Montag, 30. April 2012

vertiefend -> Es wird gern über d. Fachkräftemangel geklagt. Wer ihn sucht, stellt allerdings fest: #Es #gibt #ihn #gar #nicht

 

Die Fata Morgana

In Unternehmen und Verbänden wird gern über den Fachkräftemangel geklagt.

Wer ihn sucht, stellt allerdings fest: Es gibt ihn gar nicht.

[via brand eins]

http://www.brandeins.de/archiv/magazin/sinn/artikel/die-fata-morgana.html


- Stünde Axel Haitzer wirklich kurz vor dem Abitur, wäre er frustriert. 250 Unternehmen hat er angeschrieben, und zwar nur solche, die jedes Jahr mindestens drei junge Menschen ausbilden und das im Netz und in Zeitungen inserieren. Er stehe kurz vor der Fachhochschulreife, hieß es in seinem Schreiben. Nun frage er sich, wie es weitergehen solle. Ein Studium? Kombiniert mit einer Ausbildung? Oder eine normale Lehre?

"Bitte geben Sie mir nähere Informationen, welche Perspektiven mir Ihr Unternehmen bieten kann. Informieren Sie mich bitte insbesondere, warum ich gerade bei Ihnen ins Berufsleben starten sollte. Was zeichnet Ihr Unternehmen als Ausbildungsbetrieb besonders aus?"

Immerhin sechs von zehn Unternehmen antworteten, per Mail oder per Brief - in zwei Fällen allerdings nur mit dem Vermerk, dass der Ansprechpartner aus der aktuellen Stellenanzeige "nicht mehr im Unternehmen tätig" sei. Aber auch die wenigen, die sich zu einer ausführlicheren Antwort aufrafften, hatten den Brief offenbar nicht gelesen. Eine Firma dankte dem Absender für seine Bewerbung, obwohl er sich gar nicht beworben hatte. Eine andere informierte ihn unnötigerweise darüber, dass die Ausbildungsplätze vergeben seien. Gern verwies man auf die Web-Seiten und teilte mit, individuelle Fragen aus Kapazitätsgründen nicht beantworten zu können.

Nur wenige Personaler tappten nicht in die Standardantwortfalle, dafür formulierten sie ihren Standpunkt recht deutlich: Man gehe von der möglicherweise altmodischen Vorstellung aus, dass sich die Bewerber beim Unternehmen zu bewerben hätten, formulierte einer spitz. Und der Personalchef eines bekannten börsennotierten Unternehmens setzte seine Unterschrift unter den Satz: "Für uns ist es schwierig zu sagen, warum Sie einer unserer Auszubildenden werden sollten, die Entscheidung liegt bei Ihnen."

Axel Haitzer steht nicht kurz vor der Reifeprüfung. Die hat er bereits 1983 abgelegt. Er ist 52 und Berater. Er hilft Unternehmen dabei, Fachkräfte zu finden und an sich zu binden. Gerade hat er das Buch "Bewerbermagnet" veröffentlicht und mit der Testanfrage Personaler auf die Probe gestellt. Mit seiner Agentur Quergeist ist er einer der Dienstleister, die sich um eines der vermeintlich dringendsten Probleme der deutschen Wirtschaft kümmern: den Fachkräftemangel.

Haitzer nennt ihn ein "modernes Märchen". Und erzählt Anekdoten wie die von dem Unternehmen, das in seiner Stellenanzeige immerhin eine Telefonnummer angibt. Wer sie wählt, wird von einer Stimme vom Band begrüßt: "Wenn Sie eine Frage zu Ihrer Gehaltsabrechnung haben, drücken Sie die 'Eins'. Wenn es um Reisespesen geht, drücken Sie bitte die 'Zwei'..." Wer lange genug durchhält, kann sich am Ende der Ansage immerhin für ein persönliches Gespräch entscheiden.

Nach Haitzers eigenen Erhebungen aus den ersten vier Monaten dieses Jahres war fast in jeder dritten Stellenanzeige in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und in jeder zweiten in der "Süddeutschen Zeitung" erst gar kein persönlicher Ansprechpartner für die Bewerber genannt.

Wer sich so wenig Mühe gibt, den kann der Mangel gar nicht so sehr bedrohen. "Es gibt wohl kaum einen Unternehmer, der sich hinstellen würde und von einem Kundenmangel spräche", sagt Haitzer. Und schon gar keiner käme auf die Idee, von Politikern, Industrie-, Handels- und Handwerkskammern oder Berufsverbänden zu fordern: "Bringt uns Kunden!" Dabei seien auch Fachkräfte genau wie Kunden eine knappe Ressource, und es sei Aufgabe der Unternehmen, die Versorgung mit qualifizierten und motivierten Mitarbeitern zu sichern.

Das klingt einleuchtend. Was aber ist mit den vielen Studien, die die beständigen Klagen von Unternehmen und Verbänden unterfüttern, das Wachstum werde von einem Mangel an qualifiziertem Personal gebremst? Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass der Begriff "Fachkraft" dort häufig schwammig definiert ist, dass der angebliche Mangel je nach Branche, Region und untersuchtem Zeitraum sehr variiert. Und dass hinter dramatischen Daten oft nicht einmal eine repräsentative Umfrage steht.

"Meines Wissens gibt es keine einzige empirisch fundierte Untersuchung, die belegt, wo wir aus welchen Gründen in welchem Maß unter Fachkräftemangel leiden", sagt Joachim Sauer. Er ist Präsident des Bundesverbands der Personalmanager (BPM) und im Hauptberuf Personalgeschäftsführer und Arbeitsdirektor von Airbus. Studien, die die Zahl der Tage erheben, die es dauert, um eine Stelle neu zu besetzen, kommentiert er mit: "Da sollte man sich mal die Frage stellen, ob man möglicherweise unzureichend rekrutiert - dieser Indikator überzeugt mich nicht."

Jedenfalls nicht, findet Sauer, solange es mehr Arbeitslose gibt als offene Stellen und das Potenzial an nicht erwerbstätigen Frauen - mehr als 600 000 Alleinerziehende leben von ALG II - brachliegt. Und: "Selbst wenn es in einzelnen Regionen oder Branchen Personalengpässe gibt, könnten die Unternehmer kreativ darauf reagieren."

Auch Karl Brenke glaubt nicht an den Fachkräftemangel. Der Ökonom und Soziologe arbeitet am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und provoziert ganz gern. Und so nahm er die Aufregung sportlich, die entstand, als er Ende vergangenen Jahres einer seiner Untersuchungen den Namen "Fata Morgana Fachkräftemangel" geben wollte - sein damaliger Chef Klaus Zimmermann das aber verhinderte. Der warnte nämlich selbst eindringlich vor dieser Schimäre.

Brenke erklärt in seinem kleinen, vollgestopften Büro im repräsentativen DIW-Gebäude, wie schwierig es ist, dem Fachkräftemangel wissenschaftlich zu Leibe zu rücken. Eine typische Studie, die das Phänomen bei Ingenieuren belegen soll, funktioniert so: Die bei den Arbeitsagenturen registrierten offenen Stellen werden mit sieben multipliziert, weil Unternehmen längst nicht alle vakanten Positionen melden. Dem stellt man die Zahl der Arbeitslosen gegenüber. Ergebnis: Es klafft eine eklatante Lücke zwischen Angebot und Nachfrage.

"Doch der Arbeitsmarkt funktioniert völlig anders", sagt Brenke. Volkswirtschaftlich betrachtet, gebe es eine bestimmte veränderliche Zahl an Beschäftigten. Abhängig zum Beispiel vom "Ersatzbedarf" - wenn Menschen in Rente oder Elternzeit gehen. Oder vom "Expansionsbedarf" - wenn Unternehmen in einer Wachstumsphase zusätzliches Personal brauchen. Dem steht das nicht ausgeschöpfte Potenzial gegenüber: Arbeitslose, Berufsanfänger, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Außerdem die stille Reserve: Frauen, die nach der Elternzeit wieder arbeiten wollen, oder Menschen, die nicht in ihrem erlernten Beruf tätig sind.

Merkwürdig: Viele reden über das Problem. Aber kaum einer tut was dagegen

Daten für ein solch differenziertes Bild sind nicht leicht zu ermitteln. Für Ingenieure - die Berufsgruppe, die beim Thema Fachkräftemangel zuerst genannt wird - hat Brenke das getan. Und dabei keinen Engpass feststellen können. Ein Indiz, das seine These stützt: Wenn ein Gut knapp ist, steigt normalerweise sein Preis. Doch nominal sind die Gehälter der Ingenieure in den vergangenen Jahren kaum gestiegen, berücksichtigt man die Kaufkraft, sogar teilweise gesunken.

Den demografischen Wandel bezweifelt Brenke nicht: Zwischen 2001 und 2009 ist die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um 1,6 Millionen Menschen geschrumpft. Doch gleichzeitig ist die Zahl der Erwerbspersonen - also derjenigen, die einen Job haben oder einen suchen - um etwa eine Million Menschen gestiegen. Wie kann das sein?

Die Erwerbsneigung der Frauen unter 55 hat sich deutlich verstärkt, und bei den über 55-Jährigen nimmt sie bei beiden Geschlechtern zu. Schreibt man beide Entwicklungen fort, sinkt die Zahl der Arbeitskräfte bis 2020 um eine Million, bis 2030 um vier Millionen Menschen. "Damit kann eine Gesellschaft umgehen", sagt Brenke. "Das ist doch das Komische an der Debatte, dass sie dem Kapitalismus immer unterstellt, er sei ein starres System. Dabei kann er flexibel auf Knappheiten reagieren."

So könnte die übertriebene Angst vor dem Mangel paradoxerweise dazu führen, dass er nie eintritt. Allerdings hat das Lamento auch handfeste Gründe: Ein Personalverantwortlicher eines deutschen Großkonzerns formuliert es sehr deutlich, auch wenn er dann doch lieber nicht namentlich genannt werden will: "Es ist eine ideologische Debatte, die das Arbeitgeberlager nutzt, um die Zuwanderungsdebatte in Gang zu halten und über das Angebot an Arbeitskräften die Höhe der Löhne und Gehälter zu beeinflussen." Joachim Sauer vom Bundesverband der Personalmanager drückt es so aus: "Wenn wir einen Fachkräftemangel hätten - was ich bezweifle -, dann frage ich mich doch: Was wird denn dagegen getan?"

Fakt ist: Die deutsche Wirtschaft war in den vergangenen 20 Jahren verwöhnt, musste kaum über Personalmarketing, Weiterbildung ihrer Belegschaften, lebenslanges Lernen und altersgerechte Arbeitsplätze sowie flexible Arbeitszeitmodelle nachdenken. Es gab mehr als genug Nachwuchs, die Bewerber kämpften um die besten Jobs. Nun müssen manche Unternehmen um die besten Bewerber konkurrieren.

Das Cover des "Human Resources Manager", das Fachmagazin des BPM, zierte im Sommer ein Schreiben mit dem Betreff: "Keine Bewerbung als Konstruktionsingenieur". Ein imaginärer Peter M. Schmidt sagt damit einem Unternehmen auf dessen Inserat hin ab. Seine Gründe: Laut Bewertungsplattformen im Internet sei die Unternehmenskultur "ausbaufähig", die Firma biete keine flexiblen Arbeitszeitmodelle, und außerdem vermisse er eine Vertrautheit mit Social Media, dem Internet überhaupt. "Sollten Sie Ihre Defizite in der Zukunft abstellen, können Sie mich gern kontaktieren."

"Die Bewerberfluten der Vergangenheit sind Geschichte - gerade was Talente in den nachgefragten technischen Bereichen anbetrifft", sagt Sascha Armutat von der Deutschen Gesellschaft für Personalführung e. V. (DGFP). Und in vielen Unternehmen sei man sich dieser Tatsache auch bewusst. Denn die Firmen hätten großen Einfluss darauf, wie knapp die Ressource Arbeit wirklich werde - indem sie Fachkräfte anwerbe, sie ausbilde oder diejenigen reaktiviere, die bereits altersbedingt ausgeschieden seien oder eine familienbedingte Auszeit genommen hätten. Auch sei es in manchen Berufsgruppen denkbar, Arbeitskräfte zwischen Unternehmen, bei denen es boome, und anderen, die gerade nicht so viel zu tun hätten, auszutauschen.

"Die Lösung liegt in einer ganzheitlichen betrieblichen Strategie gegen den Fachkräftemangel, die die Attraktivität des Arbeitgebers bei der neuen Generationen steigert, die Potenziale bisher unbeachteter Bewerbermärkte nutzt und die Employability älterer Arbeitnehmer im Fokus behält", sagt Armutat. Er glaubt, dass in den Firmen ein Umdenken begonnen hat, auch "wenn viele Unternehmen konzeptionell weiter sind als bei der Umsetzung". Die Personalerbranche, die gern mit Anglizismen wie "Employer Branding", "War for Talents" und "High Potentials" um sich wirft, hat auch dafür schon einen geprägt: "Talk Action Gap."

Bemerkenswert ist: Am meisten stöhnen diejenigen Unternehmen über den Fachkräftemangel, die sich bislang am wenigsten um ihre wichtigste Ressource gekümmert haben.

Rudolf Kast hat nie gejammert. Anderthalb Jahrzehnte vorbildliche Personalarbeit bei der Schwarzwälder Sick AG trugen dem Unternehmen etliche Preise und ihm selbst das Bundesverdienstkreuz ein. Fast jeder fünfte Mitarbeiter der Firma ist inzwischen älter als 50, und Kast achtete darauf, dass diese Altersgruppe stets so groß war wie die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen. Die Verpflichtung jedes Mitarbeiters zu lebenslangem Lernen hat er im Firmenleitbild festgeschrieben.

In einer Berufsgruppe herrscht tatsächlich fachlicher Mangel: bei den Personalern

Zeitwertkonten, Weiterbildung, Unterstützung bei der Suche nach Kinderbetreuung - all das ist bei Sick selbstverständlich. Kast findet all das, was er in Waldkirch etabliert hat, nicht außergewöhnlich, sondern einfach nur vernünftig.

Mittlerweile hat er sich mit der Personalmanufaktur selbstständig gemacht. Er malt ein differenziertes Bild der Praxis. Er weiß, dass die Auszubildenden zunächst nicht Mangelware sein werden, weil das acht- und neunjährigeAbitur gerade dazu führt, dass zwei Jahrgänge die Schule abschließen. Außerdem fällt noch die Wehrpflicht weg: "Ich rate, auf Vorrat einzustellen."

Doch bereits heute sei es nicht einfach, bestimmte Spezialisten in bestimmte Regionen zu locken. Kast glaubt nicht, dass die meisten Unternehmen kreativ genug in ihrer Personalarbeit sind. Bei den Mittelständlern fehle es an Konzepten. Bei den großen Unternehmen gebe es die zwar, aber die Prozesse dort seien zu bürokratisch und unbeweglich.

Fest steht für ihn: "Die Politik kann da gar nicht viel machen, die Wirtschaft muss selbst aktiv werden." Und seine Kollegen in den Betrieben nimmt er in Schutz: "Viele Personaler sind operativ zu bis über beide Ohren. In der Krise wurde dann noch mal gespart, da hieß es: Wofür brauchen wir so viele Leute im Personalbereich?"

Fachkräftemangel also in der Personalabteilung?

Diese Beobachtung hat auch der Testbriefschreiber Axel Haitzer gemacht: Die Mitarbeiter dort hätten "die administrativen Themen sehr gut drauf. Und natürlich muss die Gehaltsabrechnung oder die Meldung zur Krankenkasse stimmen. Aber das sind typischerweise Leute, die nicht gern kommunizieren." -




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Wer sind die NRW-Piraten? [via LInke Zeitung]


Wer sind die NRW-Piraten?
 

von Martin Kreickenbaum - www.wsws.org

 
[via LInke Zeitung]
 
http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=13371&Itemid=49
 

Seit die Piratenpartei bei den Landtagswahlen in Berlin und dem Saarland den Sprung in den Landtag schaffte, rückt sie in den Fokus des medialen Interesses. Bei bundesweiten Umfragen liegen die Piraten zurzeit bei 13 Prozent und haben die Grünen als drittstärkste politische Kraft nach CDU und SPD überholt.

Das Meinungsforschungsinstitut Emnid sieht ihr Wählerpotenzial sogar bei 30 Prozent. Und auch bei der vorgezogenen Landtagswahl im größten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen werden die Piraten wohl in den Landtag einziehen, sollten sich die Umfragen bewahrheiten, die der Partei zwischen 7 und 11 Prozent zutrauen.

Die Piratenpartei wird von den Medien hofiert, Begriffe wie "liquid feedback" und "shitstorm" sind mittlerweile in den journalistischen Kanon eingegangen. Sie wird als junge, dynamische und unverbrauchte Partei dargestellt, die die etablierten Parteien wachrüttelt. Wenig Beachtung finden dagegen die politischen Perspektiven der Piraten und ihrer Spitzenkandidaten für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Sie zeigen die Piraten als rein bürgerliche Partei, bei der sich nicht einmal Ansatzweise Elemente von sozialem Protest oder Opposition finden.

Auf einem Sonderparteitag in Dortmund beschlossen die NRW-Piraten Mitte April unter großem Medienecho ein Wahlprogramm. Die 76 Seiten stehen unter der Überschrift: "Dafür, dass wir keins haben, steht hier viel drin". Das war ironisch gemeint, entpuppte sich jedoch als bitterer Ernst.

Schon in der Präambel findet sich zwar ein phrasenhaftes Bekenntnis zu Demokratie und Grundgesetz, jedoch nicht ein einziges Wort zur politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lage in Nordrhein-Westfalen, dem größten Bundesland und der Wiege der Industrialisierung Deutschlands.

Die hohe Arbeitslosigkeit und grassierende Armut in den Großstädten des Ruhrgebiets, die kommunale Finanznot und der damit einher gehende Verfall der öffentlichen Infrastruktur – für die Piraten offensichtlich belanglos. Das parlamentarische Manöver, mit dem Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) Neuwahlen durchgesetzt hat, um mit einer stabileren Koalition soziale Angriffe gegen die Bevölkerung durchzusetzen – für die Piraten völlig uninteressant.

Stattdessen kämpft sich der Leser durch Forderungen nach Erste-Hilfe-Kursen, der Anerkennung von Nikotinliquids für E-Zigaretten als Handelsgut und der Förderung von digitalen Spielen als Kulturgut. Das Wahlprogramm wirkt, als wäre es in einem Kokon geschrieben worden, ohne jede Wahrnehmung der Außenwelt. Und selbst dabei ist es noch nicht einmal originell. In den Bereichen Bildung, Finanzen, Drogenpolitik finden sich zahlreiche Forderungen, die in den letzten 20 Jahren auch die Grünen, die FDP oder die Linkspartei in ähnlicher Form aufgestellt haben.

In der Bildungspolitik sprechen sich die Piraten für flexible Schullaufbahnen aus. So sollen Schüler nur in den Fächern, in denen sie besonders schwach sind, Klassen wiederholen. Die Piraten wollen zwar gebührenfreie Bildungsangebote von der Kita bis zur Hochschule, treffen sich aber mit der FDP und der CDU, wenn sie gleichzeitig die "private Finanzierung von Bildungseinrichtungen" begrüßen und den Bologna-Prozess an den Universitäten fortsetzen wollen.

Auf dem Gebiet der Finanzpolitik verweigern die Piraten konkrete Aussagen. Auf dem Sonderparteitag in Dortmund wurden im Wesentlichen nur Positionspapiere verabschiedet, die den Rahmen einer zukünftigen Finanzpolitik abstecken. Dort bekennt sich die Piratenpartei zu "solider Haushaltspolitik und Ausgabendisziplin. Dazu gehören auch ein ausgeglichener Landeshaushalt." Das ist ein verklausuliertes Bekenntnis zur Schuldenbremse, mit der massive Sozialkürzungen durchgesetzt werden.

Der von den Spitzenkandidaten Michele Marsching und Joachim Paul wiedergekäute Satz, man könne "nichts zur Finanzpolitik sagen, da die Zahlen nicht transparent auf den Tisch liegen", ist zudem eine reine Schutzbehauptung, um nach der Wahl mit Verweis auf die Finanzlage Kürzungen und Sozialabbau mitzutragen.

Entgegen ihrer öffentlichen Wahrnehmung als "Protestpartei" beten die Piraten Marktstrukturen und Wettbewerb als gesellschaftliche Allheilmittel an wie heilige Kühe. Sie behaupten, dass der öffentliche Personennahverkehr effizienter werden könnte, indem die Privatisierung vorangetrieben und der freie Wettbewerb zwischen Transportunternehmen ermöglicht wird. Das gleiche gilt für die Strom- und Gasversorgung.

In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bekennen sich die NRW-Piraten zwar zur Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, verweisen aber darauf, dass dies auf Landesebene nicht umsetzbar sei, und fordern nur Korrekturen an der Ausgestaltung der Hartz-IV-Regelungen.

Das progressiv daherkommende Bekenntnis zu einem bedingungslosen Grundeinkommen ist lediglich eine Mogelpackung. Eine Arbeitsgemeinschaft der Partei hat erst vor wenigen Wochen vorgeschlagen, dieses Grundeinkommen solle nicht über 440 Euro liegen. Zusätzlich soll es Zuschüsse zu Wohnkosten geben. Damit liegt der Satz sogar noch unter Hartz IV-Niveau, bei dem zumindest die Miete noch mit übernommen wird.

Kein einziges Wort verlieren die Piraten zur Außenpolitik. Und das nicht nur auf Landesebene sondern auch im Bundesparteiprogramm. Aufschlussreich ist aber ein Positionspapier, das auf dem Parteitag in Dortmund beantragt wurde. Darin wird gefordert, dass "sich Deutschland nicht mehr, oder zumindest zurückhaltender als in den letzten Jahren an Konflikten und Kriegen beteiligt".

Diese Forderung nach "ein bisschen Frieden" wird in der Innenpolitik ergänzt durch die Forderung nach "Aussetzung von Abschiebungen und Abschiebehaft, soweit es die rechtlichen Befugnisse des Landes zulassen". Das ist ein Persilschein für weitere Abschiebungen, da immer darauf verwiesen werden kann, dass der Bund dafür zuständig ist und die Landespolitik keinen Gestaltungsraum habe.

Dass die Piraten einem grenzenlosen Opportunismus frönen, hatte sich schon bei der Aufstellung der Kandidatenliste gezeigt. Der Landesvorsitzende Michele Marsching gab unmittelbar nach der Auflösung des Düsseldorfer Landtages gegenüber dem Bonner General-Anzeiger die Parole aus: "Rein in den Landtag – egal wie." Zur Wahlliste erklärte er, er werde zwar auch kandidieren, aber bei den Piraten wisse man nicht, wer gewählt wird: "Vielleicht kommt einer, der gut reden kann, oder gut aussieht oder einfach nur viel Geld hat."

Und genau so kam es dann auch. Während einige Piraten ihre Kandidatur für die Landesliste damit begründeten, dass sie als Handwerker "dicke Bretter bohren können", als WDR-Kameramann sich "bereits im Landtag auskennen" oder eine "digitale und analoge Allzweckwaffe" seien, wurde der Physiker und Medienpädagoge Joachim Paul an die Spitze der Landesliste gewählt, weil er zumindest eine inhaltliche Minimalaussage machte. Er forderte kleinere Klassen in den nordrhein-westfälischen Schulen.

Joachim Paul ist Referent am Zentrum für Medien und Bildung des Landesverbands Rheinland und Anhänger der systemtheoretischen Ideen von Heinz von Foerster, Francisco Varela, Humberto Maturana und Niklas Luhmann. Diese Spielart des radialen Konstruktivismus geht von selbstreferentiell operierenden autopoietischen Systemen aus. Gesellschaftliche Teilsysteme wie die Wirtschaft, das Recht und die Politik sind danach zwar lose miteinander verbunden, funktionieren aber nach ihrer je eigenen Logik und können sich untereinander kaum beeinflussen. In der Politik gehe es daher in erster Linie um Macht und nicht um Steuerung von gesellschaftlichen Prozessen.

Diese Theorieströmung ist nicht nur erzkonservativ, da sie den Erhalt des Status quo gewissermaßen als logische Notwendigkeit betrachtet, sie ist auch zutiefst zynisch. Die Nichteinhaltung von Wahlversprechen hat der Systemtheoretiker Luhmann einst als "strukturell notwendigen Umstand" bezeichnet und Parteien implizit empfohlen, in Wahlkämpfen gleichzeitig für und gegen etwas zu sein – oder am besten erst gar nicht gefragt zu werden.

In diesem Sinne fühlt sich Joachim Paul auch bei den Piraten wohl. In einer 2011 veröffentlichten politischen Streitschrift sieht er die Piraten als Ausdruck einer Technik-affinen Netzwerkgesellschaft, die ganz andere Bewusstseinsformen erzeugt. Diese bezeichnet er als "junge, neue Ich-Erfahrung, die Erfahrung, ein Knoten in einem Netz zu sein, der Beziehungen und Bindungen mit anderen über das Netz unterhält und teilt".

Ähnlich esoterisch sieht er die Hauptaufgabe der Piratenpartei in der "Schaffung neuer Möglichkeitsräume". Jedoch nicht für die arbeitende Bevölkerung. Nach Paul ist die "Arbeiterklasse ein gesellschaftliches Auslaufmodell", weshalb der rot-grüne Ansatz der Agenda 2010 auch richtig gewesen sei, nur hätten es Schröder und Clement übertrieben und den "innovativen Mittelstand" in Deutschland den internationalen Finanzspekulanten zum Fraß vorgeworfen.

Der Landesvorsitzende Michele Marsching, der ebenfalls noch einen vorderen Listenplatz ergattern konnte, ist selbständiger Softwareentwickler. Man erfährt in seinem Blog mehr über seine Befindlichkeit als Pirat, über seine Elternzeit und seine Spaziergänge mit Hund als über seine Haltung zur Bildungs- und Finanzpolitik. Bemerkenswerterweise hat sich Marsching aber bereits für eine Diätenerhöhung der Landtagsabgeordneten ausgesprochen und rüttelt ähnlich wie Joachim Paul auch an den ansonsten so hoch gehaltenen basisdemokratischen Grundsätzen der Partei. Während Paul eine Professionalisierung der Parteistrukturen mit bezahltem Vorstand befürwortet, setzt Marsching auf Delegierte und Verhandlungen hinter geschlossenen Türen.

Die vordersten Listenplätze, die nach dem derzeitigen Stand der Umfragen einen sicheren Einzug in den Landtag garantieren, waren in Münster heiß begehrt. 56 Bewerbungen gab es, so dass selbst die ehemalige Bundesgeschäftsführerin der Piraten, Marina Weisband, von einem "Goldrausch" sprach. Nie war es so einfach, Politiker zu werden und öffentliche Pfründe und Diäten abzukassieren wie derzeit bei den Piraten.

Bisher konnten die NRW-Piraten dies nur in sehr wenigen Stadt- und Gemeinderäten, wobei sie die meisten Sitze durch Überläufer von den Grünen und vor allem der Linkspartei ergatterten. Nur in der Kleinstadt Werl haben sie bislang Fraktionsstatus erlangt, da dort der gesamte Ortsverband der Linkspartei im Januar 2012 in die Piratenpartei übergetreten ist. Der Fraktionsvorsitzende Matthias Fischer sagte dazu, er werde jetzt "weniger auf Klassenkampf und mehr auf Kompromiss" setzen.

Diese Kompromissbereitschaft setzt sich nun auf Landesebene fort. Michele Marsching erklärte gegenüber der Welt: "Wir können mit allen Parteien zusammenarbeiten", und kündigte vorab schon einmal "themenbasierte Koalitionen" an. Spitzenkandidat Paul ergänzte gegenüber der Zeit, dass man sich zwar "noch nicht für regierungsfähig" halte, man aber auch nicht blockieren wolle.

Die Piraten plakatieren die Parole: "Dieses System braucht ein Update". Sie treten für ein paar Schönheitskorrekturen ein, mit denen die bestehenden Verhältnisse ein wenig aufgehübscht werden sollen. Sie propagieren, Demokratie sei im Wesentlichen eine Frage der Transparenz und könne durch einige technische Änderungen durchgesetzt werden, dabei blenden sie die sozialen Zusammenhänge vollständig aus. Während in ganz Europa die Attacken auf demokratische Rechte zunehmen und eine Schicht von Superreichen die Geschicke der Gesellschaft lenkt, spricht sich die Piratenpartei für Liquid Feedback und Videoübertragungen von Landtagssitzungen aus.

Diese Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen und gegenüber der sozialen Frage liegt in der sozialen Basis der Piraten begründet. Mag die Partei zur Zeit ihrer Entstehung noch von Netz-orientierten Jugendlichen getragen worden sein, spricht sie längst für eine wohl situierte Klientel.

Aber als unverbrauchte Gesichter spielen die Piraten für die herrschende Elite dennoch eine wichtige Rolle. Während alle Parteien enger zusammenrücken und unisono für Haushaltskonsolidierung, Schuldenbremse und Sozialabbau eintreten, wenden sich wachsende Teile der Bevölkerung von der offiziellen Politik ab. Die Piratenpartei hat die Aufgabe, diese Schichten im Rahmen der bürgerlichen Politik zu halten und eine sozialistische Entwicklung zu verhindern. Ihr fälschlicherweise mit Rebellion in Verbindung gebrachter Name und ihre inhaltliche Indifferenz dienen diesem Ziel.

http://www.wsws.org/de/2012/apr2012/pira-a27.shtml

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Über die ideellen Ziele weiß man bisher nur, dass sich die Piraten vielleicht als die "bessere liberale Partei" verstehen


Die Piraten: Sie machen alles anders,

sie wissen nur noch nicht was sie machen wollen

 
[via Nachdenkseiten]
 
http://www.nachdenkseiten.de/?p=13029
 

Mit den Piraten stellt sich eine Partei zur Wahl, die eigentlich (noch) gar keine Partei ist. Denn es ist völlig offen welchen "Pars", also welchen Teil der Gesellschaft oder welche Richtung diese Bewegung vertritt.

Die Piraten sind eine Denkzettelpartei für die etablierten Parteien. Ihre inhaltlichen Leerstellen werden von vielen nicht als Mangel betrachtet, sondern das fehlende Programm ist eher eine Projektionsfläche für viele Politikverdrossene, für die es letztlich keinen großen Unterschied macht, ob nun Schwarz-Gelb, Rot-Grün oder eine große Koalition regiert. Die Hochstimmung für die Piraten erklärt sich aus einer eher fatalen Stimmungslage: Egal was, Hauptsache es ändert sich etwas.

Die Piraten streben nach politischer Macht, ohne sagen zu können, was sie mit dieser Macht anstellen würden.

Von Wolfgang Lieb

Zwei Tage lang haben sich etwa 1.500 der inzwischen auf die 30.000 Mitlieder zustrebenden Piraten in der tristen Holstenhalle in Neumünster zusammengefunden. Delegierte gibt es bei den Piraten nicht, jedes Mitglied konnte kommen und mitentscheiden, maximal 5 % der Mitglieder wollten das. Angeblich lagen dem Parteitag 169 Programmanträge, 50 Satzungsänderungs- und 20 sonstige Anträge vor. Und natürlich sollte ein neuer und erweiterter Bundesvorstand gewählt werden.

Wer, wie ich als interessierter, zwar skeptischer, aber durchaus wohlwollender Beobachter den Live Stream über Stunden nebenher verfolgte und erwartet hatte, er könnte mehr über die inhaltlichen Positionen erfahren, als auf der Website der Piraten schon bisher nachzulesen ist, der wurde ziemlich enttäuscht.

Um meine Haltung klarzustellen: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die den Piraten eine unvollständige oder unausgegorene Programmatik vorhalten oder die sich daran aufhalten, dass sich dort schräg gestylte Leute tummeln. Ich gestehe einer neuen Partei eine Selbstfindungsphase zu, wie ich das auch bei der Linkspartei getan habe. Ich will mich (zunächst) auch nicht an der angeblichen Frauenfeindlichkeit oder an unbedachten, ja sogar schlimmen Äußerungen einzelner Mitglieder dieser Partei reiben. Eine Zustandsbeschreibung gerade auch aufgrund dieses Parteitags muss jedoch erlaubt sein.

Das Ergebnis dieses Parteitags lässt sich relativ knapp zusammenfassen: Der bisherige Vorsitzende Sebastian Nerz und sein Stellvertreter Bernd Schlömer bleiben an der Spitze, sie tauschen lediglich ihre Ämter. Das Vorstandsteam wurde um einen zweiten stellvertretenden und einen dritten Beisitzer erweitert. Es wurde eine Schatzmeisterin gewählt, ein Generalsekretär und ein "politischer Geschäftsführer" und schließlich wurde noch über die Mitglieder des Bundesschiedsgerichts abgestimmt. Satzungsmäßig wurde entschieden, dass die Führungsspitze weiter ehrenamtlich arbeiten und dass deren Amtszeit auf ein Jahr beschränkt bleiben soll, dass es keine organisatorischen Zwischenebenen zwischen Basis und Spitze geben soll. Die am meisten umkämpfte Entscheidung war, dass die Mitgliedsbeiträge von 36 auf 48 Euro erhöht werden sollen. Wie kommentierte doch der gerade amtierende Versammlungsleiter diese Kampfabstimmung ums Geld so typischerweise: "Damit ist irgendein Antrag, angenommen, ich weiß nicht welcher, aber ich meine, wir müssen künftig mehr Beiträge zahlen."

(Ob diese Erhöhung der Partei eine finanzielle Basis schaffen wird, ist allerdings eine offene Frage, denn derzeit bezahlt angeblich nur die Hälfte der Parteimitglieder Beiträge.)

Die spektakulärste und auch von fast allen Medien hochgelobte inhaltliche Entscheidung war eine Abstimmung mit den Füßen. Während der Vorstellung der 8 Vorstandskandidaten, verließ ein Großteil der anwesenden Mitglieder mit roten Nein-Karten in den Händen den Saal als einer der Kandidaten, der auf YouTube vom "Weltjudentum" geredet hatte, sich vorstellen wollte. Schon vorher war verbreitet worden, dass ein Mitglied am Rande des Parteitags vor einigen der massenhaft anwesenden Journalisten erklärt habe, man könne über den Holocaust diskutieren. Als sich diese Nachricht verbreitete, wurde der Parteitag unterbrochen und anschließend ohne erkennbare Gegenstimme eine Erklärung angenommen: "Die Piratenpartei Deutschland erklärt, dass der Holocaust unbestreitbar Teil der Geschichte ist. Ihn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu leugnen oder zu relativieren widerspricht den Grundsätzen unserer Partei."

Auf ihrer Website feiern die Piraten diese Erklärung als "überwältigendes "Nein" zu Holocaustleugnung und –relativierung" (http://www.piratenpartei.de/2012/04/28/piraten-uberwaltigendes-nein-zu-holocaustleugnung-und-relativierung/) (Interessant und teilweise beängstigend sind allerdings die 147 Kommentare zu dieser Abstimmung. Aus der Partei ausgeschlossen wurden Mitglieder, die den Holocaust leugnen, im Übrigen nicht.)

Die Annahme dieser Erklärung war der inhaltliche Höhepunkt dieses Parteitags, denn zu den übrigen Sachanträgen kam man vor lauter Wahlen und Satzungsänderungen gar nicht mehr. Sie wurden auf einen nächsten Parteitag vertagt. Diese Erklärung gegen Holocausleugner genügte aber offenbar, um dem Parteitag in den meisten Medien eine überwiegend positive und freundliche Berichterstattung einzutragen. So ungreifbar, ja unbegreiflich muss die Piratenpartei also sein, dass eine derart banale Erklärung schon mit Erleichterung, ja sogar als Erfolg aufgegriffen wird.(http://www.zeit.de/politik/2012-04/piraten-parteitag)


Das belegt eigentlich nur, wie oberflächlich dieses "Phänomen" Piratenpartei in der veröffentlichten Meinung betrachtet wird und wie wenig man in der Lage ist, tiefer nachzufragen, welches (sicherlich noch diffuses) Selbstverständnis diese Bewegung zusammenhält (Siehe dazu "Funktioniert Politik wie Wikipedia?") http://www.nachdenkseiten.de/?p=12934

Bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit haben die Piraten aber offenbar schon einiges dazu gelernt, sonst könnten sie nach Neumünster nicht voller Stolz verkünden, dass die Partei eine "neue Dimension erreicht" hätten.

Nun will ich auch da nicht vorschnell urteilen. Ich will einfach einmal einräumen, dass sämtliche Mitglieder auf diesem Parteitag ihre Laptops und Tablet PCs nicht ohne Grund ständig bearbeitet haben und ich will unterstellen, dass die Anwesenden ständig über die anstehenden Abstimmungen mit ihrem Netzwerk getwittert haben und parallel zum offiziellen Parteitag in irgendwelchen Foren online diskutiert haben. Sonst wäre es auch kaum nachvollziehbar, dass es offline – also im Saal selbst – so viele Missverständnisse über Abstimmungen und deshalb so viele Wiederholungen von Wahlgängen gegeben hat. Selbst bei der Internetgeneration schein die Multitasking-Fähigkeit noch nicht überall so entwickelt zu sein, dass man im Internet surfen und gleichzeitig auch noch konzentriert zuhören kann, was über das Saalmikrofon gesagt wird.

Diese Ablenkung durch – um nicht zu sagen – diese Aufmerksamkeit für das Internet ist für mich auch die einzig mögliche Erklärung, wie engagierte und sicherlich durchaus intelligente Menschen so viel Disziplin und Geduld aufbringen konnten, um nicht gegen die teils dilettantischen, teils autoritären Verhandlungsleitungen aufzubegehren, die jedem etwas grundsätzlicheren Diskussionsbeitrag das Wort abschnitten. Selbst wenn man diesen Parteitag nur am Bildschirm verfolgt hat, musste man gute Nerven haben. Gefühlte dreiviertel der Zeit wurden Stimmen ausgezählt. Die auf elektronische Information setzende Internetpartei produzierte Berge von papiernen Anträgen. Alle paar Minuten musste über einen Geschäftsordnungsantrag abgestimmt werden. Nach wenigen Wortmeldungen wurde die Begrenzung der Redezeit oder der Schluss der Rednerliste beschlossen. Die Antragsteller waren zumeist nicht im Saal und konnten ihren eigenen Antrag nicht begründen. Oft wurden die Verhandlungsleitungen (trotz Red Bull-Stärkung) geradezu zur Verzweiflung getrieben, sei es weil es im Saal zu laut war, sei es weil keiner zuhörte, sei es weil ständig bezweifelt wurde, worüber eigentlich abgestimmt worden war. In der Partei die für Transparenz steht, wurde merkwürdigerweise häufig geheim abgestimmt. Es mussten Urnen vor den Abstimmungen vorgezeigt werden, wohl damit keine Wahlmanipulation möglich sein sollte. Das unterhaltsamste war noch das schräge Outfit der ganz überwiegend männlichen Delegierten. Zwischendurch wurde dann noch ein bisschen "Pressegehampel" gemacht, was sich dann allerding wieder verzögerte, weil einige Vorstandsmitglieder gerade beim Foto-Shooting im Foyer waren. Ständig musste zu irgendeinem Thema ein Meinungsbild eingeholt werden, etwa: Stimmt die Versammlung der Meinung zu, der Islam gehöre zu Deutschland? Das Meinungsbild ging positiv aus. Oder: Unterstützt die Partei die Occupy Bewegung? Der Versammlungsleiter teilte dem Antragsteller mit, die Meinungsbildung sei eher gespalten. Wohlgemerkt um Beschlüsse handelte es sich dabei nicht, ein paar Anwesende wollten einfach mal ein Meinungsbild einholen.

Ich war – beruflich bedingt – in meinem politischen Leben auf sehr vielen Parteitagen unterschiedlichster Parteien, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Delegierten dort so viel Geduld und Disziplin aufgebracht hätten, um klaglos über immer neue Änderungsanträge zu Satzungen oder Geschäftsordnungen abzustimmen. Und ich habe selten Parteitage erlebt, wo so wenig inhaltlich und so undifferenziert gestritten wurde. Wenn das, was man in Neumünster miterleben konnte, "eine neue Dimension", ja sogar ein "Paradigmenwechsel" (Marina Weisband) der Parteiarbeit gewesen sein sollte, dann habe ich das Neue nur als noch formaler und noch ermüdender erlebt als in allen etablierten Parteien. Selbst die meisten Studentenparlamente dürften effizienter arbeiten. Allein die Tatsache, dass vielleicht noch nie so viele Mitglieder einer Partei auf einem Parteitag anwesend waren, kann man doch wohl kaum als "geschichtliches Ereignis" feiern.

Nicht nur was die politischen Inhalte sondern auch was den formalen Ablauf dieses Parteitags anbetrifft, staune ich darüber, dass die meisten Medien sich mit einem Lob über das ausgebliebene Chaos und die Disziplin zufrieden geben: "So war Neumünster, im Kontrast zu dem aufgeregt herumwuselnden Journalistenpulk, ein Parteitag der Ruhe und Kontinuität", kommentiert heute die Frankfurter Allgemeine.

Der neue Vorsitzende der Piratenpartei, der Diplom-Kriminologe und Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium, Bernd Schlömer (Twitter-Name "BuBernd"), der sich gegen den bisherigen Amtsinhaber Sebastian Nerz und weitere sechs Gegenkandidaten mit 66,6 Prozent der Stimmen durchsetzte, gibt sich als ausgleichende Integrationsfigur: (http://www.sueddeutsche.de/politik/neuer-piratenchef-bernd-schloemer-im-interview-ich-werde-nicht-als-denker-und-lenker-der-partei-auftreten-1.1344504) "Ich bin nicht derjenige, der als Denker und Lenker der Piratenpartei auftreten wird. Aber natürlich gibt es für uns in der nächsten Zeit konkrete Ziele: erstens ein Wahlprogramm zu entwickeln, zweitens unser parteiinternes Meinungsbildungstool Liquid Feedback weiter zu entwickeln und für eine stärkere Akzeptanz zu sorgen und drittens müssen wir unsere Landesverbände, die Fraktionen und die Basis besser vernetzen."

Schlömer will seine neue Aufgabe "ehrenamtlich" ausfüllen und auch künftig seinen Beruf ausüben, weil er seine wirtschaftliche Existenz nicht aufs Spiel setzen möchte.

Der neu gewählte "geile Vorstand" – so die sich vorübergehend zurückziehende politische Geschäftsführerin Marina Weisband – soll nun die Piraten in die Landtage von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen führen und wie selbstverständlich gehen eigentlich alle davon aus, dass diese Partei in den nächsten Bundestag einziehen wird. Das scheint sogar, wenn man die Entwicklung der Stimmungslage nimmt, als ziemlich wahrscheinlich. Noch vor drei Jahren, als die 1996 gegründeten Piraten zum zweiten Mal bei der hessischen Landtagswahl antraten, erzielten sie gerade einmal 0,5% der Wählerstimmen. Zwischenzeitlich dümpelte ihr Schiff bei maximal um die 2%. Mit der Wahl zum Berliner Abgeordneten Haus schossen die Piraten plötzlich auf 8,9% und selbst im ländlichen Saarland auf 7,4%. Die meisten Umfragen sehen die Piratenpartei derzeit bei zweistelligen Werten. Nach aktuellen Umfragewerten dürften bei einem Einzug der Piraten die rot-grünen Hoffnungen auf einen Regierungswechsel in Schleswig-Holstein platzen und auch in Nordrhein-Westfalen könnte es am Ende auf eine Große Koalition hinauslaufen.

Ein solches Ergebnis kann man sicherlich nicht den Piraten vorwerfen, denn laut ZDF Politbarometer geben 72 Prozent der Befragten an, dass sie dieses Partei aufgrund ihrer "Unzufriedenheit mit den anderen Parteien" ihre Stimme geben wollen. (http://www.suite101.de/news/das-bundesweite-zdf-politbarometer-vom-27-april-2012-a133721)

Die Piratenpartei hat sich offenbar zur Denkzettelpartei für die großen Parteien etabliert.

Weil es vielen Wählern oder Nichtwählern doch zu peinlich ist, ihrem Unmut durch die Wahl einer rechtsradikalen Partei Ausdruck zu verleihen und aufgrund von Berührungsängsten mit der ausgegrenzten und geradezu verteufelten Linkspartei machen offensichtlich viele Menschen ihrer Unzufriedenheit durch ein Kreuz auf dem Stimmzettel für die Piratenpartei Luft. Gerade die Leerstellen im Programm der Piraten liefern offenbar eine Projektionsfläche, dass hier eine neue politische Kraft gegen das Parteienkartell von Schwarz, Gelb, Rot und Grün heranwachsen könnte. Wie bei den meisten Denkzettel-Wahlen könnte jedoch an den Wahlabenden das Gegenteil eintreten, was durch den Protest erreicht werden sollte, nämlich der Zwang zur Bildung von Großen Koalitionen von CDU und SPD unter welcher Führung auch immer.

Zwar hält der neue Vorsitzende der Piratenpartei eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl nicht grundsätzlich für abwegig: "Wenn uns der Einzug in den Bundestag 2013 tatsächlich gelingt, werden wir uns mit dem Thema Koalitionsfähigkeit ernsthaft beschäftigen." So, wie es nach diesem Parteitag der Piraten aussieht, befolgt diese Partei folgende Strategie: Erst einmal Wahlen gewinnen und danach können die Mitglieder ja immer noch entscheiden, wofür oder wogegen sie sind. Die Piraten wollen alles anders machen, sie wissen nur noch nicht was sie machen wollen.

Dieses Paradox ist in der Tat ein Paradigmenwechsel in der Parteiendemokratie. Es bedeutet nämlich, dass sich eine Partei zur Wahl stellt, die eigentlich gar keine Partei ist.

Da ja die Piraten ihr Wissen aus dem Netz beziehen, ist es wohl erlaubt Wikipedia zu zitieren. Dort wird der Begriff Partei wie folgt definiert: (http://de.wikipedia.org/wiki/Partei) "Eine politische Partei (lateinisch pars, Genitiv partis 'Teil', 'Richtung') ist ein auf unterschiedliche Weise organisierter Zusammenschluss von Menschen, die innerhalb eines umfassenderen politischen Verbandes (eines Staates o. Ä.) danach streben, politische Macht und die entsprechenden Positionen zu besetzen, um ihre eigenen sachlichen oder ideellen Ziele zu verwirklichen und/oder persönliche Vorteile zu erlangen."

Welchen Teil der Gesellschaft oder welche Richtung die Piraten vertreten, für wen und wofür sie "Partei" ergreifen, ist (noch) völlig offen.

Über die ideellen Ziele weiß man bisher nur, dass sich die Piraten vielleicht als die "bessere liberale Partei" (Schlömer) und als diejenigen verstehen, die in der Wissensgesellschaft angekommen (http://www.nachdenkseiten.de/?p=12934) seien bzw. dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Bei den sachlichen Zielen bleibt alles noch ziemlich diffus. Man schwärmt von der "digitalen Gesellschaft", man lehnt Patente auf Lebewesen und Gene, auf Geschäftsideen und auf Software ab, man träumt den "uralten Traum, alles Wissen und alle Kultur der Menschheit zusammenzutragen, zu speichern und heute und in der Zukunft verfügbar zu machen", man will den "freien Zugang zu Information und Bildung", man tritt für eine "selbstbestimmtes Leben", für Datenschutz und ein "bedingungsloses Grundeinkommen" oder für eine "lebenswerte Umwelt" und für regenerative Energiequellen ein. Wer wäre nicht für eine schöne heile Welt.

Wie und mit welcher Wirtschafts- und Finanzpolitik die Piratenpartei ihre Ziele erreichen will, darüber schweigt sie sich (noch) vollständig aus. Sie strebt nach politischer Macht und entsprechenden Positionen, ohne sagen zu können, was sie mit der Macht und den Machtpositionen anstellen würde. Das würden die Mitglieder dann schon jeweils übers Internet entscheiden.


Posted via email from Dresden und Umgebung

Die Piraten streben nach politischer Macht, ohne sagen zu können, was sie mit dieser Macht anstellen würden. [via NDS]


Die Piraten: Sie machen alles anders,

sie wissen nur noch nicht was sie machen wollen

 
[via Nachdenkseiten]
 
http://www.nachdenkseiten.de/?p=13029
 

Mit den Piraten stellt sich eine Partei zur Wahl, die eigentlich (noch) gar keine Partei ist. Denn es ist völlig offen welchen "Pars", also welchen Teil der Gesellschaft oder welche Richtung diese Bewegung vertritt.

Die Piraten sind eine Denkzettelpartei für die etablierten Parteien. Ihre inhaltlichen Leerstellen werden von vielen nicht als Mangel betrachtet, sondern das fehlende Programm ist eher eine Projektionsfläche für viele Politikverdrossene, für die es letztlich keinen großen Unterschied macht, ob nun Schwarz-Gelb, Rot-Grün oder eine große Koalition regiert. Die Hochstimmung für die Piraten erklärt sich aus einer eher fatalen Stimmungslage: Egal was, Hauptsache es ändert sich etwas.

Die Piraten streben nach politischer Macht, ohne sagen zu können, was sie mit dieser Macht anstellen würden.

Von Wolfgang Lieb

Zwei Tage lang haben sich etwa 1.500 der inzwischen auf die 30.000 Mitlieder zustrebenden Piraten in der tristen Holstenhalle in Neumünster zusammengefunden. Delegierte gibt es bei den Piraten nicht, jedes Mitglied konnte kommen und mitentscheiden, maximal 5 % der Mitglieder wollten das. Angeblich lagen dem Parteitag 169 Programmanträge, 50 Satzungsänderungs- und 20 sonstige Anträge vor. Und natürlich sollte ein neuer und erweiterter Bundesvorstand gewählt werden.

Wer, wie ich als interessierter, zwar skeptischer, aber durchaus wohlwollender Beobachter den Live Stream über Stunden nebenher verfolgte und erwartet hatte, er könnte mehr über die inhaltlichen Positionen erfahren, als auf der Website der Piraten schon bisher nachzulesen ist, der wurde ziemlich enttäuscht.

Um meine Haltung klarzustellen: Ich gehöre nicht zu denjenigen, die den Piraten eine unvollständige oder unausgegorene Programmatik vorhalten oder die sich daran aufhalten, dass sich dort schräg gestylte Leute tummeln. Ich gestehe einer neuen Partei eine Selbstfindungsphase zu, wie ich das auch bei der Linkspartei getan habe. Ich will mich (zunächst) auch nicht an der angeblichen Frauenfeindlichkeit oder an unbedachten, ja sogar schlimmen Äußerungen einzelner Mitglieder dieser Partei reiben. Eine Zustandsbeschreibung gerade auch aufgrund dieses Parteitags muss jedoch erlaubt sein.

Das Ergebnis dieses Parteitags lässt sich relativ knapp zusammenfassen: Der bisherige Vorsitzende Sebastian Nerz und sein Stellvertreter Bernd Schlömer bleiben an der Spitze, sie tauschen lediglich ihre Ämter. Das Vorstandsteam wurde um einen zweiten stellvertretenden und einen dritten Beisitzer erweitert. Es wurde eine Schatzmeisterin gewählt, ein Generalsekretär und ein "politischer Geschäftsführer" und schließlich wurde noch über die Mitglieder des Bundesschiedsgerichts abgestimmt. Satzungsmäßig wurde entschieden, dass die Führungsspitze weiter ehrenamtlich arbeiten und dass deren Amtszeit auf ein Jahr beschränkt bleiben soll, dass es keine organisatorischen Zwischenebenen zwischen Basis und Spitze geben soll. Die am meisten umkämpfte Entscheidung war, dass die Mitgliedsbeiträge von 36 auf 48 Euro erhöht werden sollen. Wie kommentierte doch der gerade amtierende Versammlungsleiter diese Kampfabstimmung ums Geld so typischerweise: "Damit ist irgendein Antrag, angenommen, ich weiß nicht welcher, aber ich meine, wir müssen künftig mehr Beiträge zahlen."

(Ob diese Erhöhung der Partei eine finanzielle Basis schaffen wird, ist allerdings eine offene Frage, denn derzeit bezahlt angeblich nur die Hälfte der Parteimitglieder Beiträge.)

Die spektakulärste und auch von fast allen Medien hochgelobte inhaltliche Entscheidung war eine Abstimmung mit den Füßen. Während der Vorstellung der 8 Vorstandskandidaten, verließ ein Großteil der anwesenden Mitglieder mit roten Nein-Karten in den Händen den Saal als einer der Kandidaten, der auf YouTube vom "Weltjudentum" geredet hatte, sich vorstellen wollte. Schon vorher war verbreitet worden, dass ein Mitglied am Rande des Parteitags vor einigen der massenhaft anwesenden Journalisten erklärt habe, man könne über den Holocaust diskutieren. Als sich diese Nachricht verbreitete, wurde der Parteitag unterbrochen und anschließend ohne erkennbare Gegenstimme eine Erklärung angenommen: "Die Piratenpartei Deutschland erklärt, dass der Holocaust unbestreitbar Teil der Geschichte ist. Ihn unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu leugnen oder zu relativieren widerspricht den Grundsätzen unserer Partei."

Auf ihrer Website feiern die Piraten diese Erklärung als

"überwältigendes "Nein" zu Holocaustleugnung und –relativierung" (http://www.piratenpartei.de/2012/04/28/piraten-uberwaltigendes-nein-zu-holocaustleugnung-und-relativierung/) (Interessant und teilweise beängstigend sind allerdings die 147 Kommentare zu dieser Abstimmung. Aus der Partei ausgeschlossen wurden Mitglieder, die den Holocaust leugnen, im Übrigen nicht.)

Die Annahme dieser Erklärung war der inhaltliche Höhepunkt dieses Parteitags, denn zu den übrigen Sachanträgen kam man vor lauter Wahlen und Satzungsänderungen gar nicht mehr. Sie wurden auf einen nächsten Parteitag vertagt. Diese Erklärung gegen Holocausleugner genügte aber offenbar, um dem Parteitag in den meisten Medien eine überwiegend positive und freundliche Berichterstattung einzutragen. So ungreifbar, ja unbegreiflich muss die Piratenpartei also sein, dass eine derart banale Erklärung schon mit Erleichterung, ja

sogar als Erfolg aufgegriffen wird.(http://www.zeit.de/politik/2012-04/piraten-parteitag)


Das belegt eigentlich nur, wie oberflächlich dieses "Phänomen" Piratenpartei in der veröffentlichten Meinung betrachtet wird und wie wenig man in der Lage ist, tiefer nachzufragen, welches (sicherlich noch diffuses) Selbstverständnis diese Bewegung zusammenhält (Siehe dazu

"Funktioniert Politik wie Wikipedia?") http://www.nachdenkseiten.de/?p=12934

Bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit haben die Piraten aber offenbar schon einiges dazu gelernt, sonst könnten sie nach Neumünster nicht voller Stolz verkünden, dass die Partei eine "neue Dimension erreicht" hätten.

Nun will ich auch da nicht vorschnell urteilen. Ich will einfach einmal einräumen, dass sämtliche Mitglieder auf diesem Parteitag ihre Laptops und Tablet PCs nicht ohne Grund ständig bearbeitet haben und ich will unterstellen, dass die Anwesenden ständig über die anstehenden Abstimmungen mit ihrem Netzwerk getwittert haben und parallel zum offiziellen Parteitag in irgendwelchen Foren online diskutiert haben. Sonst wäre es auch kaum nachvollziehbar, dass es offline – also im Saal selbst – so viele Missverständnisse über Abstimmungen und deshalb so viele Wiederholungen von Wahlgängen gegeben hat. Selbst bei der Internetgeneration schein die Multitasking-Fähigkeit noch nicht überall so entwickelt zu sein, dass man im Internet surfen und gleichzeitig auch noch konzentriert zuhören kann, was über das Saalmikrofon gesagt wird.

Diese Ablenkung durch – um nicht zu sagen – diese Aufmerksamkeit für das Internet ist für mich auch die einzig mögliche Erklärung, wie engagierte und sicherlich durchaus intelligente Menschen so viel Disziplin und Geduld aufbringen konnten, um nicht gegen die teils dilettantischen, teils autoritären Verhandlungsleitungen aufzubegehren, die jedem etwas grundsätzlicheren Diskussionsbeitrag das Wort abschnitten. Selbst wenn man diesen Parteitag nur am Bildschirm verfolgt hat, musste man gute Nerven haben. Gefühlte dreiviertel der Zeit wurden Stimmen ausgezählt. Die auf elektronische Information setzende Internetpartei produzierte Berge von papiernen Anträgen. Alle paar Minuten musste über einen Geschäftsordnungsantrag abgestimmt werden. Nach wenigen Wortmeldungen wurde die Begrenzung der Redezeit oder der Schluss der Rednerliste beschlossen. Die Antragsteller waren zumeist nicht im Saal und konnten ihren eigenen Antrag nicht begründen. Oft wurden die Verhandlungsleitungen (trotz Red Bull-Stärkung) geradezu zur Verzweiflung getrieben, sei es weil es im Saal zu laut war, sei es weil keiner zuhörte, sei es weil ständig bezweifelt wurde, worüber eigentlich abgestimmt worden war. In der Partei die für Transparenz steht, wurde merkwürdigerweise häufig geheim abgestimmt. Es mussten Urnen vor den Abstimmungen vorgezeigt werden, wohl damit keine Wahlmanipulation möglich sein sollte. Das unterhaltsamste war noch das schräge Outfit der ganz überwiegend männlichen Delegierten. Zwischendurch wurde dann noch ein bisschen "Pressegehampel" gemacht, was sich dann allerding wieder verzögerte, weil einige Vorstandsmitglieder gerade beim Foto-Shooting im Foyer waren. Ständig musste zu irgendeinem Thema ein Meinungsbild eingeholt werden, etwa: Stimmt die Versammlung der Meinung zu, der Islam gehöre zu Deutschland? Das Meinungsbild ging positiv aus. Oder: Unterstützt die Partei die Occupy Bewegung? Der Versammlungsleiter teilte dem Antragsteller mit, die Meinungsbildung sei eher gespalten. Wohlgemerkt um Beschlüsse handelte es sich dabei nicht, ein paar Anwesende wollten einfach mal ein Meinungsbild einholen.

Ich war – beruflich bedingt – in meinem politischen Leben auf sehr vielen Parteitagen unterschiedlichster Parteien, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Delegierten dort so viel Geduld und Disziplin aufgebracht hätten, um klaglos über immer neue Änderungsanträge zu Satzungen oder Geschäftsordnungen abzustimmen. Und ich habe selten Parteitage erlebt, wo so wenig inhaltlich und so undifferenziert gestritten wurde. Wenn das, was man in Neumünster miterleben konnte, "eine neue Dimension", ja sogar ein "Paradigmenwechsel" (Marina Weisband) der Parteiarbeit gewesen sein sollte, dann habe ich das Neue nur als noch formaler und noch ermüdender erlebt als in allen etablierten Parteien. Selbst die meisten Studentenparlamente dürften effizienter arbeiten. Allein die Tatsache, dass vielleicht noch nie so viele Mitglieder einer Partei auf einem Parteitag anwesend waren, kann man doch wohl kaum als "geschichtliches Ereignis" feiern.

Nicht nur was die politischen Inhalte sondern auch was den formalen Ablauf dieses Parteitags anbetrifft, staune ich darüber, dass die meisten Medien sich mit einem Lob über das ausgebliebene Chaos und die Disziplin zufrieden geben: "So war Neumünster, im Kontrast zu dem aufgeregt herumwuselnden Journalistenpulk, ein Parteitag der Ruhe und Kontinuität", kommentiert heute die Frankfurter Allgemeine.

Der neue Vorsitzende der Piratenpartei, der Diplom-Kriminologe und Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium, Bernd Schlömer (Twitter-Name "BuBernd"), der sich gegen den bisherigen Amtsinhaber Sebastian Nerz und weitere sechs Gegenkandidaten mit 66,6 Prozent der Stimmen durchsetzte,

gibt sich als ausgleichende Integrationsfigur: (http://www.sueddeutsche.de/politik/neuer-piratenchef-bernd-schloemer-im-interview-ich-werde-nicht-als-denker-und-lenker-der-partei-auftreten-1.1344504) "Ich bin nicht derjenige, der als Denker und Lenker der Piratenpartei auftreten wird. Aber natürlich gibt es für uns in der nächsten Zeit konkrete Ziele: erstens ein Wahlprogramm zu entwickeln, zweitens unser parteiinternes Meinungsbildungstool Liquid Feedback weiter zu entwickeln und für eine stärkere Akzeptanz zu sorgen und drittens müssen wir unsere Landesverbände, die Fraktionen und die Basis besser vernetzen."

Schlömer will seine neue Aufgabe "ehrenamtlich" ausfüllen und auch künftig seinen Beruf ausüben, weil er seine wirtschaftliche Existenz nicht aufs Spiel setzen möchte.

Der neu gewählte "geile Vorstand" – so die sich vorübergehend zurückziehende politische Geschäftsführerin Marina Weisband – soll nun die Piraten in die Landtage von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen führen und wie selbstverständlich gehen eigentlich alle davon aus, dass diese Partei in den nächsten Bundestag einziehen wird. Das scheint sogar, wenn man die Entwicklung der Stimmungslage nimmt, als ziemlich wahrscheinlich. Noch vor drei Jahren, als die 1996 gegründeten Piraten zum zweiten Mal bei der hessischen Landtagswahl antraten, erzielten sie gerade einmal 0,5% der Wählerstimmen. Zwischenzeitlich dümpelte ihr Schiff bei maximal um die 2%. Mit der Wahl zum Berliner Abgeordneten Haus schossen die Piraten plötzlich auf 8,9% und selbst im ländlichen Saarland auf 7,4%. Die meisten Umfragen sehen die Piratenpartei derzeit bei zweistelligen Werten. Nach aktuellen Umfragewerten dürften bei einem Einzug der Piraten die rot-grünen Hoffnungen auf einen Regierungswechsel in Schleswig-Holstein platzen und auch in Nordrhein-Westfalen könnte es am Ende auf eine Große Koalition hinauslaufen.

Ein solches Ergebnis kann man sicherlich nicht den Piraten vorwerfen, denn laut ZDF Politbarometer geben 72 Prozent der Befragten an, dass sie dieses Partei aufgrund ihrer "Unzufriedenheit mit den anderen Parteien"

ihre Stimme geben wollen. (http://www.suite101.de/news/das-bundesweite-zdf-politbarometer-vom-27-april-2012-a133721)

Die Piratenpartei hat sich offenbar zur Denkzettelpartei für die großen Parteien etabliert.

Weil es vielen Wählern oder Nichtwählern doch zu peinlich ist, ihrem Unmut durch die Wahl einer rechtsradikalen Partei Ausdruck zu verleihen und aufgrund von Berührungsängsten mit der ausgegrenzten und geradezu verteufelten Linkspartei machen offensichtlich viele Menschen ihrer Unzufriedenheit durch ein Kreuz auf dem Stimmzettel für die Piratenpartei Luft. Gerade die Leerstellen im Programm der Piraten liefern offenbar eine Projektionsfläche, dass hier eine neue politische Kraft gegen das Parteienkartell von Schwarz, Gelb, Rot und Grün heranwachsen könnte. Wie bei den meisten Denkzettel-Wahlen könnte jedoch an den Wahlabenden das Gegenteil eintreten, was durch den Protest erreicht werden sollte, nämlich der Zwang zur Bildung von Großen Koalitionen von CDU und SPD unter welcher Führung auch immer.

Zwar hält der neue Vorsitzende der Piratenpartei eine Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl nicht grundsätzlich für abwegig: "Wenn uns der Einzug in den Bundestag 2013 tatsächlich gelingt, werden wir uns mit dem Thema Koalitionsfähigkeit ernsthaft beschäftigen." So, wie es nach diesem Parteitag der Piraten aussieht, befolgt diese Partei folgende Strategie: Erst einmal Wahlen gewinnen und danach können die Mitglieder ja immer noch entscheiden, wofür oder wogegen sie sind. Die Piraten wollen alles anders machen, sie wissen nur noch nicht was sie machen wollen.

Dieses Paradox ist in der Tat ein Paradigmenwechsel in der Parteiendemokratie. Es bedeutet nämlich, dass sich eine Partei zur Wahl stellt, die eigentlich gar keine Partei ist.

Da ja die Piraten ihr Wissen aus dem Netz beziehen, ist es wohl erlaubt Wikipedia zu zitieren. Dort wird der

Begriff Partei wie folgt definiert: (http://de.wikipedia.org/wiki/Partei) "Eine politische Partei (lateinisch pars, Genitiv partis 'Teil', 'Richtung') ist ein auf unterschiedliche Weise organisierter Zusammenschluss von Menschen, die innerhalb eines umfassenderen politischen Verbandes (eines Staates o. Ä.) danach streben, politische Macht und die entsprechenden Positionen zu besetzen, um ihre eigenen sachlichen oder ideellen Ziele zu verwirklichen und/oder persönliche Vorteile zu erlangen."

Welchen Teil der Gesellschaft oder welche Richtung die Piraten vertreten, für wen und wofür sie "Partei" ergreifen, ist (noch) völlig offen.

Über die ideellen Ziele weiß man bisher nur, dass sich die Piraten vielleicht als die "bessere liberale Partei" (Schlömer) und als diejenigen verstehen, die

in der Wissensgesellschaft angekommen (http://www.nachdenkseiten.de/?p=12934) seien bzw. dass sie auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Bei den sachlichen Zielen bleibt alles noch ziemlich diffus. Man schwärmt von der "digitalen Gesellschaft", man lehnt Patente auf Lebewesen und Gene, auf Geschäftsideen und auf Software ab, man träumt den "uralten Traum, alles Wissen und alle Kultur der Menschheit zusammenzutragen, zu speichern und heute und in der Zukunft verfügbar zu machen", man will den "freien Zugang zu Information und Bildung", man tritt für eine "selbstbestimmtes Leben", für Datenschutz und ein "bedingungsloses Grundeinkommen" oder für eine "lebenswerte Umwelt" und für regenerative Energiequellen ein. Wer wäre nicht für eine schöne heile Welt.

Wie und mit welcher Wirtschafts- und Finanzpolitik die Piratenpartei ihre Ziele erreichen will, darüber schweigt sie sich (noch) vollständig aus. Sie strebt nach politischer Macht und entsprechenden Positionen, ohne sagen zu können, was sie mit der Macht und den Machtpositionen anstellen würde. Das würden die Mitglieder dann schon jeweils übers Internet entscheiden.


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"Vollrausch ohne mich!": Kreis Borken und Stadt Vreden zeigen Flagge für den Jugendschutz [via Kreis Borken]


Pressemitteilung von Freitag, 20. April 2012
Kreis Borken

"Vollrausch ohne mich!": Kreis Borken und Stadt Vreden zeigen Flagge für den Jugendschutz
Hinweise zum Start in die Saison der Schützenfeste und Zeltpartys

Kreis Borken. In Kürze startet die Saison für Schützenfeste und Zeltpartys. Für die Organisatoren spielt dabei auch der Jugendschutz eine wichtige Rolle. Gemeinsam weisen die  Stadt Vreden und der Kreis Borken auf die Bestimmungen hin. "Vreden war eine unserer ersten Kommunen, die sich an dem Konzept der umfassenden Jugendschutzmaßnahmen aktiv und sehr engagiert beteiligt haben", erklärt Ute Gewers vom Fachbereich Jugend und Familie des Kreises Borken.
Dieser umfassende Jugendschutz geht über Kontrollen bei Festen, wie beispielsweise der Vredener Kirmes, hinaus.

Ziel ist es, möglichst viele Akteure in den Jugendschutz einzubinden. So finden vor der Kirmes verbindliche Schulungen für die Wirte statt. Dazu werden Elternbriefe verschickt, in denen auf ihre besondere Verantwortung hingewiesen wird. Parallel gibt es an den Schulen und beim Jugendwerk besondere Aktionen rund um das Thema Jugendschutz.


Die Stadt Vreden zeigt zudem Flagge für den Jugendschutz, indem sie Veranstalter dazu anregt, Alternativen zu alkoholischen Getränken zu bieten. So wurden in den vergangenen Jahren mit den Wirten Absprachen getroffen, einige nicht-alkoholische Getränke günstiger zu verkaufen als zum Beispiel Bier und Biermischgetränke. Das Jugendwerk der Stadt Vreden war bei einigen Veranstaltungen mit einer alkoholfreien Cocktailbar vertreten.

Für die Zukunft gibt es Überlegungen, wie die Altersgrenzen für den Ausschank alkoholischer Getränke noch besser eingehalten werden können. Eine Möglichkeit sind unterschiedliche Armbänder für 16- bis 18-Jährige und Volljährige. Diese sollen zum Beispiel sicherstellen, dass Unter-16-Jährige keinen Alkohol erhalten und unter 18-Jährige nicht mit Hochprozentigem versorgt werden.

Geplant sind zudem Informations- und Schulungsmaßnahmen für Akteure wie Vereine und Verbände, die regelmäßig Hallen oder andere Räumlichkeiten für Veranstaltungen und Feste mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zur Verfügung stellen. "Oftmals sind sich die Vermieter von Räumlichkeiten nicht darüber im Klaren, ab wann man von einer öffentlichen Veranstaltung spricht und welche ordnungsrechtlichen sowie jugendschutzrelevanten Aspekte zu beachten sind", so Jürgen Depenbrock, Leiter des Ordnungsamtes der Stadt Vreden.

Zudem gebe es immer wieder Anfragen von Jugendlichen und Veranstaltern, aber auch von Eltern, die jugendschutzrechtliche Alters- und Zeitvorgaben für Feste aufheben oder mit einer schriftlichen Einverständniserklärung Sonderregelungen treffen wollten. Hier sollte jeder Veranstalter von seinem "Hausrecht" Gebrauch machen und sich auf keine Sonderregelung einlassen, betonen die Vertreter von Stadt und Kreis. "Jugendschutz geht alle an", lautet ihr Leitsatz. Der könne aber nur dann umgesetzt werden, wenn sich alle Beteiligten wie beispielsweise Eltern, Veranstalter, Vereine und Verbände entsprechend verantwortungsbewusst zeigten. "Wir sind froh und auch stolz darauf, dass wir in Vreden in Sachen Jugendschutz an einem Strang ziehen und immer wieder neue Ideen für die Umsetzung haben", freut sich Jürgen Depenbrock. "Die Saison kann beginnen!"
Kampagne "Vollrausch … ohne mich!"
"Vollrausch ohne mich!": So lautet der Titel der kreisweiten Kampagne gegen exzessiven Alkoholkonsum. Auch bei Festen und Veranstaltungen in Vreden war sie bereits einige Male präsent. "Es geht uns nicht darum, den Konsum alkoholischer Getränke komplett unterbinden zu wollen", erklärt Reinhild Wantia vom Fachbereich Gesundheit des Kreises Borken. "Wir möchten erreichen, dass Jugendliche und junge Erwachsene mit Alkohol verantwortungsvoll umgehen."

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Dieser Meldung ist ein Medium zugeordnet:

"Vollrausch ... ohne mich!" lautet das Motto der Kampagne des Kreises Borken gegen Alkoholmissbrauch.
http://www.presse-service.de/medienarchiv.cfm?medien_id=114143


Pressekontakt: Andrea Hertleif, Tel.: 0 28 61 / 82 - 21 09

Kontaktdaten:
Herausgeber:
Kreis Borken
Der Landrat
Büro des Landrats
Pressestelle
Burloer Straße 93
46325 Borken
Telefon:      (0 28 61) 82 21 - 07 / 09
Fax:          (0 28 61) 82 - 13 41
E-Mail:       pressestelle@kreis-borken.de


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Künftig benötigen #alle #Kinder für #Auslandsreisen einen #eigenen #Reisepass -> Neue Regelung ab 26. Juni


Pressemitteilung von Dienstag, 24. April 2012
Landeshauptstadt Magdeburg

Künftig benötigen alle Kinder für Auslandsreisen einen eigenen Reisepass
Neue Regelung ab 26. Juni

Wer im Sommer eine Auslandsreise mit seinen Kindern plant, sollte dringend seine Reisedokumente überprüfen. Ab dem 26. Juni 2012 müssen alle Kinder für Reisen ins Ausland von Geburt an ein eigenes Reisedokument besitzen. Kindereinträge im Reisepass der Eltern sind nur noch bis zum 25. Juni gültig.

Eltern, die noch in diesem Jahr eine Auslandsreise planen, werden gebeten, rechtzeitig die Gültigkeit der vorhandenen Dokumente zu überprüfen und gegebenenfalls neue zu beantragen.

Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr erhalten dann einen Kinderreisepass. Dieser kostet 13 Euro und kann sofort ausgefertigt werden. Kinder und junge Erwachsene bis einschließlich 24. Jahre bekommen einen Reisepass mit sechsjähriger Gültigkeit für 37,50 Euro.

Alternativ kann für Reisen innerhalb der EU auch ein Personalausweis für 22,80 Euro beantragt werden. Das Dokument der Eltern bleibt mit Kindereinträgen weiterhin gültig.

Ausführliche Informationen zu den Anforderungen an Einreisedokumente findet man auf der Homepage des Auswärtigen Amtes unter http://www.auswaertiges-amt.de und bei jedem Reiseveranstalter.

Zur Beantragung von Reisepässen für Personen unter 18 Jahren oder von Personalausweisen für Personen unter 16 Jahren ist eine Einverständniserklärung der Sorgeberechtigten notwendig. Bei der Beantragung eines Personaldokumentes ist immer die Anwesenheit des Kindes erforderlich.

Die Dokumente können in allen Magdeburger Bürgerbüros beantragt werden. Um lange Wartezeiten zu vermeiden empfiehlt es sich, im Voraus einen Termin unter der Rufnummer 115 oder im Internet unter www.magdeburg.de/buergerservice zu buchen. Hier sind auch weitere Informationen zu den einzelnen Dokumenten sowie Vordrucke hinterlegt. Bis Reisepass oder Personalausweis abgeholt werden können, dauert es etwa zwei bis drei Wochen.

Für Nachfragen stehen die Mitarbeiter im Servicecenter montags bis freitags in der Zeit von 8.00 bis 18.00 Uhr unter der Rufnummer 115 gern zur Verfügung.

Kontaktdaten:
Stadt Magdeburg
Frau Dr. Cornelia Poenicke
Büro des Oberbürgermeisters
Teamleiter Öffentlichkeitsarbeit und Bürgeranliegen, Pressesprecherin
Alter Markt 6
39104 Magdeburg
Telefon: (03 91) 5 40 27 69
FAX: (03 91) 5 40 21 27
E-Mail: presse@magdeburg.de
URL: www.magdeburg.de

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Ackerland 29 Prozent teurer Gutachterausschuss des Kreises legt Grundstücksmarktbericht 2012 vor [via Kreis Soest]


Pressemitteilung von Montag, 30. April 2012
Kreis Soest

Ackerland 29 Prozent teurer
Gutachterausschuss des Kreises legt Grundstücksmarktbericht 2012 vor

Kreis Soest (kso.2012.04.26.202.rj). Die Grundstückspreise für Bauland im Kreis Soest sind im vergangenen Jahr unverändert geblieben, die Grundstückspreise für Ackerland dagegen stark gestiegen, und zwar um 29 Prozent.

Das sind zwei Kernaussagen des Grundstücksmarktberichts 2012, den der Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Kreis Soest jetzt vorgelegt hat. Er ist zuständig für alle Städte und Gemeinden des Kreises Soest mit Ausnahme der Stadt Lippstadt.
Der statistische Durchschnittspreis für Bauland je Quadratmeter erschlossener Wohnbaufläche stieg zwar von 95 auf  97 Euro pro Quadratmeter.

Das führen die Experten jedoch darauf zurück, dass die Verkaufsfälle vermehrt in den hochpreisigen Baugebieten des Kreises angefallen sind. Die Anzahl der Kauffälle stieg 2011 von 256  auf 274 an. Für Ackerland wurden im vergangenen Jahr durchschnittlich 3,49  Euro je Quadratmeter bezahlt, das sind 78 Cent oder eben 29 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Anzahl der Verkäufe war mit 130 ausgewerteten Fällen zum Jahr 2010 (131) nahezu gleichbleibend.

Die folgenden durchschnittlichen Baulandpreise wurden in den einzelnen Städten und Kommunen registriert (jeweils gute Lage/mittlere Lage/mäßige Lage): Anröchte 90/70/46 Euro je Quadratmeter, Bad Sassendorf 175/145/110, Ense 90/70/46, Erwitte 150/90/50, Geseke 110/85/50, Lippetal 90/70/50, Möhnesee 105/85/65, Rüthen 60/50/40, Soest 185/135/100, Warstein 90/70/50, Welver 100/80/60, Werl 160/125/105, Wickede 120/95/65.

Insgesamt wurden im Jahr 2011 im Kreis Soest (ohne Stadt Lippstadt)  2.140 Kaufverträge ausgewertet. Die Anzahl der ausgewerteten Kauffälle ist damit im Vergleich zum Jahr 2010 um 11 Prozent gestiegen. Die Zahl der insgesamt eingegangenen Kaufverträge ist um 9 Prozent gestiegen.  Rund  301 Mio. Euro wurden auf dem Grundstücksmarkt umgesetzt – im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 4 Prozent. Der Flächenumsatz der eingegangenen Verträge betrug rund 893 Hektar. Das ist ein Anstieg von 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Die Durchschnittspreise für Ein- und Zweifamilienhäuser sind im Vergleich zum Vorjahr gestiegen (plus 5 Prozent). Zudem gab es mehr Verkaufsfälle (plus 8 Prozent). Für  bebaute Ein- und Zweifamilienhausgrundstücke wurden im Jahr 2011 durchschnittlich rund 159.000 Euro gezahlt (Vorjahr 152.000 Euro). Die Anzahl der Verkaufsfälle stieg von 581 in 2010 auf 627 in 2011.

Die Preise für neu errichtete Eigentumswohnungen sind bei deutlich mehr Verkäufen leicht gestiegen. Der Kreisdurchschnitt lag bei 2.154 Euro je Quadratmeter Wohnfläche und damit 2,7 Prozent höher als im Vorjahr (2.097 Euro).

Die Ursache sieht der Gutachterausschuss darin, dass die Anzahl der veräußerten Neubauwohnungen in Soest, Werl und Bad Sassendorf gestiegen ist und dort das Preisniveau deutlich höher ist als in anderen Orten. Die Ausrichtung bei Neubauten auf betreutes Wohnen hat bei den Untersuchungen keinen signifikanten Anstieg der Preise ergeben. Mit 520 Käufen von neuen Eigentumswohnungen in 2011 ist die Anzahl der Verkaufsfälle zu 2010 (342) um 52 Prozent gestiegen.

Der  Grundstücksmarktbericht besteht aus einem kostenfreien allgemeinen Teil, der einen Überblick über den Grundstücksmarkt bietet, und einen zweiten, kostenpflichtigen Teil mit den für die Wertermittlung erforderlichen Daten. Der komplette Bericht ist zu einem Preis von 52 Euro erhältlich.

Weitere Informationen im Netz unter www.kreis-soest.de (Bürgerservice/Service + Info/Produkte A-Z/Grundstücksmarktbericht) sowie beim Ausschussvorsitzenden Werner Schäfers, Telefon 02921/302334, oder beim Geschäftsstellenleiter Rolf Johannsen, Telefon 02921/302367, E-Mail gutachterausschuss@kreis-soest.de. Die neuen Richtwerte und der Grundstücksmarktbericht sind auch unter www.borisplus.nrw.de im Internet zu finden. Es handelt sich um das Internetportal aller Gutachterausschüsse des Landes.

Pressekontakt: Pressestelle, Wilhelm Müschenborn, Telefon 02921/303200

Kontaktdaten:
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Internet www.kreis-soest.de


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Donnerstag, 26. April 2012

#Wisconsin war der Bundesstaat in den USA, der #hiesigen #Sozialstaatsprogrammen als #Vorbild #diente.

   


Von Wisconsin lernen...

Jane Slaughter* über ägyptische Verhältnisse in den USA

[via labournet.de]

http://www.labournet.de/internationales/usa/slaughter2.html


Wisconsin war der Bundesstaat in den USA, der hiesigen Sozialstaatsreformern als Vorbild diente: Ganze Delegationen von Politikern fuhren nach Wisconsin, um sich bei den dortigen »Workfare«-Programmen Anregungen für hiesige Arbeitsmarktreformen zu holen.

Im Frühjahr dieses Jahres fuhren andere Delegationen mit anderen Intentionen nach Wisconsin: Über zwei Monaten hielten »ägyptische Verhältnisse« den Bundesstaat in Atem, nachdem wilde Streiks gegen ein Haushaltssanierungsgesetz (»budget repair bill«) der regierenden Republikaner ausbrachen, mit dem diese die Bewältigung der Krisenlasten (ein aktuelles Defizit von 136 Millionen Dollar zzgl. eines prognostizierten Defizits von 3,6 Mrd. für die nächsten zwei Jahre) vor allem der lohnabhängigen Bevölkerung aufzubürden versuchten – mit rund achtprozentigen Lohnkürzungen für die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes und Kürzungen bei Renten und Arbeitslosenversicherungen für alle. Besonders umstritten: die gesetzliche Einschränkung der Koalitionsfreiheit und der Tarifautonomie, mit der – wie in elf weiteren Bundesstaaten seit den letzten Wahlen 2010 – den Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes ihre auf dem »closed shop«-Prinzip basierende Form der Organisierung und das Recht auf regierungsunabhängige Lohnfindung beschnitten werden sollte, einschließlich einer staatlich verordneten Vorgabe, Lohnerhöhungen nur im Rahmen des Inflationsausgleichs zu dulden und bei Zuwiderhandlung die Nationalgarde gegen die Gewerkschaften einzusetzen. Damit hätten dann, wenn sich ähnliche Vorhaben in anderen Bundesstaaten durchsetzen, insgesamt 33 Bundesstaaten in den USA die »right to work«-Gesetzgebung eingeführt, nach der Beschäftigte das Recht haben, an der Gewerkschaft vorbei einen auf individueller Basis ausgehandelten Job in einem gewerkschaftlich organisierten Unternehmen anzunehmen.

Das senkt die Kosten für die Unternehmen und zersetzt mühsam errungene gewerkschaftliche Kollektivvereinbarungen.

Eben dieses liberal interpretierte »Recht auf Arbeit« wurde, allen Protesten zum Trotz, mit einem juristischen Trick nun auch in Wisconsin verabschiedet. Aus der Phase kurz vor dieser Entscheidung dokumentieren wir den folgenden Beitrag von Jane Slaughter, Arbeitswissenschaftlerin und Redakteurin der Labor Notes. In der nächsten Ausgabe werden wir mit der Frage: »Was bleibt vom Wind of Change in Wisconsin?« anschließen.

In Wisconsin herrscht aktuell bei Einheimischen wie Besuchern das Gefühl vor: »So etwas habe ich noch nie gesehen.« Die dortige Revolte ist die beeindruckendste Antwort der US-amerikanischen Beschäftigten auf die Offensive der Arbeitgeber seit deren Beginn vor rund 30 Jahren – bemerkenswert aufgrund ihrer hohen Beteiligungszahlen, ihrer Dauer und aufgrund der spontan entstandenen Koalition zwischen Beschäftigten, StudentInnen und BürgerInnen.

Die riesige Unterstützung von Seiten nicht gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter unterscheidet sie von den meisten anderen Arbeitskämpfen. Mit dem Beharren der Be-schäftigten auf dem Recht mitzureden, wenn es um ihre Arbeitsbedingungen geht, kommt in dieser Revolte die Existenzbasis der Gewerkschaftsbewegung zum Ausdruck. Streik und Demonstrationen für ImmigrantInnenrechte am 1. Mai 2006 hatten eine höhere Beteiligung, aber die aktuellen Aktionen waren nachhaltiger. Die Revolte von Wisconsin hält für die GewerkschafterInnen, die im ganzen Land unter Druck stehen, jede Menge Lektionen bereit.

Was gemacht wurde

Am Anfang stand die Macht eines Streiks. Der illegale zweitägige Streik der LehrerInnen im Bundesstaat bereitete die Bühne für alles, was danach geschah. Der Streik hat nicht bloß Massen in das Kapitol, den Regierungssitz von Wisconsin in der Hauptstadt Madison geführt, sondern von Anfang an gezeigt, wie massiv der Widerstand gegen die Attacke von Gouverneur Scott Walker auf die Gewerkschaftsrechte ist. Hunderte von Highschool-SchülerInnen traten in Madison in Streik. Großdemonstrationen bevölkerten wiederholt die Hauptstadt. An den zwei wichtigsten Samstagen waren jeweils über 100000 Menschen auf der Straße.

Diese Demonstrationen und Hunderte anderer Aktionen gaben 14 Abgeordneten der Demokraten das Rückgrat, den Staat zu verlassen und drei Wochen wegzubleiben. [1]

Eine beeindruckende Menge von Gewerkschaftsmitgliedern aus dem privaten Sektor schloss sich ebenso an wie von Walkers Gesetz nicht betroffene Feuerwehrleute und PolizistInnen. Ihre Beteiligung entspricht der Definition von Solidarität.

Die Besetzung des Kapitols von Wisconsin, organisiert von der Gewerkschaft des Lehrpersonals, hat einen befreiten Raum geschaffen. »Mich hat Ehrfurcht ergriffen vor diesem mächtigen Aufbrausen der Demokratie. Das hat auch mich verändert«, sagten Besucher wie Miya Williamson, Beschäftigte im öffentlichen Sektor von Michigan.

Es war nicht nur Madison. Demonstrationen blühten überall im Bundesstaat auf. In Gays Mills, einem Ort mit nur einer Straße und nicht mehr als hundert Menschen, strömten die BewohnerInnen zahlreich zur Versammlung in ein Restaurant, um ihren Senator mit ihren Protesten zu konfrontieren. In Black River Falls (3366 Einwohner) ließen es sich die Gewerkschafter nicht nehmen, Transparente von einer Brücke zu hängen und die Autofahrer zum Hupkonzert aufzufordern, immer 150 auf einmal. Ältere BewohnerInnen organisierten sich als Graue Panther und veranstalteten Flashmobs, am ersten Tag 50 Leute, vier Tage später 150. In den ersten Tagen nahmen die DemonstrantInnen Slogans der Freiheitsbewegungen in Nordafrika auf und verglichen Walker auf Plakaten mit Mubarak. Ägypter nahmen den Ball an und schickten Geld für Pizza.

Quer durch die Vereinigten Staaten versammelten sich Zehntausende in den jeweiligen Hauptstädten, um Wisconsin mit Kundgebungen zu unterstützen. Im weit entfernten Richmond/Kalifornien bezog z.B. der Stadtrat für die eigenen Beschäftigten im Öffentlichen Dienst Stellung und beschloss, die Rechte der Beschäftigten in Wisconsin auf Kollektivverhandlungen zu unterstützen. Delegationen strömten nach Madison, um an den Geschehnissen und der Atmosphäre teilzuhaben. Gleichzeitig demonstrierten Beschäftigte wiederholt zu Tausenden in und vor den Parlamentsgebäuden von Indiana und Ohio.

Die Öffentlichkeit reagierte mit Sympathie. Eine Bloomberg-Umfrage ergab landesweit 64 Prozent Unterstützung für das Recht der Beschäftigten im öffentlichen Sektor auf Kollektivverhandlungen. 72 Prozent der Befragten gaben außerdem an, eine gute Meinung von den Staatsangestellten zu haben.

Es scheint, dass die meisten Menschen nach Jahrzehnten von Lohnkürzungen, Entlassungen, Kürzungen bei Dienstleistungen und zunehmender Öffnung der sozialen Schere für gewerkschaftlich organisierte wie für nicht organisierte Beschäftigte einfach froh waren zu sehen, dass sich jemand wehrte.

Kollektivverhandlungsrechte: Eine Frage des Geldes [5]

Die Abgeordneten der Regierung von Wisconsin haben es nicht deshalb auf die Kollektivverhandlungsrechte abgesehen, weil sie die arbeitende Bevölkerung hassen. Ach was, manche ihrer besten Dienstmädchen gehören zur arbeitenden Bevölkerung. Nein, sie wollen die Tarifverhandlungsrechte der staatlichen Beschäftigten loswerden, um Geld zu sparen. Sie wollen die Staatsausgaben und die Steuern für Unternehmen und Reiche senken – in anderen Worten: den Beschäftigten Geld aus der Tasche ziehen und es den Reichen geben.

Allerdings behaupten Gewerkschaftsführer in Wisconsin häufig, Tarifverhandlungsrechte seien gar keine Frage des Geldes. Sie sagen: Die Mitglieder würden Lohnkürzungen hinnehmen, um dem Staat auszuhelfen, solange sie ihre Tarifverhandlungsrechte behalten dürfen, was wiederum gar nichts kosten würde.

Das ist falsch. Tarifverhandlungen haben die Steuerzahler im Laufe der Jahre Geld gekostet. (Wenn auch nicht allzu viel: Studien zeigen übereinstimmend, dass Beschäftigte der öffentlichen Hand etwas weniger verdienen als Beschäftigte im privaten Sektor mit ähnlicher Erfahrung und Ausbildung.)

Ein Tarifvertrag kostet den Arbeitgeber Geld, denn in normalen Zeiten sorgt er für höhere Löhne und Leistungen. Dienstalter kostet auch Geld. Z.B. müssen Arbeitgeber bei Entlassungen die dienstälteren, besser bezahlten Beschäftigten behalten. Bei Entlassungen müssen sie die Verdrängung jüngerer Beschäftigter durch ältere erlauben, was Umschulungskosten für die älteren Beschäftigten mit sich bringt.

Scott Walker denkt, dass Errungenschaften der Gewerkschaften wie ergonomische Arbeitsplätze und Regelungen über erlaubte Temperaturen am Arbeitsplatz absurd sind. Er kann keinerlei Einmischung in die individualisierte, gemeine Pfennigfeilscherei ertragen, von der die Bosse nur die Finger lassen, wenn ihnen die Gewerkschaften darauf klopfen.

Wenn Gewerkschaftsführer sagen, dass Tarifverhandlungen keine höheren Kosten verursachen, bestätigen sie damit, dass Konzessionen in Ordnung sind – oder Gewerkschaften ohnmächtig.

Total Recall: die totale Absetzung

Die Beschäftigten von Wisconsin sind stolz auf ihr Engagement, ihre Energie, ihr Durchhaltevermögen und die Friedlichkeit ihrer Proteste. Bemerkenswert ist auch, dass die Gewerkschaftsführungen in den ersten Wochen nicht versucht haben, den Kampf einzugrenzen. Selbst die Engstirnigsten haben scheinbar gemerkt, dass Beschäftigte, die selbstbewusst für ihre Anliegen einstehen, den Gewerkschaften wieder zu mehr Popularität verhelfen. Angesichts nachlassender gewerkschaftlicher Macht konnten sie sehen, dass es mit der umfassenden Mobilisierung gelungen ist, Republikaner und Demokraten in Atem zu halten.

Als die AFL-CIO eine Petitionsinitiative [2] zur Absetzung von acht republikanischen Senatoren startete, versuchten die Funktionäre nicht, alle Aktivitäten auf diese Kampagne zu verlagern – was zweifellos auch schwierig gewesen wäre. Die Mobilisierung für die Sammlung der erforderlichen Unterschriften rückte nur deshalb stark in den Fokus, weil die Basis dafür sorgte.

Karl Gartung, Vertrauensmann des Teamsters-Locals 344 in Milwaukee, berichtet, die Leute hätten sich massenhaft selbst für die Kampagne »rekrutiert«, und zwar in einer Stimmung, die er als«reine freudige Wut« beschreibt. Inzwischen bedienen sich die Republikaner nach Informationen der Demokraten der Gelder der milliardenschweren Koch-Brüder, um ihre Stimmenwerber zu bezahlen.

Bis zum 14. März hatten die Unterstützer der Recall-Kampagne in drei Senatsbezirken über die Hälfte der benötigten Unterschriften eingesammelt; und die Frist endet erst am 1. Mai. [3] Der Recall-Initiative folgten bald Druckkampagnen gegen diejenigen Banken und Unternehmen, die in Wisconsin das rechte Lager finanzieren. Feuerwehrleute bilden die Speerspitze der Kampagne »Move Your Money«, die Kunden dazu aufruft, ihr Geld von der Bank M&I abzuziehen, einer zentralen Walker-Unterstützerin (die diesem sogar gestattet hatte, ihren privaten Tunnel zu benutzen, um sich vor der Menschenmenge am Kapitol zu verdrücken).

»Nukleare Option«

Nachdem sich der Senat des Staates Wisconsin am 9. März für die »nukleare Option« [4] entschieden und eine entsprechend auf diesen Kernpunkt reduzierte Version des Gesetzes zur »Budgetsanierung« verabschiedet hatte, schien dennoch niemand auf Gewerkschaftsseite bereit, es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen. Mary Bell, Vorsitzende der staatlichen Lehrergewerkschaft WEAC, die ihre Mitglieder drei Wochen zuvor zum Ausstand aufgerufen hatte, beschied diesen nun, wieder arbeiten zu gehen.

Eine Gewerkschaftsbewegung ohne Erfahrung mit offenem Widerstand hatte bemerkenswerte Schritte gewagt – aber jetzt entschied sie sich doch für Vorsicht, da sie die Konsequenzen nicht abschätzen konnte und den Verlust der öffentlichen Unterstützung nicht riskieren wollte. Niemand war auf diesen Moment vorbereitet gewesen. Würde Walker, der selbst ernannte Nachfahre von Ronald Reagan, Streikende feuern? Würde sich die öffentliche Meinung abwenden? Jim Cavanaugh, Vorsitzender der Madison's South Central Federation of Labor, sagt: »Um es richtig zu machen, ist eine sorgfältige Vorbereitung nötig. Man setzt die Leute der Möglichkeit von Arbeitsplatzverlusten und weiteren Folgen aus, wenn man nicht die erforderlichen Schritte unternimmt.«

* Jane Slaughter ist Mitgründerin der US-Zeitschrift Labor Notes, Autorin und Herausgeberin zahlreicher Publikationen zu Fragen der Gewerkschaftsbewegung und hat das Troublemaker's Handbook II veröffentlicht.

Übersetzung: Anne Scheidhauer

Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 05/11
express im Netz unter: www.express-afp.info externer Link, www.labournet.de/express externer Link


1) Ein Gesetzgebungs- bzw. Gesetzänderungsverfahren kann im Parlament von Wisconsin nur begonnen werden, wenn zu Beginn 75 Prozent der Abgeordneten anwesend sind. Nach der »Flucht« von 14 demokratischen Abgeordneten über die Staatsgrenze, wo sie für die Polizei von Wisconsin nicht mehr erreichbar waren, wurde diese Quote um genau eineN AbgeordneteN unterschritten.

2) Gegenstand der Petition ist die Durchführung eines Volksentscheides, in diesem Fall zum Thema Absetzung von Abgeordneten. Um zu erreichen, dass ein solcher Volksentscheid durchgeführt wird, muss die Petition von einer bestimmten Anzahl BürgerInnen des jeweiligen Bezirks unterschrieben werden (25 Prozent der bei der letzten Wahl abgegebenen Stimmen).

3) Aktuell sind sechs Recall-Petitionen erfolgreich beendet. Es konnten jeweils Tausende Unterschriften mehr als benötigt gesammelt werden, siehe: http://wisconsinrecall.net/blog/ externer Link

4) Die »nukleare Option« nutzten Scott Walker und seine republikanischen Senatoren, um das Gesetz auch ohne die vorgeschriebene Anwesenheitsquote von 75 Prozent der Senatoren und damit komplett ohne demokratische Senatoren durchzupeitschen. Der Trick bestand darin, die Regelungen zu den Gewerkschaftsrechten von den restlichen Bestandteilen des Sparpakets zu trennen und zu behaupten, sie seien nicht fiskalischer Natur. Denn damit reichte die einfache Mehrheit im Senat, um das Gesetz zu verabschieden.

5) Sind Kollektivverhandlungsrechte eine Sache des Geldes und damit »fiskalischer Natur« – oder nicht? Das spielt (auch) eine Rolle bei der Beurteilung der Frage, ob die »nukleare Option« des Senats von Wisconsin (siehe vorangegangene Fußnote) formal zulässig war oder nicht.

 


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