Sonntag, 27. Juli 2014

@Ritter_Roter -->> Fragwürdige Hilfe - #Lebensmittelspenden #hemmen #Eigeninitiative [sehr fragwürdiger Beitrag v. KONTRASTE]

 

 

Fragwürdige Hilfe – Lebensmittelspenden hemmen Eigeninitiative

 
[via Kontraste vom 19.03.2009]
 

Lebensmittel-Tafeln und Suppenküchen verzeichnen einen enormen Zulauf in ganz Deutschland. Hilft das Spenden von Essen, um den Weg aus der Armut zu finden? Die Praxis zeigt, viele Menschen richten sich ein im System einer "mildtätigen Rundumversorgung". Vom sozialen Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe" sind viele Tafeln und Suppenküchen weit entfernt.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise wirft auch eine weitere Frage auf: Wie viel Eigenverantwortung soll der Einzelne übernehmen und wie sehr soll sich der Staat kümmern? Kann man sich in der Not auf staatliche Hilfe verlassen oder ist eigenes Engagement gefragt? Nehmen wir mal dieses Beispiel: Öffentliche Suppenküchen und Tafeln, wo Bedürftige kostenlos Lebensmittel oder eine warme Mahlzeit bekommen. Eigentlich eine tolle Idee, oder? Wir fragen, ob diese bequeme Form der Armenhilfe nicht eins erstickt: Die eigene Initiative, die dringend nötig ist, um sich selbst aus der Bedürftigkeit zu befreien. Ein Tabuthema, haben unsere Autoren Axel Svehla und Eva Simon bei ihren Dreharbeiten erfahren.

Immer mehr Menschen stehen Schlange, um sich mit Lebensmitteln oder einer warmen Mahlzeit versorgen zu lassen. Ob in Rostock oder Regensburg – für viele gehört die Suppenküche oder der Besuch so genannter „Tafeln" längst zum Alltag. Auch hier in Darmstadt:

Die Tafel ist ja ein Geschenk, ja, dass jemand was tut, dass man nicht leiden muss, also ich krieg Hartz IV, ich bin arm, aber ich hab jetzt so viel, dass ich nicht leide.

Das Essen ist doch eigentlich okay. Was wollen wir mehr. Klar gibt's mal dies und jenes, was man nicht so isst, aber das ist zu Hause genauso, bei Muttern.

Ernährung durch Lebensmittelspenden, Versorgung durch eine Tafel – für die meisten hier längst eine Selbstverständlichkeit. Auch für die Leiterin der Darmstädter Tafel. Sie sieht die Essensausgabe für Bedürftige als Dauereinrichtung.

Doris Kappler, Darmstädter Tafel e.V.
„Wir sind eine feste Größe im sozialen Leben in Darmstadt, und die Menschen wissen das, durch Mundpropaganda, und die kommen gerne zu uns, das ist wie gesagt das Wohnzimmer. Die kommen einfach, setzen sich hin, morgens, sie haben das ja gesehen, trinken ihren Kaffee, essen Brötchen, lesen Bild oder was weiß ich was sie machen, sie sind wie zu Hause. Und das sind sehr viel immer dieselben Leute. Die kommen von Anfang an."

Tafeln und Suppenküchen, Kleiderkammern und so genannte Sozialkaufhäuser – diese Einrichtungen ziehen immer mehr Menschen an. Die hier arbeiten, meinen es gut mit den Bedürftigen.
Dabei ist eine Diskussion über Sinn und Unsinn dieser Art von Wohltätigkeit längst überfällig.

Dominik Enste, Institut der Deutschen Wirtschaft
„Wenn man sich daran gewöhnt, wenn das regelmäßige Leistungen sind, kann es eben dazu führen, dass man unselbständiger wird, dass man irgendwann gar nicht mehr selber in der Lage ist zu kochen, einzukaufen, und man kein Gefühl mehr hat für Preise in den Geschäften, ja einfach die Relationen nicht mehr im Blick hat und auch gar nicht mehr einschätzen kann, wie weit bin ich Almosenempfänger, inwieweit bin ich noch selbständig in der Lage mein Leben zu gestalten."

Bad Doberan in Mecklenburg Vorpommern. Auch hier gibt es eine Suppenküche - unter dem Dach der evangelischen Kirche. Das Essen ist kostenlos. Alle dürfen kommen. Seine Bedürftigkeit muss keiner nachweisen.

Barbara Niehaus, Suppenküche Bad Doberan
„Wir bedienen an den Tischen, wir möchten immer zwei Essen zur Auswahl haben, damit man wählen kann, und für uns sind diese Zeichen genauso wie ein schön gedeckter Tisch ein Ausdruck der Wertschätzung derer, die zu uns kommen."

Viele haben sich in diesen Verhältnissen eingerichtet. Die praktizierte Barmherzigkeit droht, die Eigeninitiative der Bedürftigen zu behindern.

Besucher
"Es ist halt allgemeines Wohlfühlen, man sitzt bequem, wird nicht von andern irgendwie komisch angeguckt, weil alle sitzen im Prinzip im selben Boot. "
"Also wenn ich ganz ehrlich bin, für mich ist das auch einfacher. Man spart ja auch einiges. Wenn man sich da jeden Tag an den Herd stellt, das kostet auch Strom. "
"Bevor's die Suppenküche noch nicht gab, haben wir selber gekocht, natürlich. Und seitdem es das gibt, hier in der Suppenküche, nutzen wir das ganz gerne einmal die Woche. "


Dominik Enste, Institut der Deutschen Wirtschaft
„Kernproblem kann bei den Tafeln dadurch entstehen, dass Menschen längerfristig die Fähigkeit verlieren, für sich selber zu sorgen. Das heißt, dass sie fast wie bei einer Fütterung in der freien Wildbahn, man falsch erzogen wird, man selber nicht mehr in der Lage ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, also bildlich gesprochen jagen zu gehen und für sich selber zu sorgen, sondern immer stärker angewiesen wird auf diese Hilfe."

Gütersloh in Westfalen. Auch hier gibt es Hartz IV-Empfänger und Bedürftige. Wer diese Suppenküche besucht, wird allerdings freundlich aufgefordert, an regelmäßig stattfindenden Kochkursen teilzunehmen.

Monika Karsten, Gütersloher Suppenküche e.V.
„Wenn die Gäste essen gehe ich zu ihnen und frage, ob sie nicht Lust hätten, in der nächsten Woche wieder zu kommen um gemeinsam mit uns zu kochen."
Besucher
„Ich koche fast gar nicht so gerne, und jetzt wurde ich hier angesprochen und mir gefällt es eigentlich sehr gut."

Dieser Kochkurs ist mit einer Auflage verbunden – ausgestattet mit den notwendigen Zutaten sollen die Teilnehmen das Essen nachkochen – bei sich zu Hause, ohne fremde Hilfe. So will man die Selbständigkeit fördern.

Inge Rehbein, Gütersloher Suppenküche e.V.
„Wir versuchen, ihnen immer wieder klar zu machen, dass Eigeninitiative gefragt sein muss und Passivität am Ende Sackgasse heißen kann. Ich habe etwas gegen Bittstellertum, ich würde gerne erreichen wollen, dass wir neue Wege gehen ob es in der Tafelarbeit oder in der Suppenküchenarbeit ist, und dieser Weg kann einfach nur Hilfe zur Selbsthilfe bedeuten."

Das ist Manuela Jahnz mit zwei ihrer drei Kinder. Sie wohnt in Berlin Weißensee. Frau Jahnz ist seit Jahren arbeitslos, Hartz IV Empfängerin und Allein erziehend. Sie könnte mit ihren Kindern täglich in einer Suppenküche essen, von jeder Tafel bekäme sie zusätzlich Lebensmittel. Aber Frau Jahnz will das nicht mehr.

Manuela Jahnz
„Also ich selber möchte nicht in einer Suppenküche essen. Ich hab's ne Zeitlang gemacht, und ich muss sagen, ich finde es eben doch schöner, wenn ich mit dem bisschen Geld was ich habe, doch ganz gut alleine klar komme ohne irgendwelchen Hilfen. Dass man eben versucht selber den Mut zu haben und zu sagen, es ist wenig, was man hat, und man kommt eben trotzdem klar."

Wahrscheinlich hat Manuela Jahnz kaum eine Chance, in den regulären Arbeitsmarkt zurückzukehren. Früher war sie Verkäuferin, heute ist sie zu lange aussortiert. Dennoch will sie ihr eigenes Leben und das ihrer Familie wie in der Normalität führen – und nicht in einer Parallelwelt aus Suppenküchen und Tafeln.

Ich möchte einfach, dass die Kinder lernen, mit dem Wenigen, was man hat, irgendwie klar zu kommen. Für mich ist ganz wichtig, dass ich selber die Kraft habe, weiter zu machen.

Zurück nach Darmstadt. Ein Konzept für mögliche Hilfen zur Selbsthilfe gibt es nicht. Stattdessen Ratlosigkeit, wenn die Bedürftigen mit ihrem Hartz IV Geld nicht klar kommen. Und erste Zweifel, ob wirklich hilft, was gut gemeint ist:

Doris Kappler, Darmstädter Tafel e.V.
„Am Monatsanfang wird das Geld ausgezahlt. Und bis zum zehnten ist es weg. Weil sie nicht haushalten können. Das ist eine Katastrophe, das ist furchtbar. Die Menschen können überhaupt nicht mit Geld umgehen."
„Ist es nicht die Tafel, die den Menschen es ermöglicht, so weiter zu machen wie bisher?"
„Wenn man das so sieht, haben Sie Recht. Aber auf der anderen Seite ist es einfach, ja, wir arbeiten, um die Leute etwas zufriedener zu machen, so seh' ich das."


Und was meinen Sie? Uns interessiert, wie SIE darüber denken? Bloggen Sie mit uns zu der Frage: „Wie sinnvoll sind Einrichtungen wie Suppenküchen?". Unsere Adresse: www.kontraste.de. Wir sind gespannt auf Ihre Meinung.
 

Beitrag von Axel Svehla und Eva Simon

... daß die #Aufstandsbekämpfung im #urbanen #Milieu den Schwerpunkt der Ausbildung darstellt. #Bundeswehr #Geisterstadt

 
 

 
Die Geisterstadt in der Letzlinger Heide
[RotFuchs - August 2012 - Seite 12]


#Lob für #Niedriglohn und #Hetze #gegen #Arbeitslose am #Existenzminimum - #Working poor als #Sozialstaatsprogramm

 
 
 
 

Die Hartz-IV-Debatte:
Lob für Niedriglohn und Hetze gegen Arbeitslose am Existenzminimum
Working poor als Sozialstaatsprogramm
[via ardusiss.de]
 
 
Jonas Köper - 15.4.2010
 
Teil 1. Lage der Lohnabhängigen 2010 in D: Tendenz Existenzminimum

Teil 2. Gerechtigkeit und Lohnabhängigkeit: Ideologie und ihr Nutzen
Lohnabhängigkeit: Lohnarbeit und Arbeitslosigkeit

Teil 3. Lohnabhängigkeit:
kombiniert den Bedarf des Kapitals nach rentabler Arbeit
mit dem Bedarf des Volkes nach Arbeitseinkommen – ein Gegensatz

Teil 4. Sozialstaat: Den Gegensatz von rentabler Arbeit fürs Kapital
und Reproduktion aus Lohnarbeit nützlich halten
Standortziel „flexibler Arbeitsmarkt" erreicht - zugleich „Sozialstaat überfordert!"

Teil 6. Sozialstaat ist Agent des allgemeinen Gesetzes der Akkumulation auf dem Arbeitsmarkt,
organisiert Existenzformen der relativen Überbevölkerung und die Unkosten (Das Kapital I, 665, 673f.)

Teil 7. Nachträge und Diskussion
 
Literaturhinweise:
Artikel zum Thema im GegenStandpunkt gibts hier und hier

Grundsätzliches findet sich hier:
Sonderdruck aus GegenStandpunkt 4-96:
„Beschäftigung" – „Globalisierung" – „Standort" ...
Anmerkungen zum kapitalistischen Verhältnis zwischen
Arbeit und Reichtum
61 Seiten € 5.–
ISBN-13: 978-3-929211-08-5
ISBN-10: 3-929211-08-4

sowie hier:
Peter Decker / Konrad Hecker
Das Proletariat
Politisch emanzipiert – Sozial diszipliniert – Global ausgenutzt – Nationalistisch verdorben –
Die große Karriere der lohnarbeitenden Klasse kommt an ihr gerechtes Ende
München 2002
288 Seiten A5 € 20.–
ISBN-13: 978-3-929211-05-4
ISBN-10: 3-929211-05-X



--->>> Der Psychopath ist der vollends kapitalistische Mensch, ein reines Waren- und Geldsubjekt

 
Der Psychopath als Vorbild?

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=17496#more-17496

Am 3. Juni 2013 gab der Sender 3SAT in seiner Sendung Kulturzeit dem englischen Psychologieprofessor Kevin Dutton Raum und Zeit, sein Loblied auf den „Psychopathen" zu singen. Die Sendung hat Götz Eisenberg zu ein paar kritischen Anmerkungen provoziert.

Nachdem vor einigen Wochen bereits das Nachrichtenmagazin Der Spiegel unter dem Titel Raubtiere ohne Ketten reißerisch über das Psychopathen-Buch des englischen Psychologen Kevin Dutton berichtet hat, hat nun auch 3SAT am 3. Juni 2013 in seiner Sendung Kulturzeit ein Interview mit Kevin Dutton gezeigt, in dem er ausführlich auf die „Vorbildfunktion der Psychopathen" einging. Diese seien durchsetzungsfähig, könnten sich auf das Wesentliche konzentrierten und handelten sehr überlegt. Von diesen Charaktereigenschaften könnten wir alle im Alltag profitieren.

Für Psychopathen sei wegen ihrer weitgehenden Angstfreiheit „alles möglich" und sie besäßen eine „unbekümmerte Rücksichtslosigkeit". Eine „bisschen Psychopathie" käme uns allen zu Gute, Psychopathie wirke als „Karriere-Turbo".

Das gelte allerdings nur für eine gewisse Kategorie unter den Psychopathen, nämlich die „funktionierenden Psychopathen". Wenn man unintelligent, aggressiv und psychopathisch sei und dazu noch in der Unterschicht aufwachse, werde man Schutzgeldeintreiber oder Schläger und lande über kurz oder lang im Gefängnis. „Wenn Sie psychopathisch, intelligent und brutal sind und in guten Verhältnissen aufgewachsen sind, dann stehen Ihnen alle noch so exotischen Berufe offen."

Noch einmal wies Dutton darauf hin, dass man bei einer groß angelegten Untersuchung in Großbritannien herausgefunden habe, dass die meisten Psychopathen unter den Firmenbossen zu finden seien, gefolgt von Anwälten, Journalisten und Chirurgen. Die Gesellschaft profitiere von erfolgreichen Psychopathen. Er, Dutton, habe den Eindruck, „dass unsere heutige Gesellschaft zunehmend psychopathisch wird." Eine groß angelegte Untersuchung unter amerikanischen Studenten habe ergeben, dass Empathie und Mitgefühl sich in den letzten Jahrzehnten – forciert in den letzten zehn Jahren – dramatisch zurückgebildet hätten, während die Werte für Narzissmus „durch die Decke" gingen.

All das trägt dieser Kevin Dutton so nüchtern vor, als ginge es um eine Studie über die Freizeit- und Essgewohnheiten englischer Mittelschichtsfrauen.

Die akademische Psychologie verschwendet keinen Gedanken an die Strukturvorgaben und Funktionsimperative der kapitalistischen Wirtschaft. Sie ist auf dem gesellschaftlichen Auge blind und versucht deshalb, wie Peter Brückner bemerkte, „den Stand der Gestirne bei bereichsweise bedecktem Himmel zu bestimmen". Sie kann und will nicht erkennen, dass die beschriebenen Phänomene eine Begleiterscheinung des neuen kapitalistischen Zeitalters darstellen.

Der Psychopath ist der vollends kapitalistische Mensch, ein reines Waren- und Geldsubjekt, dem die äußere soziale Kälte zur zweiten inneren Natur geworden ist. Dutton interpretiert und hinterfragt die angesprochenen Entwicklungen nicht, sondern schildert sie wie Naturprozesse, die er beobachtet und gemessen hat.

Unsereiner nimmt schaudernd zur Kenntnis, dass die vom Kapitalismus auf seiner gegenwärtigen Entwicklungsstufe vorangetriebenen Flexibilisierungs- und Mobilisierungsprozesse auf der Innenseite der Subjekte einen Schwund all der Eigenschaften mit sich bringen, die wir bis dato für die eigentlich menschlichen angesehen haben.

Alles, was diesen Psychopathen das Fortkommen unter den Bedingungen des flexiblen Kapitalismus erschwert, wird wie Ballast abgeworfen. Zurück bleibt jene „unbekümmerte Rücksichtslosigkeit", von der Kevin Dutton bewundernd spricht, als handele es sich geradezu um eine neue Kardinaltugend.

Was Adorno bereits in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts über die „Radiogeneration" sagte, gilt umso mehr für die Ego-Generation von heute: Sie wollen „sich einpassen, das können, was alle können, das noch einmal tun, was alle tun. Sie sind illusionslos. Sie sehen die Welt endlich, wie sie ist, aber um den Preis, dass sie nicht mehr sehen, wie sie sein könnte. Darum fehlt es ihnen auch an Leid.

Sie sind ‚abgehärtet' im physischen und im psychologischen Sinn. Ihre Kälte ist eines ihrer hervortretendsten Merkmale, kalt fremdem Leiden gegenüber, aber auch sich selbst gegenüber. Ihr eigenes Leiden hat so wenig Macht über sie, weil sie sich kaum daran zu erinnern vermögen: es vergeht so, wie der nach der Narkose erwachte Patient von den Schmerzen der Operation nichts mehr weiß … . Dieser Kälte entspricht eine geheime Komplizität mit den Dingen, denen man selber ähnlich zu sein strebt."

Auch der 3SAT-Kommentar enthielt sich jeder Kritik, sondern stellte lediglich fest, die Thesen von Kevin Dutton seien zwar gewagt, aber nicht von der Hand zu weisen. Vielleicht seien die Psychopathen die „geistig Gesunden von morgen". Sie seien „besser gerüstet für den ganz alltäglichen Wahnsinn".




Die #natürlichen #Verleumder #der #Armen ... arme Menschen grundsätzlich rauchen und saufen [vertiefend!]

 

Die natürlichen Verleumder der Armen
 
[via Nachdenkseiten]
 
 

Die Schlagzeile, Ärztepräsident Montgomery hätte erklärt, armen Menschen gehe es in Deutschland aus medizinischer Sicht schlechter als denen, die nicht unter Armut litten, klang vielversprechend. Immerhin hatte der Mann tags zuvor klargestellt, dass er ein Gesundheitswesen, in dem alle dieselbe Versorgung erhielten, für "sozialistischen Einheitsbrei" erachte.

Letztlich kehrte Montgomery inhaltlich nicht um, sondern unterstrich seine elitäre Attitude. Denn es seien vor allem Tabak, Alkohol und Fettleibigkeit, die arme Menschen früher sterben ließen. Genau dort bestehe Handlungsbedarf. Es war also kein progressiver Impuls, der den Ärztepräsident anleitete, sondern die elitäre Überheblichkeit, bei Unterschichten würde es sich größtenteils um fette Säufer und dicke Raucher handeln.

Dass arme Menschen grundsätzlich rauchen und saufen ist die Wahrheit, auf die sich die Eliten in diesem Lande vereinbaren konnten.
 
Auf dieser Grundlage stutzte man den Regelsatz der Sozialhilfe und vor einiger Zeit sprach sich Steinbrück gegen eine Kindergelderhöhung aus, damit dieses nicht in Zigarettenschachteln investiert würde.
 
Die Enthaltungsbewegungen des 19. Jahrhunderts waren die Wegbereiter. Sie schrieben sich die Abstinenz aufs Panier; die Prohibition sollte dann ihr größter politischer Erfolg werden.
 
Die Inszenierung war schon damals eine vom frömmelnden Bildungsbürgertum initiierte, die sich gegen die armen Geschöpfe aus dem Industrieproletariat richtete.

Quelle: ad sinistram



unterstellt wird, daß Erwerbslose dringend therapeutische oder sozialpädagogische Begleitung brauchen, um zurechtzukommen

 
 

Hungerlöhne und Almosen

Position. Minijobs, Erwerbslosigkeit,

Hartz IV – Armut in der BRD

Von Ingrid Jost
 
[via Junge Welt]
 
 
 
 
»Eine der schauerlichsten Folgen der ­Arbeitslosigkeit ist wohl die, daß Arbeit als Gnade vergeben wird. Es ist wie im Kriege: Wer die Butter hat, wird frech.«
Kurt Tucholsky (1890–1935), deutscher Journalist und Schriftsteller

Das Geschäft mit der Erwerbslosigkeit boomt. Es geht um Milliarden auf einem heiß umkämpften Markt, der den Betroffenen unsichere, schlecht bezahlte Beschäftigung und Zwangsmaßnahmen beschert. Es wäre naiv, den Verantwortlichen zu unterstellen, daß sie nicht wissen, was sie tun. Armut wurde und wird politisch gemacht. Die Gewinnmarge wird durch immer niedrigere Löhne und prekäre Arbeitsplätze erhöht – gerade auch im Bildungsbereich. Mindestlöhne für Akademikerinnen und Akademiker von 12,28 Euro (West) und 10,93 Euro (Ost) treiben gut etablierten Handwerkerinnen und Handwerkern sicher vor Lachen Tränen in die Augen. Im Friseurhandwerk, im Gastronomie- und Dienstleistungsbereich sind noch weit niedrigere Löhne die Regel.

Während die Zunahme der Armut, insbesondere die der Kinder, allgemein »Besorgnis« hervorruft, wächst der Niedriglohnsektor weiter, in dem in der Regel auch die Eltern der armen Kinder arbeiten. In diesem Bereich sind 22,8 Prozent (Stand 2010) der Vollzeitbeschäftigten tätig – überwiegend junge Menschen und Frauen, die zu Niedriglohnkonditionen arbeiten. Betroffen sind 715000 Jugendliche außerhalb der Ausbildung und 2,56 Millionen Frauen, die in Vollzeitbeschäftigung weniger als zwei Drittel des Durchschnittseinkommens verdienen (OECD-Niedriglohngrenze). Im Jahr 2010 war in absoluten Zahlen eine Zunahme von 199 762 Menschen im Niedriglohnbereich zu verzeichnen.

Während in anderen europäischen Ländern in den vergangenen Jahren die Löhne gestiegen sind, ist in Deutschland von 2000 bis 2009 laut »International Labour Organization« (ILO) ein Reallohnverlust von 4,5 Prozent zu verzeichnen. Das »Institut Arbeit und Qualifikation« (IAQ) kommt zu dem Ergebnis, daß die Niedriglöhne im untersten Viertel der am schlechtesten Verdienenden zwischen 2000 und 2006 regelrecht abgestürzt sind: Sie brachen um 13,7 Prozent unter das Niveau des Jahres 2000 ein (nominal lagen sie sogar darunter). Im zweiten Viertel sanken die Reallöhne noch um 3,2 Prozent, lediglich im dritten und vierten stiegen sie leicht an. Das heißt, es hat eine weitere Einkommensumverteilung von unten nach oben gegeben. Durch dieses Lohndumping wurden sehr viele Menschen arm trotz Arbeit, um wenigen zu noch mehr Reichtum zu verhelfen, der in die nächste Spekulationsblase investiert werden kann.

»Hilfsbedürftige«

Im Umgang mit Erwerbslosen wird ein ganz bestimmtes Menschenbild konstruiert: Millionen Menschen werden zu »Hilfsbedürftigen« erklärt. Ältere Menschen werden in der Regel geschätzt wegen ihrer persönlichen und beruflichen Erfahrungen, als Erwerbslose hingegen werden sie zu sogenannten Minderleistern, deren vermeintliche Defizite über Lohnzuschüsse ausgeglichen werden müssen. In der Umsetzung von Hartz IV wird ein hemmungsloser Abbau sozialer Rechte betrieben, die über Jahrzehnte hart erkämpft worden waren. Die gängige Legendenbildung suggeriert auch, daß im Niedriglohnbereich überwiegend Menschen ohne Ausbildung arbeiten. Statt dessen beträgt der Anteil derer mit Fachausbildung, Fachhochschul- und akademischem Abschluß zirka 80 Prozent, der Anteil derjenigen ohne Abschluß im Niedriglohnsektor ist dagegen geringer geworden. Zwangsmaßnahmen und weitere prekäre Beschäftigung werden gerechtfertigt, indem unterstellt wird, daß Erwerbslose dringend therapeutische oder sozialpädagogische Begleitung brauchen, um mit ihrem Leben zurechtzukommen. Arbeit wird so zum Therapeutikum und kann als »Maßnahme« verordnet werden – das bringt billige Arbeitskräfte, und die Betroffenen verschwinden aus der Erwerbslosenstatistik. Reguläre Arbeitsplätze werden von verarmten unterfinanzierten Kommunen abgebaut oder gar nicht erst eingerichtet, weil durch Hartz IV eine billige »Reservearmee« zur Verfügung steht, die diese Lücke füllt oder dank einer rigorosen Sanktionspraxis füllen muß.

Unsicher und mies bezahlt

Leiharbeit ist ein weiteres Instrument, um Arbeit billiger zu machen, die Profite zu privatisieren und die unternehmerischen Risiken zu vergesellschaften. Verglichen mit anderen europäischen Ländern ist die Verbreitung der »Zeitarbeit« in Deutschland leicht überdurchschnittlich. Der Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit vom Januar 2012 erfaßt 910000 Leiharbeitsverhältnisse im Juni 2011. Der Anteil der Leiharbeiter an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt bei knapp drei Prozent. 17 Prozent des Beschäftigungsanstieges von Juni 2010 bis Juni 2011 gingen auf die sogenannte Arbeitnehmerüberlassung zurück.

Während der Frauenanteil im Niedriglohnbereich 70 Prozent ausmacht, sind in der Leiharbeitsbranche 73 Prozent Männer. Die Hälfte dieser Beschäftigungsverhältnisse endet nach weniger als drei Monaten. Das Entlassungsrisiko ist überdurchschnittlich hoch, dafür liegen die mittleren Bruttoarbeitsentgelte in der Zeitarbeit im Durchschnitt unter den mittleren Entgelten und zwar für alle Branchen. Das Bundesarbeitsministerium teilt laut dpa mit, daß jeder zwölfte in diesem Bereich Beschäftigte im vergangenen Jahr zusätzlich zum Lohn Arbeitslosengeld II bezogen hat. Etwa 65000 Leiharbeiter in Deutschland hätten Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitslose erhalten. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der in diesem prekären Sektor ihren Lebensunterhalt Bestreitenden mehr als verdoppelt, die Zunahme an unsicheren und schlecht bezahlten Jobs ist zumindest teilweise auch Resultat der Hartz-Gesetze.

Im Rahmen dieser Hartz-Gesetze soll zudem zahlreichen Alleinerziehenden »geholfen« werden, sich im regulären Arbeitsmarkt einzufinden. Unerwähnt bleibt die Tatsache, daß die Zahl der existenzsichernden Arbeitsplätze bestenfalls gleichgeblieben und lediglich die Zahl der prekären gestiegen ist. Unter der Beteiligung von Grundsicherungsstellen werden aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (EFS) und des Bundes 79 lokale und regionale sogenannte Xenos-Projekte mit zirka 60 Millionen Euro finanziert, die zur »Aktivierung, Integration in Erwerbstätigkeit oder sozialen und beschäftigungsbezogenen Stabilisierung von Alleinerziehenden beitragen« sollen. Voraussetzung ist der Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Grundlage dieser Projekte ist wieder die Legende, daß Erwerbslose nur ausreichend aktiviert und stabilisiert werden müssen, und schon fielen neue existenzsichernde Arbeitsplätze vom Himmel, die ohne Aufstockung durch ALG II ein gutes Leben ermöglichen würden. Nur mit dieser Logik der Individualisierung von Erwerbslosigkeit lassen sich Maßnahmen rechtfertigen, die in Wirklichkeit ein großangelegtes Beschäftigungsprogramm sind, das die Bildungsträger absichert und deren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen davor bewahrt, ebenfalls in der Erwerbslosigkeit zu landen. Die Beteiligung der Grundsicherungsstellen führt dazu, daß Frauen mit diesem Instrument der »Frauenförderung« teilweise in den Niedriglohnsektor gedrängt werden, weil Grundsicherungsstellen unter Sparzwang stehen und sich deren Erfolg an den eingesparten Leistungen mißt. Nachhaltige Unabhängigkeit von Transferleistungen über eine notwendige Weiterbildung oder eine Einmündung in reguläre tariflich bezahlte Arbeit wären für die alleinerziehenden Haushalte die bessere Alternative, doch dafür müßten entsprechende Stellen geschaffen und mehr Geld in berufliche Weiterbildung investiert werden.

Billigjob Tagesmutter

Es ist schon ein Hohn, daß Instrumente zur Frauenförderung bei den Grundsicherungsstellen angesiedelt sind, denn deren vorrangige Aufgabe ist es, die Hilfsbedürftigkeit um jeden Preis zu senken. Da werden dann Frauen aus dem SGB-II-Regelkreis in prekäre Beschäftigung gedrängt. Für die Kinderbetreuung, die insbesondere bei verschuldeten Kommunen durch prekäre Selbständigkeit abgedeckt wird, werden weitere Frauen als Tagesmütter verpflichtet, die z.B. wie in Duisburg mit zwei bis fünf Euro brutto die Stunde für ein Kind entlohnt werden. Die »Höhe« der Entlohnung richtet sich nach der Qualifizierung der Tagesmutter: ungelernte erhalten zwei Euro, diejenigen, die einen pädagogischen Grundkurs absolviert haben, erhalten vier und das Fachpersonal immerhin satte fünf Euro brutto. Oft ist zu hören, daß die Mütter froh sein sollen über diese Chance; häufig äußern das allerdings diejenigen, die für solche Monatsverdienste nicht einmal einen Tag arbeiten würden.

In einigen anderen europäischen Ländern ist die Ausbildung zur Erzieherin ein Studium, in Deutschland dauert sie normalerweise drei Jahre. Hierzulande bevorzugt man in Notlagen mit dem pädagogischen Grundkurs von 160 Stunden die billigste Lösung, die übrigens ebenfalls mit ESF-Mitteln gefördert wird, für den hochsensiblen Bereich der Kindererziehung, anstatt die Aufgabe Einrichtungen anzuvertrauen, die mit tariflich bezahltem Fachpersonal ausgestattet sind und unter Fachaufsicht stehen.

Nicht nur unterfinanzierte Kommunen greifen zu dieser Sparlösung, auch finanziell gut ausgestattete nutzen diese Gelegenheit, wann immer sie sich bietet. ESF-Mittel sind ein guter Anreiz, um die klammen Kassen von Bildungsinstituten zu füllen, denn Investitionen in diesem Sektor zählen laut OECD-Ländervergleich in Deutschland offenbar nicht zu den vorrangigen Aufgaben.

Auch in anderen hochsensiblen Bereichen werden zunehmend 400-Euro-Kräfte verpflichtet wie z.B. in den Schulen zur Kinderbetreuung und bei der Schulaufgabenhilfe, bei PC-Kursen zur Vermittlung von Grundkenntnissen und vielem mehr. Auf diese Weise werden ehemals regulär bezahlte Stellen in großer Zahl abgebaut und durch prekäre ersetzt. Beim Preiswettbewerb der Supermärkte und in diversen Dienstleistungsbereichen scheinen die zahllosen Billigjobs fast unverzichtbar zu sein. Die hier geforderte »Flexibilität« wird laut DGB mit vier Milliarden Euro jährlich aus Steuergeldern aufgestockt, um »Arbeitgeber« zu subventionieren. Die Aufstockung von Armutslöhnen kostet die Steuerzahler seit 2005 zirka 50 Milliarden Euro.

Abwärtsspirale beenden

Wer Armut effektiv bekämpfen will, darf nicht auf Billigarbeitsplätze setzen, sondern muß dafür sorgen, daß die Löhne für ein gutes Leben ausreichen, auch bei den sogenannten Arbeitsmaßnahmen. Möglichkeiten zur Beendigung der Lohnabwärtsspirale sind: ein gesetzlicher Mindestlohn über zehn Euro, der auch für Arbeitsmaßnahmen gilt; eine radikale Arbeitszeitverkürzung; die Abschaffung der 400-Euro-Jobs oder zumindest eine Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro sowie die Wiedereinführung der Arbeitslosen- und Rentenversicherung für alle.

Darüber hinaus ist ein gesellschaftliches Umdenken erforderlich, ein Bruch mit den Legenden über Erwerbslose: Das Hauptproblem ist das Fehlen von gut bezahlten Arbeitsplätzen, sekundäre Probleme ergeben sich in der Regel aus der permanenten Unterfinanzierung, dem psychischen Druck, der gesellschaftlichen Abwertung, Ausgrenzung und verkürzten Lebenserwartung durch Armut. Vor kurzem gab es wieder eine kleine Welle der Erschütterung wegen der Erkenntnis, daß, wer arm ist, früher sterben muß. Diese Einsicht ist nicht neu und wurde durch diverse Forschungsergebnisse lange vorher belegt. Zyniker sprechen von sozialverträglichem Ableben; denjenigen mit einem intakten sozialen Gewissen dürfte klar sein, daß jede Einsparung bei armen Menschen mit und ohne Job unterlassene Hilfeleistung ist, bei der das vorzeitige Ableben der Betroffenen billigend mit in Kauf genommen wird.

Nur selten wird erwähnt, daß Erwerbslose ein Höchstmaß an sozialer Kompetenz aufbringen müssen, um in diesem gesellschaftlichen Klima zu überleben und sich erfolgreich gegen die zahlreichen Zumutungen, Rechtsbeugungen und Willkürakte durch die Politik und die Grundsicherungsträger zur Wehr zu setzen. Die Sank­tionspraxis gehört ebenfalls zum Unterdrückungscharakter des Hartz-IV-Systems, hier wird selbst der als Existenzminimum deklarierte Betrag noch gekürzt bis zum völligen Wegfall der Leistungen, damit sich auch das geradeste Rückgrat noch beugt und willens ist, alles zu tun, um nicht zu verhungern oder obdachlos und ohne Krankenversicherung auf der Straße zu landen.

Eine neue Studie der Tübinger Universität über den Zusammenhang der geringeren Körpergröße von Kindern Erwerbsloser mit deren Sozialstatus trägt ebenfalls zur Legendenbildung bei. Im Deutschen Ärzteblatt heißt es, daß »das mit einer Arbeitslosigkeit einhergehende geringere Einkommen eine weniger bedeutende Rolle zu spielen« scheint als der psychologische Streß sowie die Frustration der Eltern, die laut Arbeitsgruppe zur Vernachlässigung der Versorgung ihrer Kinder führen könnten.

Wen wundert es wirklich ernsthaft, daß beengte Wohnverhältnisse, dauernde Existenzangst, Mangelernährung, Hoffnungslosigkeit, Diskriminierung und repressive Strukturen Angst, Streß und Frustrationen erzeugen? Letztere sind allerdings lediglich die Symptome und nicht die Ursachen, die möglicherweise zur Unterversorgung von Kindern führen. Vielleicht sollte es besser heißen: »Wer kleingemacht wird, bekommt auch kleine Kinder.« Ob das Ergebnis der Studie dazu beiträgt, die soziale und psychische Lage der Betroffenen zu verbessern, entscheiden diejenigen, die die Definitionsmacht ausüben. Bisher jedoch geht der Trend in der Regel in eine Richtung, die das Geschäft mit der Erwerbslosigkeit nicht gefährdet und die Ursachen der Probleme Erwerbsloser in vermeintliche Defizite der Betroffenen verschiebt.

So wird eine Drohkulisse auch für diejenigen, die noch im Erwerbsleben stehen, geschaffen, damit sie stillhalten bei Arbeitsverdichtung und Lohnsenkungen. Selbst Gewerkschaften sind beteiligt an Verschlechterungen im Arbeitsleben: So ist es leider häufig der Fall, daß bei Tarifverhandlungen die Einstiegstarife für diejenigen, die draußen sind, teilweise für viele Jahre um zirka zehn bis 25 Prozent gesenkt werden, um denjenigen, die drinnen sind, ein bis zwei Prozent mehr zu sichern. Das ist nicht nur unsolidarisch, sondern widerspricht auch den eigenen Interessen der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten. Die Grundvoraussetzung für eine gesellschaftliche Veränderung ist ein Wiederaufleben gegenseitiger Solidarität, sind gemeinsame Streiks für gute Arbeits- und Lebensbedingungen. Außerdem ist ein starkes Rückgrat der Mitglieder aller Gremien und Parlamente erforderlich, konsequent zu sein und Billigjobs jeglicher Ausprägung ihre Zustimmung zu verweigern, für die Finanzierung gut bezahlter Arbeitsplätze zu kämpfen und die Umverteilung von unten nach oben zu beenden.

Qualitatives Wachstum

Hans See fordert in Ossietzky 25/2 den Abschied von dem Gedanken an unendliches Wachstum in einer endlichen Welt, den Vorrang globalökologischer Gründe vor ökonomischen. Die Sicherung des Fortbestandes von Natur und Mensch soll durch qualitative menschliche Entwicklung erreicht werden. Der Wachstumswahn, der nur Kapitalinteressen dient, gefährdet und zerstört auf lange Sicht unsere Lebensgrundlagen nachhaltig. Wenn es uns allerdings gelingt, einen Konsens darüber herzustellen, daß Lebensqualität das vorrangige Ziel einer Gesellschaft ist, dann wird es auch einfacher, die Tätigkeiten in den Bereichen neu und höher zu bewerten, die zum großen Teil im Dienstleistungsbereich angesiedelt sind und überwiegend von Frauen verrichtet werden. Von einer Neubesinnung auf andere gesellschaftlichen Werte profitieren die ganze Gesellschaft und die Natur. Radikale Arbeitszeitverkürzung, gleiche Bezahlung für gleiche und gleichwertige Arbeit, schonender Umgang mit der Natur und gerechte Aufteilung der Familien- und Pflegearbeit sowie gleiche Möglichkeiten zu Weiterbildung und politischer Beteiligung für Frauen und Männer verändern eine Gesellschaft nachhaltig zum Positiven.

Ingrid Jost ist Mitglied im Landespräsidium der Partei Die Linke in Nordrhein-Westfalen



massive Kampagnen ...wonach sich Arbeitslose besser stellen als Arbeitsplatzbesitzer, werde d. Aus/Abgrenzung...vorangetrieben

 
 
 
 

Durch massive Kampagnen mit absurden Rechenbeispielen, wonach sich Arbeitslose besser stellen als Arbeitsplatzbesitzer, werde die Aus- und Abgrenzung vor allem auch von Migranten vorangetrieben.
 
 
[Ulrike Herrmann - Hurra, wir dürfen zahlen - DER SELBSTBETRUG DER MITTELSCHICHT (2010)]
 


"Sie #müssen #es #nicht #verstehen, #Sie #müssen #es #nur #verkaufen" ISBN 978-3-8360-8719-3 #Vertriebssteuerung in #Banken

 
 
 

"Sie müssen es nicht verstehen, Sie müssen es nur verkaufen"

Vertriebssteuerung in Banken

ISBN 978-3-8360-8719-3


dass auch #wohlmeinende #Menschen zu Ihren #ärgsten #Feinden werden können -> #Vorsichtsmaßnahmen für Arme

 

 

Vorsichtsmaßnahmen für Arme

 
[via Pflasterritzenflora - Tagebuch von Dr. Hans Ulrich Gresch]
 
http://pflasterritzenflora.blogspot.de/2013/02/vorsichtsmanahmen-fur-arme.html?spref=tw
 
 
Wer arm ist, hat es bekanntlich schwer. Noch schwerer hat er es, wenn er  unfreiwillig hinter den Gittern einer psychiatrischen Anstalt sitzt oder wenn er davon bedroht ist. Bedroht ist jeder, doch wer arm ist, steht bereits mit einem Bein in der Klapsmühle. Darüber kann man jammern oder wehklagen.

Man kann aber auch vorsorgen, beispielsweise durch eine
Patientenverfügung. Durch diese ist man allerdings nur vor dem Gröbsten geschützt.

Wer auch nur den Verdacht erweckt, psychisch krank zu sein und zudem arm ist, dem wird das Leben schwer gemacht. Die lieben Verwandten, Sachbearbeiter in Behörden, die Nachbarn, kurz: alle, deren Lebenssinn darin besteht, ihre Niedertracht auszuleben, haben dann leichtes Spiel.

Doch das muss nicht sein. Wenn Sie die folgenden Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, werden Sie die Gefahr der sozialen Vernichtung durch offizielle und inoffizielle psychiatrische Diagnosen deutlich verringern. Denken Sie immer daran: Wer sich eine psychiatrische Diagnose anhängen lässt, dessen Menschenrechte tendieren in Richtung Tierschutz. 

Die folgende Liste mit Vorsichtsmaßnahmen ist nicht vollständig. Sie soll nur der Veranschaulichung des Grundgedankens dienen. Diese Idee müssen Sie flexibel auf Ihre Situation anwenden und ausgestalten. Wer arm ist, wird gern für dumm verkauft. Lassen Sie sich nicht darauf ein. Seien Sie schlau und bauen Sie vor.
  1. Das Grundgesetz sichert jedem Bürger das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu. Vergessen Sie das Grundgesetz, wenn Sie arm sind. Da Sie arm sind, dürfen Sie nicht auf Hilfe hoffen, wenn Sie irgendwo anecken. Wenn Sie Ihr Recht einklagen wollen, dann sollten Sie sich zuvor klarmachen, dass Sie vor Gericht schlechte Karten haben. Wer schlechte Karten hat und dennoch klagt, ist ein Querulant. 
  2. Falls Sie seelische Probleme haben, sprechen Sie um Himmels willen mit niemandem darüber. Bedenken Sie, dass auch wohlmeinende Menschen zu Ihren ärgsten Feinden werden können, gerade weil sie es gut meinen. Sie wissen ja: Das Siegel der Verschwiegenheit garantiert die schnelle Verbreitung einer Information. Wenn erst einmal hinter Ihrem Rücken das Gerücht, Sie seien psychisch krank, die Runde macht, dann entfaltet es sich rasch zur schönsten Blüte der Gewissheit. Und schon sind Sie nicht nur arm, was schlimm genug ist: Dann kann man Sie auch nicht mehr für voll nehmen.
  3. Arme Menschen können sich allzu viel Spinnerei nicht leisten. Sie müssen sich an das Greifbare, an Tatsachen halten. Psychiatrische Diagnosen beruhen nicht auf Tatsachen, sondern auf dem Anmutungserleben von Psychiatern, Psychotherapeuten, Hausärzten etc. Machen Sie daher Ihren Ärzten und sonstigen professionellen Helfern unmissverständlich klar, dass Sie als armer Mensch nur und ausschließlich an Tatsachen interessiert seien, also an Sachverhalten, deren Vorliegen mit objektiven, naturwissenschaftlich erhärteten Methoden nachgewiesen werden kann. Falls Sie das Gefühl haben, man lege Ihnen dieses Ansinnen als Wahnidee aus, dann wechseln Sie schnellstmöglich den Arzt bzw. suchen Sie sich einen anderen Helfer, der mehr Verständnis für ihre Lage als armer Mensch hat.
  4. Äußern Sie niemals öffentlich Kritik an Behörden, am Staat, an unserem Wirtschaftssystem oder an irgendwelchen Missständen in unserer Gesellschaft. Ein armer Mensch gerät sofort in Verdacht, dass seine Kritik auf Wahnideen beruhe und dass man sich deswegen nicht der Mühe unterziehen müsse, inhaltlich auf sie einzugehen. Besonders schlimm ist es, wenn Sie Ihre Vorwürfe beweisen können. Bedenken Sie, dass Ihnen Ihre finanzielle Lage eine schnelle Flucht ins Ausland nicht gestattet. 
  5. Falls Sie arbeitslos und auf Stütze angewiesen sind, lassen Sie nichts unversucht, Arbeit zu finden, selbst dann, wenn Sie nicht die Spur einer Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Sie müssen in diesem Falle nicht fürchten, dass man Sie wegen ihres irrationalen Verhaltens für verrückt hält. Da es sich um sozial erwünschtes Verhalten handelt, kann es nicht verrückt sein. Mucken Sie deswegen nicht auf; es ist nun einmal so, wie es ist.
  6. Geben Sie klein bei im Streit mit Leuten, die nicht arm sind. Sie haben im Allgemeinen ohnehin keine Chance. Auch wenn es sich um schreiende Ungerechtigkeiten handelt, dürfen Sie nicht auf Ihrem Recht bestehen. Wenn Sie kämpfen, laufen Sie Gefahr, die Fassung zu verlieren. Dann ist die Psychiatrie nicht weit. Dafür ist sie ja da.
  7. Äußern Sie niemals esoterische Ideen. Wohlhabende Frauen mit gut verdienenden Männern können sich beispielsweise esoterische Höhenflüge erlauben. Sie aber nicht. Sie sind ja arm. Bei Ihnen werden esoterische Überzeugungen nur zu schnell als Wahnideen aufgefasst.
    Ähnliches gilt für alles, was verdächtig nach Verschwörungstheorie riecht. Die Besserverdienenden beispielsweise gründen Vereine gegen Handystrahlung und werden von der Presse interviewt. Wenn Sie sich aber von Strahlen beeinträchtigt fühlen und dies auch äußern, dann werden die Nachbarn misstrauisch und Sie müssen früher oder später dem Psychiater Rede und Antwort stehen. Und der versteht keinen Spaß in diesen Dingen.
  8. Falls ihre seelische Verfassung stabil ist und Sie sich trotz Ihrer Armut wohl fühlen, dann beglückwünsche ich Sie dazu. Bilden Sie sich darauf aber ja nichts ein. Nur zu leicht setzen Sie sich dem Verdacht aus, dass es sich bei Ihrem Wohlbefinden um eine pathologische Euphorie handeln könnte.
    Auch wenn Sie sich cool geben und pragmatisch, sind Sie nicht über jeden Verdacht erhaben. Es könnte durchaus sein, dass Sie Ihre psychische Krankheit nur dissimulieren.
    Sie brauchen viel Fingerspitzengefühl, wenn Sie als armer Mensch ungeschoren davonkommen wollen. Geben Sie sich gegenüber anderen keineswegs so, wie Sie sind. Es kommt vielmehr darauf an, keinen Verdacht zu erregen. Dies gelingt am besten, wenn man den Erwartungen des Gegenübers entspricht. Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Wenn Ihr Gegenüber erwartet, Sie müssten als Armer auch psychisch krank sein, dann müssen Sie ihn angenehm überraschen. Aber tragen Sie nicht zu dick auf!
  9. Als Armer sind Sie das Rohmaterial für Hilfsorganisationen aller Arten.  Sie bilden die Geschäftsgrundlage dieser Institutionen. Sie sollen möglichst viel einbringen bzw. möglichst wenig kosten und dabei möglichst wenig Arbeit und Ärger machen. Also benehmen Sie sich anständig.
    All die wohlmeinenden Menschen, mit denen Sie es in Behörden oder sonstwo zu tun haben, sitzen schließlich am längeren Hebel. Und den werden sie auch einsetzen, wenn Sie sich querlegen.
    Der einfachste Weg, Sie loszuwerden, wenn Sie sich sperrig zeigen, besteht darin, Sie in die Psychiatrie abzuschieben, denn dort haben Sie überhaupt nichts mehr zu melden. Falls Sie solche Neigungen bei den wohlmeinenden Menschen, die sich selbstlos um Sie kümmern, bemerken sollten, dann verweisen Sie ostentativ darauf, dass Sie eine rechtsverbindliche Patientenverfügung ausgefertigt haben, in der Sie jede Art der psychiatrischen Behandlung ablehnen.
  10. Das oberste Gebot lautet: Stellen Sie niemals die Psychiatrie in Frage. Denn wenn die gesellschaftliche Entwicklung so weitergeht wie bisher, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die überwiegende Mehrheit der Armen in irgendeiner Form freiwillig oder zwangsweise psychiatrisch betreut wird.
    Sie werden aller Voraussicht nach und trotz aller Vorsichtsmaßnahmen über kurz oder lang zu den psychiatrischen Fällen zählen und dann auf das Wohlwollen des entsprechenden Personals angewiesen sein. Es steht leider zu befürchten, dass dann, wenn verwirklicht wurde, was ich befürchte, auch eine Patientenverfügung die Armen nicht mehr zu schützen vermag. Unter diesen Bedingungen ist es also ratsam, sich mit der Psychiatrie gut zu stellen.
Sie, lieber Leser, werden mich nun vermutlich für einen Schwarzseher, einen Zyniker oder einen zynischen Schwarzseher halten; es sei denn, Sie wären arm. Die meisten Armen wissen, dass ich recht habe, weil für Sie die Welt, von der ich spreche, tagtäglicher Alltag ist. Obwohl es so klang, habe ich meine Ratschläge auch nicht in erster Linie für die Armen verfasst; dies hieße ja, Eulen nach Athen zu tragen. In der Regel wissen die Armen, was Sache ist, auch wenn es ihnen mitunter schwerfällt, die offensichtlichen und notwendigen Konsequenzen aus ihren Einsichten zu ziehen.

Meine Ratschläge schrieb ich daher hauptsächlich für Sie, weil Sie nicht arm sind, aber wissen sollten, was auf Sie zukommt, wenn der gesellschaftliche Trend sich fortsetzt und Sie aus der Mittelschicht ins Präkariat abgestiegen sind. Mir ist bewusst, dass Sie daran gar nicht denken wollen. Gut, wenn Sie sich selbst nicht in dieser Rolle sehen wollen, dann widmen Sie Ihre Aufmerksamkeit doch ersatzweise jenen, die es jetzt schon erwischt hat. Sie sind die Vorboten der Zukunft. 

Da Sie ja, lieber Leser, weltoffen und zukunftsorientiert sind, werden Sie es vermutlich als selbstverständliche Pflichtübung auffassen, sich diese Vorboten genauer anzuschauen. So wird die Welt in Zukunft aussehen: Sie ist charakterisiert durch eine ständig wachsende Zahl von Menschen, die von Behörden und sozialen Organisationen gegängelt und psychiatrisch entmündigt werden. Nur wer zur Elite zählt oder jung, leistungsfähig ist und gebraucht wird, kann diesem Schicksal dann noch entkommen.
 

Zur Vertiefung!!! #Immer #bereit! [via RotFuchs - Aug 2011] #Freiheitsmedaille für #Merkel

 
 
 
 
Immer bereit!
(RotFuchs - August 2011 - Seite 28)



Der Staat und seine Schulden sind unser größtes Problem. - Die 7 #Standardmythen der #Neoliberalen [via tantejolesch.at]

 
 

Zbigniew Menschinski

Die 7 Standardmythen der Neoliberalen
 
[via tantejolesch.at]
 
 


"Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag."

An dieses Zitat vom größten "Experten" für Kriegspropaganda, Volksverhetzung und Lüge fühlt man sich erinnert, wenn man die Vorgehensweise der neoliberalen Drückerkolonnen in Politik und Medien in den letzten 25 Jahren betrachtet.

Sieben Glaubenssätze werden seit den Achtziger Jahren von den einschlägigen Meinungseliten im Dunstkreis des großen Geldes unermüdlich wiederholt:

Erstens.
Der Staat und seine Schulden sind unser größtes Problem.

Zweitens.
Privatisierungen sind ein Allheilmittel und Segen für die Menschen.

Drittens.
Die Deregulierung der Arbeits- und Finanzmärkte führt zu Wohlstand für alle.

Viertens.
Zu hohe Steuern treiben die Reichen und ihr Geld aus dem Land.

Fünftens.
Die Reichen und Topmanager sind die eigentlichen Leistungsträger, ihre Einkünfte sind zu gering.

Sechstens.
Die Unterschicht ist dumm und faul und neigt zu "spätrömischer Dekadenz".

Siebtens.
Es gibt eine demographische Lücke; sie lässt sich nur durch Erhöhung der Lebensarbeitszeit schliessen.


Schauen wir uns die sieben neoliberalen Dogmen näher an.

Dogma Nummer 1:
Der Staat und seine Schulden sind unser größtes Problem.

Die Fakten:
Nicht die Staatsschulden haben die Finanzkrise ausgelöst, sondern die exorbitante Privatverschuldung, vor allem in Großbritannien und den USA. In diesen Ländern wurden die Menschen durch Niedrigzins und den Abbau sozialer Netze in die Privatverschuldung gelockt und getrieben. In den USA beträgt die Staatsverschuldung rund 80% des BIP, die Privatverschuldung jedoch ca. 130%. In Großbritannien liegt die Staatsverschuldung bei ca. 60% des BIP, die Privatverschuldung bei sage und schreibe 180%. Zum Vergleich: In Deutschland und Österreich liegt die Staatsverschuldung bei ungefähr 75%, die Privatverschuldung bei 10% des BIP.
(vergleiche: DIE ZEIT Januar 2009)

Nicht jede Art von Staat ist den Neoliberalen ein Greuel. Nur der Sozialstaat ist ihnen ein Dorn im Auge. Den Militärstaat schätzen sie aufs Höchste, schützt und expandiert er doch ihren Einfluss. Der Militärstaat darf aus Sicht der Neoliberalen (in den USA treffender "Neocons" genannt) auch exorbitante Staatsschulden auftürmen. Das zeigen die Amtszeiten von Ronald Reagan und George W. Bush. Die neoliberalen "Chicago Boys" der Milton Friedman-Schule waren begeisterte Berater und Vollstrecker des Diktators Pinochet, als es darum ging, die sozialen und demokratischen Rechte der Chilenen abzuschaffen. Der Durchschnittslohn sank, der Anteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze stieg von 20 auf 44 Prozent (DER SPIEGEL).


Dogma Nummer 2:
Privatisierungen sind ein Allheilmittel und Segen für die Menschen.

Die Fakten:
Privatisierungen sind keineswegs eine Garantie für Effizienz und Qualität. Die Vorgänge beim Bau der Kölner U-Bahn zeigen, wohin der Abbau staatlicher Kontrollen führt. Auf dem Energiesektor betreibt heute ein Oligopol von vier Stromriesen (RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall) eine völlig willkürliche Preispolitik und erpresst die Regierungen.
(wirtschaft.t-online.de).

Durch Schröders Steuerreform 2000/1 und Privatisierungs-Konstrukte wie Cross Border Leasing und Private Public Partnership sind Kommunen wie Gelsenkirchen oder Duisburg an den Rand des Konkurses geraten.


Dogma Nummer 3:
Die Deregulierung der Arbeits- und Finanzmärkte führt zu Wohlstand für alle.

Die Fakten:
Die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat ein in der Bundesrepublik bisher nie dagewesenes Lohndumping verursacht. HartzIV und die Lockerung der Leih- und Zeitarbeitsregelungen, durchgepeitscht von Wolfgang Clement, hat zu einem Millionenheer von Beschäftigten mit Tagelöhnerstatus geführt. Bereits 20% aller Beschäftigten erzielen nur noch Minilöhne. Mehr als zwei Millionen Menschen verdienen weniger als 6 Euro brutto pro Arbeitsstunde. Die daraus resultierende Schwächung der Binnennachfrage und Massenkaufkraft sind Gift für die heimische Wirtschaft (meta.tagesschau.de).

Die Deregulierung der Finanzmärkte hat zum Beinahe-Kollaps und einem unbeschreiblichen Chaos geführt. Die Deregulierung hat Schwindelpapieren, Spekulanten und Scharlatanen Tür und Tor geöffnet. Mit Hunderten von Milliarden musste der "verhasste" Staat, also letztlich der Steuerzahler, einspringen, damit die Depots und Banken der Reichsten gerettet werden konnten. Vorerst zumindest.


Dogma Nummer 4:
Zu hohe Steuern treiben die Reichen und ihr Geld aus dem Land.

Die Fakten:
Wohin sollen die Vermögensmillionäre denn fliehen? Nach Frankreich, Holland oder Skandinavien? Nach Großbritannien oder den USA? In all diesen Ländern zahlen sie das Drei- bis Vierfache an vermögensbezogenen Steuern.

Eine Steuerstudie brachte es ans Licht des Tages: rund 7.000 Euro an Steuern entrichtet ein Vermögens-Millonärsehepaar im Schnitt pro Jahr.

Rund 15.000 Euro Steuern bezahlt ein Arbeitnehmerehepaar mit Durchschnittsverdienst und zwei Kindern. Rund 0,9 Prozent vom BIP betragen die vermögensbezogenen Steuern in Deutschland (und Österreich). Hingegen sind es in der Schweiz, in Japan und in Italien 2,5 Prozent, in Frankreich, Kanada, USA rund 3 Prozent und in Großbritannien über 4 Prozent (Quelle: OECD Revenue Statistics 2006).


Dogma Nummer 5:
Die Reichen und Topmanager sind die eigentlichen Leistungsträger, ihre Einkünfte sind zu gering.

Die Fakten:
Die Mehrzahl der bestbezahlten Topmanager sind Leistungsvernichter, nicht Leistungsträger. MÄRKLIN, GROHE, Rosenthal und Dutzende anderer Firmen wurden von sogenannten "Topberatern" filettiert, abteilungsweise verhökert und schließlich in den Konkurs getrieben.

Die globalen Wertpapier-, Fonds- und Bankenmanager haben Abermilliarden in sinnlosen Luxusprojekten verbrannt: Yachthäfen, Privatjets, Immobilien (mit Golfplatz gleich nebenan). Sie verrotten heute oder werden weit unter Wert verscherbelt.

Absurd ist die Mär vom armen deutschen Manager. Deutsche Manager von Großbetrieben erhalten im Schnitt 540.000 Euro pro Jahr, Schweizer Topmanager müssen sich mit 370.000 Euro "begnügen". In Holland erzielt ein Top-Manager gerade mal 230.000 Euro.
(Wbl.).

Nach der Logik der neoliberalen Analysten müssten die Manageretagen in den Niederlanden völlig verwaist sein, und die Wirtschaft des Landes am Rande des Ruins stehen. Nun weist aber gerade Holland seit Jahren bessere Wachstumsraten und eine günstigere Arbeitslosenquote auf als Deutschland.


Dogma Nummer 6:
Die Unterschicht ist dumm und faul und neigt zu spätrömischer Dekadenz.

Die Fakten:
Die Unterschicht ist weder dumm noch faul, sie wird vielmehr seit nunmehr fast dreißig Jahren systematisch um echte Bildungschancen betrogen. Flächendeckende Vor- und Ganztagsschulen fehlen, die Streichung von Schüler-Bafög und die Erhebung von Studiengebühren lassen Talente aus den armen Schichten verkümmern.

Das Selbstwertgefühl der armen Schichten wird seit langem systematisch von den Seichtmedien (RTL, SAT1, BILD, etc.) und den einschlägigen Politkern der Sorte Sarrazin(SPD) und Metzger(GRÜNE) zerredet und erodiert.

Der Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien und aus prekären Familienverhältnissen, die studieren, ist seit 1982 (Abschaffung des Schüler-Bafögs) stetig zurückgegangen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus diesen Schichten ein Studium beginnt, ist inzwischen 14 mal geringer als bei Kindern aus Selbständigen- oder Akademikerfamilien.

Dazu tragen auch die Studiengebühren bei. Studiengebühren halten jedenfalls die Abiturienten vom Studieren ab. Bis zu 18.000 von ihnen entschieden sich im Jahr 2006 wegen der Campusmaut gegen ein Studium, belegt eine Untersuchung des HIS.
(Quelle: www.spiegel.de).


Dogma Nummer 7:
Die demographische Lücke lässt sich nur durch Erhöhung der Lebensarbeitszeit schliessen.

Die Fakten:
Im Jahr 1900 kamen 12,4 Erwerbsfähige (15-64 Jahre) auf eine alte zu versorgende Person (über 64 Jahre), 50 Jahre später nur noch 6,9; nach weiteren 50 Jahren (Jahr 2000) waren es 4,1 und für 2050 werden 2,0 prognostiziert. (Vergleiche M. Schlecht et al., Mythos Demografie)

Man sieht: Bereits seit über 100 Jahren versorgen immer weniger Beschäftigte immer mehr alte Menschen. Seit 1900 unterliegt die Gesellschaft diesem rasanten demographischen Wandel, der nun plötzlich seit einigen Jahren dramatisiert wird, ohne dass auch nur e i n e der heute vorausgesagten Folgen in den vergangenen 100 Jahren eingetreten wäre.

Seit über 100 Jahren nimmt die Produktivität pro arbeitender Person massiv und stetig zu. Der daraus resultierende gravierend zunehmende Output an Waren und Dienstleistungen sorgt selbst bei zurückgehender Beschäftigung dafür, dass auch ein Verhältnis von zwei oder 1,5 Beschäftigten zu einer alten Person sich problemlos meistern lässt, ohne dass bei Beschäftigten oder Ruheständlern irgendwelche Abstriche beim Lebensstandard nötig wären. Im Gegenteil.

Fazit:
Der Lebensstandard kann für alle wachsen, weil Produktivität und Output pro beschäftigter Person seit jeher viel stärker zunehmen als der Beschäftigungsgrad abnimmt. Das Gerede von der "demographischen Lücke" ist nichts weiter als Hysterie und Panikmache, um die Kassen der Privatversicherer zu füllen.


Woher die Verblendung?

Obwohl all diese Fakten jedem zugänglich sind, glauben immer noch viele Menschen an die sieben Standardlügen der neoliberalen Meinungs-Phalanx. Woher kommt das?

Ein Hauptgrund wurde bereits genannt: Die Massenpropaganda der gleichgetakteten Medien von ARD bis ZDF, von WAZ bis WELT, von RTL bis SAT1. Ab einem gewissen Zeitpunkt entwickeln zudem ständig wiederholte Täuschungen aus dem Mund von Meinungsführern eine Eigendynamik. Wird ein bestimmtes Quantum an Berieselung langfristig verabreicht, glauben schliesslich große Teile der Bevölkerung ganz ungeprüft, wie selbstverständlich an die widersprüchlichsten Dinge. Man denke nur an die alle zehn Jahre radikal wechselnden Diät-Mythen.

Einen zweiten Hauptgrund für die lemminghafte Gefolgschaft vieler ökonomischer Laien nennt der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman: "Die jährlichen Gesamtmittel der wirklich unabhängigen wirtschaftswissenschaftlichen Institute belaufen sich auf ein paar zig Millionen Dollar… Dies bedeutet, dass bereits ein paar wenige reiche Spinner in der Lage sind, mit einem von ihnen unterhaltenen Netz von "Denkfabriken", "Forschungseinrichtungen", Stiftungen und so weiter kräftig mitzumischen und eine Wirtschaftsideologie ihrer Wahl salonfähig zu machen." (Paul Krugman, Schmalspurökonomie, Frankfurt/M., 2000).

Die meisten Politiker sind mit wenig Lebenserfahrung aus dem echten Arbeitsleben, aber mit sehr viel ökonomischer Naivität gesegnet. Angela Merkel, Franz Müntefering, Cem Özdemir oder Claudia Roth hingen und hängen mit geradezu gläubiger Inbrunst an den Lippen der modernen Heizdeckenverkäufer vom Schlage eines Jörg Asmussen, Hans Tietmeyer oder Josef Ackermann.

Beim Politiker-Typus Schröder, Fischer, Clement liegen die Dinge etwas anders. Hier lassen sich Narzissmus, Parvenu-Eifer und das nackte Interesse an skrupelloser Bereicherung als treibende Motive nicht völlig ausschliessen.

Auch wenn es dazu bisher keine Studien oder Recherchen gibt: Wer sich im nachhinein ihr Gebaren näher ansieht, wird das Gefühl nicht los, dass sie ihr Gehirn jahrelang jedes Wochenende durch eine Scientology-Waschanlage (auch Managerseminare genannt) gejagt haben. Dass die Erfolgs"ethik" von Scientology und das "Moral"verständnis der Neoliberalen zu annähernd 100 Prozent deckungsgleich sind, dürfte kein aufmerksamer Beobachter ernsthaft bestreiten.




vertiefend -->> #Hartz-IV: #ausgrenzende #Aktivierung oder Lehrstück über die #Antastbarkeit #Würde des #Menschen

 
 

 

Hartz IV: ausgrenzende Aktivierung

oder Lehrstück über

die Antastbarkeit der Würde des Menschen

 
[via Linksnet]
 
 
 

Überarbeitetes und mit Anmerkungen und Literaturverweisen versehenes Manuskript zum Thema "Erfahrungen aus der lokalen Umsetzung des SGB II - Strukturen, Leistungsprozess, Handlungsbedarfe"

"Allein der Mensch als Person betrachtet, d. i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über allen Preis erhaben; denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d. i. er besitzt eine Würde (einen absoluten inneren Wert), wodurch er allen andern vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnötigt, sich mit jedem anderen dieser Art messen und auf dem Fuß der Gleichheit schätzen kann."
(Immanuel Kant)

"Wer in Wort oder Schrift oder tätlich oder sonstwie die moralische Gleichheit der Menschen (Bürger und Nicht-Bürger) angreift, also den Versuch unternimmt, eine [Â…] Gruppe von Personen, sei es kollektiv, sei es individuell [Â…] vom Genuß der dem Staatsbürger zustehenden Rechte (u. a. insbesondere von dem einer legalen Pursuit of happiness) auszuschließen [Â…], der macht sich - gleichgültig ob ein derartiger Versuch glückt oder nicht - des ›Verbrechens gegen die Menschenwürde‹ Schuldig und soll mit Kerker [Â…] bestraft werden."
(Hermann Broch)

I

(1) Folgt man der Entstehungsgeschichte des modernen demokratischen Rechtsstaats, so stößt man auf den von der Erfahrung des nationalsozialistischen Terrorregimes beförderten und geprägten Grundgedanken, daß die staatliche Ordnung durch einen politischen Werteund Verhaltenskodex zu spezifizieren und abzusichern sei. Dies läßt sich in besonderer Weise ablesen an der "Grundgesetz" genannten ›Verfassung‹ (2) der Bundesrepublik Deutschland, die ja bekanntlich als Schutzvorkehrung gegen einen Rückfall in die Barbarei der Herrschaft eines autoritären oder totalitären Staats entworfen worden ist und eben deswegen staatliches Handeln nicht nur im Sinne formaler Rechtsstaatlichkeit an Gesetz und Recht bindet (Art. 20 III GG), sondern dieses auch zur Achtung und zum Schutz der als objektive Werteordnung verstandenen Grundrechte verpflichtet (Art. 1 III GG), wie sie im Grundrechtsteil des Grundgesetzes (Art. 1-19 GG) niedergelegt ist. Dort heißt es in der verfassungsrechtlichen Fundamentalnorm von Art. 1 I GG zum Schutz der Menschenwürde ebenso kurz wie gehaltvoll, und zwar ganz in der Tradition der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948, in deren Präambel deutlich hingewiesen wird auf die barbarischen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, die diese Verkündung der Menschenrechte als ein von allen Völkern und Nationen zu erreichendes gemeinsames Ideal motiviert hatten: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."

Wer sehen will, der sieht, daß die gegenwärtig sich vollziehende Metamorphose der Gesellschaft sich als ein rücksichtsloser Bruch mit der eigenen Geschichte entpuppt, bei der an die Stelle eines contrat social, der Individuen und Gesellschaft miteinander verbindet, zunehmend ein Partikularismus tritt, der sich allein an wirtschaftlichem Erfolg orientiert und dem die Durchsetzung ökonomischer Interessen auch mit den Mitteln außerökonomischer Zwangsgewalt als legitim erscheint. Daß von diesem Gesellschaftsvertrag immer mehr Abstand genommen wird, läßt sich überall erkennen: an der Arroganz, mit der die Apologeten der fundamentalistischen Heilslehre des Neoliberalismus das Gesetz der freien Konkurrenz als das einzige Gesetz, das sie gelten lassen, verkünden und durchsetzen, an dem massenhaften Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Prekarität der Arbeitsverhältnisse, an dem Ab- und Umbau der sozialstaatlichen Sicherungs- und Unterstützungssysteme, an der wachsenden Zahl von Menschen, die aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden und denen die Chance auf Teilhabe verwehrt wird. Zugleich wird Abschied genommen von einer Utopie, die seit über 200 Jahren das große Ziel abendländischer Politik war: nämlich von einer demokratisch verfaßten Gesellschaft autonomer Individuen, die die Art und Weise ihres Zusammenlebens selbst bestimmen.

Im Gegenteil, beschritten wird ein Weg in einen autoritären Staat, bei dem nicht nur die seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert mühsam erkämpften sozialen Errungenschaften wie etwa der Normalarbeitstag oder die sozialstaatlichen Arrangements zum Beispiel zur Sicherung der Reproduktion der Arbeitskraft bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit den Gesetzen des Marktes geopfert werden, sondern bei dem auch die Leidtragenden dieser Entwicklung, die sogenannten Modernisierungsverlierer, intensivierter gesellschaftlicher Kontrolle und verschärfter staatlicher Repression ausgesetzt sind. Hierbei kommt der Sozialpolitik, gewissermaßen von ihren ursprünglich solidarischen Füßen auf den nunmehr sozialdarwinistischen neoliberalen Kopf gestellt, eine zentrale Schlüsselstellung zu, indem sie, statt die Sicherung der Existenz zu gewährleisten, fortan subjektive Unsicherheit und Verunsicherung zur Grundlage der von ihr im Einklang mit den Verfechtern der neoliberalen Heilslehre geforderten Eigenverantwortung erhebt. Deutliches Beispiel hierfür ist jene Politik, die unter dem Euphemismus "aktivierender Sozialstaat" (3) - insbesondere mit der Verabschiedung des umgangssprachlich Hartz IV genannten "Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt " (SGB II) (4), das organisatorisch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und materiell die Existenz-, das heißt die "Grundsicherung für Arbeitsuchende" zum Gegenstand hat - , einen Paradigmenwechsel in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik herbeigeführt hat, dessen längerfristigen Konsequenzen für die soziale und politische Realität der bundesrepublikanischen Gesellschaft so recht noch gar nicht abzusehen sind.

Um zu begreifen, was sich tatsächlich vor unseren Augen abspielt, ist es erforderlich, genau hinzuschauen und sich den Unterschied zwischen Intention und Proklamation zu vergegenwärtigen, will sagen, es ist zu bedenken, daß das, was einem in Form einer Regierungserklärung oder eines Gesetzestextes als Ziel präsentiert wird, nicht mit den Absichten übereinstimmen muß, die sich hinter den öffentlichen Verlautbarungen wortreich verkleidet verbergen. Und dies wiederum verlangt, das geäußerte Wort zum einen zwar wortwörtlich ernst zu nehmen, es zum anderen aber auch kritisch daraufhin zu befragen, ob und inwieweit es auch mit dem ihm eigentlich entsprechenden Handeln übereinstimmt, und, so dies nicht der Fall ist, über die möglichen Gründe für die festgestellte Inkongruenz von Wort und Tat zu reflektieren. Mit Blick auf die Frage, was sich tatsächlich hinter der Aktivierungspolitik à la Hartz IV verbirgt, sollen daher im folgenden, selbstredend ohne die Frage erschöpfend beantworten zu können, im ersten Schritt (II) einige Aspekte beleuchtet werden, anhand deren die Absurdität der von vielen geteilten Annahme plausibilisiert werden kann, der Gesetzgeber verfolge mit dem SGB II das Ziel der ›Integration‹ der Arbeitslosen.(5) Es ist vielmehr das Gegenteil der Fall, das heißt, daß an die Stelle der bisherigen politischen Programmatik der Gewährleistung von Chancen gesellschaftlicher Teilhabe durch sozialstaatliche (Wieder-)Eingliederungsmaßnahmen die neoliberale Praxis der sozialpolitischen Produktion und Verwaltung sozialer Ausgrenzung getreten ist. Sodann werden im zweiten Schritt (III) einige Überlegungen anzustellen sein hinsichtlich der unheilvollen, weil sozial desintegrativen und politisch involutiven (6) Konsequenzen der beschriebenen Politik für eine ihrem Anspruch nach demokratisch verfaßte Gesellschaft.

II

Eine sprachanalytische Befassung mit § 1 I SGB II klärt einen darüber auf, so man dem syntaktischen Aufbau eine Bedeutung zumessen will, daß nicht die Absicherung des Lebensunterhalts, sondern die Stärkung der Eigenverantwortung das vordringlichste Ziel von Hartz IV ist. Die sich hierin artikulierende Betonung der Eigenverantwortung beruht zum einen auf dem sozialpolitischen Stereotyp, daß die durch den Sozialstaat geleistete Hilfe unwirksam sei und den Status scheinbarer wie auch realer Hilfebedürftigkeit der Betroffenen verfestige, weil die den Betroffenen erwiesene Hilfe nicht nur deren Eigenmotivation und -initiative nicht fördere, sondern diese sogar hemme. Zum anderen gründet sie klar erkennbar auf der Annahme, daß man nur die durch den Staat gewährte Fremdhilfe hinreichend weit zurücknehmen müsse, um bei den Betroffenen die Einsicht zur Notwendigkeit von Eigen- oder besser Selbsthilfe befördern zu können (vgl. statt anderer ausdrücklich Feist 2000), womit die Vertreter des Stereotyps den Betroffenen prinzipiell Handlungsvermögen unterstellen und Eigenverantwortung für ihr Handeln und damit Schuld für Verfehlungen zuschreiben. Hierzu ist kritisch anzumerken, daß verantwortlich jemand jedoch nur für das ist, wofür er etwas kann, was die Frage nach der Bedeutung und den Voraussetzungen des Dafür-Könnens aufwirft.

Als Minimalbedingung gehört hierzu die Handlungsfähigkeit, das heißt das Vermögen einer Person, kausal und intentional Ereignisse herbeiführen, Zustände verändern, Prozesse auslösen, also etwas in der Welt bewirken zu können. Einer Person zurechenbar sind allerdings nur solche Handlungsfolgen, die sie normalerweise voraussehen und aufgrund dieser Voraussicht auch kontrollieren und, bei unerwünschten Folgen, auch vermeiden hätte können. Die Frage, ob eine Person etwas für die Folgen ihres Handelns kann, läßt sich mithin letztlich nur dann beantworten, wenn man Aussagen über die internen und externen Handlungsbedingungen machen kann, unter denen konkret gehandelt wird, wozu kognitive Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten, Willensstärke und psychische Dispositionen wie Selbstkontrolle und -steuerung ebenso gehören wie die materiellen, zeitlichen, kulturellen und sozialen externen Faktoren, die aus dem Handelnden die Person gemacht haben, die sie ist.

Wenn nun die Theoretiker und Praktiker der Eigenverantwortung die Adressaten ihrer Hilfsmaßnahmen anzuhalten trachten, eigenverantwortlich zu handeln, so ist in der realen Welt - anders als in den Köpfen der Apologeten der Eigenverantwortung - zunächst einmal völlig offen, ob es sich bei den Voraussetzungen und Bedingungen eigenverantwortlichen Handelns um ein tatsächlich vorhandenes und nur wieder zu aktivierendes (7) internes persönliches Vermögen handelt und ob der Mobilisierung des Handlungsvermögens externe Hemmnisse entgegenstehen. Daraus folgt, daß sowohl im Falle eines unzureichenden Handlungsvermögens wie auch im Falle der Existenz externer Restriktionen zur Mobilisierung desselben dem Adressaten der staatlich verordneten Eigenverantwortung, wie sie namentlich im SGB II ihren konkreten Niederschlag gefunden hat, eine Aufforderung zur eigenen Initiative als grotesk erscheinen muß und von ihm als eine - unter Umständen sogar repressiv aufgenötigte - Form der Fremdbestimmung und Disziplinierung erlebt wird, was selbstredend auch dann zutrifft, wenn der Adressat der Aufforderungen sich selbst und seine Fähigkeiten anders deutet und versteht, als ihm seine Aktivierer zumuten.

Der hier in Rede stehende Sachverhalt der Priorisierung der Eigenverantwortung gegenüber der Existenzsicherung ist nun in besonderer Weise aufschlußreich, weil er einen spezifischen Bruch symbolisiert mit der Tradition des Sozialstaates, wie er in Art. 20 I GG seinen verfassungsrechtlichen Ausdruck gefunden hat. Denn mit der Betonung der Eigenverantwortung als inhaltlichem Kern der neuen Grundsicherung wird Abstand genommen von der Idee, die das alte Gesetz zur Existenzsicherung, das seinerzeitige BSHG, noch explizit leitete. Dort hieß es nämlich in § 1 II BSHG, Aufgabe der Sozialhilfe sei es, "dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht". Dies hatte selbstredend damit zu tun, daß die Institutionalisierung der Sozialhilfe seinerzeit, das heißt 1962, mit der festen Überzeugung erfolgte, vor dem Hintergrund der ›Wirtschaftswunder‹ genannten prosperierenden und mit Vollbeschäftigung einhergehenden ökonomischen Entwicklung käme Armut nur noch die Bedeutung eines gesellschaftlichen Randphänomens zu, weswegen der Fürsorge beziehungsweise Sozialhilfe denn auch die Rolle eines "Lückenbüßers" (Achinger 1958: 110) zugewiesen wurde. Eine Überzeugung, die sich allerdings alsbald als haltlos erwies, als sich mit der ökonomischen Krise 1974/75 Arbeitslosigkeit als strukturell bedingte und dem zentralen Auslöser für den Bezug von Sozialhilfe (vgl. Brinkmann et al. 1991) zu verfestigen begann. Indem sich nun die Gesetzgebung, vor allem finanz- und arbeitspolitisch (8) motiviert, mit dem SGB II von dem Leitgedanken der Führung eines menschenwürdigen Lebens distanziert hat, ist sie wieder auf den Stand vor dem BSHG zurückgefallen, als Fürsorge Hilfebedürftigen gewährt wurde lediglich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, nicht aber um ihrer selbst willen. Ein Sachverhalt, den das Bundesverwaltungsgericht mit einer Entscheidung aus dem Jahre 1967 wie folgt kritisierte: "Wenn die Bundesrepublik als ein sozialer Rechtsstaat verfaßt und dem Staat die Menschenwürde anvertraut ist, so kann die Fürsorge nicht mehr als polizeiliche Armenpflege verstanden werden. Sie ist ein Teil der der staatlichen Gewalt aufgegebenen aktiven Sozialgestaltung, und innerhalb dieser aktiven Sozialgestaltung hat der einzelne Hilfesuchende eine Subjektstellung" (BVerwGE 27/63).

Zur Realisierung der programmatischen Kernaussage des SGB II sind nach § 1 i.V.m. § 4 zwei Leistungsarten vorgesehen: zum einen und zuvörderst Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und zum zweiten und nachgeordnet Leistungen zur Existenzsicherung. Auch hierin zeigt sich im Vergleich zum seinerzeitigen BSHG die grundlegende Neuausrichtung der sozialstaatlichen Existenzsicherung. Heute wie damals wird nur denjenigen das Recht auf Existenzsicherungsleistungen zuerkannt, die entweder über kein existenzsicherndes Einkommen oder verwertbares Vermögen verfügen oder nachweisbar erwerbsunfähig sind. Umgekehrt formuliert heißt dies aber auch, daß heute wie damals eine Verpflichtung besteht, die eigene Arbeitskraft zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Allerdings mit dem bedeutsamen Unterschied, daß heute nicht mehr wie damals der Satz gilt "Arbeit statt Sozialhilfe", sondern vielmehr "Arbeit für Sozialhilfe", mit dem das geänderte Verständnis formelhaft auf den Punkt gebracht wird und das im Angelsächsischen mit der Phrase "welfare to work" (9) seine sprachliche Entsprechung hat. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, auf seiten des hilfebedürftigen Bürgers bestünde eine Pflicht, die staatlich gewährte Existenzsicherung als Gegenleistung ›abzuarbeiten‹, eine Vorstellung, die einen zwar durchaus an das neutestamentarische Gebot "Wenn einer nicht arbeiten will, dann soll er auch nicht essen!" (2. Thess. 3, 10) erinnert, das aber in jenen Tagen gemünzt war gegen eine müßiggehende Oberschicht, während es heutzutage abstellt auf Hunger und Verelendung als Triebkraft für Arbeitsmotivation und damit auf den stummen Zwang der Existenznotwendigkeiten. (10) Wenn man dieser Leistung-Gegenleistung-Konzeption anhängt, die ja insofern einen Einbruch der Ökonomie in das Soziale darstellt, als es dem gemeinen politischen und auch wissenschaftlichen Denken zunehmend unmöglich erscheint, sich eine Leistung ohne Gegenleistung vorzustellen, dann ist es nur konsequent, sich nicht mehr ernsthaft, wie es der Gesetzgeber mit dem SGB II tut, um die Eingliederung der hilfebedürftigen Arbeitslosen in den Ersten Arbeitsmarkt (11) zu kümmern, sondern diesen ›Arbeit um jeden Preis‹ aufzuzwingen. Was man unter dem euphemistisch als "Aktivierung" beschriebenen Aufzwingen von ›Arbeit um jeden Preis‹ zu verstehen hat, mögen ein paar Hinweise verdeutlichen.

Den erwerbsfähigen hilfebedürftigen Beziehern von Arbeitslosengeld II stehen, wie den dem Arbeitsförderungsrecht SGB III zu subsumierenden Arbeitslosen auch, zwar Leistungen nach SGB III zu, gemäß § 16 I SGB II jedoch nur als Kann-Leistungen. Wegen der begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel für Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung kommt dies allerdings faktisch einem Ausschluß von diesen Leistungen gleich, was im Klartext gesprochen heißt, daß den Arbeitslosengeld-II-Beziehern im Regelfall keine existenzsichernde Erwerbsarbeit angeboten, sondern nur die Pflicht auferlegt wird, in einem rechtlich prekären Status eine Gegenleistung für den Erhalt der Grundsicherung zu erbringen, sei es in Form von Minioder Midi-Jobs (12) oder in Form der Arbeitssimulation in Praktika ohne Aussichten auf Übernahme in reguläre Beschäftigung oder von Maßnahmen zur Überprüfung der Arbeitswilligkeit oder im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, also den sogenannten Zusatz- oder Ein-Euro-Jobs (13), die zwar den Arbeitsgelegenheiten des früheren BSHG nachgebildet sind (14), denen aber im SGB II eine völlig andere arbeitsmarktpolitische Aufgabe zugewiesen wird, nämlich nicht Arbeitslosigkeit wie früher als temporäres individuelles, sondern als strukturelles kollektives ›Schicksal‹, sprich als Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Es sprechen etliche Gründe dagegen, daß nun mit den im SGB II vorgesehenen Eingliederungsleistungen das Ziel der möglichst schnellen und quantitativ bedeutsamen Verringerung der Massenarbeitslosigkeit zu realisieren ist, so man denn damit die Eingliederung in eine existenzsichernde sozialversicherungspflichtige sowie arbeits- und tarifrechtlich abgesicherte Erwerbsarbeit verbindet und nicht ›Arbeit um jeden Preis‹. Der wichtigste Grund hierfür ist wohl der, daß angesichts der de facto bestehenden enormen Arbeitsmarktlücke zwischen Arbeitskraftnachfrage (offene Stellen) und Arbeitskraftangebot (Stellensuchende) zuungunsten des letzteren jegliches Eingliederungsbemühen, sei es auch das bestgemeinte, über gelungene Einzelfälle hinaus ins Leere laufen muß. Dies ist darauf zurückzuführen, daß vermittlungsorientierte Dienstleistungen wie etwa die hier in Rede stehenden Eingliederungsleistungen Information, Beratung sowie umfassende Unterstützung durch den hierfür in den §§ 4 I 1, 14 SGB II vorgesehenen "persönlichen Ansprechpartner" (15) - im managerialen Verdummungsdeutsch der Hartz-Kommission nunmehr "Case-Manager" (Hartz et al. 2002: passim) genannt (16) - strukturell unzulänglich sind, da sie Ziele und Wirkungen anstreben, die außerhalb der Reichweite der Dienstleistungskette liegen, soll heißen, daß die Besetzung oder gar Schaffung von Arbeitsstellen durch die Dienstleister, auch wenn sie dies wollten, selbst nicht herbeigeführt werden kann. Und auch nicht soll, zumindest wenn es nach den neoliberalen "Evangelisten des Marktes" (Dixon 2000) ginge, denen jeglicher Staatsinterventionismus als ein den Markt lähmendes Gift erscheint, es sei denn, dieser diene der Inneren Sicherheit, wovon die gegenläufige Entwicklung vom "Rückzug des wohltätigen Staates" einerseits und dem "Vormarsch des strafenden Staates" andererseits (vgl. etwa Wacquant 1997 mit Bezug auf die USA) beredtes Zeugnis ablegt.

Der hier beschriebene Sachverhalt des strukturellen Unvermögens, Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt bei Massenarbeitslosigkeit in Übereinstimmung zu bringen, ist dem Alltagsdenken ebenso gewiß wie die banale Tatsache, daß man Geld nicht zweimal ausgeben kann. Daraus wird für gewöhnlich gefolgert, wenn die bestehende Arbeitsmarktlücke schon nicht auf direktem Wege zu schließen sei, so müsse sie doch wenigstens prospektiv auf indirektem Wege geschlossen werden können durch Maßnahmen zu Erhalt, Verbesserung oder Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit (17), im Workfare-Jargon "employability" genannt, wie sie etwa mit den Ein-Euro-Jobs verbunden werden. Es ist hier nicht der geeignete Ort, um sich mit der ökonomischen Torheit der Ein-Euro-Jobs eingehend auseinandersetzen zu können, auf die Frage ihrer Grundgesetzkonformität beziehungsweise -widrigkeit wird weiter unten noch einzugehen sein. Doch vor dem Hintergrund der ernüchternden Befunde empirischer Studien zu den Eingliederungseffekten von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in reguläre Beschäftigung (vgl. Caliendo et al. 2005) ist soviel klar, zumindest dem wissenschaftlichen Denken im Gegensatz zu dem stark vorurteilsbehafteten Alltagsdenken, daß die Beschäftigung von Arbeitslosen in Ein-Euro-Jobs dem vorrangig herausgestellten Ziel von Hartz IV einer möglichst raschen Eingliederung in den Ersten Arbeitsmarkt wenig zuträglich ist. Im Gegenteil. Es kann sogar begründet angenommen werden, daß gerade die Politik der "Aktivierung" von Arbeitslosen durch Beschäftigung in Ein-Euro- Jobs in doppelter Weise kontraproduktiv ist, weil mit ihr erstens die Gefahr der Ersetzung oder Verdrängung regulärer Beschäftigung am Ersten Arbeitsmarkt zunimmt und weil sie zweitens nicht zur gesellschaftlichen Integration der Arbeitslosengeld-II-Bezieher beiträgt, sondern umgekehrt zu deren sozialen Ausgrenzung, denn Ausgrenzung, verstanden als Beschränkung oder Vorenthaltung von namentlich über Erwerbsarbeit und Geld vermittelter Teilhabe an mehr oder weniger zentralen Bereichen oder Ressourcen der Gesellschaft, beginnt nicht erst mit Langzeitarbeitslosigkeit, sondern bereits mit der Beschäftigung in prekären Beschäftigungsverhältnissen.

Es wird hier bewußt von ›sozialer Ausgrenzung‹ und nicht von ›sozialer Exklusion‹ gesprochen, weil letztgenannter Begriff im Kontext der die deutschsprachige Exklusionsdebatte dominierenden Luhmannschen Systemtheorie nicht notwendigerweise eine "problematische individuelle Lebenslage" (Scherr 2004: 62) bezeichnet. Hieraus sollte allerdings nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, der ungleichheits- beziehungsweise klassentheoretische Begriff ›soziale Ausgrenzung‹ beschreibe seinerseits nur den umfassenden und dauerhaften Ausschluß von Personengruppen aus allen gesellschaftlichen Teilsystemen. Er stellt vielmehr ab auf ein Kontinuum mit den "Extremen von physischer Entfernung einerseits und der Wegnahme des wichtigsten Mittels der sozialen Teilhabe: nämlich Geld andererseits " (Steinert 2000: 10), wobei ein Phänomen nur dann als ›soziale Ausgrenzung‹ kategorisierbar ist, wenn es so häufig und weit verbreitet ist "dass man es nicht mehr als selbstverschuldet sehen kann, dass es vielmehr als das Ergebnis unpersönlicher Kräfte außerhalb der Kontrolle der Betroffenen verstanden werden muss" (ebd.: 8), wie Massenarbeitslosigkeit zum Beispiel, der mit Maßnahmen ›sozialer Kontrolle‹ nur unzulänglich begegnet werden kann. (18)

Gleichviel: Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, daß mit der Maxime "Jede Arbeit ist besser als keine" (19), die der "aktivierenden Arbeitsmarktpolitik" zugrundeliegt, es unter Umständen gelingen mag, Arbeitslose in irgendeine Arbeit zu bringen. Doch es ist zu erwarten, daß es damit auch unter den Erwerbstätigen zu einer Verbreitung von Einkommensarmut (20) kommt, wodurch der Weg gebahnt wird in eine Gesellschaft, die von dauerhafter drastischer sozialer Ungleichheit geprägt ist. Dies zeigen jedenfalls die Erfahrungen aus den USA und Großbritannien (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2005: 215), jene Länder also, die mit ihrer Workfare-Politik unter Bill Clinton und Tony Blair der damaligen rot-grünen Bundesregierung als Vorbild dienten für deren workfare-politisches Konzept des "aktivierenden Sozialstaates" mit seinem sich auch im SGB II wiederfindenden zentralen Handlungsgrundsatz des "Fördern und Fordern".

Das im SGB II zuvörderst genannte Ziel der Vermittlung von hilfebedürftigen Arbeitsuchenden auf im Ersten Arbeitsmarkt faktisch nicht vorhandene Arbeitsplätze zwingt die Grundsicherungsträger respektive deren Fachpersonal vor dem Hintergrund des Diktats des wirtschaftlichen, das heißt effizienten und effektiven Umgangs mit den vorhandenen knappen Ressourcen zur fortwährenden "fürsorglichen Belagerung" ihrer Klientel, mit der elementare Grundrechte mißachtet oder gar außer Kraft gesetzt werden. Seinen Ausdruck findet dies in der Art und Weise, wie das ebenfalls aus dem US-amerikanischen und britischen Kontext stammende Konzept des Case- beziehungsweise Care-Managements durch die Hartz-Kommission (vgl. Hartz et al. 2002: 66 ff.) im Hinblick auf die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und Aufrechterhaltung der Arbeitswilligkeit aufgegriffen und im SGB II implementiert wurde. (21)

Ursprüngliches Ziel des Case-Managements war, zwei Orientierungen so effizient und effektiv wie möglich in Übereinstimmung zu bringen, nämlich die Bedarfe des hilfesuchenden Klienten auf der einen Seite mit den Angeboten der Erbringer "personenbezogener sozialer Dienstleistungen" (vgl. grundlegend Bauer 2001) auf der anderen Seite, wobei im Idealfall die Tätigkeit des Case-Managers in seiner Rolle als ›Anwalt des Klienten‹ (22) darauf zielt, beide Orientierungen zugunsten der Bedarfsnotwendigkeiten des konkreten Einzelfalls zu integrieren.

Dies heißt allerdings nicht, alles zu tun, was der Klient will, noch ihm etwas anzudienen, was er nicht will, sondern mit dem Klienten gemeinsam Bewältigungsstrategien zu entwickeln, die seiner spezifischen Bedarfslage angemessen sind (vgl. Buestrich, Wohlfahrt 2005: 313 f.), weil nämlich die Frage, ob Hilfebedürftigkeit besteht, nicht allein von dem Helfer festzustellen ist, sondern nur das Ergebnis einer gemeinsamen Erörterung sein kann, wie auch die Mittel, mit denen, und die Ziele, auf die hin zu helfen ist, keineswegs von Anfang an festliegen, sondern ebenso als Ergebnis eines diskursiven Prozesses legitimierbar sein müssen, sofern an der vernunftmäßig begründbaren Einsicht und dem darauf aufbauenden Postulat festgehalten wird, daß es ein Recht des Hilfebedürftigen auf ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben gibt, dem die sittlich begründete Pflicht korrespondiert, diesem die hierzu erforderliche Unterstützung angedeihen zu lassen. Zu ignorieren, daß nur der Hilfebedürftige selbst authentisch über seine Hilfebedürftigkeit befinden kann, hieße, dessen Würde zu verletzen und dessen Vorstellung von der Führung eines gelingenden Lebens zu mißachten. Denn wie kann es angehen, des Menschen Würde für unantastbar zu halten und schützen zu wollen, wie es zum Beispiel das Grundgesetz in seiner Fundamentalnorm Art. 1 GG vorsieht, ohne daß diejenigen, die da Würde besitzen sollen, mitbestimmen, was denn ihre Würde wirklich sei?

In vorstehendem Verständnis von Case-Management wird die Beziehung zwischen Case-Manager und Klient also als ein sozialer Interaktionsprozeß beschrieben, in dem Helfer und Klient gemeinsam mit der Definition dessen beschäftigt sind, was dem Klienten fehlt und wie Abhilfe geschaffen werden kann. Gegen eine solche normativ aufgeladene Sichtweise läßt sich allerdings mit der Kühle des analytischen Blicks der prinzipielle Einwand formulieren, daß in Organisationen institutionalisierte und verberuflichte Hilfe weder auf der Grundlage von reziproken Erwartungsstrukturen noch auf der von religiös-moralischen Motiven, sondern auf der von Entscheidungsprogrammen erbracht wird (23), in denen definiert ist, wem wann wie geholfen werden kann, soll oder muß, womit zugleich die Herausbildung einer asymmetrischen Beziehung zwischen dem hilfebedürftigen beziehungsweise -suchenden Klienten und dem potentiell hilfeleistenden Helfer verbunden ist.

Jenseits dieser grundsätzlichen Kritik, die gegen die ideologisch verbrämte Sicht des Case-Managers als ›Anwalt des Klienten‹ vorgebracht werden kann, weil sie unzulässigerweise von den sachlichinhaltlichen, zeitlich-räumlichen und sozial-interaktiven Rahmenbedingungen des beruflichen Hilfeprozesses (vgl. Wolff 1981) abstrahiert, ist mit Blick auf den im SGB II institutionalisierten Hilfeprozeß festzuhalten, daß hier das Case-Management mitnichten beschrieben werden kann als ein sozialer Interaktionsprozeß, der sich charakterisieren ließe durch Freiwilligkeit der Inanspruchnahme der Hilfe, eine symmetrische Helfer-Klient-Beziehung und Offenheit hinsichtlich des Ergebnisses der Hilfe, also Grundsätze und Bedingungen, wie sie für das Gelingen von sozialen Beratungsleistungen zur Unterstützung von Hilfesuchenden in prekären materiellen Lebenslagen wie Arbeitslosigkeit oder Armut (vgl. insbesondere Bartelheimer/ Reis 2001) vorausgesetzt sind.

Dies kommt allein schon deutlich in dem von der Hartz-Kommission verfolgten Ziel zum Ausdruck, das Case-Management als ein Präventionsinstrument zu konzipieren, mit dem Langzeitarbeitslosigkeit frühzeitig erkannt werden soll, um eine damit gegebenenfalls erforderliche Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen ausschließen zu können (vgl. Hartz et al. 2002: passim). Es zeigt sich ferner in der Betonung des "Fordern" gegenüber dem "Fördern", das sich zum einen ablesen läßt an der Regelungssystematik des SGB II selbst, das dem Grundsatz des "Fordern" mit § 2 eindeutig Priorität einräumt vor dem des "Fördern" mit § 14 und welches das "Fordern" ausgestaltet als Muß- Leistung und das "Fördern" lediglich als Kann-Leistung, was gleichbedeutend ist mit einer Suspendierung individueller Rechte (vgl. Schruth 2004: 3). Es läßt sich zum anderen auch und vor allem identifizieren an der in § 48 SGB II vorgesehenen Zielvereinbarung, die der Grundsicherungsträger, das heißt hier die Bundesagentur für Arbeit, abschließen muß zur Erreichung der SGB-II-Ziele mit dem für sie zuständigen Ministerium im Einvernehmen mit dem Finanzministerium. Da Zielvereinbarungen betriebswirtschaftlich ausgerichtet sind beziehungsweise sich an der Haushaltslage orientieren, stellen sie den finanziellen Handlungsrahmen dar, innerhalb dessen sich der Case-Manager zu bewegen hat, so daß ihm denn auch so gut wie kein Handlungsspielraum verbleibt, um im Rahmen der Dienstleistungserbringung entsprechend der ihm im Ideal zugedachten Rolle als ›advocate‹ anwaltlich im Interesse der Klienten zu handeln. Im Gegenteil, der Case-Manager gerät dadurch in die Rolle eines ›gate-keepers‹, also eines Türstehers, dessen Aufgabe darin besteht, arbeitslosen hilfebedürftigen Klienten den erstmaligen oder fortgesetzten Zugang zu den Unterstützungsleistungen zu verwehren, indem sie durch vorgeschaltete Aktivierungsmaßnahmen, etwa sogenannte "Sofortangebote" (24), und aggressives Case-Management, das heißt Strategien der "Verfolgungsbetreuung" (25), mit Leistungsausschlüssen oder -kürzungen konfrontiert werden (vgl. Fetzer 2006: 34 ff.).

Daß durch den Case-Manager also eine Selektion stattfindet, die sich nicht an dem Hilfebedarf des Klienten orientiert, sondern an den finanz- und organisationspolitischen Interessen des Grundsicherungsträgers, dies wird verstärkt durch die widersprüchlichen Bedingungen, unter denen sein Handeln erfolgt, nämlich auf den Arbeitsmarkt objektiv keinen maßgeblichen Einfluß nehmen zu können, dafür aber sehr wohl auf den hilfesuchenden und -empfangenden Arbeitslosen, so daß sich die den Hilfeprozeß steuernden Anstrengungen einer Vermittlungsarbeit auch zwangsläufig darauf konzentrieren, das auf der Makroebene angesiedelte Problem der Massenarbeitslosigkeit auf der Mikroebene des individuellen Verhaltens durch Anpassung, sprich Unterwerfung der Klienten an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes zu überwinden, was wiederum die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von repressiven Mitteln wie die Einrichtung von Arbeitszwang oder die Drohung mit der Reduzierung oder gar vollständigem Entzug der Unterstützungsleistungen erhöht.

Nahegelegt wird diese Sichtweise aufgrund der sich mit dem Neoliberalismus vollziehenden Neudefinition des Verhältnisses von Staat, Ökonomie und Gesellschaft, wonach das Ökonomische nicht mehr, wie im Frühliberalismus, ein fest umrissener und eingegrenzter gesellschaftlicher Bereich mit spezifischer Rationalität, Gesetzen und Instrumenten ist, sondern nunmehr prinzipiell die Gesamtheit menschlichen Handelns umfaßt und über die Form des Marktes Staat und Gesellschaft als Organisationsprinzip dient (vgl. Lemke et al. 2000: 14 ff.), wandelt sich auch der Bürger vom Arbeitskraftbesitzer zum Unternehmer seiner selbst beziehungsweise zum "Arbeitskraftunternehmer" (Voß/Pongratz 1998). Dieser hat nicht bloß seine Arbeitskraft, sondern seine ganze Persönlichkeit als Ware auf dem Markt gewinnbringend feilzubieten, was erfordert, sich selbst als Unternehmen zu begreifen und entsprechend zu führen, das heißt, den gesamten eigenen Lebenszusammenhang aktiv an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und unternehmerischen Kalkülen auszurichten. Das von der Hartz-Kommission inaugurierte und an das "Wörterbuch des Unmenschen" (Sternberger et al. 1986) erinnernde und demzufolge auch zu Recht zum Unwort des Jahres 2002 erklärte Wort "Ich-AG" (vgl. hierzu namentlich Lessenich 2003b) bringt expressis verbis die hinter ihm stehende Ideologie zum Ausdruck: Das Akronym ›AG‹ steht für das Ich als Aktiengesellschaft, für das ökonomische Individuum, für den arbeitskraftbesitzenden Menschen als Unternehmer seiner selbst, bei dem gewissermaßen Unternehmer- und Managerfunktion zusammenfallen, so daß er zugleich als "Eigentümer und Betriebsleiter seiner selbst" (Bröckling 2000: 154) erscheint. - Und was den erwähnten Arbeitszwang anbelangt, so handelt es sich dabei nicht um eine bloße Denkmöglichkeit: In seinem Gutachten zur Vereinbarkeit ausgewählter Bestimmungen des SGB II mit dem Grundgesetz kommt Wende zu der Einschätzung, daß - gemessen am Maßstab des Verbotes von Arbeitszwang und Zwangsarbeit, wie es Art. 12 II, III GG vorsieht - die Reduzierung und der Entzug des Arbeitslosengeldes II gemäß § 31 I SGB II grundgesetzwidrig ist, "soweit die Aufnahme von Arbeitsgelegenheiten gegen den Willen des Betroffenen verlangt wird und diesem der Arbeitsmarkt verschlossen ist" (Wende 2004: 54). Für eine solche Praxis ist die Bundesrepublik Deutschland bereits vor einigen Jahren schon einmal von einem Sachverständigenausschuß der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen gerügt worden, weil die Verpflichtung von sozialhilfeempfangenden Asylbewerbern auf der Grundlage der im BSHG vorgesehenen Arbeitsgelegenheiten als "nicht mit den Bestimmungen zum Verbot der Zwangsarbeit vereinbar" (zit. nach: Bust-Bartels 2004: 1) sei. Dort ist in Art. 2 I des von der Bundesrepublik Deutschland 1957 ratifizierten ILO-Übereinkommens Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit festgelegt: "Als ›Zwangs- oder Pflichtarbeit‹ gilt jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.")

Erleichtert wird dem Case-Manager das obig beschriebene Vorgehen durch ein politisch und massenmedial hergestelltes gesellschaftliches Klima der "Entsachlichung und normative[n] Dichotomisierung von Problemen" (Prisching 2003: 231), in dem wider besseres Wissen (26) zum Zwecke der Verdeckung handfester Interessenlagen Arbeitslose unter Generalverdacht gestellt werden, "Drückeberger", "Faulenzer", "Sozialschmarotzer" oder "Parasiten" zu sein, so daß es völlig legitim erscheint, gegen diese vermeintlich das Gemeinwohl schädigenden ›innerstaatlichen Feinde‹ mit aller Härte und ›Null-Toleranz‹ (vgl. Hansen 1999) vorzugehen und ihre soziale Ausgrenzung voranzutreiben, sie "auszufördern", wie es im Behördenjargon unverblümt heißt. Beispiel hierfür ist unter anderem die unsägliche, vom vormaligen Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement zu verantwortende Mißbrauchskampagne, in der auf der Grundlage ausgewählter Einzelfälle von Sozialleistungsmißbrauch Arbeitslose (27) pauschal der "Abzocke" (BMWA 2005: passim) bezichtigt und expressis verbis als "Parasiten" (ebd.: 10) bezeichnet wurden, eine Kategorisierung, die vorzunehmen in bezug auf Menschen sich vor allem wegen ihrer Nähe zur Propagandasprache des Nationalsozialismus (vgl. unübertroffen Klemperer 1969) (28) verbietet, die sich aber, wie ersichtlich, nichtsdestoweniger einer gewissen Beliebtheit erfreut, weil sie es erlaubt, die mit ihr bezeichneten Personen auszugrenzen (vgl. Steinert 2000: 17). (29) Dem scheint, zumindest auf den ersten Blick, die Einberufung eines Ombudsrates Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. Bergmann et al. 2005) durch Clement selbst zu widersprechen, zielt doch die aus Schweden stammende Grundidee der Institution eines Ombudsmanns darauf, einen Treuhänder mit der Wahrnehmung spezifischer Rechte der Bürger gegenüber dem Staat zu beauftragen, um deren ungerechte Behandlung durch diesen zu verhindern (30), und zwar unter anderem durch eine objektive Betrachtung des zwischen Staat und Bürger strittigen Sachverhalts und durch Abwägung der von beiden Seiten vorgebrachten Argumente. Betrachtet man sich jedoch die personelle Besetzung des Ombudsrates, so kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, als sei hier gewissermaßen der Bock zum Gärtner gemacht worden, weil dessen Mitglieder in den Chor derer einstimmen, die, wie Clement und eine ihm willfährige Journaille, die hilfesuchenden und -empfangenden Arbeitslosen pauschal diskriminieren, indem sie diese zum Beispiel ungerechtfertigt zu den Verursachern der Kostenexplosion beim Arbeitslosengeld II abstempeln. (31)

III

Die hier bloß in groben Zügen dargestellte Aktivierungspolitik, die mittels Maßnahmen der Entsicherung und Entrechtung auf eine Re-Kommodifizierung der Arbeitskraft (32) zielt, das heißt, die Arbeitskraftbesitzer wieder verstärkt den Marktgesetzen ungeschützt auszuliefern, um die Betroffenen zu marktkonformem und eigenverantwortlichem Verhalten anzuhalten, erweist sich nicht nur in sozialer Hinsicht als höchst problematisch, führt sie doch qua Aufkündigung des bislang geltenden "impliziten Gesellschaftsvertrages" (Moore 1987: passim), Arbeit existenzsichernd zu entgelten, zu einer dauerhaften Ausgrenzung immer größerer Bevölkerungsgruppen, mit der nicht ganz unwahrscheinlichen Folge, daß mit der gesellschaftlichen Wiederkehr der zwar arbeitenden, aber sozial entsicherten und entrechteten Armen sozialdesintegrative Rückwirkungen auf die Mehrheitsgesellschaft verbunden sein werden. (33) Denn das soziale Draußen der Ausgrenzung liegt nicht im gesellschaftlichen Jenseits, sondern ist aufs engste mit dem sozialen Drinnen verschränkt (vgl. Simmel 1992: 522 f.).

Zudem findet eine Abkehr vom bisher vorherrschenden Familienlohnmodell statt, wonach das über den Arbeitsmarkt zu erzielende Einkommen hinreichen sollte für den Unterhalt des Arbeitnehmers selbst und seiner Familienangehörigen. Es ist in diesem Zusammenhang an Art. 23 III der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die von der Bundesrepublik Deutschland 1973 ratifizierten und bindende Pflichten begründenden UN-Menschenrechtskonventionen von 1966 zu erinnern, in denen kodifiziert ist, daß Arbeit eine Bedingung für ein würdevolles Leben ist, eine Arbeit allerdings, die an eine Entlohnung geknüpft ist, die es ermöglicht, sich und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz zu sichern.

Höchst problematisch ist die Aktivierungspolitik überdies in sowohl verfassungs- beziehungsweise menschenrechtlicher als auch in politischer Hinsicht, was den wortreichen und tatkräftigen Befürwortern der Aktivierungsideologie aber offensichtlich gleichgültig ist. Die Gleichgültigkeit gegenüber (Grund-)Rechtsverstößen zeigt sich nicht nur in den als verfassungswidrig monierten Bestimmungen des SGB II, sie äußert sich auch in der Ignoranz von Politik und Verwaltung gegenüber der Rechtsprechung, so zum Beispiel in der durch das zuständige Ministerium qua Dienstanweisung legitimierten Praxis der Grundsicherungsträger, zusammenlebende Paare zu einer eheähnlichen Einstandsgemeinschaft zu erklären, obwohl nach höchstrichterlichem Recht ein unterhaltsrechtlicher Anspruch unter nichtverheirateten Paaren nach dem BGB nicht existiert. Die ebenfalls auf einer Dienstanweisung fußende Praxis, nichtleibliche Eltern zum Unterhalt für ihre Stiefkinder heranzuziehen, obwohl es nach dem BGB bei Stiefeltern keine Unterhaltspflicht gibt, ist zwischenzeitlich aufgrund einer Vielzahl von Rechtssprüchen und Beschwerden durch Weisung zwar eingestellt worden, ohne allerdings in der Weisung darauf hinzuweisen, daß der Grundsicherungsträger die zu Unrecht nicht gezahlten Leistungen von Amts wegen nachzuzahlen hat. (vgl. Thomé 2006: 4)

Der Bruch, der sich hier mit dem Wechsel vom keynesianischen Welfare State zum schumpeterianischen Workfare State (vgl. Jessop 1994: 57 ff.) vollzieht, ist nicht nur einer, der mit Blick auf die angestrebte Revitalisierung beziehungsweise Entfesselung der Kräfte des Marktes eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger durch eine neu herzustellende Balance von deren Rechten und Pflichten entsprechend der Maxime des "Fördern und Fordern" zum Gegenstand hat, sondern auch einer, mit dem der Weg in eine andere Republik geebnet zu werden scheint, eine Republik, der das Prädikat, "sozialer Rechtsstaat" zu sein, fürderhin kaum noch ernsthaft zugesprochen werden kann.

Wer eine solche Einschätzung für überzogen hält, den könnte ein Blick in das alles Handeln staatlicher Organe bindende Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eines Besseren belehren, in dem der in Art. 1 I GG formulierte Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatspostulat des Art. 20 I GG seit jeher die zentrale Bezugsnorm aller Sozialpolitik war und das nach dem "Ewigkeitsklausel" genannten Art. 79 III GG in seinem Wesensgehalt, wie übrigens auch die in Art. 20 I GG niedergelegten grundlegenden Prinzipien für die rechtliche und organisatorische Gestaltung des Staates, unabänderbar und damit auch nicht politisch disponibel ist. Als verfassungsrechtliche Leitvorstellung sozialstaatlicher Maßnahmen hatte der Schutz der Menschenwürde Eingang gefunden sowohl in das vielfach als Sozialcharta für die Bundesrepublik Deutschland bezeichnete SGB I als auch in das seinerzeitige Existenzsicherungsgesetz BSHG, nicht aber, wie bereits erwähnt, in das heutige Grundsicherungsgesetz SGB II. Da neben dem SGB II jedoch kein weiteres Existenz- beziehungsweise Grundsicherungsgesetz für erwerbsfähige Hilfebedürftige existiert, kommt eben diesem, und zwar hergeleitet aus der Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde, die Aufgabe zu, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Unterstützungsleistungen zu sichern.

Nun läßt sich aber dem Grundgesetz selbst oder einer diesbezüglichen einfachgesetzlichen Ausgestaltung nicht entnehmen, was im einzelnen unter einem menschenwürdigen Dasein zu verstehen ist. Deswegen ist es angezeigt, auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurückzugreifen. Dieses hat 1970 klargestellt, daß die Gewährleistung des bloßen physischen Existenzminimums für ein menschenwürdiges Dasein nicht hinreicht, weil dem Hilfeempfänger gesellschaftliche Teilhabe möglich sein muß, also in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ein Leben "ähnlich wie diese" (BVerwGE 36, 258) führen zu können, wobei auf die herrschenden Lebensgewohnheiten abzustellen ist (vgl. BVerwGE 35, 180 f.) Mit der Politik der ausgrenzenden Aktivierung à la Hartz IV, das heißt dem politisch-administrativ institutionalisierten Druck auf die Bereitschaft hilfebedürftiger Arbeitsloser, jede Arbeit um jeden Preis anzunehmen, verliert jedoch Art. 1 I GG seine soziale Substanz. Dies zeigt sich insbesondere, aber nicht nur, an dem durch den Case-Manager mittels Eingliederungs›vereinbarung‹ (34) autoritativ herstellbaren Junktim von Teilhabe und Teilnahme, sprich der Konditionalität zwischen der Gewährung von Unterstützungsleistungen einerseits und der Aufnahme von Arbeit, zumindest aber der Demonstration von Arbeitswilligkeit oder der Abgabe von Arbeitsleistungsversprechen andererseits. Ein Junktim, das durch das Grundgesetz allerdings in keiner Weise gedeckt wird, wie einer frühen, aus dem Jahr 1954 stammenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen ist. Dieses kam mit Blick auf die Frage, ob es einen aus der Verfassung zwingend herzuleitenden Rechtsanspruch auf Sozialhilfe geben müsse, zu dem Schluß: "Der Einzelne ist zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan, sondern Bürger. [Â…] Die unantastbare, von der staatlichen Gewalt zu schützende Würde des Menschen (Art. 1) verbietet es, ihn lediglich als Gegenstand staatlichen Handelns zu betrachten, soweit es sich um die Sicherung des ›notwendigen Lebensbedarfs‹ [Â…], also seines Daseins überhaupt handelt. Mit dem Gedanken des demokratischen Staates (Art. 20) wäre es unvereinbar, daß zahlreiche Bürger, die als Wähler die Staatsgewalt mitgestalten, ihr gleichzeitig hinsichtlich ihrer Existenz ohne eigenes Recht gegenüberständen." (BVerwGE 1/ 161 f.)

Der im Grundgesetz als "sozialer Rechtsstaat" bezeichnete Sozialstaat wurde somit hinsichtlich der letzten existentiellen Sicherung seiner Bürger ausdrücklich als voraussetzungs- und bedingungslos verstanden. Die hier zum Ausdruck kommende Vorstellung, daß Demokratie und Menschenwürde zwangsläufig einander bedingen (35), war den Hunger und Entbehrungen ausgesetzten Mitgliedern des Parlamentarischen Rates eine existentielle Erfahrung, derer diejenigen offensichtlich ermangeln, denen die "Gnade der späten Geburt" (36) zuteil wurde, die es ihnen zu erlauben scheint, die Würde von hilfebedürftigen Menschen ohne Arbeit anzutasten, was umso bedenklicher stimmt angesichts der Tatsache, daß es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um eine Gesellschaft handelt, die ob ihres enormen objektiven Reichtums es jedem ermöglichen könnte, ein Leben in Würde zu führen.

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Michael Wolf - Prof. Dr. rer. pol., Sozialwissenschaftler, Hochschullehrer für Sozialpolitik und Sozialplanung am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Koblenz; Arbeitsschwerpunkte: Arbeits(markt)- und Sozialpolitik, Befreiungspädagogik (Paulo Freire), Diskrepanzphilosophie (Günther Anders), Figurationssoziologie (Norbert Elias), Transformationsforschung; zuletzt in UTOPIE kreativ: "Aktivierende Hilfe". Zu Ideologie und Realität eines sozialpolitischen Stereotyps, Heft 179 (September 2005). Kontakt: wolf@fh-koblenz.de

1 Bei dem Text handelt es sich um die überarbeitete, erweiterte und mit Anmerkungen und Literaturverweisen versehene Fassung des Manuskripts zu einem Vortrag, der aus Anlaß der Fachtagung des Vereins für Beschäftigungspolitik: kommunal e.V. in Leipzig zum Thema "Erfahrungen aus der lokalen Umsetzung des SGB II - Strukturen, Leistungsprozess, Handlungsbedarfe " am 3. 5. 2006 gehalten wurde. Die Printversion der Kurzfassung ist erschienen in: H. Siemon, (Red.), Fachtagungen Netzwerk SGB II. Fachtagung 1: Erfahrungen aus der lokalen Umsetzung des SGB II - Strukturen, Leistungsprozesse, Handlungsbedarfe, 3.-4. Mai 2006 Leipzig, Offenbach: Verein Beschäftigungspolitik: kommunal e.V., 2006, S. 16-24.

2 In Anführungszeichen deswegen, weil nicht ernsthaft davon die Rede sein kann, im Falle der Bundesrepublik Deutschland sei das Volk der pouvoir constituant (im Sprachgebrauch der Französichen Revolution) gewesen, weshalb das Grundgesetz noch bis in die Gegenwart - zumal vor dem Hintergrund der Unterlassung, im Zuge der Vereinigung der beiden Deutschen Staaten dem Auftrag von Art. 146 GG nachzukommen, eine Verfassung vom "deutschen Volk in freier Entscheidung" zu beschließen - mit der Hypothek belastet ist, nicht durch den Souverän demokratisch legitimiert worden zu sein.

3 Vgl. zum Konzept des drei Reformvorhaben (d. i. die Neugestaltung des staatlichen Verwaltungsapparates, der sozialen Sicherungssysteme und des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger) umfassenden "aktivierenden Staates" allgemein Lamping et al. (2002), zu dessen Bedeutung als Ansatz zur Umgestaltung des Sozialstaats im besonderen die Beiträge in Dahme et al. (2003) sowie Mezger/West (2000).

4 "Erstes" und "Zweites Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt" ("Hartz I u. II") sind am 1. Januar 2003 in Kraft getreten, "Hartz III" am 1. Januar 2004 und "Hartz IV" in Form des neu geschaffenen SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) am 1. Januar 2005. Zu Inhalt und Umsetzung der Hartz-Gesetze vgl. den immer noch informativen Aufsatz von Brütt (2003).

5 So etwa auch der Veranstalter der Tagung, der sich dieser Text verdankt. Die in der Politik übliche Gleichsetzung der Begriffe ›Eingliederung‹ und ›Integration‹ mag zwar umgangssprachlich ihre Berechtigung haben, für den sozialwissenschaftlichen Diskurs hingegen lassen sich Bedenken formulieren, weil eben mit einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht auch zwangsläufig eine gesellschaftliche Integration einhergehen muß, sondern unter Umständen auch das Gegenteil, soziale Ausgrenzung, der Fall sein kann.

6 Als politik- und gesellschaftskritischer Begriff bezeichnet ›Involution‹ die Rückentwicklung demokratischer Systeme, Strukturen und Formen in vor- oder antidemokratische; vgl. hierzu in pointierter Weise die luziden Ausführungen von Agnoli (1974).

7 Es sollte an dieser Stelle vielleicht klargestellt werden, daß es sich, mit Bezug auf die aristotelische Akt- Potenz-Lehre, bei dem Begriff ›Aktivierung‹ um die Mobilisierung eines immer schon vorausgesetzten Handlungspotentials handelt, weswegen auch nur dasjenige aus jemandem herausgeholt werden kann, was diesem seiner Möglichkeit nach bereits innewohnt (vgl. Kocyba 2004).

8 Zum Konzept der Arbeitspolitik vgl. namentlich AG Sozialpolitik (1985: 725 ff.), Naschold (1983).

9 Das von den Republikanern unter Bill Clinton mit dem Versprechen "to end welfare as we know it" in den 1990er Jahren initiierte und exekutierte wohlfahrtsstaatliche Reformprogramm basierte auf der Vorstellung, "anyone who can go to work must go to work", und mündete demzufolge in dem Postulat "to move people from welfare to work" (Bill Clinton; zit. nach: Lessenich 2003a: 215).

10 Zum historischen Wandel des Verhältnisses von Arbeiten und Essen und den sich daraus für den Umgang mit Armut ergebenden Konsequenzen vgl. Vobruba (1985).

11 Zu den Unterschieden von (regulärem) Erstem Arbeitsmarkt, Zweitem (staatlich gefördertem temporärem Ersatz-)Arbeitsmarkt und Drittem (staatlich verordnetem Zwangs-)Arbeitsmarkt vgl. Hanesch (1985).

12 Eingeführt im Rahmen von Hartz II handelt es sich bei Mini-Jobs um Beschäftigungsverhältnisse bis zu 400 Euro Monatsentgelt, bei Midi-Jobs um solche zwischen 400 und 800 Euro Monatsentgelt.

13 In der wohl unbedachten Bezeichnung "Zusatzjob " (Saalfrank 2005: passim) für Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung nach § 16 III SGB II kommt zum einen vermittels des Bestimmungswortes ›Zusatz‹ semantisch verräterisch zum Ausdruck, daß hier eine gewisse Affinität besteht zu Gelegenheitsarbeiten, d. h. zu Arbeiten, die ohne festes Arbeitsverhältnis erbracht werden und jederzeit kündbar sind. Zum anderen erzeugt das Kompositum vermittels seines Grundwortes ›Job‹ die Illusion, es handele sich bei diesen Arbeiten um eine "einträgliche [eigene Hervorhebung; M. W.] Beschäftigung zum Zwecke des Geldverdienens " (Wikipedia 2006), wovon jedoch angesichts deren Ausrichtung am Existenzminimum wohl kaum die Rede sein kann und was zudem auch nicht der gesetzlichen Intention, der Eingliederung in den Ersten Arbeitsmarkt, entspricht.

14 In Konkretisierung des Nachranggrundsatzes von § 2 I kannte das BSHG bereits seit seinem Inkrafttreten 1962 unter dem Kapitel "Hilfe zur Arbeit" mit a) § 18 I die allgemeine Verpflichtung zur Verwertung der eigenen Arbeitskraft, mit b) § 19 I die Zuweisung in eine vorübergehend staatlich geförderte Arbeit ohne Zusätzlichkeits- und Gemeinnützigkeitscharakter, mit c) § 19 II Alt. I die Zuweisung in gemeinnützige und zusätzliche Arbeit (gzA) auf bürgerlich-rechtlicher Grundlage und mit d) § 19 II Alt. 2 die Zuweisung in gzA auf öffentlichrechtlicher Grundlage qua Beschäftigungsvertrag oder Verwaltungsakt sowie mit e) § 20 I Alt. 1 Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitsentwöhnung oder mit f) § 20 I Alt. 2 Maßnahmen zur Prüfung der Arbeitsbereitschaft (vgl. Krahmer 1984; Münder, Birk 1983), wobei rechtsgeschichtlich betrachtet die §§ 18-20 BSHG an Bestimmung des alten, bis 1960 geltenden Fürsorgerechts, hier: § 19 RFV bzw. §§ 7, 13 RGr, anknüpften.

15 Da dieser, im Behördenjargon anzüglich als "Paps" bezeichnet, nicht nur über die materiellen Hilfen entscheidet, sondern auch über die Eingliederungsleistungen und über den Einbezug ins Case- Management, besteht die Gefahr, daß die Beziehung der hilfebedürftigen Arbeitslosen zu ihrem "Paps" in ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis umschlagen kann, was es gerechtfertigt erscheinen läßt, von einer Refeudalisierung der beschäftigungsorientierten sozialen Dienstleistungserbringung zu reden.

16 Eine Lektüre des Berichtes der Hartz-Kommission (vgl. Hartz et al. 2002: 66 ff.) führt drastisch das Ausmaß der organisierten Volksverdummung vor Augen: So betritt heute nicht mehr ein Arbeitsloser das Arbeitsamt, sondern der "Kunde" ein "JobCenter " und meldet sich dort zwecks "Eingangsprofiling" (früher: erstes Informationsgespräch) im "Front-Office" (früher: Empfangsraum) an der "Clearingstelle" (früher: Information), von wo er bei weitergehendem Beratungs- oder Betreuungsbedarf je nach Fall als "Beratungskunde " oder "Betreuungskunde" dem im "Back-Office" (früher: Dienstraum) residierenden "Case-Manager " (früher: Sachbearbeiter) zugeführt wird, der ein "Tiefenprofiling" (früher: Eignungsfeststellung) veranlaßt, auf dessen Basis dann eine verbindliche Eingliederungsvereinbarung abgeschlossen wird, in der festzuhalten ist, mit welchen Maßnahmen das "Matching" (früher: Abstimmung) von Arbeitsangebot und -nachfrage optimiert werden soll. Die in diesem Zusammenhang auftauchende semantische Umstellung vom ›Klienten‹ (dem Schutzbefohlenen) zum ›Kunden‹ der Arbeits- und Sozialverwaltung ist in mehrfacher Hinsicht irreführend, da sie von dem jeweiligen Kontext (Markt bzw. Staat), in dem die personenbezogenen sozialen Dienstleistungen erbracht werden, unzulässigerweise abstrahiert. Im Gegensatz zu dem ›Kunden‹ genannten Marktteilnehmer kann der ›Nutzer‹ genannte Adressat (quasi-)öffentlicher bzw. (para-)staatlicher personenbezogener sozialer Dienstleistungen, erstens, weder bzgl. des zwischen ihm und seinem ›Dienstleister‹ zu schließenden Hilfevertrag ›nein‹ sagen, noch, zweitens, seinen ›Dienstleister‹ einfach wechseln, der überdies, drittens, über repressive Instrumente zur Vertragserfüllung verfügt. Zur Problematik der Dienstleistungsorientierung in der Sozialen Arbeit vgl. statt anderer May (1997), Schaarschuch (1996, 1999).

17 Mit dem Begriff ›Beschäftigungsfähigkeit‹ werden die Fähigkeiten einer Person beschrieben, "auf der Grundlage ihrer fachlichen und Handlungskompetenzen, Wertschöpfungs- und Leistungsfähigkeit ihre Arbeitskraft anbieten zu können und damit in das Erwerbsleben eintreten zu können, ihre Arbeitsstelle zu halten oder, wenn nötig, sich eine neue Erwerbsbeschäftigung zu suchen" (Blancke, S. et al.; zit. nach: Brütt 2003: 652).

18 Für einen Überblick über die Debatte vgl. stellvertretend Herkommer (1999), Kronauer (2002), Pilgram/Steinert (2000).

19 "Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit", so Schröder und Blair in ihrem als "Anstoß zur Modernisierung " der Sozialdemokratie in Europa gedachten Papier, weswegen sie auch "erwarten [Â…], daß jeder die ihm gebotene Chance annimmt" (Schröder/Blair 1999: 9, 10).

20 Nachdem mit dem ersten, bis zum Jahr 1998 reichenden Armuts- und Reichtumsbericht des Jahres 2001 erstmalig regierungsamtlich die "Existenz von Armut, Unterversorgung und sozialer Ausgrenzung in einem wohlhabenden Land wie der Bundesrepublik Deutschland" (BT-Drs. 14/5990: 25) anerkannt wurde, liefert nunmehr auch der ihm folgende zweite, die zeitliche Spanne von 1998 bis zum "aktuellen Rand [d. i. 2003; M. W.]" (BT-Drs. 15/5015: 11) umfassenden Armuts- und Reichtumsbericht des Jahres 2005 Belege dafür, daß die Einkommensarmut a) weiter gewachsen und b) unter Arbeitslosen am weitesten verbreitet ist und daß sie c) mit großen Risiken der sozialen Ausgrenzung einhergeht (vgl. ebd.: passim).

21 Vgl. hierzu ferner vor allem Buestrich, Wohlfahrt (2005), Hansen (2005) sowie Reis et al. (2003).

22 Es werden drei Rollen bzw. Funktionen unterschieden, die von der Person des Case-Managers ein- bzw. wahrgenommen werden: in der Rolle des ›advocate‹ die anwaltliche Funktion, in der des ›broker‹ die vermittelnde Funktion und in der des ›gate keeper‹ die selektierende Funktion; vgl. hierzu näher Ewers (2006: 25 ff.).

23 Als grundlegend für die Frage, wie sich die Formen von Hilfe mit der Veränderung der primären gesellschaftlichen Differenzierungsform von den segmentär über die stratifikatorisch zu den funktional differenzierten Gesellschaften hin wandeln, darf immer noch Luhmann (1975) gelten; vgl. hierzu ferner Bommes/ Scherr (2000: 88 ff.), Sahle (1987: 4 ff.), Weber, Hillebrandt (1999: 56 ff.).

24 "Sofortangebot" meint die Unterbreitung eines Stellenangebots unmittelbar bei Antragstellung, und dies obwohl § 3 II SGB II eindeutig regelt, daß (bei unter 25jährigen Antragstellern) Vermittlungsangebote in Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheit nicht vor oder statt, sondern erst nach Antragstellung zu unterbreiten sind.

25 Der von Mitarbeitern des Landesarbeitsamtes Nordrhein-Westfalen geprägte Begriff "Verfolgungsbetreuung" thematisiert den Sachverhalt der gezielten und absichtsvollen Ausgrenzung hilfebedürftiger Arbeitsloser aus dem Leistungsbezug: "Konkret bedeutet das, jede mögliche und unmögliche Gelegenheit zur Verhängung einer Sperrzeit wird genutzt. Der Druck auf die Arbeitslosen macht auch vor den Kolleginnen und Kollegen in den Ämtern nicht halt. Es werden Hitlisten eingerichtet, mit dem Ziel, zu schauen, wer in welcher Zeit wie viele Sperrzeiten verhängt hat." (Küster et al. 2003: 2) Ziel dieser Selbstkritik ist jedoch weniger das individuelle Verhalten des Fachpersonals als vielmehr die von der Bundesagentur für Arbeit verfolgte Politik, mittels "massive[m] Druck" ihre Mitarbeiter zu zwingen, "an der Grenze der gesetzlichen und moralischen Legalität, gegen Arbeitslose vorzugehen, allein mit dem Ziel, ihnen die finanzielle Lebensgrundlage zu kürzen oder zu sperren" (ebd.: 3).

26 Man kann sowohl den von der damaligen rotgrünen Bundesregierung handverlesenen Experten aus der dem "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" zur Seite gestellten Benchmarking-Gruppe als auch den beiden an der Hartz-Kommission beteiligten wissenschaftlichen Mitgliedern unterstellen, daß sie über hinreichende Kenntnis sowohl hinsichtlich des tatsächlichen Ausmaßes von Sozialleistungsmißbrauch (siehe Anm. 29) als auch bezüglich der aus politischem Kalkül inszenierten Debatten über selbigen (vgl. Oschmiansky 2003) verfügen.

27 Des Mißbrauchs bezichtigt werden jedoch nicht nur die Arbeitslosen, sondern auch die als "Helfershelfer" und "windige Ratgeber" (BMWA 2005: 19, 22) titulierten Berater, die, wie z. B. Roth, Thomé (2005), es sich zur Aufgabe gemacht haben, Hilfesuchenden in prekären materiellen Lebenslagen wie Arbeitslosigkeit oder Armut durch Information und Beratung zu ihrem Recht zu verhelfen.

28 "Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse. [Â…] Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da." (Klemperer 1969: 23)

29 Sowohl ältere international vergleichende wie auch neuere nationalstaatlich fokussierte empirische Untersuchungen zur Problematik des Mißbrauchs von Sozialleistungen zeigen, daß, hoch gegriffen, nur fünf von 100 Transferleistungsempfängern diese unrechtmäßig bezogen (vgl. Henkel, Pawelka 1981; Trube 2003: 195) und daß Sozialhilfeempfänger, entgegen dem Stereotyp, faule Sozialschmarotzer zu sein, sich auch durch Annahme gering entlohnter Tätigkeiten darum bemühen, ihre materielle Situation zu verbessern und unabhängig von staatlichen Zuwendungen zu werden (vgl. Gebauer et al. 2002: passim).

30 Eine Idee, der sich auch der Ombudsrat anscheinend im gleichen Sinne verpflichtet sieht, wenn man seinem Internetauftritt Glauben schenken will, in der er auf der eigenen Startseite die Internetenzyklopädie Wikipedia zustimmend zur Erklärung des Begriffes ›Ombud‹ bemüht (vgl. Ombudsrat 2006).

31 So allen voran Herrrmann Rappe, seines Zeichens SPD-Bundestagsmitglied und ehemaliger Vorsitzender der IG-Bergbau, Chemie und Energie, der sich für eine deutlich stärkere Kontrolle der Arbeitslosengeld- II-Bezieher ausgesprochen hatte, weil sich anders der zunehmende Mißbrauch nicht eindämmen lasse (vgl. ots 2005).

32 Sozialpolitik kann begriffen werden als politisch institutionalisierte Reaktion auf das für kapitalistischmarktförmige Gesellschaften stets prekäre Problem der gesellschaftlichen Verallgemeinerung des Lohnarbeitsverhälnisses, das zwei Seiten umfaßt: zum einen die Sicherstellung jenes Kommodifizierung genannten Prozesses, durch den menschliche Arbeitskraft zur Ware und damit zum Gegenstand des Tausches Arbeitskraft gegen Lohn auf einem eigens dafür vorgesehen Markt, dem Arbeitsmarkt, wird, zum anderen die Sicherstellung jenes De-Kommodifizierung genannten Prozesses, durch den a) die Marktgängigkeit von Arbeitskraft beständig aufrechterhalten bzw. wiederhergestellt wird und durch den b) dem Verkaufszwang von Arbeitskraft wegen vorübergehender oder dauerhafter Entbehrlichkeit (z. B. Arbeitslosigkeit, Alter) oder wegen anderweitigen gesellschaftlichen Bedarfs (z. B. Aufzucht) selektiv institutionelle Grenzen gesetzt werden. Da dies jeweils mit Mitteln und in Formen und Ausmaßen erfolgt, die den Wandlungen der politischökonomischen Rahmenbedingungen geschuldet sind, bedeutet dies, daß sich Sozialpolitik in Wellen der Kommodifizierung, De- Kommodifizierung und Re-Kommodifizierung (vgl. hierzu den Überblick bei Lessenich 1999) bewegt.

33 Vgl. hierzu Castels (2000: 336 ff.) scharfsinnige Analyse der modernen Lohnarbeitsgesellschaft, in der eindringlich die destabilisierenden Rückwirkungen aufgezeigt werden, die von der sich zunehmend ausbreitenden "Zone der Verwundbarkeit ", also der Prekarität, und der "Zone der Entkoppelung", sprich der sozialen Ausgrenzung, auf die "Zone der Integration ", d. h. den Kern der Arbeitsgesellschaft, ausgehen und das Fundament der gesellschaftlichen Integration zu zersetzen drohen.

34 Ihren Namen trägt die Eingliederungs›vereinbarung‹ allerdings zu Unrecht, weil der hilfesuchende Arbeitslose mangels realer Wahlmöglichkeiten einem sanktionsbewehrten Kontrahierungszwang unterliegt, so daß von einer "›Vereinbarung‹ im Schatten der Macht" (Berlit 2003: 205) gesprochen werden muß, die zudem gegen das Grundgesetz verstößt, da sie "unverhältnismäßig in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Vertragsfreiheit" (ebd.) eingreift.

35 Daß der Zusammenhang von bürgerlichen, politischen und sozialen Grundrechten unauflösbar ist, können wir spätestens seit Marshall (1992) wissen.

36 Die Phrase wird fälschlicherweise Altbundeskanzler Helmut Kohl zugeschrieben, ist aber bereits zuvor von Günter Gaus gebraucht worden.