Gestern hatten wir darauf aufmerksam gemacht, dass der Bundesverband der Deutschen Industrie sich nicht ausreichend für die Belange der real tätigen und wertschöpfenden Industrie engagiert, jedenfalls nichts tut, um die Belastungen durch die Umtriebe der Finanzwirtschaft abzuwehren. Beim Verband der Einzelhändler, dem "Handelsverband Deutschland" (HDE) steht es nicht besser, eher schlimmer.
Dort wird die negative Entwicklung der für den Einzelhandel entscheidenden volkswirtschaftlichen Größe, des Konsums, seit Jahren beschönigt. Und die Folgen der neoliberal geprägten Reformen, des Sozialabbaus, des geschaffenen Niedriglohnsektors und der Verschiebung der Einkommensverteilung zu Gunsten der Spitzeneinkommen, die Folgen dieser Entwicklungen für den Konsum und damit für die Umsätze des Einzelhandels werden nicht thematisiert.
Albrecht Müller.
Zunächst zu den Quellen. Hier der Link auf die Startseite des HDE und hier noch auf die einschlägige Seite "Konjunktur und Marktdaten" .
Was man allgemein als interessierter Beobachter und was die Einzelhändler als Betroffene vom Verband der Einzelhändler erwarten könnten:
- dass der Verband für eine Stärkung der Binnennachfrage eintritt,
- dass er sich gegen die nunmehr 20 Jahre dauernde Stagnation der Löhne wendet,
- dass er sich für die Stärkung der Massenkaufkraft einsetzt und deshalb den Ausbau des Niedriglohnsektors kritisiert, auch wenn die Einzelhändler durch Niedriglöhne auf der Kostenseite entlastet werden,
- dass der HDE sich gegen die Belastung der Steuerzahler und der realen Wirtschaft durch die Exzesse im Finanzkasino wendet, auch gegen die Rettung jeder Bank und die Demission des Bankenrettungsschirms kritisiert,
- dass der Verband die Bevorzugung der Exportwirtschaft kritisiert, die zum Beispiel auch durch die Konstruktion der Mehrwertsteuer und die dadurch bewirkte Entlastung der Exporte von der Mitfinanzierung der öffentlichen Leistungen und insbesondere der Infrastruktur zustande kommt,
- dass der Einzelhändlerverband sich gegen weitere Mehrwertsteuererhöhungen engagiert
- dass sich der HDE gegen die Beschönigung der wirtschaftlichen Lage und insbesondere der Entwicklung des Konsums wendet,
- dass Spitzen der Einzelhändler deshalb die geborenen Kritiker der Beschönigung der Konsumentwicklung durch die GfK in Nürnberg sein müssten,
- usw.
Auf den einschlägigen Internetseiten des HDE werden Sie dazu nahezu nichts Einschlägiges finden. Im Gegenteil:
Beschönigung der Lage des Einzelhandels und der Entwicklung des Konsums
Wenn man auf die Webseite des Handelsverbandes Deutschland (HDE) geht und nach aktuellen Einschätzungen zur Lage des Einzelhandels und des Konsums sucht, dann findet man in der Rubrik "Konjunktur und Marktdaten" zuletzt am 31.1.2012 folgenden Eintrag:
Der HDE erwartet daher für 2012 eine insgesamt gute Geschäftslage auf Vorjahresniveau. Der Umsatz wird sich nach Einschätzung des HDE nominal um 1,5 Prozent über dem Vorjahr entwickeln. Preisbereinigt wird dies einem Anstieg von etwa 0,5 Prozent entsprechen. Dies würde immerhin bedeuten, dass der Einzelhandel seinen Umsatz preisbereinigt im dritten Jahr nacheinander steigern könnte. Die Diskussion um einen Konsumboom ist angesichts dieses moderaten Wachstums allerdings verfehlt.
Beachtlich: ein Anstieg des Umsatzes um 0,5 (!)%, also beachtlich unterhalb der volkswirtschaftlichen realen Wachstumsrate von 3 %, wird als "insgesamt gute Geschäftslage" bezeichnet.
Am 4. Januar 2012 gab es folgenden Eintrag:
Arbeitsmarkt stützt Konsum
Die guten Zahlen vom Arbeitsmarkt wirken sich positiv auf den Konsum und den Einzelhandel in Deutschland aus. Die gute Beschäftigungssituation trägt zu einer stabilen Verbraucherstimmung bei. "Die Rekordbeschäftigung hat sich auch auf die Einkommensentwicklung positiv ausgewirkt und den Konsum gestützt. Die erfreuliche Entwicklung am Arbeitsmarkt wird sich wohl auch in diesem Jahr fortsetzen. Das wird dazu beitragen, dass der Konsum eine Stütze für die Konjunktur bleibt.", so der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), Stefan Genth.
Insgesamt waren die Rahmenbedingungen für den Einzelhandel 2011 so gut, wie schon lange nicht mehr. Das Jahr hat denn auch die Erwartungen der Branche erfüllt. Der HDE hatte für 2011 ein Umsatzplus von zwei Prozent erwartet
Das ist sowohl eine Beschönigung der Konsum- und Einzelhandelsentwicklung als auch eine Beschönigung der Arbeitsmarktlage. Von "Rekordbeschäftigung" ist die Rede. Das ist voll auf der Linie der Bundesregierung und der sie tragenden neoliberalen Kräfte, die seit längerem schon von Boom und Aufschwung XXL schwärmen.
Tatsächlich liegt der Umsatz des Einzelhandels heute real unter dem Wert von 1998
Das wird in den Schönwettermeldungen des Verbandes der Einzelhändler verschwiegen, obwohl dies ihre Mitglieder und die Einzelhändler insgesamt direkt betrifft. Hier ist eine Abbildung mit dem Verlauf der Einzelhandelsumsätze von Juli 1998 bis Oktober 2011. Die Kurve liegt im Oktober 2011 wie insgesamt 2011 unter den Werten von 1998 und jenen von 2005:
In den NachDenkSeiten haben wir die Beschönigungen der Politik, der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), der Medien und einschlägig bekannter Professoren immer wieder offen gelegt.
(Zur GfK siehe
Flassbeck: Stagnation beim Konsum: Der falsche Aufschwung
So geschieht das in Deutschland regelmäßig mit einer der wichtigsten Zahlen, die es überhaupt für eine Volkswirtschaft gibt, den Umsätzen des Einzelhandels. Während diese Zahl in den USA als Schicksalszahl gilt und entsprechend gefeiert oder beweint wird, ignoriert man sie hierzulande weitgehend und kommentiert lieber ausführlich die notorisch irreführenden Meldungen verschiedener Konsumforschungsstellen über die "Stimmung" der Konsumenten.
Das ist kein Zufall, sondern hat System, weil die Entwicklung des Einzelhandelsumsatzes einem in Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt nur die Tränen in die Augen treiben kann. Wenn man die inflationsbereinigten Einzelhandelsumsätze in Deutschland im Jahre 1998 gleich einhundert setzt und sie von dort an über alle Jahre bis heute weiterverfolgt, liegt man immer in der Größenordnung von einhundert und fast nie darüber. Der Konsum stagniert also. Die Krönung dieses Tiefgangs aber ist, dass man im Mai 2011 (bei den von der Bundesbank kalender- und saisonbereinigten Werten) bei sage und schreibe 93 landet, das ist tatsächlich der tiefste Wert seit 1998. Nach zwei sogenannten wirtschaftlichen Aufschwüngen und mitten in einem XXL-Boom also haben die Menschen in Deutschland in der Masse so wenig Geld in der Tasche, dass sie weniger beim Einzelhandel kaufen als jemals zuvor in den vergangenen 13 Jahren.
Quelle:
Einzelhändler, die die NachDenkSeiten lesen, waren in den letzten Jahren immer besser informiert, als jene, die die Verlautbarungen ihres Verbandes lasen, registrierten und glaubten.
Die Verbände sind offensichtlich weit gehend beherrscht von der herrschenden Ideologie und den ihr dienenden Personen.
In der Führungsriege der Verbände, insbesondere in der Rolle der Geschäftsführung, sind Personen tätig, die ideologisch mehr mit der herrschenden Lehre als mit den Interessen der Mitglieder der Verbände zu tun haben. Gerade am Beispiel des Einzelhandelsverbandes HDE kann man den ideologischen Einfluss über Personen belegen. Bis einschließlich des Jahres 2009 war beim HDE Hubertus Pellengahr als Geschäftsführer tätig; Pellengahr ist seit 2010 Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist. Siehe
hier und hier. Wer so nahtlos zum alleinigen Geschäftsführer der Propaganda- und Lobbyorganisation INSM werden kann, der passt nicht zu den Interessen der Mehrheit der Einzelhändler. Deren Interessen werden jedenfalls von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft nicht abgedeckt.Dieses Beispiel ist symptomatisch für die Verflechtung im Milieu der herrschenden Kreise. Dieses Milieu ist eine eigene Welt die Welt der Einzelhändler ist wie die Welt der produzierenden Industrie eine ganz andere.
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