Donnerstag, 26. Juni 2014

Der "Kaufrausch" findet, wie so oft, nur in den Köpfen der PR-Abteilung der GfK statt. Die #realen #Zahlen #stagnieren jedenfalls seit 1990

Immer wieder sorgt die GfK für maximales Fremdschämen.

Was soll das?

 
[via Nachdenkseiten]
 
 
 

Liebe Kollegen von SPIEGEL Online,
mir ist vollkommen bewusst, dass Ihr keinen einfachen Job habt. Für Eure Chefs zählen nur Klicks: Und Klicks erreicht man natürlich vor allem dann, wenn man möglichst viele Artikel publiziert, die mit möglichst wenig Arbeitsaufwand möglichst viele Leser finden. Millionen Fliegen können schließlich nicht irren.

 Ich weiß auch, dass Ihr eine viel zu dünne Personaldecke habt und die Vorgaben von oben unmöglich mit journalistisch sorgfältigen und vielleicht sogar kritischen Artikeln erfüllen könnt. Aber mal Hand aufs Herz: Wie könnt Ihr es eigentlich mit Eurer Berufsehre vereinbaren, ein Stück wie das gestern erschienene „Kaufen, kaufen, kaufen" zu veröffentlichen, in dem Ihr eine komplett sinnfreie Pressemeldung der GfK redaktionell nachplappert und Eure Leser damit für dumm verkauft.

Von Jens Berger.

Quelle: SPIEGEL Online

Zur GfK und ihrem berühmt-berüchtigten Konsumklimaindex wurde schon viel geschrieben – u.a. bei den NachDenkSeiten. In meinem Artikel vom Mai letzten Jahres schreibe ich eigentlich alles, was man zu diesem Statistik-Orakel wissen muss und frage „die Medien", warum sie den GfK-Konsumklimaindex nicht einfach ignorieren können. Klar, die NachDenkSeiten gehören für einen SPIEGEL-Online-Volontär sicher nicht zur Standardlektüre und es wäre anmaßend, zu glauben, dass ein Gigant wie SPIEGEL Online die Ratschläge eines Zwerges wie den NachDenkSeiten beherzigt. Aber müsst Ihr noch einen draufsetzen, indem Ihr die gestrige GfK-Meldung, die selbst für GfK-Verhältnisse außergewöhnlich dümmlich ist, unkommentiert nachplappert?

Die Kernaussage der GfK-Meldung besteht darin, dass die Deutschen sich in diesem Monat angeblich in einem Konsumrausch befinden, weil die EZB vor zwei Wochen den Leitzins von 0,25% auf 0,15% gesenkt hat. Diese Aussage ist, sagen wir es einmal vorsichtig, gewagt. Zum einen besteht keine erkennbare Korrelation zwischen dem GfK-Konsumklima und den real gemeldeten Umsätzen des Einzelhandels. Oder um es einfacher zu formulieren: Was die GfK dort meldet, hat nachweisbar nichts mit der Realität zu tun. Es kann sein, dass in diesem Monat tatsächlich mehr konsumiert wurde. Es kann aber auch sein, dass weniger konsumiert wurde. Bis die offiziellen Zahlen vorliegen, kann dies niemand wissen. Die realen Zahlen stagnieren jedenfalls seit 1990. Der „Kaufrausch" findet, wie so oft, nur in den Köpfen der PR-Abteilung der GfK statt.

Zum anderen ist die Begründung für den vermeintlichen „Kaufrausch", die die GfK in diesem Monat herausgekramt hat, derart an den Haaren herbeigezogen, dass man gar nicht mehr weiß, ob man jetzt laut lachen oder bitterlich weinen soll. Wegen der Leitzinssenkung sollten, so steht es bei SPIEGEL Online, die „Kreditinstitute [...] die Einlagenzinsen wohl rasch kappen dürfen, [wodurch] Sparen für die Kunden immer unattraktiver [wird]." Noch unattraktiver? Das ist interessant. Seit Senkung des Leitzinses sind die Einlagenzinsen in der Tat gesunken – jedoch nicht im Prozent-, sondern im niedrigen Promillebereich.

Quelle: OnVista

Und die Menschen sollen nun, da es anstatt 0,72% nur noch 0,71% für das Tagesgeld gibt, in den kollektiven Konsumrausch verfallen? Das ist eine steile These. Jede These, egal wie steil, sollte jedoch empirisch abgesichert sein. Da die Zinsen ja nicht erst seit wenigen Wochen sinken, wäre dies auch möglich … wenn die These stimmen würde. Doch das ist offenbar nicht der Fall.

Quelle: OnVista

Im Zuge der Finanzkrise stürzte der Einlagenzinssatz im Jahre 2008 förmlich ab und ist seitdem – mit einer zeitweiligen Erholung im Winter 2011/2012 – rückläufig. Wenn die These stimmt, dass unsere Mitbürger nun wegen der rückläufigen Zinsen nicht mehr sparen, sondern wie wild konsumieren, müsste sich dies ja in welcher Form auch immer messbar sein.

Eine Betrachtung auf die realen Einzelhandelsumsätze ergibt interessanterweise jedoch genau das umgekehrte Bild. In der Phase, in der die Zinssätze sanken, sanken auch die Einzelhandelsumsätze – und zwar deutlich. Ansonsten ist – wie kaum anders zu erwarten – keine nennenswerte Korrelation zwischen dem Einlagenzinssatz und den Einzelhandelsumsätzen erkennbar.

Warum auch? Sämtliche Zahlen zur Vermögensverteilung weisen darauf hin, dass nur die obersten zehn Prozent der Haushalte – gemessen am Einkommen – überhaupt regelmäßig in nennenswertem Umfang finanzielle Rücklagen bilden können[*]. Bei diesen Haushalten ist die Konsumquote jedoch ohnehin bereits gesättigt. Zinserhöhungen und –senkungen führen bei diesen Haushalten nicht zu einer Verschiebung zwischen Spar- und Konsumquote, sondern zu einer Verschiebung innerhalb der unterschiedlichen Anlagegüter innerhalb der Sparquote. Anstatt zu konsumieren, investieren diese Haushalte vermehrt in andere Anlageprodukte, von denen sie sich erhoffen, dass sie eine höhere Rendite erwirtschaften. Die sich bereits anbahnenden Blasen auf dem Immobilienmarkt sind ein Kollateralschaden dieser Entwicklung. Oder um es zugespitzt zu formulieren: Anstatt sich einen zweiten Porsche zu kaufen, steckt man das Geld, das man bei höheren Zinssätzen als Einlage bei der Bank gespart hätte, nun in ein Mehrfamilienhaus, das ordentliche Mieteinnahmen generiert.

Liebe Kollegen von SPIEGEL Online, ich bin mir fast sicher, dass Ihr das alles auch wisst. Warum plappert Ihr dann aber die offensichtlichen Nonsense-Meldungen der GfK nach? Seid Ihr etwa in einen Kaufrausch verfallen, weil die EZB den Leitzins um ein Promille gesenkt hat? Oder liegt es vielmehr daran, dass Ihr schlicht faul seid? Eine Pressemeldung redaktionell aufzubereiten, ist natürlich keine große Arbeit und in einer Viertelstunde gemacht. Dazu eine sexy Überschrift wie „Kaufen, kaufen, kaufen", ein nichtssagendes Symbolbild aus dem Agenturprogramm und schon habt Ihr einen garantierten Klickfänger. Ein kritischer Kommentar zum Thema erfordert mehr Arbeit und generiert sicherlich weniger Klicks.

Aber was hat Euer Artikel eigentlich noch mit Journalismus zu tun? Habt Ihr alles vergessen, was man Euch in Eurer theoretischen Ausbildung beigebracht hat? Oder habt Ihr es nur verdrängt? Oder seid Ihr wirklich schon so zynisch, dass es Euch schlicht egal ist? Solltet Ihr noch einen Funken Berufsehre haben, könnt Ihr das Ganze ja mal für einen Moment sacken lassen und Euch bei nächster Gelegenheit einmal überlegen, ob das, was Ihr tagtäglich macht, noch irgendetwas mit dem Beruf zu tun hat, den Ihr einmal erlernt habt.

 

#CETA und #TTIP als Gefahr für das #europäische #Sozialmodell ... geht es um die Errichtung eines #globalen #Herrschaftsregimes

 

CETA und TTIP als Gefahr für das europäische Sozialmodell

[via Nachdenkseiten]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=22160

Seit das „Multilaterale Abkommen über Investitionen" (MAI) kurz vor der Jahrtausendwende durch Aufklärungskampagnen globalisierungskritischer Organisationen und Massenproteste in mehreren Ländern zu Fall gebracht wurde, hat es immer wieder Anläufe zu einem die größten Wirtschaftsblöcke der Erde übergreifenden Vertrag gegeben, mit dem die transnationalen Konzerne das kapitalistische Weltsystem perpetuieren, ihre gesellschaftliche Vormachtstellung zementieren und unbotmäßige Regierungen disziplinieren wollen.

Gewerkschaftliche, soziale, ökologische und verbraucherschutzpolitische Initiativen sollen ins Leere laufen, Kapitalverwertungsinteressen rechtlich absolut privilegiert sein. Letztlich geht es um die Errichtung eines globalen Herrschaftsregimes, das unternehmerischen Investitionsentscheidungen jedweder Art dauerhaft freie Bahn schafft und mögliche Einsprüche dagegen mittels juristischer Sperren blockiert.

Unter dem Einfluss neoliberaler Kräfte und mächtiger Wirtschaftskreise, die auf der Grundlage eines „Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens" (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) mit Kanada geheime Verhandlungen der EU mit den USA über eine „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft" (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) bzw. ein „Transatlantisches Freihandelsabkommen" (Trans-Atlantic Free Trade Agreement, Tafta) vorantreiben, ist das europäische Sozialmodell etwa seit der Jahrtausendwende tiefgreifend verändert worden. Dem modernen „Turbokapitalismus" (Edward Luttwak) inhärente Tendenzen zur sozialen Polarisierung, zur Prekarisierung und zur Pauperisierung treten dadurch stärker denn je zutage.

Von Christoph Butterwegge

Massenarmut – eine Folge der Transformation des europäischen Sozialmodells

Armut, in der sog. Dritten und Vierten Welt schon immer traurige Alltagsrealität, hält seit geraumer Zeit auch Einzug in fortgeschrittene europäische Wohlfahrtsstaaten, wo sie zumindest als Massenerscheinung lange weitgehend unbekannt war. 2010 war das „Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung". Fungierte der zuletzt genannte Begriff anfänglich als Ersatz für den zuerst genannten und bemühten sich manche EU-Mitgliedstaaten während der 1990er-Jahre, den Terminus „Armut" aus offiziellen Dokumenten fernzuhalten, indem sie lieber von „sozialer Ausgrenzung" sprachen, so wird mittlerweile ein Strukturzusammenhang zwischen beiden Phänomenen hergestellt.

Im vereinten Deutschland hat die Ost-West-Spaltung den Blick auf die Oben-unten-Spaltung der Gesellschaft lange Zeit verstellt. Außerdem gehört es zur politischen Kultur der Bundesrepublik, diese fälschlicherweise als eine sozial ausgesprochen homogene Gesellschaft zu begreifen und sogar krasseste Spaltungstendenzen zu übersehen. Helmut Schelsky prägte dafür 1953 die Formel einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft", in der sich die Klassen wie die Klassengegensätze auf wundersame Weise aufgelöst zu haben schienen. Ein anderer führender Soziologe, Ulrich Beck, sprach in seinem 1986 erschienenen Buch „Risikogesellschaft" von einem „Fahrstuhleffekt", der während des sog. Wirtschaftswunders alle gemeinsam nach oben, zuletzt mit der Massenarbeitslosigkeit jedoch alle gemeinsam wieder nach unten befördert habe.

Dabei existiert als Strukturdefekt im Finanzmarktkapitalismus ein sozioökonomischer Paternostereffekt, der einige Gesellschaftsmitglieder nach oben und andere nach unten befördert. Armut und Reichtum sind Gegensätze, aber gewissermaßen auch zwei Seiten derselben Medaille, weil in diesem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem eng miteinander verzahnt: Wenn die Geringverdiener/innen überall in Europa aufgrund der sie besonders hart treffenden Krisenfolgen häufiger ihr Girokonto überziehen und hohe Dispozinsen zahlen müssen, werden die Eigentümer der Banken noch reicher, und wenn mehr Familien beim Lebensmittel-Discounter einkaufen müssen, um über die Runden zu kommen, häufen die Eigentümer solcher Discountketten wie Aldi und Lidl, die in ganz Europa zu den vermögendsten Männern überhaupt gehören, ein noch gigantischeres Privatvermögen an.

Armut und Reichtum sind im Finanzmarktkapitalismus der Gegenwart so lange funktional, wie sie keine das System gefährdenden Verwerfungen hervorrufen. Seitdem die Eurokrisenhysterie um sich griff, spielten innenpolitische Themen, die soziale Frage und das Problem mangelnder Gerechtigkeit in der Bundesrepublik höchstens noch eine Nebenrolle. Wie es scheint, befinden wir uns jedoch an einem historischen Umschlagpunkt, sonst würde die soziale Ungleichheit mittlerweile wohl kaum auch von Stützen der bestehenden Gesellschaftsordnung thematisiert. Von Papst Franziskus über die OECD und den IWF bis zu dem französischen Bestsellerautor Thomas Piketty ist die soziale Ungleichheit jüngst aus einem Tabu- zu einem Topthema in deutschen Medien geworden, was einerseits aus den sich verschärfenden Zerfallsprozessen und der überkommenen Tradition einer Solidarität mit den „würdigen", unverschuldet in Not geratenen Armen, andererseits jedoch auch der zunehmenden Angst ökonomischer und politischer Machteliten vor den „gefährlichen Unterschichten", also nicht den Problemen, die sie haben, sondern den Problemen, die sie in Zukunft machen (könnten), sowie vor dem Verlust eigener Privilegien resultiert.

Zwar schien es zeitweilig, als erlebe der (Wohlfahrts-)Staat eine gewisse Renaissance und als neige sich die Ära der forcierten Privatisierung von Unternehmen, öffentlicher Daseinsvorsorge und sozialen Risiken ihrem Ende zu. Es wurde aber zu Recht darauf hingewiesen, dass die Weltfinanzwirtschaftskrise den (Sozial-)Staat keineswegs gestärkt, sondern eher geschwächt hat, weil ihn nicht bloß die Schulden drücken, die Broker, Banker und Börsianer verursacht haben, sondern weil er auch kaum die unsozialen Folgen des Krisenfiaskos wie Massenarbeitslosigkeit und -armut beseitigen kann.

Sucht man nach den Ursachen für die eher halbherzige Armutsbekämpfung in der Europäischen Union, stößt man trotz einer keineswegs unwichtigen Symbolpolitik gegen Armut und soziale Ausgrenzung nicht zuletzt auf Reformmaßnahmen der Brüsseler Administration. Gerade die EU-Kommission leistete Prekarisierungs- und Pauperisierungsprozessen etwa durch die nach dem damaligen niederländischen EU-Kommissar Frits Bolkestein benannte Dienstleistungsrichtlinie systematisch Vorschub. Das europäische Sozialmodell befindet sich in einem tiefgreifenden Erosions- und Transformationsprozess, der als neoliberal zu bezeichnen ist, weil seine Träger der Standortlogik folgen und die Wettbewerbsfähigkeit des „eigenen" Wirtschaftsstandortes durch marktkonforme Strukturreformen zu steigern suchen.

Die auf einem EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am 23./24. März 2000 in der portugiesischen Hauptstadt verabredete „Lissabon-Strategie" sollte Europa befähigen, seinen Bürger(inne)n dadurch Wohlstand zu sichern, dass die US-Hegemonie auf dem Weltmarkt gebrochen und eine wissenschaftlich-technisch begründete Führungsrolle übernommen würde. Die umfassende „Modernisierung" und Anpassung der Sozialstaaten an Markterfordernisse bzw. mächtige Wirtschaftsinteressen galt als Verwirklichung des in Lissabon beschlossenen Ziels. Hatte der damaligen Ratspräsidentschaft noch das Ziel vorgeschwebt, die Armut bis 2010 zu „überwinden", so beschränkte sich der EU-Gipfel vom 7. bis 11. Dezember 2000 in Nizza bereits auf die Forderung, „die Beseitigung der Armut entscheidend voranzubringen." Statt bis zum Jahr 2010 wenigstens eine Halbierung der Armut zu erreichen, verzeichnete die EU ein weiteres Ansteigen der sozialen Ungleichheit. Sehr viel weniger ambitioniert fiel denn auch das entsprechende Kernziel im Rahmen der EU-Agenda 2020 aus. In der laufenden Dekade soll die Armut mittels einer „Leitinitiative" (z.B. „Maßnahmen zur Modernisierung und Intensivierung der Beschäftigungs- und Bildungspolitik sowie der sozialen Sicherung durch vermehrte Beteiligung am Arbeitsleben und den Abbau der strukturellen Arbeitslosigkeit sowie die Stärkung der sozialen Verantwortung der Unternehmen") nur mehr um ein Viertel, also immerhin noch ca. 20 Mio. Betroffene, verringert werden. Dass diese Marke nicht erreicht wird, zeigen die neuesten Zahlen: Mittlerweile sind sogar deutlich mehr, nämlich rund ein Viertel aller 500 Millionen EU-Bürger/innen, von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen. Hinzu kommt eine durch die Austeritätsprogramme der EU-Kommission im Rahmen ihrer „Euro-Rettungspolitik" forcierte sozialräumliche Spaltung Europas („Nord-Süd-Gefälle").

Maßgeblich beeinflusst wurde die Armutsentwicklung von der globalen Finanz-, der Weltwirtschafts- und der europäischen Währungskrise. Die staatlicherseits geförderte Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung bildete zugleich eine wichtige Krisenursache: Da die Reichen immer reicher und die Armen zahlreicher geworden sind, haben die spekulativen Anlagen auf den Finanzmärkten neue Rekordhöhen erreicht, während die zur Stärkung der Binnenkonjunktur in Krisenphasen nötige Massenkaufkraft fehlt. Ähnliches gilt für die Schuldenproblematik im Euro-Raum: Da die Bundesrepublik durch jahrzehntelange Reallohnsenkungen noch exportstärker geworden ist, haben andere EU-Länder, besonders die an der südlichen Peripherie gelegenen, ihr gegenüber so drastisch an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt, dass sie ihre wachsenden Importe über Kredite finanzieren mussten.

Die soziale Frage blieb umso mehr auf der Strecke, je stärker „Rettungsschirme" für die Banken und den Euro (genauer: die Kapitalanleger) ins Zentrum der Politik rückten. Mittlerweile beherrscht die Sorge um die Stabilität der europäischen Währung den öffentlichen Diskurs so einseitig, dass die soziale Gerechtigkeit unter die Räder zu geraten droht. Auf der politischen Agenda steht weniger, jedoch auch ein anderer Wohlfahrtsstaat. Zusammen mit dem Ab- findet ein Umbau des Sozialstaates statt. Es geht keineswegs um die Liquidation des Wohlfahrtsstaates, vielmehr um seine Reorganisation nach einem Konzept, das neben unzähligen Leistungskürzungen auch strukturelle Veränderungen wie die Reindividualisierung sozialer Risiken bzw. die (Teil-)Privatisierung der staatlichen Altersvorsorge, die Erhöhung des administrativen Kontrolldrucks und die drastische Ausweitung der Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Leistungsempfänger(inne)n beinhaltet.

Das karitative Engagement, die ehrenamtliche Tätigkeit in der „Bürger-" bzw. „Zivilgesellschaft", die wohltätigen Spenden sowie das Stiftungswesen haben offenbar gerade deshalb wieder Hochkonjunktur, weil man den Sozialstaat demontiert und dafür gesellschaftliche Ersatzinstitutionen braucht. Ginge es nach den neoliberalen Kräften innerhalb der EU, würden die meisten Bildungs-, Wissenschafts-, Kultur-, Umweltschutz-, Freizeit-, Sport- und Wohlfahrtseinrichtungen, kurz: fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens, die nicht hoheitlicher Natur sind, noch stärker als bisher vom Kommerz beherrscht bzw. von der Spendierfreude privater Unternehmen, Mäzene und Sponsoren abhängig gemacht. An die Stelle des Sozialstaates träte letztlich quasi ein Staat der Stifter, privaten Spender und Sponsoren. Mit etwas Sarkasmus kann man durchaus einen politischen Hintersinn darin erkennen, dass dem Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2011 das Europäische Jahr der Freiwilligenarbeit folgte.

TTIP und CETA – ein weiterer Angriff des Neoliberalismus auf das europäische Sozialmodell

Trotz der globalen Finanz-, Weltwirtschafts- und Währungskrise, die Europa nach dem Bankrott der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 mit voller Wucht traf, ist der Neoliberalismus keineswegs vom Untergang bedroht. Vielmehr wehrten sich führende Repräsentanten dieser Denkrichtung, kaum dass die Finanzmarktkrise ihr Konzept widerlegt und dessen Meinungsführerschaft in der Öffentlichkeit zumindest erschüttert, gegen angebliche Verteufelungsbemühungen und gingen zum argumentativen Entlastungsangriff bzw. zur ideologischen Gegenoffensive über. Statt nachhaltig Lehren aus dem Krisenfiasko zu ziehen, taten neoliberale Professoren, Publizisten und Politiker/innen so, als hätten sie immer schon prophezeit, dass die Blase an den Finanzmärkten irgendwann platzen werde. Die meisten Ideologen der Marktfreiheit wiesen jede Mitschuld am Banken- und Börsenkrach von sich, sprachen in Anlehnung an John Maynard Keynes zum Teil selbst vom „Kasinokapitalismus" (Hans-Werner Sinn) und erweckten damit den Eindruck, sie hätten womöglich eher als Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker/innen vor dessen schlimmen Auswüchsen gewarnt. Sehr geschickt nutzten prominente Neoliberale auch die TV-Talkshows und andere öffentliche Bühnen, um „der Politik" den Schwarzen Peter zuzuschieben. Entweder wurde das Desaster auf die Fehlentscheidungen einzelner Personen (Spitzenmanager, Investmentbanker) oder auf das Versagen des Staates und seiner Kontrollorgane (Politiker, Finanzaufsicht) reduziert.

Marktradikale, die nach dem Totalbankrott ihrer Liberalisierungs-, Deregulierungs- und Privatisierungskonzepte eigentlich in Sack und Asche hätten gehen müssen, gewannen politisch und ideologisch bald wieder Oberwasser. Tatsächlich waren sie nie gegen Staatsinterventionen ganz allgemein, sondern nur gegen solche, die Märkte, unternehmerische Freiheit und Profitmöglichkeiten beschränken. Demgegenüber waren selbst massive Eingriffe wie das praktisch über Nacht unter aktiver Mitwirkung von Spitzenvertretern des Bankenverbandes und der betroffenen Finanzinstitute geschnürte 480-Mrd.-Euro-Paket zur Rettung maroder Banken ausgesprochen erwünscht, sofern hierdurch die Börsen stabilisiert und die Gewinnaussichten der Unternehmen verbessert werden. Dabei handelt es sich um einen marktkonformen Staatsinterventionismus im Sinne der Monopolwirtschaft und privaten Großbanken, die selbst entsprechende Konzepte vorgeschlagen und teilweise gemeinsam mit den zuständigen Ministerien entwickelt haben. Kann man sich vorstellen, dass die für Herbst 2014 geplante Hartz-IV-Novellierung unter Mitwirkung von Arbeitslosenforen und Armutskonferenzen, also Initiativen direkt Betroffener, stattfinden würde?

Zwar befindet sich der Neoliberalismus in einer Legitimationskrise, seinen dominierenden Einfluss auf die Massenmedien und die öffentliche Meinung sowie die politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse hat er bisher jedoch weder hierzulande noch im Weltmaßstab eingebüßt. Obwohl die Finanzkrise von den angelsächsischen Musterländern einer „freien Marktwirtschaft" ausging, ist die neoliberale Hegemonie in der Bundesrepublik, der Europäischen Union und den USA ungebrochen. Angesichts leerer Staatskassen und zunehmender Überschuldung vor allem der Kommunen vermögen Konzepte wie das der Öffentlich-Privaten Partnerschaften (Public Private Partnership, PPP) im Zeichen der „Schuldenbremse" und des Fiskalpakts sogar größere Bedeutung zu gewinnen.

Enttäuscht wurde nicht bloß die Hoffnung auf einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik, sondern auch die Hoffnung auf das Ende der neoliberalen Vorherrschaft im Geistesleben. Noch findet die Auseinandersetzung damit zu wenig statt, wie auch die linken Alternativen bisher unzureichend entwickelt sind. Reichlich naiv wäre die Hoffnung, der Neoliberalismus hätte seine Macht über das Bewusstsein von Millionen Europäper(inne)n in Ost und West, Nord und Süd verloren, nur weil sie um ihr Erspartes fürchten und mit ihren Steuergeldern einmal mehr die Zeche für Spekulanten und Finanzjongleure zahlen müssen.

Ebenso wie die neoliberale Ideologieproduktion verzeichnen Börsen und Bankaktien einen rasanten Aufschwung. Längst boomt der Handel mit Derivaten und Zertifikaten wieder, und die Bonuszahlungen streben neuen Rekordmarken entgegen. Das für den Gegenwartskapitalismus kennzeichnende Kasino im Finanzmarktbereich wird nicht etwa – wie es z.B. die globalisierungskritische Organisation attac verlangt – geschlossen, sondern mit Steuergeldern saniert und modernisiert.

CETA und TTIP sind integraler Bestandteil eines globalen Projekts der Umgestaltung fast aller Gesellschaftsbereiche nach dem Vorbild des Marktes. Insofern sind sie auch ein Indiz dafür, dass sich die Neoliberalen wieder in der Offensive befinden. Die treibenden Kräfte hinter beiden Abkommen sind transnationale Industrie- und Handelskonzerne, deren Hauptziel die Abschaffung bzw. Absenkung von Lohn-, Sozial- und Umweltstandards diesseits wie jenseits des Atlantiks ist. Außerdem sind Großbanken, Fondsgesellschaften und Versicherungsunternehmen mit von der Partie, geht es doch nicht zuletzt um Finanzdienstleistungen. Unternehmerverbände, Lobbyeinrichtungen und neoliberale Denkfabriken (think tanks) wie die Bertelsmann Stiftung, der Eigeninteressen ihres Mutterhauses an CETA und TTIP im Medien- und Dienstleistungsbereich nachgesagt werden, dürfen natürlich ebenfalls nicht fehlen.

Zusammen mit den Verhandlungen zur Liberalisierung von Märkten im Rahmen der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) wie im Rahmen des von EU, USA und anderen Staaten geplanten Abkommens zum Handel mit Dienstleistungen (Trade in Services Agreement, TISA) symbolisieren CETA und TTIP den Siegeszug der neoliberalen Freihandelsideologie. Mit dem kapitalistischen Freihandel, der – wie sein Medium, der Gütermarkt – in aller Regel die Starken stärkt und die Schwachen schwächt, wächst zwangsläufig die soziale Ungleichheit. Wer die Freiheit und damit die politische und ökonomische Macht des hochkonzentrierten Kapitals mehrt, schränkt die Unabhängigkeit von Arbeitnehmer(inne)n, Betriebsräten und Gewerkschaften ein.

Neoliberale betrachten Steuern im Grunde als Diebstahl und die öffentliche Daseinsvorsorge als illegitimes Betätigungsfeld des Staates. Privatunternehmern wollen sie mehr profitträchtige Betätigungsmöglichkeiten verschaffen, Bürger/innen in sämtlichen Lebensbereichen zu Kund(inn)en machen. Ginge es ihnen um die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit, dürfte es keine Nivellierung von Schutzregelungen im Bildungs-, Beschäftigungs- und Sozialsystem nach unten geben. Genau das können die Freihandelsbefürworter mit den genannten Abkommen aber womöglich erreichen: Durch die Verträge wird einer Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und sozialer Risiken, die bisher staatlicherseits abgesichert waren, Tür und Tor geöffnet. In letzter Konsequenz bedeutet die Verabsolutierung von Markt, betriebswirtschaftlicher Effizienz und Konkurrenz das Ende des europäischen Sozialmodells. Wer öffentliche Unternehmen (z.B. Sparkassen, kommunale Energieversorger und Stadtwerke) schwächt, indem er ihnen die Geschäftsgrundlage raubt, erschüttert den Wohlfahrtsstaat in seinen Grundfesten, beschädigt das gesellschaftliche Zusammenleben und gefährdet den sozialen Frieden.

Auch wenn die EU-Kommission nach geharnischter Kritik aus den Mitgliedstaaten mehr Transparenz im Verhandlungsablauf ermöglichen sollte, bleibt der Verdacht bestehen, dass die europäische Öffentlichkeit durch die anfängliche Geheimniskrämerei hinters Licht geführt und über den fragwürdigen Inhalt der Abkommen hinweggetäuscht werden sollte. Während einflussreiche Unternehmerverbände und Wirtschaftslobbyisten vom Stand der Gespräche in Kenntnis gesetzt wurden, waren selbst Parlamentarier/innen, die abschließend über das Ergebnis befinden müssen, von entsprechenden Informationen weitgehend abgeschnitten.

All dies nährt den Verdacht, dass sich die Verhandlungsführer nicht vom Gemeinwohl, sondern von Kapitalverwertungs- und Gewinninteressen der Wirtschaft leiten lassen, was sowohl die Demokratie und den Rechtsstaat wie auch das europäische Sozialmodell bedroht. Denn je höher die Freiheit der Investoren gehängt wird, desto weniger Berücksichtigung finden erfahrungsgemäß die Bedürfnisse sozial Benachteiligter. Sogar dann, wenn Sektoren wie die Bildung, Kunst und Kultur, der Medienbereich oder die Wasserversorgung in den Verhandlungen ausgeklammert bleiben sollten, gerät die öffentliche Daseinsvorsorge insgesamt stärker unter Druck. Neoliberale wollen Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung und Müllentsorgung privatisieren bzw. kommerzialisieren. Kunst und Kultur sollen ebenfalls keine öffentlichen Güter mehr sein, auf die alle Wohnbürger/innen einen Anspruch haben, sondern Warencharakter annehmen, auf Märkten gehandelt werden und nur Begüterten uneingeschränkt zur Verfügung stehen.

Wenn es in den geplanten Abkommen um die Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse geht, droht eine Angleichung der die Arbeits- und Lebensbedingungen regelnden Gesetzesbestimmungen diesseits und jenseits des Atlantiks. Hinsichtlich der Nahrungsmittelsicherheit mögen Chlorhähnchen und Genfleisch für europäische Verbraucher/innen wenig erfreulich sein; von zentraler Bedeutung sind aber demokratische und soziale Grundrechte, die durchlöchert zu werden drohen, wenn CETA und TTIP in Kraft treten. Da die USA nur zwei von acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) ratifiziert haben, stehen die Koalitionsfreiheit, das Kollektivvertragssystem, das Prinzip des gleichen Lohns für Mann und Frau sowie das Verbot der Diskriminierung im Arbeitsleben wegen „Rasse", Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politische Meinung und nationaler bzw. sozialer Herkunft in einer transatlantischen Freihandelszone auch hierzulande womöglich noch stärker zur Disposition.

Falls nordamerikanische Konzerne, Großbanken und Fondsgesellschaften die EU-Staaten aufgrund eines Investitionsschutzabkommens vor privaten, mit Vertretern internationaler Anwaltskanzleien besetzten Schiedsstellen auf Schadensersatz verklagen können, nur weil sie argwöhnen, dass neue Mindestlohnregelungen bzw. -höhen, Arbeits- bzw. Kündigungsschutzgesetze, Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmer(inne)n und ihren Gewerkschaften oder großzügige Transferleistungen der Staaten ihre Profitaussichten schmälern, wird das europäische Sozialmodell im Kern getroffen. Müssen größere Beschaffungsmaßnahmen und die Bauaufträge von Bund, Ländern und Kommunen transatlantisch ausgeschrieben werden, ist eine per öffentlichen Vergaberichtlinien bzw. -gesetzen betriebene Beschäftigungs-, Regional-, Struktur- und Sozialpolitik, wie sie ansatzweise in großen Teilen Europas praktiziert wird, nicht mehr möglich.

Das europäische Sozialmodell, von der neoliberalen Reform- und Austeritätspolitik vergangener Jahre bereits arg geschleift, wird durch CETA und TTIP grundsätzlich in Frage gestellt. Weichenstellungen dieser Art sind eine Kampfansage an die Sozialsysteme der Vertragspartner, weil sie die Gefahr einer Nivellierung von Lohn-, Arbeitsrechts- und Sozialstandards nach unten in sich bergen. Wenn es der EU-Kommission gemeinsam mit ihren nordamerikanischen Verhandlungspartnern gelingt, die beiden Wirtschafts-, Freihandels- und Investitionsabkommen durchzusetzen, wäre damit eine herbe Niederlage für alle Kritiker/innen des Neoliberalismus, darunter zahlreiche Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften diesseits wie jenseits des Atlantiks, verbunden.

Solange die Marktfreiheit, der Freihandel und der Investitionsschutz im Mittelpunkt der europäischen wie der nordamerikanischen Politik stehen, nehmen soziale Ungleichheit, Armut und Reichtum hier wie dort zu. Darüber hinaus setzen CETA und TTIP neue Maßstäbe für eine Weltwirtschaftsordnung, in der kaum noch Platz für die Abweichung von und den Widerstand gegen Kapitalverwertungsinteressen, für wirksamen Arbeitsschutz, demokratische Rechte, rechtsstaatliche Prinzipien, hohe Sozial- und Umweltstandards sowie staatliche Souveränität bleibt. Beide Abkommen sind aus diesen Gründen jedoch geeignet, davon existenziell betroffene Menschen in den betroffenen Ländern politisch zu mobilisieren und größere Protestaktionen dieser Bürger/innen zu befördern.

 

Literatur

Butterwegge, Christoph/Lösch, Bettina/Ptak, Ralf: Kritik des Neoliberalismus, 2. Aufl. Wiesbaden 2008

Butterwegge, Christoph/Lösch, Bettina/Ptak, Ralf (Hg.): Neoliberalismus. Analysen und Alternativen, Wiesbaden 2008

Butterwegge, Christoph/Hentges, Gudrun (Hg.): Zuwanderung im Zeichen der Globalisierung. Migrations-, Integrations- und Minderheitenpolitik, 4. Aufl. Wiesbaden 2009

Butterwegge, Christoph: Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird, 3. Aufl. Frankfurt am Main/New York 2012

Butterwegge, Christoph: Krise und Zukunft des Sozialstaates, 5. Aufl. Wiesbaden 2014

 

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, geb. 1951, lehrt seit 1998 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln.

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Dienstag, 24. Juni 2014

--->>> Einführung des DRG-Systems den Anreiz schafft, Pflegepersonal abzubauen, haben Gesundheitsökonomen vorhergesagt

 
Abrechnung mit der Fallpauschale
 
[via Nachdenkseiten.de]
 
 
 

Seit vor zehn Jahren die Fallpauschalen eingeführt wurden, hat der damals ausgebrochene ökonomische Kampf die Kliniken verändert.
 
Um Kosten zu senken, haben Krankenhäuser vor allem zwei Strategien entwickelt: Abbau des Pflegepersonals; und Erhöhung der Patientenzahl bei Krankheiten, die im Fallpauschalen-System eine besonders hohe Gewinnmarge versprechen.
 
Das Ergebnis: Die Leistung folgt dem Geld. [...]

Dass die Einführung des DRG-Systems den Anreiz schafft, Pflegepersonal abzubauen, haben Gesundheitsökonomen vorhergesagt.
 
Doch sie wiesen zur Beruhigung auf die marktwirtschaftlichen Gesetze hin: Denn werde in einer Klinik zu viel an der Pflege gespart, dann suchten sich die Patienten einfach eine bessere Klinik. Klinikdirektoren, die nur auf ihren Gewinn starren, hätten so schnell das Nachsehen.

Kai Wehkamp: "Das ist ja das Mantra der Gesundheitswirtschaft, dass der Patient mündig ist und der Markt wird es regeln. Es gibt aber Aspekte, die ein Krankenhaus vom Verkauf von Schokoriegeln oder ähnlichem unterscheiden."

Den mündigen Patienten, der einfach die beste Klinik wählt und damit schlechte Kliniken unter Druck setzt, den kann es nur unter einer Voraussetzung geben: Wenn er weiß, welche Klinik objektiv gut ist und welche schlecht. Doch kann ein Patient das wissen?
 

Anmerkung unseres Leserin P.W.:

 

Obwohl die Risiken für die PatientInnen bereits seit langem bekannt sind, werden keine Schritte unternommen um die Situation zu verbessern.

Es gibt kein Fachpersonal mehr in der Pflege, da unter den Arbeitsbedingungen keiner über eine lange Zeit arbeiten kann.

Die Ausbildung liegt brach, da viele Kliniken ihre Pflegeschulen geschlossen haben aber auch, weil der Pflegeberuf auf Grund der schlechten Arbeitsbedingungen mittlerweile eine so schlechten Ruf hat, dass bei jungen Menschen nicht der Wunsch besteht, diesen Beruf zu erlernen.


In Deutschland kommt auf eine Pflegekraft 21 Patienten im Schnitt, in Norwegen nur 9 Patienten.
Die Gewerkschaft verdi fordert seit langem eine gesetzliche Personalbemessung in der Pflege.




--->>> Und die Medien sind bei der Fußballweltmeisterschaft dabei, Frau Merkel jubelt in Brasilien: Brot und Spiele, wie gehabt.

 
 
Restbestände der Demokratie in der Endspiel-Zeit – Politiker und Journalisten im Wahn ihrer Ideologie
 
[via Nachdenkseiten.de]
 
 
 

Und die Medien sind bei der Fußballweltmeisterschaft dabei, Frau Merkel jubelt in Brasilien: Brot und Spiele, wie gehabt. Auch der Adel und die Monarchien sind wieder en vogue. Ständig werden wir über die Majestäten und ihre untauglichen Abkömmlinge auf dem Laufenden gehalten.
 
Die Proteste Zehntausender Anti-Royalisten, zum Beispiel kürzlich gegen die Inthronisation des spanischen Infanten Felipe, werden beiläufig erwähnt. Aufstände in Bahrain oder in der Türkei sind kaum der Rede wert, Obama grinst in die Kamera. Dass viele Hoffnungen durch Morde an Politikern wie Patrice Lumumba, Salvador Allende oder Olof Palme zunichte gemacht wurden, ist lange vergessen.

Hofberichterstattung ist angesagt, auf allen Gebieten, die Bevölkerung wird abgelenkt, mit Halbwahrheit, Lügen und Hetze bombardiert. Wer nicht mitmacht, wer sich querstellt, wird fertiggemacht. Die Restauration marschiert und wir gucken erschüttert und von Tag zu Tag wütender zu. Was sollen wir tun? Was können wir? Ändert sich etwas, wenn wir protestieren?

Wir können nicht anders, wir müssen protestieren, um nicht schuldig zu werden. Obwohl wenig Hoffnung besteht, dass sich in absehbarer Zeit etwas zum Positiven ändert.
Quelle:
Hintergrund
 

Anmerkung WL:

Eine Wutrede des Schriftstellers Wolfgang Bittner.

 




Im ökonomischen Alltag ist v.d. Gemeinsamkeit, die da behauptet wird, nicht viel zu sehen. #Weltmeisterschaft des #Nationalismus

 
 
Kritik an der Weltmeisterschaft des Nationalismus
 

von Gruppen gegen Kapital und Nation

 

[via scharf-links.de]

 

http://scharf-links.de/45.0.html?&tx_ttnews[pointer]=2&tx_ttnews[tt_news]=45357&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=c45e77bf7a

 

 

Wenn im Sport die besten Spieler aus den bes- ten Mannschaften in einer speziellen Auswahl neu zusammengestellt werden und gegeneinander antreten, verspricht das für die Interessierten meist spannend zu werden. Man kann sich zurücklehnen und das sportliche Kunstwerk angucken oder sich entscheiden irgendwie Partei für eine der Mannschaften zu ergreifen.

Wie beim Wetten kann man dann ohne Geld zu verlieren mitfühlen, sich also bequem und unanstrengend ein wenig Nervenkitzel ins Leben holen. In den Höhen des Profisports, zumal beim Fußball, kann man weiter davon ausgehen, dass anders als im wirklichen Leben, die Verlierer im Konkurrenzwettbewerb nicht mit einem Hungerlohn oder Hartz IV nach Hause gehen. Mitleid mit den Spielern der WM, abgesehen davon dass diese stupid ihr ganzes Leben dem runden Leder unterordnen, kann man also haben, muss man aber wirklich nicht.

Wenn allerdings mal wieder die Nationalmannschaften in einem Turnier gegeneinander antreten und sowohl die Spieler, die Bürger, die Politik und die Werbung die Nationalfar- ben flächendeckend ausbreiten, dann steht viel mehr auf dem Spiel als die Kunst den Ball zu treten. Sie tragen dann ihre nationale Zusammengehörigkeit zur Schau, behaup- ten allesamt eine Gemeinsamkeit – hierzulande deutsch zu sein – und man entschließt sich nicht erst mit der deutschen Nationalelf mitzufiebern, sondern fiebert mit, weil die deutsche Elf doch nur stellvertretend für diejenige Gemeinschaft antritt, der man sich sowieso schon zugehörig fühlt.

Das Eintreten für die Nationalelf halten alle für eine Selbstverständlichkeit, und sofern man selber zum deutschen Kollektiv dazugerechnet wird, wird man am Kiosk oder bei der Arbeit genau mit dieser Selbstverständlichkeit angesprochen: „Den Amis haben wir es aber ganz schön gezeigt, wa?" Begegnet man dieser Frage mit Gleichgültigkeit („ist mir doch egal") oder aber sagt man frei raus, dass man für die Nationalelf nichts übrig hat, sind die Leute verwundert bis verärgert.
Sie vermuten einen übertrieben ernsten Umgang mit dem deutschen Nationalismus und selbst so mancher Linker sieht allenfalls anti-deutsche Reflexe bei denjenigen, die noch aus der total unschuldigen, weil bloß sportlichen Weltmeisterschaft einen Gegenstand politischer Auseinandersetzung machen wollen.

Warum soll man denn nicht für die Mannschaft des Landes sein, in dem man aufgewachsen ist?

Zunächst möchten wir einfach mal zurückfragen: Warum sollte man es denn sein? Weil „wir" angeblich dasselbe Blut in unseren Adern haben? Ein Schwachsinn sondergleichen, aber mal angenommen so wäre es: Warum sollte eine Eigenschaft der Biologie eine gesellschaftliche Einheit stiften? Und warum sollte man über eine Natureigenschaft in einen Jubel darüber ausbrechen nach dem Motto: „Juhu, wir haben alle fünf Finger und ich möchte aller Welt demonstrieren, dass ich für diese Gemeinsamkeit bin"?

Soll man für Deutschland sein, weil es seit mehr als einem Jahrhundert besteht (manche setzen da ja auch schon bei den germanischen Stämmen an)? Die Dauer des Ladens, in dem man lebt, soll Anlass für positive Gefühle hergeben? Warum denn? Soll man sich mit anderen als „wir" betrachten, weil der Staat manche Menschen mit einem Personalausweis ausgestattet hat und sie damit als seine Untertanen identifiziert? Weil man in einem Territorium geboren ist, deren Grenzen der Staat nach einigen Kriegen festgezogen hat? Die letzten beiden Punkte sind schließlich die einzigen tatsächlichen Gemeinsamkeiten, die so ein Volk hat. Ansonsten haben die Menschen hierzulande noch jede Menge Alltagssorgen, und der Großteil hat genau mit der Gemeinschaft zu tun, zu der sich so zugehörig fühlen, dass sie sich in ihre Fahnen kleiden wollen.

Von wegen Gemeinsamkeit! Für Nationalisten leider kein Problem...

Im ökonomischen Alltag ist von der Gemeinsamkeit, die da behauptet wird, nicht viel zu sehen.

Unternehmen versuchen die Löhne zu drücken, die Arbeitszeit zu verlängern und die Intensität in den Betrieben zu erhöhen, wenn sie nicht gleich die Leute wegen Rationalisierung entlassen. Vermieter wiederum versuchen möglichst hohe Mieten durchzudrücken und hier in Berlin kann man in manchen Bezirken gut beobachten wie dadurch sogar eine ganze Mieterschaft durch eine materiell besser ausgestattete ersetzt wird.

Diese Gegensätze sind dabei so alltäglich zu erfahren, dass man die Idee der großen Gemeinschaft mal wirklich in den Mülleimer schmeißen könnte.

Paradoxerweise sind aber genau diese Erfahrungen für Nationalisten gar kein Grund den Glauben an die große Gemeinschaft zu verlieren, sondern ständiger Anlass Elemente ausfindig zu machen, welche sich an der Gemeinschaft vergehen, die doch eigentlich vorhanden sei oder zumindest sein sollte. Sie schielen dabei auf den Staat, der doch mit seinen Gesetzen die Gegensätze so regeln soll, dass angebliche Egoisten nicht zum Zuge kommen und die Sache daher für alle positiv aufginge. Wieder so ein großer Irrsinn.

Die Gegensätze sollen gar nicht verschwinden, sondern man akzeptiert sie und findet sie sogar ganz gut, weil z.B. der Mensch angeblich so ein fauler Sack sei, dass er ohne Leistungszwang, der ihm durch andere Konkurrenten aufgenötigt wird, zu nichts komme.

Weiter wird der Nationalist geständig, dass seine schöne Gemeinschaft ohne einen großen Gewaltapparat mit Polizei und Justiz und Politikern, welche Gesetze beschließen, denen sich dann die Bürger zwangsweise unterordnen müssen, gar nicht auskommt.

Der wirkliche ökonomische Alltag strukturiert sich ja auch nicht deswegen so auffällig einheitlich, weil alle nur von Deutschland beseelt sind. Leute gehen Lohnarbeiten, weil sie sonst keine Einkommensquelle haben. Sie müssen sich auf Löhne einlassen, die vorne und hinten nicht reichen, weil alleine Unternehmen über diejenigen Geldmassen verfügen, die es ihnen erlauben, Land, Produktionsmittel, Wissenschaft und Leute einzukaufen, um darüber reicher zu werden. Der Staat mit seiner Gewalt sorgt über Eigentum und Gesetze dafür, dass den meisten Menschen nichts anderes übrig bleibt als sich diesen fremden Interessen dienstbar zu machen. Sie müssen sich von Betriebskalkulationen abhängig machen, in denen ihr Lohn ständig zu hoch ist und ihre Leistung gesundheitsschädlich strapaziert wird; mit dem Nebeneffekt, dass man in der Freizeit nicht nur zu wenig Geld hat, um sie zu gestalten, sondern auch noch zu kaputt ist, um das vielfältige Warenangebot genießen zu können. Gewalt und daraus abgeleitete Abhängigkeiten sind der Grund für den armseligen Alltag, den die meisten Leute genießen dürfen.

Nationalismus ist das Ja zur Herrschaft

Wenn anlässlich der WM lauter Autos, Balkone und Menschen sich in Plakatwände für die Nationalfarben verwandeln, dann verleihen die Untertanen ihrer positiven Einstellung zu dem ökonomischen und politischen Zwangszusammenhang, dem sie untergeordnet sind, Ausdruck. Unternehmen, von deren Kalkulationen sie abhängen, staatliche Institutionen, welche mit Gewalt die Regeln des Zusammenlebens vorschreiben, die Nachbarn und Leute, mit denen man sein ganzes Leben nichts zu tun haben wird, werden in der Nation als große Einheit zusammengedacht. Vom Staat, der die gewaltsame Klammer um die hiesige Konkurrenzgesellschaft ist, sind die Menschen abhängig gemacht. Sie aber besetzen diese Abhängigkeit vom Staat positiv und vollziehen in ihren Gefühlen die Erfolge und Misserfolge des Staates nach. Heutzutage anhand der Nationalelf, weil es vor allem darum geht, „wie unser Land sich repräsentiert." (Merkel, SZ, 07.06.2008)1

Der Nationalismus der Leute ist also keine Dummheit ohne Konsequenzen. Erstens machen sie damit ihr dauerhaftes Abmühen an den Konkurrenten und den Gesetzen des Staates auf einer abstrakten Ebene erst gangbar. Mit dem Glauben, dass alles an der richtigen Einstellung zum Großen und Ganzen, abhängt, gelingt es ihnen auf höherer Ebene jedem Scheiß, der ihnen passiert (z.B. Arbeitslosigkeit), noch einen Sinn für sich abzulauschen.2 Über die höheren Gesundheitskosten ärgert sich so jeder einzelne, weil noch mehr Belastung auf ihn zukommt. Dass aber Deutschland für einen selbst nur funktionieren kann, wenn alle sich ein wenig zurücknehmen, also Opfer bringen, nimmt so einer Gesundheitsreform die kritikable Spitze. Zweitens ist der Nationalismus für den Staat unverzichtbar, wenn er von seinen Bürgern ihr Leben verlangt. Im Krieg oder auch an der Heimatfront des Kampfes gegen den Terror ist der Nationalismus eine wichtige Stütze, wenn Untertanen aus eigener Überzeugung bereit sind, ihr Leben für das große Ganze aufs Spiel zu setzen.

Daran denkt wahrscheinlich keine besoffene Sau, die sich in Schwarz-Rot-Gold eingehüllt irgendwelchen Leuten auf der Fan-Meile in die Arme schmeißt. Der brutale Inhalt dessen, auf dem die Fußball-Fans gerade ihre große Party knüpfen, ist das schon.

Warum ausgerechnet ein Fußballtunier als Feier der Nation?

Wegen der tatsächlich vorhandenen Gegensätze im politischen und ökonomischen Leben, eignen sich Sportveranstaltungen für solche Demonstrationen der Einheit besonders, da hier das Ereignis selbst keine direkte materielle Auswirkung auf dieses Leben hat. Auch wenn die Bahn die Dauer der Bahncard als Werbetrick an gewonnene Spiele der Nationalelf knüpft, hängt vom Erfolg der Elf kein Arbeitsplatz und auch nicht der Krieg in Afghanistan ab. An jedem Gesetz aber, das die Politik beschließt, hat irgendein Anteil der Bevölkerung etwas auszusetzen. Von daher eignet sich z.B. eine Gesundheitsreform nicht, um die deutsche Einheit herauszukehren. Auch der Bericht über eine groß angelegte Rationalisierungsmaßnahme bei BMW oder Daimler zeugt nicht von Einheit und gibt Anlass zum gemeinsamen Jubeln.

Sportveranstaltungen illustrieren die Konkurrenz der Nationen und unterstellen sie als Selbstverständlichkeit

Nicht zuletzt findet aber die Nation zu ihrer Einheit immer noch am zielsichersten, wenn gegen die Anderen gekämpft werden muss und Geschlossenheit in den eigenen Reihen gefordert ist. Bei der WM oder ähnlichen Veranstaltungen treten Repräsentanten der Nationen gegeneinander an und mindestens ideell fühlt sich da jeder Bürger berufen, die eigene Mannschaft zu unterstützen und dies allen anderen zu zeigen.

Dass eine Weltmeisterschaft oder sonstige internationale Wettkämpfe nicht einfach in Volksbelustigung aufgehen, zeigt sich auch am folgenden Statement der Bundeskanzlerin:

„Auch wenn mir Fußball ziemlich gleichgültig wäre, würde ich einer EM oder WM im eigenen Land als Kanzlerin trotzdem die Ehre geben, ja sogar geben müssen, weil es auch darum geht, wie unser Land sich repräsentiert." (Merkel, SZ, 07.06.2008)

Die Agenten der Staaten, die ansonsten damit beschäftigt sind gegeneinander, um Handelsbedingungen und politische Einflusssphären zu streiten, die jeweils ihrem Standort auf Kosten des anderen zum Vorteil gereichen sollen, fühlen sich genötigt auf internationalen Sportveranstaltungen aufzutauchen.

Aus der blöden Gründungsidee der neuzeitlichen Olympiade, nach der weniger Kriege herrschen würden, wenn die Nationen ideell zum Konkurrenzkampf antreten würden, hat noch fast jedes Staatspersonal die Gelegenheit entnommen, auf internationalen Sportwettkämpfen könne die Größe der Nation ideell gut dargestellt werden. Klar ist, dass z.B. Frankreich nicht auf die Idee kommen wird, dass Deutschland keinen Krieg mehr führen könne, weil die deutsche Elf beim Fußball mal unterliegt. Aber wie ein großangelegtes neues Regierungsviertel die beanspruchte Größe des neuen Deutschlands ausdrücken soll, so halten die Regierenden aller Länder es für notwendig auch im Sport Anerkennung von den Konkurrenznationen einzusammeln.

Da fiebert der nationalistische Untertan mit und vollzieht gefühlsmäßig - in den Formen des Stolzes die gewonnene Ehre und in den Formen der Trauer bzw. des Ärgers die entgangene Ehre - die Staatenkonkurrenz auf der ideellen Ebene nach. Dass Staaten konkurrieren, dass es schwer um die Anerkennung durch die anderen Nationen ankommt, dass man sich von bestimmten Staaten, z.B. Russland, auch nichts zu sagen haben lassen muss, also eine Hierarchie von Über- und Unterordnung vorhanden ist, dass man diese Hierarchie auch letztendlich mit Krieg durchsetzen würde, das ist bei dieser Form der Völkerfreundschaft als Selbstverständlichkeit unterstellt.

Wegen der Staatenkonkurrenz um politische und ökonomische Macht, taugt auch die Unterscheidung von Patriotismus und Nationalismus nicht. Erster soll angeblich nur die Liebe zu den Seinigen sein, während letzterer sich gegen die Anderen richten würde. Die Liebe zum Vaterland schließt nun mal notwendig die Gegnerschaft gegen die anderen ein.

Auch das gehört zum brutalen Inhalt des erhofften neuen Sommermärchens.

Besonderheit in Deutschland: Die Freude über die ungezwungene Freude über die Nation

Wegen des verlorenen Krieges, hielten es die deutschen Nachkriegs-Politiker für angebracht, den Nationalismus nicht allzu vehement zur Schau zu stellen, ja sogar die Scham für die NS-Zeit zu einem Teilstück des deutschen Nationalismus zu machen. Damit sollte ein alternativer Weg zur Weltmacht eingeschlagen werden. Nicht gegen die sonstigen Weltmächte – wie Hitler – sollte die deutsche Nation groß gemacht werden, sondern mit Hilfe der westlichen Alliierten. Für diesen politischen Weg sahen sich deutsche Politiker gezwungen die ständige Läuterung als Moment des deutschen Nationalismus ins Feld zu führen. Was in anderen Ländern üblich ist, einfach ungebrochen stolz auf die Nation zu sein, wurde in der deutschen Öffentlichkeit zwar durchaus akzeptiert, aber immer mit einem kleinen Kommentar dazu, dass man selbstverständlich nicht übertreiben dürfe.

Seit der vollzogenen Vereinigung allerdings ist der öffentliche Diskurs ein wenig anders. Es wird behauptet, dass die Deutschen heutzutage in eine andere Richtung übertreiben würden, sich zu sehr schämen und verstecken würden, obwohl das so nicht nötig wäre. Relativ zu dieser Einschätzung wurde der WM-Taumel 2006 (das sogenannte „Sommermärchen") geradezu als Befreiungsschlag gesehen.

Zunächst ist zu bemerken, dass dieser Taumel gar nicht so einmalig war und das Bild, dass die Deutschen nie so recht ungezwungen ihr Deutsch-Sein gefeiert hätten, stimmt angesichts des Mauerfalls und der WM 1974 überhaupt nicht.

These: Der schräge Blick auf den tatsächlichen Nationalismus resultiert vielmehr aus den neuen Ansprüchen, die Deutschland gegenüber der Welt stellt, seit es mit der Vereinigung die Souveränität wiedererlangt hat.

1 Die Zitate stammen von vergangenen Meisterschaften.

2 „Süddeutsche Zeitung: Klinsmann wollte ‚der Welt zeigen, wer wir sind': Eben kein mutloses Volk, das über zweistellige Arbeitslosenquoten jammert und im Zeitalter der Globalisierung den Anschluss verpasst. Wie wichtig sind Siege im Fußball für den Nationalstolz?

Merkel: Wir haben gefeiert und uns gefreut, obwohl wir gar nicht Weltmeister, sondern Dritter geworden sind. Ich war über die großartige Stimmung in Deutschland sehr, sehr froh. Sie hatte eine wunderbare Leichtigkeit." (SZ, 07.06.2008)

www.gegen-kapital-und-nation.org/kritik-der-weltmeisterschaft-des-nationalismus


VON: GRUPPEN GEGEN KAPITAL UND NATION





--->>> Der #reale #Sozialfaschismus der "Sozialpartner" der #Bourgeoisie und #Aktionäre #heute [via scharf-links.de]

 
 
Der reale Sozialfaschismus der „Sozialpartner" der Bourgeoisie und Aktionäre heute
 

von Reinhold Schramm

 

[via scharf-links.de]

http://scharf-links.de/41.0.html?&tx_ttnews[pointer]=1&tx_ttnews[tt_news]=45422&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=8c848ef50a

 

 

Verfügten die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung »im Jahr 1998 über 45 Prozent des Nettovermögens, waren es im Jahr 2003 bereits 49 Prozent und im Jahr 2008 sogar 53 Prozent.«

»Dagegen musste sich die ärmere Hälfte der Bevölkerung [50 % der Bevölkerung] in den Jahren 1998 und 2003 mit drei Prozent und im Jahr 2008 mit ein Prozent begnügen.« [1]

Gerade vor diesem Hintergrund erscheint die Frage aufschlussreich, was aus den führenden Agenda-Akteuren geworden ist.

Die Quelleaussage im Jahr 2013:

»Dr. Heiko Geue, geistiger Ziehvater der Agenda 2010, leitet heute [2013] die Wahlkampagne und ist ein Vertrauter von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück; Dr. Frank-Walter Steinmeier, ihr verantwortlicher Architekt und früher Geues Vorgesetzter, ist heute [2013] Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Bundestag und hat Chancen, im Herbst 2013 wieder Außenminister [erfolg-reich] und Vizekanzler einer Großen Koalition zu werden; Wolfgang Clement, damals als einziger Fachminister im Kabinett Schröder/Fischer sowohl an Entstehung wie an Umsetzung der Reformagende beteiligt, übernahm den Vorsitz einer Denkfabrik der weltgrößten Leiharbeitsfirma Adecco und ist Aufsichtsratsmitglied der RWE Power AG, der Investmentgesellschaft Lahnstein, Middelhoff & Partners LLP und des russischen Beratungsunternehmens Energy Consulting; Peter Hartz war bis Juli 2005 Vorstandsmitglied der Volkswagen AG {...} Prof. Dr. Bert Rürup vermarktete ebenfalls wie Walter Riester seine Kenntnisse in jenem Wirtschaftszweig, dem er ein neues Geschäftsfeld eröffnet hatte, und gründete zusammen mit dem früheren AWD-Eigentümer Carsten Marschmeyer ein Finanzdienstleistungsunternehmen; Gerhard Schröder ist heute Aufsichtsratsvorsitzender von TNK-BP, einem russisch-britischen Energieunternehmen, und des Pipeline-Konsortiums Nordstream AG sowie Mitglied im Europa-Beirat der Rothschild-Investmentbank und Berater des Ringier-Verlages (Schweiz).«

[1] Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.): Lebenslagen in Deutschland. Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Bericht, Bonn März 2013, S. 465.

Quelle: Gerhard Schröders Agenda 2010. Zehn Jahre unsoziale Politik. Autor: Christoph Butterwegge. / ANALYSEN wird herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin.


VON: REINHOLD SCHRAMM




Donnerstag, 19. Juni 2014

vertiefend --->>> #Gauck .... Der richtige #Militärpräsident [via scharf-links] lesenswert!!!

 

 
 

Der richtige Militärpräsident
 

von Ullrich F.J. Mies

 

[via scharf-links.de]

 

http://scharf-links.de/40.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=43409&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=75814bcba8

 

 

„Joachim Gauck ist eine Zumutung für viele Deutsche. Er fordert die Bürger und den Staat auf, Verantwortung zu übernehmen. Genau deshalb ist er ein Glücksfall im höchsten Staatsamt", so lautet die Bildunterschrift eines am 18.03.2014 in der Süddeutschen-online von Thomas Drenkler veröffentlichten Artikels mit der Überschrift: Der richtige Präsident.

Einige Sätze weiter heisst es: „Selten zuvor wurde ein Kandidat mit soviel Zustimmung aus der Bevölkerung ins Amt getragen." Ja, was denn nun, Herr Drenkler, ist der Mann nun eine Zumutung oder schwebt er auf einer Zustimmungswolke der Bevölkerung? Dazu unten mehr.

Die Welle der Sympathie, die ihn ins Amt getragen habe, hätte auch bei Direktwahlen ein eindeutiges Ergebnis zu seinen Gunsten geliefert - und dies trotz seiner Eitelkeit und der Tatsache, dass er dem Volk nie nach dem Munde rede: „Er ist lieber ein Stachel im Fleisch, als dass er von jedem geliebt wird."

Ein toller, mutiger Mensch, dieser Gauck, möchte man meinen, er quatscht nicht jedem Toren nach dem Munde. Tatsächlich entlarvt sich sein vermeintliches Querdenkertum jedoch als staatstragende Camouflage einer präsidialen PR-Agentur: Gaucks Aufgabe ist weniger, Deutschland zu repräsentieren, seine vornehmliche Aufgabe ist es, Deutschland im Bewusstsein der Öffentlichkeit wieder wehrmachtsfähig zu machen und den wettbe- werbsbasierten Neoliberalismus nicht als das erscheinen zu lassen, was er ist: als das höchste und perverseste Stadium des Kapitalismus.

Aber ein Lohnschreiber der Konzernmedien, wie Drenkler, muss die Lage nicht nur anders darstellen, wenn er seine Zukunft im gleichgeschalteten Herrschafts-Medienunwesen gesichert sehen will. Er muss seiner Servilität durch Huldigungen und Lobpreisungen des Staatsrepräsentanten zum Ausdruck bringen: „Wenn Gaucks einzige Aufgabe gewesen wäre, dem Amt jene Würde zurückzugeben, die Wulff ihm genommen hatte, er hätte sie schon am ersten Tag im Amt erfüllt", jubelt Drenkler.

Schließlich gerät der Schreiber vollends ins Schwärmen:
„Sein Auftreten, seine Sprache, sein Alter - müsste ein Regisseur die Rolle des Bundespräsidenten besetzen, einen Besseren als Gauck würde er nicht finden."

Geht's noch, Herr Drenkler? möchte man fragen.

Wo der Schreiber Recht hat, da soll es ihm nicht genommen werden: Einen besseren Gauck könnte ein Regisseur nicht finden! Wie denn auch, den Gauck gibt es bekanntli- cher Weise nur einmal. Zum Glück, könnte man meinen. Wie wäre es statt dessen mit einem anderen, einem besseren Präsidenten, der zumindest den großen Teil der Bevöl- kerung in seinem Amt repräsentierte, der von jeglicher Repräsentanz in „unserem" Bundesparlament ausgeschlossen ist?

Tatsächlich sei Gauck, so Drenkler, mehr als das „Abziehbild eines großväterlichen Staatsoberhaupts", er sei in Wirklichkeit eine Zumutung und genau deshalb sei er der Richtige. Jetzt ist es raus, es kann losgehen.

Fassen wir zusammen:

Gauck glaubt

  • an die Menschen und ihre Fähigkeit zur „Selbstermächtigung",
  • daran, dass sie sich gern einlullen lassen und sich gerne zu schnell zufrieden geben, mit dem, was ist,
  • dass viele lieber zuwarten als zupacken,
  • dass die Wiedervereinigung Sinnbild für Aufbruch und Freiheit und ein Geschenk ist,

Gauck habe

  • auch „das Glück der Mitgestaltung einer demokratischen Gesellschaft erfahren",
  • etwas gegen Leute, die den Sozialstaat als Bank ansähen, um dort monatlich ihr Geld abzuholen,
  • etwas gegen Bittsteller, er wolle Bürger, die ihre Chancen wahrnähmen.

Aus all dem speise sich sein Staatsverständnis. Darum könne es nicht überraschtend gewesen sein, dass er auf der Münchener Sicherheitskonferenz gefordert habe, Deut- schland müsse sich „als guter Partner früher, entschiedener und substanzieller ein- bringen".

Nein, es war keineswegs überraschend, Herr Drenkler, es war vor dem Hintergrund des eingeschränkten Staatsverständnisses „unserer" präsidialen PR-Agentur logisch. Deutschland, d.h. seine bornierte Herrschaftskaste will nicht verstehen, was sie da fortwährend anrichtet:

Dass die „Banksterrettungen" unter anderem den sozialen und demokratischen Kahl- schlag zur Folge haben.

Und dass sie in völliger Verdrehung der Tatsachen die Opfer ihrer eigenen Politik auch noch verhöhnen.  Auch haben sich „unsere" Eliten in Sachen Ukraine und zuvor in der Causa NSA klar als US-Vasall „positioniert" und als Leitmacht der EU kriegsmäßig gegen Russland „aufgestellt".  Mal schauen, wohin das führt, wenn „unsere" Verantwortungs- träger außenpolitisch auf der Grundlage deutscher Arroganz & Herrlichkeit sowie „seiner wirtschaftlichen Größe und Macht" Verantwortung zeigen.

Auch das sei gemeint, wenn Gauck von Verantwortung spricht, so Drenkler. Wenn diese Art der „Verantwortung" nicht zum dritten Mal in Folge in der ganz großen Katastrophe endet. Hineingeschlittert - werden staatstragende Politanalysten und ihre geistig ver- nuttete Journaille dann schwadronieren - wie im Jahre 1914.

Von „unseren" Verantwortungsträgen ist nach Dekaden gemachter Erfahrungen nicht viel mehr als Verantwortungslosigkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Umwelt zu erwarten. Der Mehrheit der selbsternannten „Elite" fehlt es an Charakter, dafür nicht an Zynismus, wenn sie sich der westlichen Führungsmacht unterwerfen.

Drenkler lobt Gauck auch ausdrücklich dafür, dass er im April 2012 eine Reise in die Ukraine wegen der dortigen Menschenrechtsverletzungen abgesagt habe. Selbstverständlich kann es als ein mutiges Zeichen eines Präsidenten gedeutet werden, wenn er eine Reise absagt, um nicht in Kontakt mit Menschenrechtsverächtern kommen zu müssen.

Das, was so widerwärtig ist, sind allein die Doppelstandards, die „unsere" Politkastenan- gehörigen und deren präsidiale PR-Agentur an den Tag legen: Von Kontakt- scheu gegenüber den USA als weltweitem Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzer Nr. 1 wurde bislang noch nie berichtet. Die monströsen Verbrechen der westlichen Führungsmacht werden im ideologischen motivierten Medienkrieg des neu aufziehenden Kalten Krieges bewusst unter den Teppich gekehrt, ja gar nicht mehr erwähnt.

Für die herrschenden Politk-Hasardeure hat es die Überfälle auf die souveränen Staaten Irak, Libyen und die verbrecherische Unterstützung islamistischer Bürgerkrieger in Syrien offensichtlich nie gegeben. Das ist es, was Herrn Gauck so unerträglich macht. Das ist es, warum er für viele Deutsche, die den Kopf auch zum Nachdenken haben, eine absolute Zumutung ist: Es sind die verlogenen doppelten Standards, da steht er in einer Reihe mit Merkel, Steinmeier und den vollends auf den Hund gekommenen Grünen. Wer Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen als Jeton an den Spieltischen der Macht einsetzt, um die Öffentlichkeit zu manipulieren, gehört in gar kein Parlament, in kein Staatsamt.

Und wenn Gauck an den Gräbern derjenigen steht, die von Deutschen im Namen des nationalsozialistischen Weltbildes ermordet wurden, dann träten ihm die Tränen in die Augen, so Drenkler.

Nun weiss man nicht, ist das echt oder inszeniert. Denn wenn Herr Gauck wie zuletzt das nordgriechische Dorf Lyngiades besuchte, in dem am 3.10.1943 Wehrmachtsscher- gen allein an diesem Tag 83 Menschen meuchelten, und als Botschaft der deutschen Regierung allein seine Tränen mitbringt, so ist das entschieden zu wenig. Entschädigungszahlungen an die Nachkommen der griechischen Opfer hatte dieser Präsident nicht im Reisegepäck.

Das war auch nie vorgesehen von „unseren" Verantwortungsträgern, die von Verant- wortung und Trauer schwadronieren, wenn es besonders billig ist. Kälte, Geiz und Niedertracht dieser deutschen Regierung manifestieren sich ja nicht nur in diesem Kontext, ihre ganz aktuelle Politik der deutsch-gestützten Troika, die das griechische Volk zu Gunsten von Finanzkriminellen ins Mittelalter presst, bezeugt den wahren Charakter dieser Politiker und Politikerinnen.

Bei Herrn Gauck, der als Theologe offensichtlich über ein großes Glaubenspotenzial, da- für jedoch über ein recht eingeschränktes Analysepotenzial in Bezug auf ökonomische und gesellschaftliche Zusammenhänge verfügt, scheint einiges durcheinander zu gehen. Nicht, dass hier die Gedankenfaulheit der großen Mehrheit oder ihre politische Apathie gerechtfertigt würde.

Im Gegenteil. Das Fatale ist die versuchte Instrumentalisierung der Passivität der Mehr- heit durch die präsidiale PR-Agentur, um eben diese auf die Mühlen neuer militärischer Abenteuer zu lenken.


VON: ULLRICH F.J. MIES





vertiefend z.Businessdonnerstag -->> An der Spitze dieses "Klassenkampfs von oben" stehen "Initiative Neue Marktwirtschaft"... [Lesebefehl!!!]

 

 

Gerechtigkeit – Das „Institut der deutschen Wirtschaft" müsste

in den Medien jegliche Glaubwürdigkeit verloren haben

 
[via Nachdenkseiten]
 
 
 
 

Die neoliberalen Propagandaagenturen haben erkannt, dass das Thema „soziale Gerechtigkeit" zu einem für sie gefährlichen Feld im Wahlkampf werden könnte. Kein Wunder also, dass sich diese neoliberalen Speerspitzen der Manipulation der öffentlichen Meinung in Stellung bringen, um die Stimmungslage beim Stimmvolk zu wenden und die veröffentlichte Meinung auf ihre Seite zu ziehen oder wenigstens zu verunsichern.


An der Spitze dieses „Klassenkampfs von oben" stehen natürlich die Propagandaorganisation der Arbeitgeber, die „Initiative Neue Marktwirtschaft" (INSM) und deren „wissenschaftlicher Schreibtisch", das „Institut der deutschen Wirtschaft" (IW).
Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass es dem angeblich wissenschaftlichen IW um nichts anderes geht, als um Propaganda für die politischen Interessen der Arbeitgeberverbände, dann ist er mit dieser aktuellen Pressekampagne geliefert.


Wer in den Medien bereit ist, auch nur einen kritischen Blick auf diese Veröffentlichungen des IW zu werfen, der dürfte als verantwortlicher Redakteur den Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, nie wieder zitieren oder vor die Kamera holen.


Spätestens mit dieser Pressekampagne müsste das IW und zumal ihr omnipräsenter Direktor für jeden einigermaßen unvoreingenommenen Beobachter jede Glaubwürdigkeit verloren haben.

Von Wolfgang Lieb

Die neoliberalen Propagandaagenturen haben erkannt, dass das Thema „soziale Gerechtigkeit" zu einem für sie gefährlichen Feld im Wahlkampf werden könnte.
Nach einer jüngsten Umfrage des konservativ ausgerichteten Allensbach Instituts empfinden nämlich 70 Prozent der Deutschen eine Gerechtigkeitslücke bei uns im Lande und fast genauso viele Menschen meinen, dass Einkommen und Vermögen nicht gerecht verteilt sind und dass die Ungerechtigkeit im Lande in den letzten Jahren zugenommen hat. 60% der befragten Bevölkerung sagen, dass sie von dem ständig behaupteten großartigen Wirtschaftswachstum nicht profitierten.

Wahlanalysen der Landtagswahl in Niedersachsen haben gezeigt, dass Thema „soziale Gerechtigkeit" offenbar eine viel größere Wichtigkeit für die Menschen hat, als das üblicherweise öffentlich thematisiert wird. Das Gefühl, dass es in unserm Land ungerecht zugeht, konnte offenbar auch einem populären Amtsinhaber den Wahlsieg kosten. Das soll und darf nach dem Willen der Arbeitgeber, der Kanzlerin nicht passieren.

Kein Wunder also, dass sie ihre Speerspitzen der Manipulation der öffentlichen Meinung in Stellung bringen, um die Stimmungslage beim Stimmvolk zu wenden und die veröffentlichte Meinung auf ihre Seite zu ziehen oder zumindest zu verunsichern. An der Spitze dieses „Klassenkampfs von oben" stehen natürlich die wichtigste Propagandaorganisation der Arbeitgeber, die „Initiative Neue Marktwirtschaft" (INSM) und deren „wissenschaftlicher Schreibtisch", das „Institut der deutschen Wirtschaft" (IW).

INSM startet eine Wahlkampagne des „Großen Geldes"

Die INSM preschte mit einer Anzeigenkampagne „Gerechtigkeit 2013" vor. Bei acht Gerechtigkeitsthemen soll mit Anzeigen und Plakaten Meinungsmache im Sinne der Arbeitgeber betrieben werden.

Da wird dann die verbreitete Kritik an der bestehenden Einkommens- und Verteilungsungerechtigkeit umgeleitet in das vage Zukunftsversprechen von mehr „Chancengerechtigkeit". Da soll der Zorn über die dramatisch gesunkenen Steuern für Unternehmen und Vermögensbesitzer umgelenkt werden auf die Lohnempfänger betreffende „kalte Progression" der Lohnsteuerzahler. Da wird mit manipulierten Umfragen gegen die Wiedereinführung der Vermögensteuer oder gegen eine Reform der Erbschaftssteuer angegangen. Und natürlich wird über den Mindestlohn als Arbeitsplatzvernichter hergezogen. Es wird die Facharbeiterschaft gegen die Studiengebührenfreiheit aufgewiegelt und der kalte Kaffee nochmals aufgewärmt, wonach angeblich die Verkäuferin das Studium ihres zukünftigen Chefs bezahle (Siehe zu diesem Ablenkungsmanöver vor einer größeren Steuergerechtigkeit z.B. hier). Natürlich wird wieder einmal der demografische Wandel als Hebel zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit eingesetzt. (Siehe dazu auch zum sog. Demografie-Gipfel) Nicht fehlen darf natürlich die Behauptung, dass die Agenda 2010 über 2 Millionen Arbeitsplätze entstehen ließ. (Siehe zur Widerlegung dieser Behauptung hier)
Kurz: Es handelt sich mal wieder um eine Wahlkampagne des „Großen Geldes" mit der Stimmen für den Machterhalt der derzeitigen Regierung „gekauft" werden sollen.

Das „Institut der deutschen Wirtschaft" zieht mit einer Pressekampagne nach

Mit einer Pressekampagne zog nun vor wenigen Tagen das arbeitgeberfinanzierte „Institut der deutschen Wirtschaft" (IW), belegt mit mehreren „Studien" nach. Über die Pressematerialien wurden natürlich brav von alle wichtigen Medien reportiert – natürlich ohne dass man sie vorher gründlich überprüfen konnte. Wenn man das Medienecho wahrnimmt, ist die PR-Maßnahme erfolgreich.

Die bislang von allen Untersuchungen gestützte Feststellung, dass Einkommen und Vermögen zunehmend ungleich verteilt seien, sei „nicht haltbar". Diese Botschaft verbreiteten die Mietmäuler der Arbeitgeberverbände, angeblich belegt durch zahlreiche Einzelstudien und Statements, am 13. Mai der erstaunten Öffentlichkeit.

Alle anderen und widersprechenden Befunde werden also für falsch erklärt.

Die selbst im geschönten regierungsoffiziellen Armuts-Reichtumsbericht nicht bestreitbare Feststellung, dass die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung nur über gut ein Prozent des gesamten Nettovermögens verfügen, während die vermögensstärksten zehn Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesamten Nettovermögens auf sich vereinen, und dass der Anteil des obersten Dezils im Zeitverlauf immer weiter angestiegen ist, soll also „nicht haltbar" sein?

Die Grafik des Statistischen Bundesamtes also eine Irreführung der Öffentlichkeit?

Verteilung des Privatvermögens in Deutschland

Der Bericht „Divided we Stand – Why Ineqality Keeps Rising" der gewiss wirtschaftsfreundlichen OECD aus dem Jahre 2011, dass „in Deutschland (…) die Einkommensungleichheit seit 1990 erheblich stärker gewachsen als in den meisten anderen OECD-Ländern", soll wohl nur ein Propagandastück sozialistischer Umverteilungsideologen sein?

Entwicklung der Einkommensungleichheit

Entwicklung der Einkommensarmut

Quelle: OECD [PDF - 250 KB]

Soziale Ungleichheit in der OECD nimmt zu

Quelle: OECD 2011

Oder hat etwa das DIW – um nur eines der Forschungsinstitute zu nennen, das eine signifikante Zunahme der Ungleichheit auf einem historischen Höchststand beobachtet hat – dasselbe statistische Material nur falsch ausgewertet?

Entwicklung des Gini-Koeffizienten und der Armutsrisikoquote in Deutschland

Quelle: DIW [PDF - 90 KB]

Wie erklärt sich nun, dass das IW bei einigen ausgewählten Indikatoren der sozialen Gerechtigkeit, der Verteilung und der sozialen Mobilität zu so vollkommen anderen Ergebnissen kommt, als nahezu alle anderen Studien, die sich mit diesen Themen auseinandersetzten?

Wie bei jeder sozialwissenschaftlichen Studie hängen deren Ergebnisse, von der Fragestellung, von den herangezogenen statistischen Grundlagen, von der Methodik der Auswertung der Daten und natürlich von der Bewertung der Befunde ab.

Das IW behauptet: „Die Umverteilung in Deutschland funktioniert"

Da fällt bei den im Internet zugänglichen Materialien und Studien zunächst einmal auf, dass nirgendwo und schon gar nicht in den Pressestatements die derzeit schon vorhandene Vermögensverteilung eine Rolle spielt. Es geht hauptsächlich nur um die Verteilung der laufenden Einkommen über einen Zeitabschnitt.

Wie ungleich jedoch die Verteilung des Nettogesamtvermögens ist, wird in der folgenden Grafik abgebildet:

Vermögensverteilung in Deutschland

Quelle: Jens Berger

Jens Berger kommt in seinem Artikel „Was hat es mit der Spreizung der Vermögensschere und der Steigerung der Kapitaleinkommen auf sich?" zu folgendem Fazit:

„Die Auswertung, wie sich dieses Vermögen verteilt, ist erschreckend. Die oberen 0,1% der Vermögensskala besitzen 22,5% des Nettovermögens, die oberen 0,5% besitzen 31,2%, das obere Prozent 35,7%, die oberen 2,5% 44,7% und die oberen 7,5% bereits 61,0% des Nettovermögens. Auf der anderen Seite der Skala besitzen die unteren 50% gerade einmal 1,4% des gesamten Nettovermögens."

Das IW lässt diese ungleiche Vermögensverteilung nahezu komplett außen vor. Einzig mit der Verteilung des Immobilienvermögens beschäftigt sich eine Studie von Tim Calmor und Ralph Hegener.

Die Autoren kommen zu folgendem Fazit:

„Das private Immobilienvermögen in Deutschland verdoppelte sich in den vergangenen 20 Jahren auf 6 Billionen Euro. Mit gut der Hälfte am Privatvermögen stellt es weiterhin die wichtigste Anlageklasse dar. Das Immobilienvermögen ist analog zu anderen Vermögenspositionen ungleich zwischen Gering- und Gutverdienenden, Alten und Jungen, Erwerbs- und Nichterwerbstätigen sowie zwischen Westdeutschland und Ostdeutschland verteilt. Rund die Hälfte der Bevölkerung verfügt über Haus- und Grundbesitz. Das reichste Fünftel besitzt 75 Prozent des Immobilienvermögens. In den letzten Jahren war keine merkliche Veränderung der Verteilung zu erkennen."

(Vgl. IW-Trends zum Download hier)

Selbst dieser nun selbst ermittelte Befund, dass das reichste Fünftel 75 % des Immobilienvermögens besitzt, bleibt aber natürlich im Pressestatement des IW-Direktors Hüther unerwähnt.

Dass die Autoren beim Immobilienvermögen in den letzten Jahren keine merkliche Veränderung eingetreten ist, spricht jedenfalls nicht dagegen, „Einkommen und Vermögen" ungleich verteilt blieben und nach wie vor sind.

Hüther behauptet vielmehr die Umverteilung in Deutschland funktioniere. Im unteren Einkommensbereich bestehe das Nettoeinkommen zu über 60 Prozent aus Transferleistungen.

Auf einen solchen Prozentsatz kann man nur kommen, wenn man die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung, die staatlichen Pensionen, das Kindergeld, das Elterngeld, das Arbeitslosengeld I und II bzw. das Sozialgeld und andere Leistungen addiert. Und natürlich rechnet das IW die Rentenzahlungen oder das Arbeitslosengeld I zu den „staatlichen Transferleistungen", obwohl sie umlage- oder beitragsfinanziert sind. Bei einem umlagefinanzierten System entspricht das in etwa der absurden Rechenmethode, dass man bei Sparkonten ausschließlich errechnen würde, welche Summe von den Konten abgehoben werden, ohne gleichzeitig gegenzurechnen, wie viel von anderen Sparern (also bei der Rente oder beim Arbeitslosengeld I von den Lohnempfängern) gleichzeitig wieder auf die Sparkonten einbezahlt wird. Die gesetzliche Rentenversicherung finanziert sich z.B. zu 74% aus Beiträgen und zu 26% aus staatlichen Zuschüssen (wobei die Zuschüsse überwiegend für versicherungsfremde Leistungen bezahlt werden).

Der Hinweis, dass Deutschland auf Platz 6 jener Länder liege, in denen die unteren Einkommensbereiche am meisten von den staatlichen Transferleistungen profitieren, sagt über die steigende Ungleichheit in Deutschland nichts oder nur wenig aus. Die umverteilende Wirkung solcher Transfersysteme ist zwar in Deutschland relativ groß: Im Jahr 2008 verminderten Steuern und Transfers die Ungleichheit hierzulande um knapp 29 Prozent, verglichen mit 25 Prozent im OECD-Mittel.

Ausgleich durch Steuern und Transfers

Quelle: OECD

Aber im OECD-Bericht heißt es dazu zurückhaltend:

„Komplett verhindern konnte das deutsche Steuer- und Transfersystem das Auseinanderdriften von Arm und Reich allerdings nicht. Erstens verringerte sich der Umverteilungseffekt von Steuern und Sozialleistungen seit dem Jahr 2000 um vier Prozentpunkte, und zweitens gingen Unterstützungsleistungen, wie zum Beispiel Arbeitslosengeld, merklich zurück (wenngleich das Niveau im internationalen Vergleich weiterhin relativ hoch ist)."

Und dieses Auseinanderdriften erklärt die OECD wie folgt:

„Die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich geht vor allem auf die Entwicklung der Löhne und Gehälter zurück. Diese machen etwa 75 Prozent des Haushaltseinkommens aus. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Lohnschere zwischen den obersten und untersten zehn Prozent der Vollzeitarbeitenden um ein Fünftel erweitert. Aber auch zunehmende Teilzeitbeschäftigung ist ein Faktor, der zur Einkommensungleichheit beiträgt: Seit 1984 ist der Anteil der Teilzeitarbeiter in Deutschland von 11 auf 22 Prozent gestiegen, das heißt von knapp drei auf mehr als acht Millionen Menschen. Häufig handelt es sich hierbei um Frauen, die noch immer weniger Lohn erhalten als ihre männlichen Kollegen. Hinzu kommt eine Veränderung von Arbeitszeiten: Kamen deutsche Geringverdiener vor 20 Jahren im Durchschnitt noch auf 1000 Arbeitsstunden pro Jahr, so hat sich ihre Arbeitszeit jetzt auf 900 Stunden reduziert. Menschen aus den oberen Einkommensklassen hingegen arbeiten weiterhin rund 2250 Stunden pro Jahr."

Auch über diese Kluft bei den Löhnen und beim Einkommen schweigt sich das IW aus.
(Siehe dazu auch oder das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK))

Einkommen: Die untere Hälfte abgehängt

Quelle: IMK

Dass die Lohnquote von 72,1 % im Jahre 2000 (nachdem sie 2007 gar nur auf 63,2 % gesunken war) bis 2012 auf 68,1% gesunken ist, die Gewinnquote jedoch von 27,9 % auf über 31 % gestiegen ist [PDF - 105 KB], bleibt vom IW unerwähnt.

Ein wenig (bitteren) Honig saugen könnte das IW ausschließlich daraus, dass die Markteinkommen aus Arbeit und Kapital in den letzten Jahren leicht anstiegen, dass die relative Armut ein klein wenig zurückgegangen und der sog. Gini Koeffizient einen winzigen Bruchteil gesunken ist. Das Verhältnis der Durchschnittseinkommen der oberen 10 % zum Durchschnittseinkommen der unteren 10 % klafft jedoch nach wie vor weit auseinander.
Dass die Vermögenden in der Finanzkrise leichte Einbußen hinnehmen mussten, ändert nichts daran, dass in Deutschland die Einkommensungleichheit für Markt- und verfügbare Einkommen auf Vorkrisenniveau verharrte, das Vermögen jedoch weiter angestiegen ist und zwar ungleich.

Daraus jedoch den Schluss zu ziehen die Ungleichverteilung sei ein „Mythos" ist eine glatte Täuschung.

Das IW behauptet: „Die Staatseinnahmen folgen weitgehend der Leistungsfähigkeit"

Als Zweites weist Hüther darauf hin, dass die Staatseinnahmen „weitgehend der Leistungsfähigkeit" folge. Wieder wird hier nur auf die Einkommensteuer und die Mehrwertsteuer abgestellt. Die veranlagte Einkommensteuer, die Körperschaftssteuer, die Steuern auf Kapitaleinkünfte oder die Gewerbesteuer, die nun gerade in den letzten Jahren deutlich gesenkt worden sind (siehe unten stehende Grafik), bleiben außen vor.

Aufkommen verschiedener Steuern als Anteil am Gesamt-Steueraufkommen, 1961 und 2011, Deutschland. Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnung und Darstellung.

Quelle: annotazioni

Dazu muss man wissen, dass die Lohnsteuer im Jahr 2012 mit 149.064.613 Tausend Euro der gesamten Steuereinnahmen in Höhe von 551.784.950 TSd. Euro nur 27 %, also nur ein gutes Viertel ausmacht. Selbst wenn man die veranlagte Einkommensteuer mit 37.262.402 Tsd. Euro zur Lohnsteuer addiert, macht die gesamte Einkommensteuer gerade ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen aus.

Den größten Batzen der Steuereinnahmen macht übrigens die Umsatzsteuer (Mehrwertsteuer) aus, nämlich 194.634.876 Tsd. Euro. Diese indirekte Steuer belastet alle Einkommensbezieher vom Hartz IV-Empfänger bis zum Spitzenverdiener und Vermögensmilliardär gleich. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass niedrigere Einkommensbezieher einen viel höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens (mehrwertsteuerpflichtig) konsumieren als die „Bestverdiener". D.h. gemessen am Gesamtsteueraufkommen wird der Umverteilungseffekt bei der Einkommensteuer weitgehend über die indirekten Steuer weitgehend wieder aufgefangen.

Die Körperschaftssteuer trägt mit 16.934.457 Tsd. Euro gerade mal 3 % zu den gesamten Steuereinnahmen bei, die nichtveranlagten Steuern vom Ertrag mit 20.059.468 Tsd. Euro rd. 3,6 % und die Abgeltungssteuer von den Zinserträgen mit 8.234.069 Tsd. Euro nur noch 1,5%.

Man sollte sich nur das einmal vor Augen halten: Die Körperschaftssteuer (16.934.457 Tsd. Euro), also die Steuer auf das Einkommen von juristischen Personen, in der Regel also von Unternehmen liegt etwas über den Steuereinnahmen über die Tabaksteuer (14.143.447 Tsd. Euro).

Eine Vermögensteuer wird seit dem Jahr 2000 überhaupt nicht mehr erhoben und für Kapitaleinkünfte gilt ein pauschaler Steuersatz von 25% während auf Arbeitseinkünfte bis zu 45% Steuern erhoben werden. Auch die Erbschaftssteuer ist nur ein winziger Restposten.
Quelle: Bundesfinanzministerium [PDF - 40 KB]

Das alleinige Abstellen des IW auf die umverteilende Wirkung der Einkommensteuer und der für alle gleiche Mehrwertsteuer ist also ein sehr selektiver Blick. Die Aussage, dass die Staatseinnahmen der Leistungsfähigkeit folgten, ist jedenfalls im Hinblick auf die Verteilungsgerechtigkeit somit eine grobe Irreführung.

Das IW sagt: Die Armutsquoten liegen im oberen Mittelfeld

Weiter wird vom IW verharmlosend darauf hingewiesen, dass die Armutsquoten im europäischen Vergleich „im oberen Mittelfeld" lägen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass in Deutschland knapp 9 % der Menschen in relativer Armut leben.

Ist es eine Erfolgsmeldung, dass das „reiche" Deutschland nur knapp unter dem OECD-Durchschnitt von 11,3 % liegt?

Es ist im Übrigen eine sehr selektive Betrachtung nur auf die Armutsquote abzustellen. Nach den jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamtes gelten 15,8 % der Bevölkerung, also jeder Sechste in Deutschland als armutsgefährdet gilt. EU-weit waren es nur geringfügig mehr Menschen, die armutsgefährdet sind, nämlich 16,9%.

Im aufwändig gestalteten Begleitmaterial im Internetauftritt „arm und reich" des IW darf dann auch noch der Kuratoriumsvorsitzende der INSM und ehemalige „Superminister" Wolfgang Clement per Video ran und in seiner typisch agitatorischen Manier, Armut als ein „statistisches Problem" abtun. Dass Clement nur noch ein geifernder Agitator ist und nicht einmal verstanden hat, was ihm vorgesagt wird, beweist er einmal mehr damit, dass er in seinem Video-Statement – fälschlicherweise – die Armutsgrenze an 60 Prozent des Durchschnittseinkommens, statt wie statistisch korrekt am Medianeinkommen misst. (Siehe zu dieser Unterscheidung etwa hier)
Was Clement als absurd bezeichnet, zeigt nur wie absurd seine Einlassung selbst ist.

Das IW behauptet: Arbeitsplätze helfen, Armut zu vermeiden

Es ist klar, dass das Arbeitgeberinstitut auf das Loblied der Bundesregierung mit Blick auf den (wohlgemerkt) statistischen Rückgang der Arbeitslosigkeit und auf das angebliche Rekordhoch bei der Anzahl der Erwerbstätigen singt.

Was das Arbeitgeberinstitut natürlich nicht erwähnt, das ist die Tatsache, dass sich das Arbeitsvolumen der beschäftigten Arbeitnehmer seit dem Jahr 2000 mit 48.650 Mio. Stunden bis 2012 mit 48.814 Mio. Stunden im Jahr 2012 kaum verändert hat [PDF - 105 KB].

Das heißt konkret, dass sich die Arbeit unter der steigenden Zahl der Erwerbstätigen nur anders verteilt hat. Nur noch die Hälfte der Arbeitnehmer ist in Vollzeit tätig [PDF - 440 KB]. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung meldete im März, dass von 2005 bis 2012 die Vollzeitbeschäftigung um 4,2 %, die Teilzeitbeschäftigung jedoch um das Dreifache, nämlich um 12,7 % zugenommen hat.

Dann wird vom IW noch behauptet, dass der Anteil von Niedriglohnbeschäftigten seit 2007 stagniere. Das Statistische Bundesamt teilt in seiner jüngsten Statistik vom September 2012 dagegen mit: Der „Anteil der Beschäftigten mit Niedriglohn ist gestiegen"; ein langfristiger Trend setze sich fort.

Es ist und bleibt ein gesellschaftspolitischer Skandal, dass bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern fast ein Drittel der Beschäftigten einen Niedriglohn (31,0 %) erhielt. Besonders hoch war 2010 der Anteil von Beschäftigten mit Niedriglohn bei Taxifahrer/-innen (87,0 %), Friseurinnen und Friseuren (85,6 %) und im Reinigungsgewerbe (81,5 %). Aber auch in Restaurants, Cafés und Gaststätten (77,3 %), in Wäschereien und chemischen Reinigungen (73,6 %) sowie in Kinos (73,5 %) gab es besonders viele Beschäftigte mit Niedriglohn.

Zudem wird vom IW weiter behauptet, dass Niedriglohnbeschäftigung nicht gleichbedeutend mit Armut sei, immerhin hätten Beschäftigte im Niedriglohnbereich mit rund 17 % eine geringere Armutsgefährdungsquote als Nicht-Erwerbstätige.

Den Vergleich der Armutsgefährdung von Niedriglöhnern etwa mit Arbeitslosen kann man eigentlich nur als zynisch bezeichnen.

Schließlich behauptet das IW noch, dass es nicht stimme, dass immer mehr Vollzeitbeschäftigte von ihrer Arbeit nicht leben konnten. Die Anzahl der Aufstocker sei in den vergangenen Jahren um 50.000 auf 290.000 (2011) zurückgegangen.

Es ist schon nur die halbe Wahrheit, wenn man die Aufstocker nur auf die Vollzeitbeschäftigten bezieht. Ja, die Zahl der vollzeitbeschäftigten Aufstocker ist etwas zurückgegangen. Dass das damit zu tun haben könnte, dass in einigen Branchen inzwischen Mindestlöhne eingeführt worden sind, wird natürlich geleugnet, da das IW sowieso gegen Mindestlöhne eintritt.

Was aber diese halbe Wahrheit zu einer ganzen Lüge macht, ist die Tatsache, die Zahl der Hilfeempfänger in sozialversicherter Teilzeit gegenläufig anstieg. Will das IW sagen, dass diese Aufstocker alle freiwillig nur Teilzeit arbeiten?

Mitte 2011 gab es 570.000 Beschäftigte, die einen sozialversicherten Job ausübten und Sozialbeiträge zahlten, von ihrer Arbeit nicht leben konnten und auf Hartz IV angewiesen waren. Nimmt man noch die geringfügig Beschäftigten oder "Selbstständigen" hinzu, so erhöht sich die Zahl der erwerbstätigen Hartz-IV-Bezieher auf 1,36 Millionen [PDF - 470 KB].

Siehe dazu folgende Grafik:

Erwerbstätige ALG II-Empfänger 2007 - 2012

Quelle: Sozialpolitik aktuell [PDF - 130 KB]

Über die Ausweitung der Leiharbeit die bis zu 40 Prozent unter dem Tariflohn verdienen schweigt sich das IW gänzlich aus.

Entwicklung der Leiharbeit in Deutschland seit 1996

Quelle: DGB

Das IW behauptet: „Ein gesetzlicher Mindestlohn ist kein Instrument der Armutsbekämpfung"

Richtig ist die Argumentation des IW, dass die Einführung einer Lohnuntergrenze in Höhe von 8,50 Euro kein effizientes Instrument der Armutsbekämpfung darstellt. Dazu ist dieser Betrag auch schlicht zu niedrig. Aber dass der Mindestlohn ein effektives Instrument zur Armutsbekämpfung sei, behauptet auch kaum jemand. Es ist bestenfalls ein Instrument, um der Lohndrückerei nach unten eine Grenze zu setzen.

Dass die Arbeitgeberseite gegen den gesetzlichen Mindestlohn ist, das ist bekannt, dass auch alle praktischen Gegenbeispiele, dass ein Mindestlohn eben keine negative Beschäftigungseffekte haben muss, geleugnet werden auch. Dazu haben wir uns auf den NachDenkSeiten schon in vielen Beiträgen beschäftigt.
(Siehe dazu aktuelle Forschungsergebnisse zum Mindestlohn)

Das IW sagt: „Die Lohnmobilität ist stabil, die Einkommensmobilität aber leicht rückläufig"

Einmal abgesehen, dass die Autoren dieser Studie einen zweifelhaften Index verwenden, kommen sie keineswegs zu einem für das IW erfreulichen Befund.

Die Lohnmobilität, also dass Arbeitnehmer im Laufe ihres Erwerbslebens ihre Position in der Einkommensverteilung der Bevölkerung verbessern können, sei „nicht gesunken" schreiben die Autoren Schäfer/Schmidt/Schröder. Das heißt die Lohneinkommenspositionen sind quasi zementiert. Es ist „nicht der Fall", dass die Aufstiegschancen „im Zuge der Erfolge auf dem Arbeitsmarkt" größer geworden seien, schreiben sie. Aber was sagen schon Lohneinkommenspositionen, wenn Arbeitnehmer in Teilzeit oder in Leiharbeit abgedrängt werden.

Unerklärlich ist für diese „Forscher", warum die Einkommensmobilität rückläufig ist, also die Chancen in eine bessere Einkommensschicht aufzusteigen abgenommen haben. Dabei wäre die Antwort so einfach. Die Reichen sind reicher geworden, die Armen ärmer und im besten Falle stagnierten die mittleren Einkommen oder sie sanken herab.

Einkommensmobilität der Mittelschicht

Quelle: Wirtschaftliche Freiheit

Das IW behauptet: „Bildungsabschlüsse: Mehr Aufsteiger als Absteiger"

Wie im konservativen Lager üblich, will man von der bestehenden Ungleichheit der Einkommensverteilung und der auseinandergehenden Lohnschere ablenken. Man ergreift die Flucht in eine bessere Zukunft durch das Versprechen des (künftigen) Aufstiegs durch Bildung. Der Fluchtpunkt ist deshalb „Chancengerechtigkeit" in der Bildung.

Interessant ist dabei die Altersgruppe der Bildungsaufsteiger, die das IW für seine Behauptung heranzieht – nämlich die 35- bis 44-Jährigen. Also diejenigen, die vor 10 oder gar 20 Jahren ihren (formalen) Bildungsgrad abgeschlossen haben. Diese Altersgruppe profitierte noch von den Ausläufern der damaligen Bildungsexpansion.

Blickte man jedoch auf die 25- bis 34-Jährigen, so sieht das Bild ganz anders aus. Nach der jüngsten OECD-Publikation „Bildung auf einen Blick" erreichen nur 20 % dieser Altersgruppe ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern und 22 % verschlechtern sich sogar. Im OECD-Durchschnitt steigen dagegen viel mehr, nämlich 37 % bildungsmäßig auf und nur 13 % steigen gegenüber ihren Eltern ab.

Deutschland landet bei den Chancen auf sozialen Aufstieg durch Ausbildung auf einem blamablen Rang 22 unter 31 untersuchten Ländern. Nach wie vor spielt das Vermögen der Eltern eine zentrale Rolle für den Erfolg der Kinder und die Herkunft spielt für sozialen Aufstieg eine stärkere Rolle als vor 30 bis 40 Jahren.

Das IW behauptet: „Das Bildungssystem ist durchlässiger geworden"

Es gebe immer weniger Kinder aus „bildungsfernen und Migrantenhaushalten", die nicht einmal einen Hauptschulabschluss erreichten, heißt es beim IW.

Auf dem von der Kanzlerin groß gefeierten „Bildungsgipfel" im Herbst 2008 wurde versprochen, die Quote der Schulabbrecher zu halbieren. Die Quote konnte seit nunmehr fünf Jahren gerade einmal um 1,2 Prozentpunkte von 7,4 auf 6,2 Prozent abgesenkt werden. Auch die Zahl der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss konnte nur unwesentlich von einem Anteil von 17,2 auf 15,9 Prozent verringert werden.

Hauptschulen besuchen überdurchschnittlich viele Kinder aus armen und benachteiligten Elternhäusern und vor allem auch aus Familien mit Migrationshintergrund. An Gymnasien sind solche Kinder hingegen stark unterrepräsentiert. Sage und schreibe 40,7 Prozent der Hauptschülerinnen und Hauptschüler aber gerade einmal 9,2 Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben Eltern mit Volks- bzw. Hauptschulabschluss. Gemessen an ihrem Anteil an der gesamten Bevölkerung besuchen Kinder, deren Eltern einen Volks- bzw. Hauptschulabschluss haben, doppelt so häufig eine Hauptschule und nur halb so häufig ein Gymnasium. Selbst bei gleicher Leistung hat das Kind eines Akademikers gegenüber einem Arbeiterkind eine drei Mal so große Chance ein Gymnasium zu besuchen.

Die Parole „Leistung muss sich lohnen" hat gerade auch hinsichtlich der Bildungschancen kaum einen Bezug zur Realität. Die Chance, die allgemeine Hochschulreife („klassisches" Abitur) zu erreichen, ist für Schüler aus gebildeten Elternhäusern noch immer etwa siebenmal höher als für Schüler aus bildungsfernen Familien.

Angefangen von der UNO, über die OECD bis hin zu den Pisa-Studien, alle bescheinigen Deutschland eines der „sozial selektivsten Bildungssysteme". Diese Tatsache mit der Behauptung, das Bildungssystem sei durchlässiger geworden, schön reden zu wollen, kann man nur noch als Manipulation bezeichnen.

Fazit: Ich behaupte nicht, dass alle hier den IW-Behauptungen entgegengestellten Untersuchungen und Statistiken richtig sind. Im Gegenteil, teilweise sind sie sogar noch im Sinne der herrschenden Regierung schöngefärbt.

Aber die unter dem Tarnmantel der Wissenschaftlichkeit daherkommende Pressekampagne des IW über Gerechtigkeit in unserem Land ist in der Auswahl ihrer Themen derart interessensbezogen und in ihren Behauptungen und deren Belegen so einseitig und parteilich, wie man das sonst nur selten findet.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass es dem „Institut der deutschen Wirtschaft" um nichts anderes geht, als um Propaganda für die politischen Interessen der Arbeitgeberverbände, dann ist er mit dieser Pressekampagne geliefert.

Wer in den Medien bereit ist, auch nur einen kurzen kritischen Blick auf diese Veröffentlichungen zu werfen, der dürfte als verantwortlicher Redakteur den Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, nie wieder zitieren oder vor die Kamera holen.

Spätestens mit dieser Kampagne müsste das IW und ihr Direktor für jeden einigermaßen unvoreingenommenen Beobachter jede Glaubwürdigkeit verloren haben.