Wir freuen uns über die Kritik der AG/R und da eine Debatte nicht nur von Klarheit und Kürze lebt, wollen wir etwas ausführlicher auf den Text eingehen und die Gelegenheit nutzen, um einige grundlegende Punkte darzulegen. Für die AG/R mag das wie die von ihnen kritisierte Selbstbeschäftigung aussehen. Wir halten es für einen integralen Bestandteil von Theorie und Praxis. Im ersten Teil unserer Antwort diskutieren wir die von der AG/R unterstellte Eindimensionalität unserer Betrachtungen der gesellschaftlichen Zustände im Kapitalismus, ihrer Konsequenzen und unserer Lösungsansätze. Danach geht es um unsere Organisations- und Sozialismus-Vorstellungen.
Die AG/R wirft uns reduktionistischen Ökonomismus vor, wodurch alle anderen Unterdrückungsverhältnisse in unserer Analyse hintenüber fallen würden. Eigentlich sollte es nach einem Blick in unser Grundsatzpapier, den die AG/R ja offensichtlich gewagt hat, mit solchen "Missverständnissen" nicht weit sein. Wir nehmen uns trotzdem die Zeit, einige Dinge noch einmal exemplarisch auszuführen. Alle Zitate, die wir im Folgenden nicht belegen, stammen, wen wundert's, aus unserem Grundsatzpapier.
Nein, es ist nicht so, dass wir die Existenz von Privateigentum für das alleinige Übel in der Welt halten und schon gar nicht steht so etwas wie Verteilungsgerechtigkeit im Zentrum unserer Programmatik. AG/R behauptet zwar, "dass es [für SoL] bereits Sozialismus wäre, wenn das gesellschaftlich erarbeitete Gesamtprodukt gerechter verteilt würde, wenn vor allem nicht mehr die KapitalistInnen vom Mehrprodukt profitierten", wir selbst haben so etwas jedoch nie gesagt.
Eine solche Analyse trifft den Kern der Sache nicht, denn der hauptsächliche Widerspruch im imperialistischen Deutschland, der zwischen Kapital und Arbeit, findet seinen Ausdruck darin, dass gesellschaftlich produziert und privat angeeignet wird. Es besteht nicht im geringsten die Möglichkeit, an dieser Grundsätzlichkeit etwas zu ändern, wenn man auf dieser Grundlage, d. h. innerhalb der Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, auf die Verteilung zielt und Politik betreibt. Dass der Bock sich hier zum Gärtner aufschwingt, wird vielleicht erst auf den zweiten Blick deutlich, aber die AG/R selbst erwecken mit ihrem Vorwurf die Illusion, dass es so etwas wie einen "gerechten" Kapitalismus geben könne.
Als MaterialistInnen begreifen wir die Ökonomie als Basis der Gesellschaft, aus der sich gewisse Ideen wie Moral, Religion usw. entwickeln und aufgrund der gewisse Dinge wie Staat, Nation usw. geschaffen werden. Uns aber vorzuwerfen, wir würden uns von Kämpfen innerhalb des "Überbaus" abwenden, ist angesichts unseres teilweise jahrelangen Engagements z. B. in antifaschistischen, antimilitaristischen, antirassistischen, proletarisch-feministischen, kulturellen und Stadtteil-Bewegungen und -Kämpfen schlichtweg absurd. Weder ist es also so, dass wir diesen Unterdrückungsverhältnissen keine theoretische Aufmerksamkeit schenken, noch stimmt es, dass sich daraus für uns keine Handlungsnotwendigkeiten ergeben würden. Sowohl im Hier und Jetzt als auch nach einer Revolution ist für uns klar: andere Unterdrückungsverhältnisse aus Zeiten des Kapitalismus "wie Rassismus und Sexismus, verschwinden [...] nicht automatisch. Sie müssen beständig bekämpft werden".Apropos nach der Revolution: Unter Sozialismus verstehen wir natürlich nicht einen irgendwie gearteten, staatlich gelenkten Kapitalismus, egal wie viel Hartz IV wir auch bekommen mögen. Sozialismus heißt für uns die Zerschlagung des bürgerlichen Staates, der Aufbau der Macht der ArbeiterInnenklasse, also eines neuen Staates, den man aber bitte nicht für die bloße Fortschreibung der kapitalistischen Bürokratie halte, sondern der sich von Beginn an in einem Prozess des Absterbens befindet, welchen wir nach Möglichkeiten befördern werden. Im Sozialismus sind die Produktionsmittel Staats- und/oder Kollektiveigentum und produziert wird nach dem Bedürfnis der Gesellschaft. In welchem Umfang Geld existiert, hängt vom Grad der Vergesellschaftung ab. Natürlich gibt es auch im Sozialismus ein Mehrprodukt, und es wird wohl auch im Kommunismus noch eines geben, schließlich benötigt man Mittel zur Erweiterung der Produktion, zur Forschung, für Rücklagen usw. Essenziell ist, dass, auch wenn das Wertgesetz noch existiert, es nicht mehr der Regulator der Produktion ist und an seine Stelle die Planung mit dem Ziel der Bedürfnisbefriedigung tritt.
Das wichtigste am Sozialismus aber ist sein Charakter als Übergangsgesellschaft zum Kommunismus, das heißt, die gesellschaftliche Realität ist bestimmt von einer Vielfalt an Kämpfen, um weiterbestehende Widersprüche hin zum Kommunismus aufzuheben. "Besondere Aufmerksamkeit müssen den Wiedersprüchen gewidmet werden, die sich im ökonomischen Bereich nicht aufgelöst haben. Dazu zählen die Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, leitender und ausführender Tätigkeit und zwischen Stadt und Land. Das beständige Zurückdrängen dieser Widersprüche und ihre schließlich Lösung sind nicht nur in Bezug auf den Weg zum Kommunismus wichtig, sondern auch um das Entstehen einer privilegierten Schicht zu verhindern, die restaurative Tendenzen verstärken würde."
Die konkreten Umstände, in denen schließlich die Überwindung der klassengesellschaftlichen Altlasten stattfindet, können wir natürlich nicht vorwegnehmen. Dafür bedarf es konkreter Analysen und konkreter Handlungen, die sich nicht in ein paar geschriebenen Zeilen erschöpfen. Für uns steht fest, dass wir uns nach der Revolution nicht zur Ruhe setzen: "Die Revolution [als Akt der Entmachtung der Bourgeoisie und Bemächtigung der Unterdrückten und Ausgebeuteten] wird [...] ihr Ende finden. Der revolutionäre Prozess als Umgestaltung aller gesellschaftlichen Verhältnisse wird dieses Ende nicht finden."
Ein wenig müssen wir aber noch zu dem schreiben, was AG/Rs eigene Vorstellungen von der befreiten Gesellschaft zu sein scheinen, nämlich unter anderem "Aufhebung von Entfremdung" und "gerechte Verteilung" von was auch immer.
Natürlich "prägt" der Kapitalismus und sein unentrinnbarer Zwang zur Verwertung jede soziale Beziehung. Es wäre aber nötig gewesen, diesen Allgemeinplatz mit Inhalt zu füllen. Der Kapitalismus hat die sozialen Beziehungen verändert - im Vergleich zu "früher"? Klar, aber welche Gesellschaftsformation tut das nicht? Der Kapitalismus gestaltet die sozialen Beziehungen in einer Weise, die wir nicht für erstrebenswert halten? Klar, deshalb sind wir Kommunistinnen und Kommunisten. Aber: Hat der Kapitalismus die sozialen Beziehungen in einer Weise transformiert, die nicht "richtig" ist, die "die Menschen von ihrer Arbeit, ihrer Umwelt, aber auch von ihren Mitmenschen und sich selbst entfremdet" (AG/R)?
So wie die AG/R schreibt, läßt sich in ihrer "Entfremdung" der Rückgriff auf ein metapysisches "menschliches Wesen" vermuten; der Rückgriff auf die Figur einer dem "menschlichen Wesen" angemessenen Weise zu produzieren, die dem jetzigen "falschen" Kapitalismus entgegengehalten wird; vielleicht gar eine antimoderne Klage, die sich in die graue Vorzeit vor der kapitalistischen "Totalität von Lohnarbeit, Ware und Geld" (AG/R) zurücksehnt? Eine solche Kritik verliert die revolutionäre Spitze des Materialismus und scheint uns nicht gerade emanzipatorisch.
Weiterhin denken wir nicht, dass Fragen der Verteilung in den Zuständigkeitsbereich der Moral fallen. "Kommunist[Inn]en predigen überhaupt keine Moral", sagte einmal ein schlauer Mensch, was sich als Prophezeiung leider als völlig haltlos erwiesen hat, als programmatischer Anspruch an klassenbewusste Theorie aber weiterhin Gültigkeit besitzt. Moral gehört in das Reich der Ideen, nicht zu den Regulationsprinzipien für die neue Gesellschaft. Wenn man die Frage der Revolution zu einer Frage der objektiven Moral macht, muss man wohl ewig auf moralische Einigkeit warten.
Kommen wir nun zu dem Vorwurf, wir hätten autoritäre und undemokratische Vorstellungen des Sozialismus. Dies mag aus Sicht von AnarchistInnen tatsächlich so sein, da wir dem Individualismus der bürgerlichen Gesellschaft (und der AG/R) die Idee vergesellschafteter Individuen in einer individualisierten Gesellschaft entgegensetzen. Doch der Vorwurf der AG/R, wir würden eine verbürokratisierte Form des Sozialismus anstreben, in der Demokratie nur scheinbar vorhanden ist, ist Unfug. Dabei ist das, was wir zur Rolle der Kommunistischen Partei im Sozialismus schreiben, gar nicht derart lang oder kompliziert:
"Geführt werden die proletarische Macht und ihre Massenorganisationen (Räte, Gewerkschaften, Jugendorganisationen usw.) durch die kommunistische Partei. Diese Führung ist nicht in erster Linie administrativ begründet, sondern muss beständig erkämpft und ausgebaut werden. Das Vertrauen der Menschen verdient sich die kommunistische Partei dabei vor allem durch ihre Leistungen im Kampf um Befreiung. Sie ist nicht alleiniger Bestandteil der Diktatur des Proletariats, sondern führt diese Macht und ist ihr politischer Kern. Der Aufbau des neuen Staat ist jedoch kein Selbstzweck. Es ist nicht unser Ziel, einfach den einen Staat durch den anderen zu ersetzen. Obwohl man zum Erhalt der Errungenschaften der Revolutionen staatliche Organe benötigt, ist der Sozialismus in Bezug auf den Staat doch eigentlich ein Prozess des Absterbens. Dies muss in erster Linie durch die immer intensivere Beteiligung der breiten Massen an der direkten Verwaltung und Lenkung von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft bewusst gefördert werden."
Dass schließlich eine Gruppe, die sich im Namen selbst als rätekommunistisch bezeichnet, ein Problem mit der führenden Rolle der ArbeiterInnenklasse in der Revolution zu haben scheint, hat uns doch ein wenig heiter gestimmt. Die Revolution funktioniert nicht gegen die anderen unterdrückten Klassen und Schichten und ebensowenig unter ihrer politischen Führung. Es bleibt dabei, das Proletariat ist aufgrund seiner materiellen Vorraussetzungen, seiner Stellung im Produktions- und Reproduktionsprozess, die einzig konsequent revolutionäre Klasse und muss sich für den Sturz der alten Ordnung mit allen verbünden, mit denen das geht.
Die AG/R schreibt es zwar nicht explizit, aber eine altbekannte Unterstellung schwingt mit und so erklären wir erneut, auch auf die Gefahr hin, dass wir uns dabei wie eine Schallplatte mit Sprung fühlen: Wir, SoL, sind nicht die Kommunistische Partei. Wir, SoL, sind nicht die Aufbaugruppe der Kommunistischen Partei. Und nein, erst recht halten wir uns nicht für die Führungsriege eines kommenden sozialistischen Staates.
Weiterhin war, ist oder wird weder SoL oder eine künftige Kommunistische Partei, ja nicht mal ein simpler Stein, jemals einen "monolithischen Block" bilden. Der Widerspruch ist alles. Der Kampf, der sich daraus ergibt, ist die Triebfeder jeglicher Entwicklung.
Nimmt man diese unsere Aussagen ernst, und wir gehen davon aus, dass das getan wird, ansonsten hätte es ja auch wenig Sinn sich mit unseren anderen Texten auseinanderzusetzen, wie die AG/R es getan hat, dann bleibt von der Kritik der AG/R an unseren Organisationsvorstellungen nicht viel mehr übrig als heiße Luft und ein paar Bits Speicherplatz auf dem Nadir-Server. Wenn unsere FreundInnen von AG/R dann allerlei "dogmatische" Organisationen aufzählen, die ihnen anscheinend schlaflose Nächte bereiten, und uns mit ihnen in eine Tradition stellen, dann werden wir schon ärgerlich. Zugegeben, der Vergleich mit der KPD der 20er-Jahre schmeichelt uns, obwohl wir nicht so recht wissen, wie wir uns diese Ehre verdient haben. Aber wir sind weder VaterlandsverteidigerInnen wie einige K-Gruppen, noch versuchen wir, "bessere" SozialdemokratInnen zu sein, wie viele heutige "kommunistische" Organisationen. Es ist kein Zufall, dass wir uns nicht dort organisieren. Und wir denken, in Propaganda und Praxis unterscheiden uns nicht nur Welten, sondern vor allem Klassen, auch wenn AG/R das wissentlich unter den Tisch fallen lässt.
In einem Punkt wollen wir der AG/R aber doch noch recht geben. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich einige von uns manchmal dem "Dresscode" der "Szene" bedienen. Aber wir denken nicht im Traum daran, uns stattdessen vorschreiben zu lassen, dass wir Blaumann, Helm und Sicherheitsschuhe, Ledermantel und Schiebermütze, Hemd, Jackett und Halbschuhe oder sonst was tragen sollen, sondern das tragen, was uns gefällt. Außerdem sei darauf hingewiesen, dass das Unkenntlichmachen auf Demonstrationen nicht von einer jugendlichen Subkultur Anfang der 80er in Westdeutschland erfunden wurde. Ob dieser Punkt jedoch irgendwie, in welcher Form auch immer, auch nur im entferntesten so etwas wie Relevanz besitzt, wagen wir, ohne Form und Inhalt unzulässigerweise voneinander trennen zu wollen, zu bezweifeln.
Wir bleiben dabei: Wir sind KommunistInnen. Wir kämpfen als Teil des internationalen Proletariats. Und was macht ihr so?
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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