder in Osteuropa, die in den zwei Erweiterungsrunden 2004 und 2007 in die EU aufgenommen wurden, haben dem Kapital der bisherigen EU-15-Länder große Potenziale erschlossen. Das Konzept, Osteuropa zum geschützten Jagdgebiet der westeuropäischen Konzerne zu machen, ist weitgehend aufgegangen: Bereits Ende 2006 lag der Anteil der alten EU-Länder an den Direktinvestitionen in den neuen Mitgliedsländern bei fast 80%, wobei die BRD, die Niederlande und Österreich eine besonders herausgehobene Rolle spielten. In vielen Ländern Osteuropas wird der Bankensektor so gut wie ausschließlich durch ausländisches Kapital kontrolliert, so z.B. in Estland, der Slowakei und der Tschechischen Republik[23].

Nach der Osterweiterung, die die EU auf gegenwärtig 27 Mitgliedsstaaten anwachsen ließ, stellte sich die Frage, wie der territoriale Expansionsprozess der Union danach noch fortzusetzen wäre. Eine neue Erweiterungsrunde, die etwa die Ukraine oder Türkei einbeziehen würde, scheint momentan nicht ernsthaft erwägt zu werden, vermutlich aus der Befürchtung, dass die Aufnahme dieser großen Länder die Machtverteilung in der EU zuungunsten der Kernstaaten verändern könnte[24]. Die ENP gibt auf dieses Dilemma eine Antwort: Mit ihr können die Länder östlich, aber mittlerweile vor allem die südlich der EU-Grenzen an den "acquis communautaire" der Union herangeführt werden, ohne dass ihnen eine Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt werden müsste. Auf diese Weise umgibt sich die EU mit einem "Ring befreundeter Staaten", der vor allem zwei Funktionen erfüllt: Die Einbindung Nordafrikas in die Abschottungspolitik gegen MigrantInnen und die Restrukturierung der jeweiligen Volkswirtschaften gemäß den Interessen des EU-Kapitals, um eine großräumige Freihandelszone zu schaffen, in der europäische Konzerne als tonangebende Wirtschaftsakteure operieren können. Letzteres gestaltete sich im Falle der südlichen Anrainerstaaten deutlich schwieriger als im Falle der marktliberal ausgerichteten osteuropäischen Länder. Deswegen greift die EU zu einer Taktik mit 'Zuckerbrot und Peitsche': Wer schneller die von Brüssel vorgegebenen Reformen durchführt, wird mit finanziellen Mitteln belohnt und umgekehrt können 'Versäumnisse' Sanktionen nach sich ziehen. Die Folgen der ENP für die Produktionsstruktur der südlichen Länder waren ähnlich verheerend wie die des EWG- bzw. EU-Beitritts der süd- und osteuropäischen Peripherie der heutigen EU: Das Handelsbilanzdefizit der südlichen ENP-Staaten explodierte geradezu von 530 Mio. € zu Beginn der Liberalisierungsmaßnahmen 2006 auf 20,4 Mrd. € im Jahr 2010[25].

 "Global Europe" ist eine 2006 verabschiedete Strategie, die die Handelspolitik der EU in den Dienst der externen Wettbewerbsfähigkeit und damit der Interessen der transnational agierenden europäischen Konzerne stellt. Zentrale Ziele sind die Sicherung der Rohstoffversorgung, eine stärkere Präsenz europäischen Kapitals in den "emerging markets", insbesondere den BRICS-Ländern, der Schutz geistiger Eigentumsrechte, die Liberalisierung der Märkte für öffentliche Aufträge in den Partnerländern sowie die Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse[26]. Strategisches Ziel ist auch hier die Steigerung der Konkurrenzfähigkeit europäischer Konzerne gegenüber ihren Pendants aus den USA, Japan, China, Indien, Brasilien, Südkorea und anderen Ländern, einschließlich der Durchdringung dieser Märkte durch Direktinvestitionen aus der EU. Der freie Zugang europäischer Waren- und Kapitalexporte geht natürlich in vielen Ländern auf Kosten einheimischer Produzenten, die gegen die Konkurrenz aus Europa keine Chance haben. Diese Märkte, zusammen mit den aus EU-Sicht zu privatisierenden öffentlichen Beschaffungsmärkten, stellen ein erhebliches Potenzial dar, das die Durchsetzungsfähigkeit des europäischen Großkapitals auf internationaler Bühne bedeutend stärken kann[27].

Da die EU seit etwa 2001 auf Schwierigkeiten stößt, im Rahmen der WTO-Runden ihre Liberalisierungsagenda international durchzusetzen, setzt sie seit einigen Jahren verstärkt auf die bilaterale Ebene. So kann das geballte Programm von Privatisierung, Weltmarktintegration und Liberalisierung gegenüber jedem Land einzeln vertreten und die außenwirtschaftlichen Ziele der EU somit leichter umgesetzt werden[28]. Besonders interessant für die EU ist der kometenhafte ökonomische Aufstieg Chinas, das als "Erfolgsgeschichte der Globalisierung" gefeiert wird. Die Kommission drängt in China zwar auf Beseitigung von Schranken für den Marktzugang, besseren Schutz intellektueller Eigentumsrechte und Abbau der staatlichen Unterstützung für chinesische Firmen[29]. Aber grundsätzlich sieht die EU das Land, das in einigen Verlautbarungen immer noch als "kommunistisch" gebrandmarkt wird, wie selbstverständlich als Kooperationspartner bei der Gestaltung der kapitalistischen Weltordnung an.

"Europe 2020" und alles beim Alten

Sowohl Lissabon als auch "Global Europe" sind seit 2010 in der "Europe 2020"-Strategie zusammengefasst und für die laufende Dekade verlängert worden. Nach Auffassung der AutorInnen des Europe 2020-Papiers befindet sich die EU in einem "moment of transformation" und muss jetzt auf drei zentrale Punkte orientieren: "smart growth", d.h. Wachstum auf Basis von Wissen und Innovation; "sustainable growth", was den Fokus auf Ressourceneffizienz und Umweltfreundlichkeit bei gleichzeitiger Wettbewerbsfähigkeit legt; und "inclusive growth", also Beschäftigungsförderung und "soziale Kohärenz". Konkret sollen bis 2020 75% der Bevölkerung zwischen 20-64 beschäftigt sein, 20 Mio. Menschen vom Armutsrisiko befreit werden, 3% des BIP in Forschung und Entwicklung investiert werden und die Treibhausgasemissionen um 30% reduziert werden. Letzteres Ziel wird freilich sogleich mit einer Einschränkung versehen: Es soll lediglich dann erfüllt werden, "wenn die Bedingungen stimmen". Erreicht werden sollen die ambitionierten Ziele der Strategie durch eine Verbreitung moderner Internetverbindungen, Ressourceneffizienz, erneuerbare Energien, einen modernisierten Transportsektor, den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Industrie, die fortgesetzte "Modernisierung" der Arbeitsmärkte und Mobilität der Arbeitskräfte. Ferner sollen die Staatshaushalte mittelfristig konsolidiert werden, aber nicht auf Kosten der wirtschaftlichen Erholung. Die Krisenbekämpfungsmaßnahmen, die zur Rettung der Banken und mit fiskalen Stimuli viele europäische Staaten in die Nähe des Staatsbankrotts getrieben haben, sollen vorerst fortgesetzt werden[30]. Der offensichtliche fundamentale Zielkonflikt zwischen der Förderung internationaler Wettbewerbsfähigkeit durch die bekannten Rezepte zur "Reform" der Sozialsysteme und Arbeitsmärkte einerseits und der Verringerung von Armut, Arbeitslosigkeit und Umweltzerstörung andrerseits wird in dem Strategiepapier nicht einmal ansatzweise angesprochen. Es ist daher davon auszugehen, dass wie bereits in der Lissabon-Strategie die Bekenntnisse zu "sozialer Kohärenz" und Armutsbekämpfung deutlich weniger ernst zu nehmen sind als die zur Wettbewerbsfähigkeit.

In der Außenhandelspolitik will die EU weiterhin auf Bilateralismus setzen, so z.B. mit den freihandelsorientierten "European Partnership Agreements" (EPAs) mit den AKP-Staaten. In der Folge verlieren die betroffenen Länder die Einnahmen durch Importzölle, die angesichts der schmalen Steuerbasis einen erheblichen Teil des Staatshaushalts bestreiten[31]. Eine noch weitere Verarmung der lokalen Bevölkerung scheint damit vorprogrammiert. Aus diesem Grund kann die an der Konzernagenda ausgerichtete EU-Handelspolitik angesichts der offiziellen "Entwicklungs"-Rhetorik auch nur mit politischen Kosten durch direkten ökonomischen Zwang durchgesetzt werden[32]. Andrerseits nehmen die verantwortlichen Stellen in der EU auch immer häufiger kein Blatt mehr vor den Mund. So berichtete die Wiener Zeitung 2010 über Überlegungen der EU-Kommission: "Entwicklungshilfe für arme Herkunftsländer – speziell in Afrika – könnte von Rohstofflieferungen als Gegenleistung abhängig gemacht werden"[33]. Um Investitionen und Handelsrouten abzusichern, etwa vor dem Horn von Afrika, wird auch voraussichtlich das Militär eine zunehmend wichtige Rolle spielen[34]. Das "state building" in Krisenregionen hat als ein Hauptziel, dass zumindest die Funktion des Staates als Garant des Privateigentums wiederhergestellt wird.

Geopolitik und Einflusssphären: Europäische Integration als Griff nach der Weltmacht

Das Institute for Security Studies der EU publizierte 2011 ein Papier mit einem "Grand Strategy" genannten Konzept, das einige Grundlinien zur Schaffung eines imperialen Großraums unter Kontrolle der EU vorschlägt[35]. In diesem Großraum, der "Grand Area" sollen alle wesentlichen Ressourcen und Handelsrouten enthalten sein, geopolitische Krisenregionen sollen ausgeschlossen werden und der Raum soll effektiv durch das Militär der Union gegen Widersacher zu verteidigen sein. Explizites Ziel ist die ausschließliche Hegemonie der EU über das Gebiet, das nach Vorstellung des "Grand Strategy"-Entwicklers James Rogers außer der EU den gesamten Mittleren Osten, den Großteil Afrikas, den Indischen Ozean inklusive Indonesiens und etwa die Hälfte der ehemaligen Sowjetunion umfassen soll. Andere Mächte sollen notfalls auch militärisch an der Verwirklichung ihrer Ansprüche gehindert werden, weshalb ein Netz aus EU-Militärbasen in der "Grand Area" anvisiert wird. Ein ähnliches Konzept schwebt dem European Council on Foreign Relations mit der "Eurosphere" vor, in der ungefähr 80 Staaten und 20% der Weltbevölkerung (im Wesentlichen aus der "Grand Area") zur Einflusssphäre der EU erklärt werden[36].

Angesichts des relativen Machtverlusts der EU zugunsten von anderen aufstrebenden Mächten und der Tatsache, dass die EU – wie der Fall Libyen suggeriert – auch weiterhin offenbar nicht in der Lage ist, einen größeren Krieg im Alleingang zu gewinnen, scheinen derartige Weltherrschaftsphantasien zwar außerhalb jeglicher Realität. Sie zeigen aber vor allem, dass man an führenden Stellen der Union nicht bereit ist, sich mit diesem Abstieg abzufinden und daher ähnlich wie die USA immer stärker auf eine offen machtpolitische, militärbasierte Strategie setzt, um die eigene Position im internationalen Kräfteverhältnis zu festigen[37]. Der Lissabon-Vertrag schreibt deshalb für die EU-Mitgliedsstaaten die Verpflichtung vor, "ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern", also permanent aufzurüsten[38].

Ganz oben auf der Agenda steht dabei das Thema Energiesicherheit. Die Kommission geht davon aus, dass aufgrund steigender Nachfrage und schwindender Eigenreserven die Abhängigkeit der EU von Ölimporten bis 2030 auf 93% der Gesamtversorgung und bei Gasimporten auf 84% steigen wird[39]. Zwar war bisher die Zufuhr von fossilen Energieträgern nie ernsthaft in Frage gestellt, aber das dürfte sich in Zukunft angesichts zunehmender Ressourcenknappheit ändern. Die EU stößt bei der Verwirklichung ihrer Energiestrategie zum Teil jetzt schon auf erhebliche Schwierigkeiten. Das vermutlich wichtigste energiepolitische Großprojekt der EU ist die Nabucco-Pipeline, die das kaspische Erdgas unter Umgehung des Rivalen Russland über die Türkei und den Balkan nach Mitteleuropa leiten soll. Trotz massiver Unterstützung der USA und EU für das Vorhaben steht seine Umsetzung sehr auf der Kippe: Im Oktober 2011 wurde das Nabucco-Projekt von hochrangigen Energieexperten aus Deutschland als nicht realisierbar bezeichnet, nachdem der Baubeginn schon zuvor mehrfach verschoben wurde und momentan für 2013 vorgesehen ist[40]. Auch wenn es wohl verfrüht ist, das Projekt endgültig abzuschreiben, sieht e

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Materialistische und proletarische Kritik bürgerlicher Staatsauffassung [via scharf-links.de]


Materialistische und proletarische Kritik bürgerlicher Staatsauffassung

 

von Otto Finger - Reinhold Schramm (Bereitstellung)

 

[via scharf-links.de]

 

http://scharf-links.de/49.0.html?&tx_ttnews[pointer]=1&tx_ttnews[tt_news]=26095&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=d847ed486e

Für die Herausbildung des revolutionären Klassenbewusstseins des Proletariats ist jedoch schon die vergleichsweise allgemeine Kennzeichnung des Staates in der "Heiligen Familie" und die hier vorgenommene Kritik bürgerlicher Ideologie in Sachen Staat von erheblicher Bedeutung.

Tatsächlich treibt Marx hier jene Analyse des Verhältnisses von Staat und bürgerlicher Gesellschaft weiter, der wir in der "Kritik des Hegelschen Staatsrechts" und in der "Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie" begegnet waren. Die Analyse wird insbesondere in Form einer Kritik der junghegelianischen Irrtümer über das Wesen der französischen Revolution von 1789 und den Charakter des napoleonischen Staates konkretisiert. Marx nimmt dabei gleichzeitig ein wesentliches Stück Ideologiekritik vor, indem er die Selbsttäuschungen sowohl der Jakobiner als auch Napoleons über die wirkliche Rolle ihrer Aktionen und ihrer Politik aufzeigt.

Marx hebt den Widerspruch auf zwischen den ideologischen Illusionen der Robespierre und Saint-Just über den bürgerlichen Staat und der gesellschaftlichen Realität, der er entspricht. Ein ideologiekritisches Thema des "18. Brumaire" vorwegnehmend zeigt Marx, dass sie Gefangene ihrer eigenen heroischen Illusionen waren – und an ihr auch zugrunde gingen –, das demokratische Gemeinwesen der Antike wiederhergestellt zu haben. -

Die sozialökonomische Grundlage des antiken Staats war das "wirkliche Sklaventum"; die Grundlage des modernen bürgerlichen Staates ist das "emanzipierte Sklaventum" – die Versklavung der arbeitenden Menschen geschieht jetzt auf dem Boden der "freien" Arbeit, einer Arbeit, die emanzipiert ist von den feudalen Fesseln, die als Ware "frei" gekauft und verkauft werden kann. -

Der Marxsche Ausdruck vom "emanzipierten Sklaventum" macht den wirklichen Inhalt dieser in den sogenannten "Menschenrechten" sanktionierten Freiheiten kenntlich: Die Arbeit wurde im Kapitalismus nur soweit freigesetzt, wie sie gemäß den kapitalistischen Produktionsbedingungen ausbeutbar ist. -

Die neuen Bedingungen der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die neuen Produktionsverhältnisse des Kapitalismus [Anm.: bürgerliche ZuhälterInnen der aktuellen "neuen Bedingungen" sagen auch "Soziale Marktwirtschaft"; R. S.] lassen sich politisch nicht in den alten Formen des antiken Staates ausdrücken. Die antike Demokratie war, wie Marx sagt, ein "realistisch-demokratisches" Gemeinwesen, gerade weil sie auf dem wirklichen Sklaventum beruht. Das heißt: Es war eine Demokratie für die Sklavenhalter. Nur sie zählten als Bürger und Menschen. -

Die Sklaven galten als bloße Arbeitsinstrumente, als "sprechende Werkzeuge" nach einem Wort des Aristoteles. Die kapitalistische Produktionsweise brauchte zu ihrer Entwicklung Arbeitskräfte, die weder in der Form der antiken Sklaverei noch in der Form der feudalen Leibeigenschaft unmittelbar an eine bestimmte Person des Ausbeuters gebunden sind, Knecht genau dies Herrn, Werkzeug dieses Sklavenhalters, von ihm besessen wie ein Ding, sondern eine von diesen unmittelbaren Fesseln befreite Arbeitskraft, dem kapitalistischen Eigentümer frei verfügbar.

Diese neue Form der Verfügung der Eigentümer über die arbeitenden Menschen spricht sich in der bürgerlichen Ideologie als die Freiheit des Menschen schlechthin aus, als Menschenrecht überhaupt, als Demokratie für alle. -

Ihr wahrer Inhalt ist: Alle Glieder der Gesellschaft werden nunmehr den Gesetzen der kapitalistischen Produktion unterworfen. -

Sie müssen deshalb tatsächlich von den Unfreiheiten, den Privilegien, den Autoritäten der feudalen Gesellschaft befreit werden. Der Vorgang dieser Emanzipation fällt allerdings zusammen mit der Sanktionierung der neuen, spezifisch kapitalistischen Unfreiheiten und Gewaltanwendungen gegen die Masse aller Menschen. -

Die bürgerlichen Verhältnisse entsprechen also allem anderen als dem verkündeten Wortinhalt von Demokratie; der Volksherrschaft. Sie sind Verhältnisse der Herrschaft über das Volk, der Beherrschung der werktätigen Volksmassen durch eine Minderheit von Kapitalbesitzern. Welche Herrschaft gleichwohl in der bürgerlichen Ideologie – und auf der objektiven Grundlage der angedeuteten Veränderungen in der Produktionsweise – als Demokratie erscheint. -

Sie ist es nur in der Ideologie, in den falschen Ideen der bürgerlichen Epoche, nicht aber in der gesellschaftlichen Realität. In diesem Sinne spricht Marx von dem modernen spiritualistisch-demokratischen Repräsentationsstaat:

"Robespierre, Saint-Just und ihre Partei gingen unter, weil sie das antike, realistisch-demokratische Gemeinwesen, welches auf der Grundlage des wirklichen Sklaventums ruhte, mit dem modernen spiritualistisch-demokratischen Repräsentativstaat, welcher auf dem emanzipierten Sklaventum, der bürgerlichen Gesellschaft, beruht, verwechselten. Welche kolossale Täuschung, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die Gesellschaft der Industrie, der allgemeinen Konkurrenz, der frei ihre Zwecke verfolgenden Privatinteressen, der Anarchie, der sich selbst entfremdeten natürlichen und geistigen Individualität – in den Menschenrechten anerkennen und sanktionieren zu müssen und zugleich Lebensäußerungen dieser Gesellschaft hinterher an einzelnen Individuen annullieren und zugleich den politischen Kopf dieser Gesellschaft in antiker Weise bilden zu wollen." [1/27]

Im zitierten Gedankengang wird auf eine revolutionäre Aufgabe hingezielt, wenn Marx von der bürgerlichen Gesellschaft als einer Gesellschaft der Konkurrenz und der Anarchie spricht, sie als eine Gesellschaft verurteilt, worin die "natürliche und geistige Individualität von sich selbst entfremdet" sind. Innerhalb der an das Kapital gefesselten Arbeit ist keine freie, bewusste, geplante Selbstverwirklichung des arbeitenden Menschen möglich. -

Wiederum enthält die Kritik der kapitalistischen Wirklichkeit, vom Standpunkt des Arbeiters in ihr vorgenommen, den Ansatz zur Begründung der Notwendigkeit und des Ziels der Revolution. Notwendig ist die Überwindung solcher Verhältnisse, in denen Konkurrenz und Anarchie, in denen die Industrie selbst die volle Entwicklung der reichen Individualität des arbeitenden Menschen, die allseitige, physische und geistige Entfaltung seiner Persönlichkeit unmöglich machen. -

Und als humanistisches Ziel der revolutionären Umwälzung dieser Verhältnisse ist damit gerade die umfassende Entwicklung der Persönlichkeit des arbeitenden Menschen begründet.«

Anmerkung

1/27 Friedrich Engels und Karl Marx, Die heilige Familie, S. 129.

Quelle: Philosophie der Revolution. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie von Otto Finger. Vgl.: 4.7. Materialistische und proletarische Kritik bürgerlicher Staatsauffassung, in: 4. Kapitel: Materialismus und revolutionäres Klassenbewusstsein contra subjektiven Idealismus (zur aktuellen weltanschaulichen Bedeutung der "Heiligen Familie")

 


VON: OTTO FINGER - REINHOLD SCHRAMM (BEREITSTELLUNG)


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--->>> die Mitgliedsstaaten auf die neoliberale Austeritätspolitik nach deutschem Vorbild umzukrempeln versucht


Demokratie, Austerität und die zwei Europas

 
[via Nachdenkseiten]
 
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Es gibt das marktkonforme Europa der Angela Merkel, das sich in Brüssel hinter den Institutionen der EU verschanzt hat und im Kielwasser der Krise die Mitgliedsstaaten auf die neoliberale Austeritätspolitik nach deutschem Vorbild umzukrempeln versucht. Die demokratische Legitimation dieses Europas ist jedoch zumindest fragwürdig. Es gibt aber auch noch das demokratische Europa, das trotz der unverhohlenen Erpressungen aus Berlin und Brüssel seine Stimme gegen diese Austeritätspolitik erhebt.

Dieses Europa hat sich gestern in der parlamentarischen Versammlung des Straßburger Europarats eindrucksvoll zu Wort

gemeldet und der Austeritätspolitik Merkelscher Schule eine klare Absage erteilt. Eine breite Mehrheit der Abgeordneten stimmte über alle Parteigrenzen hinweg mit siebzigprozentiger Mehrheit einem Bericht[*] des deutschen Linken-Politikers Andrej Hunko zu, in dem die europäischen Staaten aufgefordert werden, ihre einseitige Austeritätspolitik zu Lasten der Volkswirtschaft und der sozial Schwachen neu zu justieren, sowie die Staatshaushalte nicht durch Kürzungen, sondern durch eine höhere Besteuerung der Wohlhabenden zu sanieren.

Von Jens Berger.

Der deutsche Linken-Politiker Andrej Hunko erhielt im letzten Jahr vom Ausschuss für Soziales, Gesundheit und nachhaltige Entwicklung des Europarates den Auftrag, als Berichterstatter ein Papier zu den menschenrechtlichen Auswirkungen der Austeritätspolitik zu erstellen und konkrete Forderungen an die nationalen Parlamente zu formulieren, wie man der Krise politisch begegnen kann, ohne dabei die Orientierung an der europäischen Sozialcharta und der Menschenrechtscharta aus den Augen zu verlieren. Auch wenn Hunkos Bericht im Ausschuss an einigen wenigen Stellen verbal leicht "glattgebügelt" wurde, stellt er ein klares Statement gegen die vorherrschende europäische Krisenstrategie dar. Hunko fordert nicht nur, dass die Politik einseitige Ausgabenkürzungen, die vor allem die schwächeren Bürger belasten, einstellen und stattdessen die Wohlhabenden stärker an den Folgekosten der Krise beteiligen soll; er schlachtet in seinem Bericht auch einige "heilige Kühe" der EU. So empfiehlt sein Bericht beispielsweise den nationalen Regierungen, die gängige Staatsfinanzierung über die Finanzmärkte in Frage zu stellen und stattdessen eine direkte Staatsfinanzierung über die EZB zu prüfen und zusammen mit der EU die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür zu erörtern. Solche Forderungen sind vernünftig und – zumindest in der deutschen politischen Landschaft – klar links zu verorten. Eine Verabschiedung eines solchen Papiers durch ein demokratisch legitimiertes Gremium auf europäischer Ebene ist ein Novum. Da wundert es nicht, dass die deutschen Austeritätsbefürworter aus CDU und FDP alles versucht haben, um den Hunko-Bericht zu verhindern.

Lücken in den Reihen der Austeritätsbefürworter

Hinter den Kulissen verlaufen die politischen Frontlinien zwischen Europas Austeritätsbefürwortern und –gegnern auf eine seltsame Art und Weise asymmetrisch. Die einzigen "echten" und bedingungslosen Verbündeten der großen deutschen Austeritätskoalition sind die marktliberalen und konservativen finnischen Parteien, die nationalkonservative Schweizer SVP, die markliberalen estnischen Regierungsparteien und allerlei nationalchauvinistische Hardliner, die ohnehin alles was Europa betrifft, reflexhaft ablehnen. Hinzu kommen vereinzelte Abgeordnete der konservativen Parteien der Eurozone. Von einem "konservativen Block" hinter Merkel kann jedoch bei bestem Willen keine Rede sein. Außer in Deutschland, Finnland, der Schweiz und Estland gibt es in allen europäischen Nationen im konservativen Lager zahlreiche Stimmen gegen diesen Austeritätskurs. Stimmen, die in demokratischen Institutionen wie dem Europarat und dem Europaparlament zu Wort kommen, in den streng hierarchisch geprägten Institutionen der EU jedoch an die Seite gedrängt werden und untergehen. Dass selbst im "liberalen" Lager Europas die Front der Austeritätsbefürworter mehr als lückenhaft ist, zeigte einmal mehr die Abstimmung zum Hunko-Bericht im Europarat.

Hinter den Kulissen kam es dort zum offenen Bruch innerhalb der "liberalen" Fraktion ALDE. Der kompromisslos marktliberale Flügel, unter Beteiligung der deutschen FDP, konnte gegen den erheblichen Widerstand anderer liberaler Abgeordneter einen Fraktionsbeschluss durchsetzen, nach dem sämtliche in der ALDE zusammengeschlossenen Abgeordneten den Hunko-Bericht einstimmig abzulehnen hätten. Dieser – aus den EU-Gremien bekannte – undemokratische Fraktionszwang verfehlte jedoch sein Ziel mit Ach und Krach. Viele ALDE-Abgeordnete blieben der Abstimmung fern und von den anwesenden ALDE-Abgeordneten stimmten rund 40% für den Antrag.

Die SPD isoliert sich

Noch größer war die Zustimmung im sozialdemokratischen Lager, zu dem im Europarat auch die meisten Abgeordneten der "nicht-linken" Grünen zählen. Bereits in der offenen Debatte im Plenum äußerten sich zahlreiche Abgeordnete der sozialdemokratischen Parteien mit aller Vehemenz gegen die vorherrschende neoliberale Austeritätspolitik. Insbesondere die Debattenbeiträge der britischen Labour-Abgeordneten, die sich in aller Form von der neoliberalen Agenda Tony Blairs distanzierten, überraschten deutsche Ohren. Würde die deutsche SPD ihre Vergangenheit – und damit auch ihre gegenwärtige Agenda – auch nur im Ansatz derart kritisch reflektieren, wären dem Land und Europa schon viel geholfen.

Aus den Reihen der europäischen Sozialdemokraten bekam der Hunko-Bericht, wie auch von der europäischen Linken, geschlossene Rückendeckung. Die deutschen Sozialdemokraten lösten (ebenso wie die deutschen Abgeordneten der Grünen) den Ideologiekonflikt zwischen der europäischen Sozialdemokratie und der SPD-Linie auf ihre Art und Weise – sie blieben der Abstimmung geschlossen fern. Geht eher ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein SPD-Abgeordneter einem Antrag oder Bericht der Linkspartei zustimmt? Nicht nur Angela Merkel, auch die deutsche SPD ist mittlerweile auf europäischer Ebene ziemlich isoliert.

Die zwei Europas

Die Abstimmung über den Hunko-Bericht zeigt vor allem eines: Abseits der ideologischen Scheuklappen der deutschen Politik ist linke Politik in Europa durchaus mehrheitsfähig – jedoch nur dann, wenn die Parlamentarier über den parteipolitischen Tellerrand hinwegschauen und sich an ihrem Gewissen orientieren. Dieses Europa ist ein zukunftsfähiges Modell, zeigt es doch, dass ein Mehr an Demokratie immer im Sinne der Menschen ist. Leider stehen die europäischen Weichen derzeit nicht auf mehr, sondern auf weniger Demokratie. Nicht der Hunko-Bericht, der rechtlich lediglich eine Empfehlung darstellt, sondern das gemeinsame Positionspapier der – demokratisch bestenfalls leidlich legitimierten – Viererbande van Rompuy/Draghi/Barroso/Juncker wird beim EU-Gipfel an diesem Wochenende Diskussionsgrundlage sein. Und selbst dieses volkswirtschaftlich fragwürdige Papier hat allem Anschein nach keine Chance gegen die deutsche Austeritätsagenda. Europa könnte eine Chance auf eine bessere Zukunft haben, wenn es sich denn nur auf seine demokratischen Traditionen zurückbesinnen würde. Davon sind wir jedoch wahrscheinlich weiter denn je entfernt. Die Zustimmung des Europarates zum Hunko-Bericht ist lediglich ein Lichtstreif an einem Horizont, der sich gleichzeitig bereits mit dunklen Gewitterwolken zuzieht. Optimismus ist hier leider fehl am Platze. Denk ich an Europa in der Nacht, werd´ ich um den Schlaf gebracht.

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