Donnerstag, 30. Oktober 2014

und plötzlich sind sie dann da - die Neonazis, zahlreicher und gewalttätiger denn je wie am vergangenen Samstag in Köln

 
 
Salafisten, Hooligans und Rechtsradikale – da wächst zusammen … Ein Weckruf zum Reformationstag
 
[via Nachdenkseiten]
 
 
 

… und plötzlich sind sie dann da – die Neonazis, zahlreicher und gewalttätiger denn je wie am vergangenen Samstag in Köln. Dabei wurde seit dem Scheitern der NPD an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Landtagswahl im Freistaat Sachsen medial schon das Totenglöcklein für den Rechtsradikalismus geläutet. Doch weit gefehlt. In Köln wurden wir Zeugen einer der größten Neonazi-Aufmärsche der letzten Jahre. Da hilft keine Beschwichtigung – auch die nicht, dass sog. Hooligans zwischen Gewalt und Politik trennen würden, also deren Gewalt sozusagen „unpolitisch" ist.
 
Dabei sind doch verselbständigte Gewalt und Menschenverfeindung, wie sie von Hooligans angeblich „unpolitisch" praktiziert wird, ein wesentlicher Bestandteil der rechten Ideologie, also mit dem Neonazismus bestens kompatibel ist. Also darf es niemanden wundern oder überraschen, dass sich über kurz oder lang beide Szenen miteinander verbünden. Und nun haben sie das gemeinsame Thema  gefunden: „HoGeSa", „Hooligans gegen Salafisten" – salonfähig gemacht seit Monaten auch durch die Berichterstattung in den Medien. Und alles passt zusammen: NPD-Parolen und brutale Gewalt und ein schleichender Abschied im Bildungsbürgertum von den Grundlagen unserer Verfassung.

Wie dem begegnen? Das Erste und Wichtigste: Wer den Schutz der Verfassung dem sog. Verfassungsschutz anvertraut, hat schon verloren.
 
Darum: Jeder Bürger, jede Bürgerin ist aufgerufen, wachsam zu sein. Keinen Augenblick den Rechtsradikalismus und seine neuen Brückenorganisationen verharmlosen.
 
 


"Die Fertigmacher" ... einen Blick hinter das #vermeintliche #Jobwunder in #Deutschland [lesenswert!!!]

 

Klassenkampf 2.0

[via Nachdenkseiten]
 
 
 

Auch der Kabarettist Georg Schramm zitiert ihn gern: Warren Buffet, den drittreichsten Menschen der Welt. Denn er sagte einmal: „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen." Auch wenn Krieg aktuell jedoch immer öfter zum Thema wird: Von Klassenkampf oder -analyse will heute kaum mehr wer etwas wissen. Da sind es dann dumme oder korrupte Regierungen, die sich den falschen Theorien verschrieben oder Herren angedient haben, da kritisieren Konservative ggf. „Verschwörungen" gegen das Volk oder sprechen Marxisten vom „stummen Zwang der gesellschaftlichen Verhältnisse". Dass die herrschenden Verhältnisse, die seit vielen Jahren auch in Deutschland durch massiven Sozialabbau – also den Kampf gegen Arme statt etwa Armut – gekennzeichnet sind, jedoch auch Profiteure und konkret Agierende kennen, deren „Geschäft" das Elend der anderen ist, gerät dabei schnell aus dem Blick. Zu eben diesen, zur Praxis des „Klassenkampfes" in Deutschland also, sprach Jens Wernicke mit Werner Rügemer, Co-Autor des soeben bei PapyRossa erschienenen Buches „Die Fertigmacher: Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung".



Herr Rügemer, in Ihrem neuen Buch „Die Fertigmacher" werfen Sie einen Blick hinter das vermeintliche Jobwunder in Deutschland. Dasselbe soll ja mit der Agenda 2020 alsbald sogar zum Vorbild für Reformen auch in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union avancieren. Wenn aber doch alles so toll ist – wozu dann das Buch? Und wer sollen diese „Fertigmacher" sein, die da im Hintergrund agieren und bisher, wie Sie behaupten, öffentlich wenig beachtet worden sind?

Nun, das „Jobwunder" ist schlicht keines, sondern eine Propagandafigur der herrschenden Politik. Dahinter verbergen sich ungleiche Kämpfe, Verarmung, Leiden und schmutzige Tricks. Also zum Buch… Ich habe es gemeinsam mit meinem Kollegen Elmar Wigand verfasst. Es geht auf eine mehrjährige Zusammenarbeit zurück. 2009 haben wir die Konferenz „Arbeitsunrecht in Deutschland" organisiert und anschließend einen Sammelband mit demselben Titel veröffentlicht. Danach hat uns die Otto-Brenner-Stiftung der Industriegewerkschaft Metall unterstützt, um die Profis zu untersuchen, die aus dem Arbeitsunrecht inzwischen ein lukratives Geschäft machen. Das ist bis dahin noch nie systematisch untersucht worden.

Das Buch hat also eine Vorstufe?

Ja, 2014 brachte die Stiftung unsere Studie „Union Busting in Deutschland" heraus. Da haben wir uns an der neuen Dienstleistungsbranche des „Union Busting" orientiert, die seit anderthalb Jahrhunderten in den USA den Unternehmensvorständen anbietet, Gewerkschaften und Beschäftigtenvertretungen kaputt zu machen.

Union busting heißt schlicht und geradeheraus: Gewerkschaften und Beschäftigtenvertretungen kaputt machen. Heute tritt die Branche dort zwar vielfach gemäßigter auf, es geht jedoch noch immer um dasselbe, auch wann man es „Gewerkschaftsvermeidung" nennt. Zu diesen Praktiken gibt es in den USA viele Unterlagen. Wir haben untersucht, wie diese Branche gegenwärtig in Deutschland aussieht und agiert. Im Buch „Die Fertigmacher" haben wir nun alle Erkenntnisse veröffentlicht, die wir seit 2009 erarbeitet haben.

Und wer sind nun die Akteure in diesem „Geschäft"?

Diese „Fertigmacher" sind die „Hilfstruppen", ohne die im heutigen Kapitalismus kein größeres Unternehmen mehr auszukommen meint. Wir haben sie in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe sind diejenigen, die direkt mit den Beschäftigten, Betriebsräten und Gewerkschaftern zu tun haben: Arbeitsrechtsanwälte, Wirtschaftsdetektive, Überwachungsspezialisten, auf Medienrecht spezialisierte Kanzleien, Unternehmensberater, „christliche" Gewerkschaften und „gelbe" Betriebsräte.

Die zweite Gruppe besteht aus dem großen Spektrum der Unternehmerlobby: Unternehmens-Stiftungen, verdeckt finanzierte Universitätsinstitute für Arbeitsrecht und andere. Die machen wissenschaftliche Zuarbeit, veranstalten Konferenzen, bilden Arbeitsrichter und Arbeitsrechtsanwälte aus. Zu dieser Gruppe gehören auch die traditionellen Unternehmerverbändewie BDI, BDA und Gesamtmetall, die politische Lobbyarbeit am Regierungssitz machen, allerdings gehören dazu auch neue Arbeitgeberverbände, die sich zum Beispiel im Bereich der Postzustelldienste, der Leiharbeit und der Werkvertragsarbeit etabliert haben.

Die dritte und letzte Gruppe wird vom Staat selbst gebildet. Er verändert Rahmenbedingungen, zum Beispiel durch die vier Hartz-Gesetze, die sich zudem laufend weiter verändern. Die Agentur für Arbeit und die Jobcenter disziplinieren dabei einen Teil der Reservearmee der Niedriglöhner und Arbeitslosen sind die größten Zulieferer der Leiharbeitsbranche. Und auch die Europäische Kommission fördert europaweit prekäre Arbeitsverhältnisse. Sie setzt zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) sowie der Europäischen Zentralbank (EZB) Tarifverträge außer Kraft und beschränkt die Handlungsfreiheit von Gewerkschaften, etwa bei der „Sanierung" von Staatshaushalten.

Und hier besteht inzwischen auch in Deutschland wirklich eine Art „Markt", auf dem die Unternehmensleitungen die Bekämpfung der eigenen Betriebsräte einkaufen können?

Genau. Die Profis können bei Bedarf engagiert werden. Sie werden sehr gut bezahlt. Durch ihren Einsatz ist heute die gesetzlich garantierte Wahl eines Betriebsrates zu einem riskanten Abenteuer geworden. Wer etwa in einem Call Center, einiger Reinigungsfirma, einer Gastronomiekette oder in einem patriarchalisch geführten, bisher betriebsratsfreien Unternehmen einen Betriebsrat gründen will, dem drohen Strafversetzung, Kündigung und Arbeitslosigkeit.

Und den Unternehmen ist es heute sehr viel wert, einen Betriebsrat zu verhindern oder wenigstens zu in seiner Arbeit zu behindern. Das rentiert sich für sie. Sie zahlen die Honorare schließlich dafür, dass auf unbezahlte Überstunden, hohe Flexibilität, Kürzungen von Urlaubs- und Weihnachtsgeld und anderes keine betriebsrätliche Gegenwehr einsetzen und somit die Profitmaximierung ungestört funktionieren kann.

Was man heute „Globalisierung" und „Deregulierung" nennt, ist auch eine riesige „Arbeitsbeschaffungsmaßnahme" für die genannten Hilfstruppen. Ob bei Kauf und Verkauf von Unternehmen, bei der Aufspaltung in kleinere Einheiten, bei der Auslagerung ins Ausland oder bei Aufträgen an Subunternehmen – die Unternehmenschefs suchen immer nach neuen und besseren Möglichkeiten, um Löhne zu drücken, Arbeitsplätze abzubauen, neue Lohnsysteme einzuführen, Sozialpläne knapp zu halten usw. usf. Und überall da werden die genannten Profis eingeschaltet; also auch, aber nicht nur bei der Betriebsratsbekämpfung.

Können Sie ein Beispiel skizzieren, wo das konkret geschehen ist?

Im Buch haben wir neun ausführliche, exemplarische Porträts von betrieblichen Konflikten, in denen derlei Profis engagiert worden sind. Das ist beispielsweise bei Legoland, TNT Post, nora systems, United Parcel Systems, dem Berliner Klinikkomplex Charité und bei Edeka der Fall.

Ein lehrreiches Beispiel gibt aber auch die Steakhauskette Maredo ab. Sie hat in Deutschland 57 Filialen, von denen in nicht einmal einem Zehntel ein Betriebsrat existiert. Maredo wurde als Mittelstandsunternehmen groß und lukrativ und wurde deshalb wie viele vergleichbare Unternehmen auch dann von dem Private Equity-Fonds ECM, also einer „Heuschrecke", aufgekauft. Solche Investoren wollen die Kosten rigoros senken, worunter auch die Löhne der Beschäftigten fallen. Und das ist umso leichter, je weniger Betriebsräte es gibt.

Einer der wenigen Betriebsräte bei Maredo hatte sich in der Frankfurter Filiale an der Geschäfts- und Flaniermeile „Fressgass" etabliert. Die meisten der Beschäftigten dieser Filiale waren Mitglied in der Gewerkschaft Nahrung Gaststätten Genuss (NGG). Die Löhne waren im Vergleich mit anderen Betrieben der Systemgastronomie hoch, Mitglieder des Betriebsrats sorgten zudem in der Tarifkommission der NGG auch überbetrieblich für eine starke Interessenvertretung.

Hier engagierte die Geschäftsleitung nun der Reihe nach folgende Profis: Zunächst zwei Wirtschaftsdetekteien, die mit einem verdeckten Ermittler und mit einer heimlichen Videoinstallation Belege für Kündigungen beschaffen sollten, etwa wegen eines „Diebstahls" von Brotkanten oder ähnlichem. Eines Abends nach Betriebsschluss half dann eine Sicherheitsfirma bei der überraschenden Einsperrung der Beschäftigten im Restaurant. Dann trat die Arbeitsrechts-Kanzlei Buse Heberer Fromm auf, die die eingesperrten Beschäftigten dazu brachte, vorbereitete Selbstkündigungen zu unterschreiben. Als Beschäftigte und Betriebsräte hiergegen dann gerichtlich vorgingen und es zu öffentlichen Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht kam, kümmerte sich die PR-Agentur Alt/Cramer darum, die Beschäftigten öffentlich mit Schmutz zu bewerfen und ihre Anliegen in Misskredit zu bringen. Der Agentur-Mitarbeiter war dabei bereits während der Einsperrung der Beschäftigten anwesend gewesen. Die spezialisierte Medienkanzlei Schertz Bergmann wirkte schließlich auf Redaktionen ein, um unter anderem die Wiederholung eines kritischen TV-Berichts auf RTL zu verhindern sowie einen Beitrag des ZDF bereits während der Vorbereitungsphase zu vereiteln. Gleichzeitig hatte Maredo eine weitere PR-Agentur namens Faktenkontor beauftragt, das Unternehmen in die Umfrage „Berlins beste Arbeitgeber" einzubeziehen Das führte dann dazu, dass Maredo von Faktenkontor das Zertifikat bekam, zu „Berlins besten Arbeitgebern" gezählt werden zu können. Dieses Umfrageergebnis ließ die in ihrem Image angeschlagene Firma sofort per Pressemitteilung verbreiten. Nach einem quälenden Jahr war der Betriebsrat zerschlagen, die Beschäftigten wurden weitgehend ausgetauscht und die Löhne sind heute niedriger als vorher.

Sie meinen ja, dass derlei Praktiken – wie andere Übel auch – sozusagen „aus den USA" zu uns herüberschwappen. Hier bin ich immer wieder verwundert, dass der Hort des Bösen von Deutschen und auch von deutschen Linken so oft und gern in die USA verlegt wird. Ist das „Das Böse kommt von außen" denn nicht ein ausgemacht einfaches Weltbild, das vor allem der Komplexität kapitalistischer Logiken nicht gerecht zu werden vermag? Was meinen Sie?

Also, das ist natürlich Quatsch, das mit dem „Das Böse kommt von anderswo". Solches Gerede von „Alles Übel kommt aus den USA", „Die USA sind der Hort des Bösen" und anderes – also, solches moralische Gerede ist in der Regel die Begleitmusik von Leuten, die vor allem die Fakten verdrängen und zudem historisch blind sind. Der westliche Kapitalismus hat ja bekanntermaßen auf beiden Seiten des Atlantiks diverse Ungeheuer geboren, denken Sie nur an den Faschismus in Westeuropa, insbesondere in Italien und vor allem in Deutschland.

Und denken Sie auch an die vielen diktatorischen Regimes, die von den US-Eliten gestützt oder installiert worden sind. Und beispielsweise Henry Ford mit seinem Antisemitismus und seiner Autofabrik und Adolf Hitler mit seinen Vernichtungsfeldzügen gen Osten haben bekanntlich für beide Seiten zwei Jahrzehnte lang gut und gewinnbringend kooperiert. Was ich sagen will: Keinesfalls steht hier der westeuropäische Kapitalismus als unschuldig da und es gilt daher auch nicht, „die USA" zu kritisieren, sondern eben die konkreten Akteure, die in den verschiedenen Ländern eben je verschiedene Praxen von Ausbeutung und Unterdrückung zu installieren vermocht haben. Konkret also die jeweiligen Regierungen, Konzern- und Bankenchefs, Militärs, Medien und andere Hilfstruppen.

Wie sieht es jetzt aber bei den professionellen Gewerkschaftsfeinden aus?

Da ist es nun einmal so, dass in den USA hier im Vergleich zu allen anderen entwickelten Industriestaaten die weitaus längste Tradition besteht und reiche Erfahrung angesammelt wurde. Die Tradition beginnt dabei bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit bewaffneten, antigewerkschaftlichen Schlägertrupps vom Typ Pinkerton und geht weiter über Großlieferanten von Streikbrechern vom Typ Pearl Bergoff und Spionage-Agenturen vom Typ William Burns.

Nach dem 2. Weltkrieg sind dies dann beispielsweise die Firma von Nathan Shefferman – zu seinen Methoden gehörte die Bestechung von Gewerkschaftsfunktionären –, die Kanzlei Jackson Lewis und das Labor Relations Institute. Gegenwärtig sind auch Psychoingenieure aus der Wissenschaftsrichtung „Human Resources" im Einsatz. Wegen dieser Kontinuität, verbunden mit einer hohen Wandlungsfähigkeit, ist die Beschäftigung mit dieser Branche sehr lehrreich.

Und in der Bundesrepublik ist derlei also eher .. neu?

Auch in der Bundesrepublik Deutschland gab es natürlich schon lange Anwaltskanzleien und Professoren, die im Bereich Arbeitsrecht offen auf der Seite der Unternehmer standen. Eine ausdifferenzierte und vernetzte Branche von professionellen Gewerkschafts- und Betriebsratsbekämpfern bildete sich allerdings erst um die Jahrtausendwende heraus. Privatisierungen öffentlicher Leistungen, Deregulierungen in Unternehmen, der Aufkauf von lukrativen Mittelstandsfirmen durch Private Equity-Investoren, der flächendeckende Einstieg von angelsächsischen Aktionären und Kapitalmanagern in die Konzerne in Deutschland, Richtlinien der EU und schließlich auch die seit 2004 wirkenden Hartz-Gesetze – all dies eröffnete Geschäftsfelder für eben diese Akteure.

Dabei wurde nichts unmittelbar aus den USA übernommen. Allerdings wirkte der in den USA wesentlich ruppigere Umgang mit Beschäftigten („hire and fire"), verbunden mit dem Prinzip des „shareholder value", durchaus als ermutigendes Vorbild. Pioniere des offenen Union Busting in Deutschland waren zunächst kleinere Kanzleien wie Naujoks sowie Schreiner+Partner, die öffentlich Betriebsräte als Störfaktoren bezeichneten und im mittelständischen und provinziellen Unternehmermilieu hinterhältige und aggressive Fertigmacher-Methoden erfolgreich anboten.

Inzwischen beherrschen allerdings Großkanzleien das Geschäft. Seit etwa einem Jahrzehnt haben nun auch US-Wirtschaftskanzleien wie Freshfields, Clifford Chance, Hogan Lovells, White & Case, DLA Piper und Squire Patton Boggs in Deutschland große Abteilungen mit bis zu 60 Arbeitsrechts-Anwälten aufgebaut – nachdem sie zuvor ausschließlich in den typischen Bereichen wie Fusionen, Kartell- und Wettbewerbsrecht tätig waren. Übrigens haben auch britische Wirtschaftskanzleien wie Allen & Overy und Taylor Wessing in ihren deutschen Niederlassungen neuerdings arbeitsrechtlich aufgerüstet. Thomas Ubber von Allen & Overy gilt in Deutschland als Staranwalt, wenn es um das Verbot oder die Einschränkung von Streiks geht. Dem stehen aber deutsche Kanzleien wie CMS Hasche Sigle und Gleiss Lutz nicht nach. Nichtsdestotrotz gilt heute ein LLM-Abschluss einer US-Universität als ein karriereförderndes „Muss" für Arbeitsrechtler in Deutschland.

Natürlich gibt es in den USA einen längeren Vorlauf auch in anderen einschlägigen Bereichen, etwa bei Konzern-PR und Human Resources; die Profis passen die Konzepte den besonderen Bedingungen in Europa und in Deutschland an. Der westliche Kapitalismus hat Varianten der Bekämpfung von Arbeitnehmer-Interessen hervorgebracht. Die Tendenz geht allerdings zur Vereinheitlichung.

In Summe brachte es also bereits Erich Fried mit einem Gedicht, das ich sehr liebe, auf auch Ihren Punkt? Ich zitiere kurz: „Was den Armen zu wünschen wäre für eine bessere Zukunft? / Nur, dass sie alle im Kampf gegen die Reichen so unbeirrt sein sollen / so findig / und so beständig wie die Reichen im Kampf gegen die Armen sind."

Ja, dem Impuls des Gedichtes stimme ich zu. Aber ich spreche nicht von „den Armen", sondern von allen, die um den Ertrag ihrer Arbeit gebracht werden und nicht menschenwürdig zu leben vermögen. Und ich spreche auch nicht von „den Reichen", denn Reichtum kann gesellschaftlich ungefährlich sein; es kommt darauf an, wie er erworben wurde und wozu er eingesetzt wird. Reichtum ist für mich dann asozial und gefährlich, wenn er als Kapitaleigentum eingesetzt wird, Menschen äußerlich und innerlich abhängig und krank macht, ausbeutet, unterdrückt und beispielsweise auch zu Arbeitslosigkeit, Unterentwicklung, Hunger und Kriegen führt.

Es geht meiner Auffassung nach auf beiden Seiten des Atlantiks und überall auf dem irdischen Planeten darum, diesen gefährlichen Reichtum zu bekämpfen. Und ich bin auch nicht so bescheiden wie der von mir geschätzte Dichter Erich Fried. Denn ich wünsche und hoffe, dass diejenigen, die Fried als „Arme" bezeichnet, in diesem Kampf letztlich bzw. in Bälde findiger, beständiger und vor allem erfolgreicher sind als diejenigen, die er als „Reiche" bezeichnet. Das ist übrigens einer der Gründe dafür, dass ich mich mit dem Thema „Die Fertigmacher" so intensiv beschäftige. Denn erfolgreiches Handeln setzt zuerst einmal die Kenntnis aller Fakten und der Gegenseite voraus. Und, nebenbei bemerkt, und um zum Thema nationalistischer und daher schnell fehlgeleiteter „linker" Kritik zurückzukommen: Zu diesen Fakten gehört auch die Tatsache, dass sich die Klasse der Besitzenden längt viel mehr international als national versteht und auch entsprechend agiert.

Wen genau meinen Sie – und wie agieren diese Leute? Da können wir wahrscheinlich in Thomas Pikettys vieldiskutiertem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert" die Informationen finden?

Im westlichen Kapitalismus agiert und führt inzwischen eine transnationale kapitalistische Klasse. Politiker wie Barack Obama, David Cameron und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel verwenden für diese 0,0001 Prozent unterwürfig den anonymen Begriff „die Märkte". Der gegenwärtig in linken und liberalen Kreisen überschwänglich gelobte französische Starökonom Thomas Piketty hat interessanterweise in seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert" hierzu keine Angaben gemacht.

Er kennt die international capitalist class nicht. Er begnügt sich als Datengrundlage mit der Liste der reichsten Milliardäre aus der US-Zeitschrift Forbes. Er rechnet zu deren Vermögen alles möglich zusammen, Kontostand, Immobilien, Yachten und Unternehmensanteile. Das bewegt sich auf BILD- und Illustriertenniveau. Ihn kümmert nur die Verteilung des Reichtums, nicht aber seine Organisationsform und sein Machtgeflecht, zu dem übrigens auch die hochbezahlten, professionellen Hilfstruppen gehören wie u.a. die von uns geschilderten „Fertigmacher".

Piketty schreibt: „Es ist nicht meine Absicht, im Namen der Arbeitnehmer gegen die Besitzenden zu Felde zu ziehen." Mit diesen Begriffen diskreditiert er zudem die Problemlage, vor der wir heute stehen: Es geht nämlich nicht nur um Arbeitnehmer-Interessen, sondern um die Interessen der Mehrheit, und es geht nicht um einen altertümlichen Feldzug, sondern um eine umfassende Strategie.

…das meint?

Ich kann das hier nur andeuten, mit einigen trockenen Angaben. Zum Beispiel heißen die gegenwärtig zehn größten Kapital-Knubbel, in der Reihenfolge ihres Eigentumsvolumens: Blackrock, AXA, JP Morgan Chase, Capital Group, Fidelity Investments, BPCE, Legal & General Group und State Street Corporation. Sie organisieren das Eigentum der transnationalen kapitalistischen Klasse an Konzernen, Banken, Versicherungen, Staatsanleihen und anderen Wertpapieren. Keine dieser Organisationen hat ihren Sitz in Deutschland, sie verfügen aber auch in Deutschland über viel Unternehmenseigentum. Aus Platzgründen spare ich mir die nächsten 50 dieser Kapital-Knubbel.

Die Genannten sind wiederum eng untereinander verflochten und organisieren wiederum die Kapitalverhältnisse der wichtigsten Konzerne, Banken und Versicherungen weltweit. So ist beispielsweise Blackrock Miteigentümer von 282 der 500 größten Unternehmen der Welt und Großaktionär – neben anderen der Genannten – in allen 30 Dax-Konzernen in Deutschland. Blackrock ist beispielsweise auch Miteigentümer der beiden größten Ratingagenturen Standard & Poor's und Moody's. Blackrock wickelte für die US-Regierung die Rettung oder Verwertung von bankrotten Banken und Versicherungen nach der „Finanzkrise" ab und hatte entsprechende Berateraufträge für die verschuldeten EU-Staaten Spanien, Griechenland und Irland. Jetzt bekam dieser größte Kapitalorganisator der Erde von der Europäischen Zentralbank (EZB) zudem noch den Auftrag, den Handel mit Asset Backed Securities (ABS) zu organisieren, damit die EZB statutenwidrig den EU-Krisenstaaten Schuldforderungen abkaufen kann, die in Wertpapieren verpackt sind.

Das heißt mit anderen Worten: Es gibt kein national organisiertes Kapital mehr?

Doch, in politischem Sinne schon. Wie ich am Beispiel Blackrock schon dargestellt habe, legen die Organisatoren des transnationalen Kapitals enormen Wert darauf, gute Beziehungen zu den nationalen Regierungen und internationalen staatlichen oder staatsnahen Institutionen zu pflegen, also etwa zur Bundesregierung, zur US-Regierung, zur Europäischen Kommission und zur EZB. Umso mehr muss sich das Privatkapital – und gerade das transnationale – politisch absichern, je weniger es sich um die nationalen Volkswirtschaften kümmert. Um nennenswerte Aufstände zu verhindern, sind die national organisierten Herrschaftsapparate dabei heute immer noch unverzichtbar.

Zugleich gilt jedoch: Konzerne, Banken und Versicherungen, die wir immer noch nostalgisch gewohnt sind, als „deutsch" zu bezeichnen, etwa die Deutsche Bank, Siemens, VW, Bayer, Allianz und so weiter – sie sind längst nicht mehr „deutsch", sondern haben lediglich ihren traditionellen operativen Hauptsitz am Standort Deutschland. Die großen Umsätze werden jedoch meist ganz woanders gemacht, die Mehrzahl der Beschäftigten arbeitet außerhalb Deutschlands. Die Gewinne der Aktionäre landen in hunderttausenden von anonymen Tochterfirmen in Delaware, auf karibischen Inseln oder in der größten EU-Finanzoase Luxemburg. Die Haupteigentümer der wichtigen Unternehmen heute sind übrigens weniger an Aktiendividenden interessiert, sondern am Geschäft mit Aktienschwankungen, die sie selbst am besten beeinflussen können. Ebenso spekulieren sie mit Staatsanleihen und anderen Wertpapieren. Hinter Blackrock und Konsorten stehen natürlich jeweils zehntausende Privateigentümer, von denen wir bisher nur ein paar wenige Namen an der Oberfläche kennen.

Die transnationale kapitalistische Klasse hat dabei tatsächlich viel weniger Interesse als früher, dass die nationalen Volkswirtschaften funktionieren, dass möglichst Vollbeschäftigung herrscht und dass die nationalen öffentlichen Infrastrukturen einigermaßen in Ordnung sind. Deshalb verarmen gerade die Staaten und Bevölkerungen, die man bisher als „reich" bezeichnet hat.

Was also können wir hiergegen tun? Was meinen Sie?

Also, wir müssen uns diesen Realitäten überhaupt erst einmal stellen. „Verantwortliche" Politiker, Starökonomen und Leitmedien blenden das alles ja gern aus. Dass der neue Papst mit seiner übergroßen Barmherzigkeit gegenüber den Allerärmsten davon auch keine Ahnung hat, sei ihm halbwegs verziehen. Ansonsten aber: Die große Frage, was wir „dagegen tun können", lassen Sie uns bitte ein andermal erörtern. Denn das schlüge ein neues und für hier und heute zu umfangreiches Kapitel auf.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Werner Rügemer (Dr. phil.), interventionistischer Philosoph, ist tätig als Publizist, Berater und Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied im deutschen PEN-Club, im wissenschaftlichen Beirat von Attac und bei Business Crime Control. 2002 erhielt er den Journalistenpreis des Bundes der Steuerzahler NRW, 2008 den Kölner Karlspreis für kritische Publizistik. Bei transcript ist von ihm u.a. erschienen: »›Heuschrecken‹ im öffentlichen Raum« (2. Aufl. 2011) sowie »Die Berater« (2004).





Griechenland: Es riecht nach Wahlen - Über die Chancen der Syriza

 

Griechenland: Es riecht nach Wahlen – Über die Chancen der Syriza

 
[via Nachdenkseiten]
 
 

Der griechische Ministerpräsident Samaras hat mit seiner völlig unglaubwürdigen Ankündigung eines Ausstiegs aus dem Regime des von der Troika auferlegten „Memorandums" politisch wie auch auf dem Kapitalmarkt eine böse Bauchlandung erlitten. Nach aller Wahrscheinlichkeit benötigt Griechenland in Zukunft eine weitere „vorsorgliche Finanzhilfe" aus dem ESM-Stabilisierungsfonds, die sicherlich gleichfalls wieder mit Auflagen, also einem neuen „Memorandum" verbunden wäre.
Nicht nur die Griechen, sondern auch das Ausland fragen sich mehr und mehr, wozu diese Regierung aus den „Systemparteien" Nea Dimokratia und Pasok noch nutze ist. Dass sich noch die nötige drei-Fünftel-Mehrheit für die im kommenden März anstehende Präsidentenwahl finden wird, ist äußerst unwahrscheinlich. Bei den zu erwartenden Neuwahlen könnte die linke Syriza von Parteichef Alexis Tsipras stärker werden, als die derzeitigen Regierungsparteien zusammen. Syriza dürfte jedoch einen Koalitionspartner für einen Regierungswechsel benötigen und das ist nicht einfach. Wie könnte ein linkes Programm für umfassende Reformen aussehen?

Niels Kadritzke gibt einen weiteren aktuellen Lagebericht und erörtert die Chancen und Perspektiven einer linken Reformpolitik für Griechenland.

Pressekonferenz in Brüssel am letzten Freitag. Der griechische Ministerpräsident Samaras räumt ein, dass es gewisse „Vorbehalte" gebe, ob Griechenland „es ohne bailout-Programme schaffen kann". Grund für solche Zweifel seien die schwächelnde Konjunktur in der Eurozone, aber auch „geopolitische Gefahren" in anderen Teilen der Welt. Das Eingeständnis ging einher mit der Mitteilung, bei seinen vielseitigen Kontakten in Brüssel sei über die Zukunft des griechischen Bailout-Programms „noch nichts entschieden" worden. Aber seine Gesprächspartner, zu denen seine Kollegen aus Frankreich, Italien und den Niederlanden, aber auch EZB-Chef Mario Draghi gehörten, hätten allesamt „Sympathie für unser Anliegen" erkennen lassen.

Die Haltung von Samaras war in gewisser Weise bewundernswert. Auf Englisch würde man sagen; „He kept a stiff upper lipp", was in etwa bedeutet: Er ließ sich nichts anmerken, dass er in der Tinte sitzt.

Mit der Brüsseler Szene endete für den griechischen Regierungschef eine Phase des hektischen Aktionismus mit fatalen Folgen. Für seine Ankündigungen über einen Ausstieg aus dem „Memorandums-Regime", also den Finanzhilfeprogrammen von EU und IMF, wurde er von der Realität hart abgestraft. Der Zinssatz für griechische Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit kletterte auf über 9 Prozent – der höchste Stand seit Dezember 2013. Es war die Antwort auf Samaras' großmäulige Behauptung, er sei sich „absolut" sicher, dass Griechenland seinen Kreditbedarf wieder ganz „normal" über die internationalen Märkte finanzieren könne (siehe Nachdenkseiten vom 17. Oktober).

„Daran glaubt kein Mensch innerhalb wie außerhalb des Landes", schrieb der wirtschaftspolitische Kommentator der linken Zeitung Efimerida ton Syntakon (EfSyn). Auch die regierungsfreundliche Wirtschaftszeitung Imerisia zitierte Einschätzungen aus Bankerkreisen, wonach die Regierung nach der Reaktion der Märkte die von ihr selbst angekündigte Platzierung neuer 7-jähriger Anleihen vergessen könne. Zudem sei die Position der Regierung Samaras gegenüber der EU und dem IWF in den angekündigten Verhandlungen über die laufenden Sparprogramme und einen „neuen Rahmen" der Unterstützung noch schwieriger geworden.

Der Ausweg aus dem Memorandum führt in ein neues Memorandum

Dieser neue Rahmen hat inzwischen einen Namen, hinter dem sich nichts anderes verbirgt als ein „neues Memorandum". Was die Regierung Samaras – nach dem Fiasko – erklärtermaßen anstrebt, ist eine „vorsorgliche Finanzhilfe" aus dem Europäischen Stabilisierungsfonds ESM, deren Konditionen in Artikel 14 des ESM-Statuts festgelegt sind. Die Hilfe „in Form einer vorsorglichen bedingten Kreditlinie" wäre an Auflagen gebunden, die ganz ähnlich aussehen würden wie im Fall der bisher gewährte ESM-Finanzhilfefazilität (nach Artikel 13 des Statuts). Diese Bedingungen sind in Art. 14 explizit „gemäß Artikel 13 Absatz 3" konstruiert, also in Form eines detaillierten MoU (Memorandum of Understanding), das mit den EU-Partnern auszuhandeln ist. Auch über die Weiterführung der Kreditlinie entscheidet der ESM „nach Erhalt eines Berichts der Europäischen Kommission gemäß Artikel 13 Absatz 7" (also wiederum wie bei regulären ESM-Fazilitäten). Der Unterschied besteht lediglich darin, dass das MoU über die „vorsorgliche Finanzhilfe" auf EU-Seite vom Geschäftsführenden Direktor des ESM zu unterzeichnen ist (derzeit der Deutsche Klaus Regling) und dass die „ausführlichen Leitlinien für die Durchführungsmodalitäten" vom ESM-Direktorium erlassen werden.

Auch eine weitere Kreditlinie des IWF wäre an Bedingungen geknüpft

Auch was die Beziehung zum IWF betrifft, ist in Athen noch keineswegs geklärt, ob man selbst nach Aufkündigung des IWF-Kreditprogramms (das noch bis Mai 2016 laufen würde) eine weitere „vorsorgliche Kreditlinie" in Anspruch nehmen muss – wie es IWF-Chefin Christine Lagarde für notwendig hält. Auch der IWF würde in diesem Fall auf ausgehandelten „Bedingungen" und „Inspektionen" bestehen. Darauf weist die Kathimerini in einem Bericht aus Washington (26. Oktober) hin, der eine weitere interessante Information enthält: Finanzminister Chardouvelis hat bei seinem Treffen mit Lagarde am 10. Oktober davon abgesehen, einen vorzeitigen Ausstieg aus dem IWF-Programm „eindeutig" anzukündigen. Dieses Gespräch habe die Aussichten auf einen raschen Ausstieg eher „zurechtgestutzt", und zwar „im Gegensatz zu dem Eindruck, der in Athen erweckt wird".

Die EZB besteht auf weiterer Aufsicht

Für die Regierung Samaras gibt es ein weiteres Problem, das sie lieber verschweigt: Auch EZB-Chef Mario Draghi und die Notenbanker der Eurozone bestehen weiterhin auf einer Aufsichtsrolle der EU. Das geht bereits aus einem Bloomberg-Bericht vom 3. Oktober über die Konferenz der EU-Notenbanker und der EZB in Neapel hervor. Bei diesem Treffen bekam EZB-Chef Draghi grünes Licht für den (umstrittenen) Aufkauf von Covered Bonds und ABS-Papieren (forderungsbesicherte Staatsanleihen bzw. Wertpapiere). Der Bericht zitiert einen Insider mit der Auskunft: Da griechische Banken auf weitere Liquiditätshilfe der EZB (durch Ankauf von Covered Bonds) angewiesen sind, müsse das Land „unter ökonomischer Aufsicht" verbleiben.: „Die Botschaft war eindeutig: „Die Aussage Draghis, 'kein Programm, keine Käufe', ist eine direkte Warnung an Samaras, kein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Hilfsprogramm zu betreiben", zitiert Bloomberg einen Investmentmanager (ausführlich hier)

Trotz all dieser Zweifel und Hindernisse will die Regierung Samaras ihren Antrag auf „vorsorgliche Finanzhilfe" beim ESM immer noch als „Befreiung von den Memoranden" verkaufen. Damit bleibt sie auf der Linie der bewussten Täuschung. Das wird ihr selbst in konservativen Zeitungen vorgehalten. „Der Austritt, der zur Rückkehr wurde", lautet der Titel des Kommentars von Pantelis Boukalas in der Kathimerini vom 21. Oktober. Nach Boukalas war der „heroische Abschied von den Bailout-Programmen" ein verzweifelter Versuch der Regierung, etwas gegen ihre inneren Probleme und ihre sinkende Popularität zu tun. Das aber sei voll danebengegangen. Mit ihrem von den „Märkten" enttarnten PR-Coup habe es die Regierung geschafft, zur „besten Opposition gegen sich selbst zu werden". Schon deshalb sei ihr Versuch, die Schuld an dem Fiasko der oppositionellen Syriza in die Schuhe zu schieben, zum Scheitern verurteilt sei. Boukalas kommt zu dem Fazit: „Der Hauptfaktor, der die gegenwärtigen Instabilität und die neuen Sorgen (um Griechenland, NK) ausgelöst hat, ist die Regierung selbst."

Dieses Fiasko sollte auch die EU-Partner Griechenlands ins Grübeln bringen, zumal das politische Verfallsdatum der ND-Pasok-Koalition unerbittlich näher rückt. Die jüngsten Fehler dieser Regierung werfen allerdings eine noch grundsätzlichere Frage auf, und die zielt nicht nur auf ihre Haltbarkeit, sondern auf ihre Brauchbarkeit für jedwede Art von Krisenpolitik.

Wozu ist die Regierung Samaras noch nutze?

Ist eine Truppe, die nur noch auf das eigene Überleben bedacht ist, zu einer durchdachten und berechenbaren Politik überhaupt noch imstande? Und können sich die EU-Partner eine hohle Selbstrechtfertigung nach dem Motto „besser eine unfähige rechte als eine linke Regierung" noch weiter bieten lassen? Täten diese Partner nicht besser daran, mit einer neuen, gesellschaftlich repräsentativeren politischen Kraft einen neuen Vertrag auszuhandeln? Was zwar schwierig wäre, aber wenigstens in die Zukunft weisen würde.

Wie dringlich solche Fragen sind, können wir uns an einem Beispiel klar machen. Wie im ersten Teil dieses Berichts aufgezeigt (NDS vom 17. Oktober), ist einer der „known unknowns" in Bezug auf den Staatshaushalt der nächsten Jahre die Größe des Defizits bei den Steuereinnahmen bzw. bei den Beiträgen zu den Sozial- und Rentenkassen. In der Kathimerini war dazu letzte Woche (am 22. Oktober) folgender Bericht zu lesen:

„In dem Moment, da die aufgelaufenen Schulden die astronomische Summe von 70,1 Milliarden Euro erreicht haben, verzögert sich die seit langem erwartete Abzahlungsregelungen" für rückständige Steuerzahlungen und Beiträge zu den Sozialkassen. Als Hauptgrund nannte die Zeitung „die Unfähigkeit der zuständigen Ministerien, sich auf einen gemeinsamen Vorschlag zu einigen". Erst nach Intervention von Samaras sei es am 21. Oktober zu „fieberhaften Verhandlungen" zwischen den Vertretern von Finanz-, Wirtschafts-, Arbeits- und Justizministerium gekommen, die sich dann endlich auf gemeinsame Eckpunkte geeinigt haben. Diese Regelung wurde am 24. Oktober ohne Diskussion vom Parlament verabschiedet.

Der wichtigste Streitpunkt zwischen den Ministerien – und mit der Troika – waren die Modalitäten für die Abzahlung, also das „Abstottern" rückständiger Steuern bzw. Versicherungsbeiträge (insbesondere was die Zahl der Abzahlungsraten und die Rabatte betrifft). Die Folgen für die Budgets der nächsten Jahre sind, wie das Finanzministerium selbst einräumt, noch nicht bezifferbar, werden aber mit Sicherheit negativ sein: Bei den Steuerschulden geht das Ministerium davon aus, dass höchstens 5 Prozent der 70 Milliarden eintreibbar sind; bei den Beiträgen zu den Sozialkassen könnte der Prozentsatz etwas höher liegen. In jedem Fall ergibt sich für den Haushalt 2015 ein zusätzliches und riesiges Loch, das die Troika in ihrem anstehenden Bericht natürlich registrieren wird (Details nach Kathimerini vom 25. Oktober).

Wichtiger und interessanter ist jedoch, zu welchem Zeitpunkt diese wichtige Regelung verabschiedet wurde. Es zeigt sich, dass die Regierung ihren heroischen Abschied von den Memorandums-Programmen verkündet hat, bevor sie einen der wichtigsten Paramater ihrer Einnahmen intern geklärt hatte. Die Einigung zwischen den Ministerien – unter der „Peitsche" von Samaras – kam erst zustande, nachdem „die Märkte" die Ankündigung der Regierung und damit die griechischen Haushaltszahlen radikal in Frage gestellt hatten. Die Verspätung bedeutete zugleich, dass die Vouli diese Regelung nur noch abnicken konnte – ein neuerliches Beispiel dafür, dass die Versäumnisse der Regierung und die Unfähigkeit der Bürokratie die faktische Entmachtung des Parlaments bedeuten.

Rückkehr auf die „Märkte" im Blindflug

Der geschilderte Fall ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Ankündigung eines Ausstieg aus dem Memorandum zum damaligen Zeitpunkt einem abenteuerlichen Blindflug gleichkam, weil die wichtigsten Konturen auf einem Radarbild nicht vor Ende des Jahres ermittelt sein werden. Von einem realistischen sozioökonomischen Szenario für Griechenland kann man erst dann sprechen, wenn folgende Daten vorliegen:

  • der abschließende Bericht der Troika, der nicht vor Mitte November vorliegen wird und Voraussetzung für die „Freigabe" der letzten FSM-Tranche ist;
  • die Zahlen des Budgetentwurfs für 2015, der auch erst im November verabschiedet wird, und dessen Realitätsgehalt – unter anderem im Hinblick auf den für 2015 anvisierten Primärüberschuss – ebenfalls von der Troika begutachtet wird;
  • aktualisierte Rahmendaten für die gesamteuropäische Konjunkturentwicklung, die ein zentraler Parameter für die Perspektiven der griechischen Realwirtschaft sind.

(Eine Anmerkung in Paranthese: Ein wichtiges Datum liegt inzwischen vor: Die Ergebnisse des Stresstests für die Banken der Eurozone, die von der EZB am Sonntag in Frankfurt publiziert wurde, haben die griechischen Institute weitgehend „entlastet". Das dürfte den Ehrgeiz der Regierung Samaras anstacheln, die für eine Rekapitalisierung der Banken vorgemerkte Summe von ca. 11 Mrd. Euro in eine vorsorgliche Kreditlinie umzudefinieren, was allerdings der Zustimmung von EZB und EU-Kommission bedarf. Zudem weisen Kommentatoren darauf hin, dass diese Summe nicht ausreichen würde, die Deckungslücke zu füllen, die durch einen Verzicht auf die IMF-Kredite entstehen würde. Dimitris Kontoyiannis (Kathimerini vom 26. Oktober) beziffert den griechischen Finanzbedarf für diesen Fall auf etwa 16 Milliarden Euro.)

Der Regierungschef eines Krisenlandes, der die entscheidenden Daten nicht abwartet, hat wie ein Hasardeur gehandelt. Wobei der Gipfel der Unverantwortlichkeit in der Tatsache liegt, dass offenbar niemand in der Regierung sich dafür „verantwortlich" fühlte, auf die Kosten eines möglichen Scheiterns hinzuweisen. Fast alle griechischen Wirtschaftszeitungen waren sich mit der internationalen Finanzpresse darin einig, dass eine „Bruchlandung" bei der Rückkehr zu den „Märkten" das Land um Jahre zurückgeworfen hätte. Einige Analysten reanimierten sogar wieder das Gespenst eines „Grexit" aus dem Euro, das sie schon auf dem Höhepunkt der griechischen Krise (2011/2012) beschworen hatten.
Letzteres ist wiederum weit übertrieben und in jedem Fall unverantwortlich. Aber mit ihrer schlecht fundierten, falsch „getimten" und unzureichend abgestimmten Ankündigung eines „Grexit" aus den Stützungsprogrammen hat es die Samaras- Regierung geschafft, vor aller Welt den Unterschied zu Spanien und Portugal bloßzulegen. Beide EU-Südländer sind seit Ende 2013 bzw. seit Mitte Mai 2014 nicht mehr auf den ESM-Rettungsschirm angewiesen. Und beide Länder können ihre Bonds seitdem zu annehmbaren Konditionen platzieren: Die spanischen 10-Jahres-Papiere sind derzeit mit einem Zinssatz von 2,2 %, die portugiesischen mit 3,3 % absetzbar. Athen hat also mit dem selbst ausgelösten Anstieg der griechischen Renditen auf bis zu 9 % (Anfang letzter Woche immer noch 7, 5 %, der Kurs abzulesen hier) die Diskussion über die „Singularität" des griechischen Falls zu einem denkbar unglücklichen Zeitpunkt erneut losgetreten.

Der versprochene „weiche Schuldenschnitt" ist ausgeblieben

Wie kann man nur so blöd sein? Das fragen sich nicht nur die griechischen Wähler. Um der Gerechtigkeit willen muss an dieser Stelle ein entlastendes Argument angeführt werden. Die Regierung Samaras-Venizelos hat, inspiriert vom früheren Finanzminister Stournaras, ihre Entschuldungsstrategie seit 2012 auf folgender optimistischen Hypothese errichtet: Sobald das Land einen Überschuss im Primärhaushalt – also mehr Einnahmen als Ausgaben ohne Zinszahlungen – ausweisen kann, werden die Troika-Partner die Konditionen ihrer Kreditprogramme merklich verbessern. Ein solcher „weicher Schuldenschnitt" war keine griechische Wunschphantasie, sondern eine inoffizielle Zusage der Gläubiger, die allerdings nie offen ausgesprochen oder gar verbrieft wurde. Bereits im Wahlkampf des Sommers 2012 gehörte die Aussicht auf einen „haircut light" zum propagandistischen Reportoire der ND und insbesondere der Pasok (Näheres dazu auf den Nachdenkseiten vom 30. August 2012 und vom 11. Juli 2013).

Warum wurde dieses informelle Versprechen, für das sich insbesondere der IWF stark machte, bis heute nicht eingelöst? In der Antwort auf diese Frage sind sich die meisten Beobachter einig: Die Troika fordert als Gegenleistung die raschere und konsequentere Umsetzung zugesagter Reformen. Das Ausbleiben der „Belohnung" für den erzielten Primärüberschuss hängt demnach unmittelbar mit der Reformresistenz einer Regierung zusammen, die Fleisch vom Fleische jenes Klientelsystems ist, aus dem die Regierungsparteien jahrzehntelang ihre Macht erneuert haben.

Die Systemparteien stehen für das „Klientelsystem"

So gesehen ist es ein bitterböser Witz, dass sich heute eine Regierung, bestehend aus den alten „Systemparteien" ND und Pasok, gegenüber ihren Gläubigern und europäischen Partnern als Garantin der Stabilität und der Kontinuität anpreist, die allein die griechische success story zu ihrem glücklichen Ende bringen könne. Was diese Regierung tatsächlich garantiert, ist die Kontinuität des Klientelsystems und die Stabilität einer Ordnung, die Griechenlands Wirtschaft und Gesellschaft an den Rand des Abgrunds geführt hat.

An dieser Stelle ist einem Missverständnis vorzubeugen: Beim Zusammenhang zwischen Klientelismus und Reformversagen geht es nicht um die Frage, ob bestimmte Reformen für Staat und Gesellschaft in Griechenland richtig und nützlich sind, oder ob sie derart unzumutbar oder unproduktiv sind, dass eine demokratische Regierung sie mit guten Gründen verweigern kann oder muss (als Beispiel habe ich an anderer Stelle auf bestimmte Privatisierungsvorhaben verwiesen, siehe NachdenkSeiten vom 30. Mai 2011). Auf diese Frage werde ich später zurückkommen, wenn ich die Regierungsfähigkeit der Syriza erörtere.

An dieser Stelle geht es vielmehr darum, ob vereinbarte Reformen überhaupt in Gesetzesform gegossen und wann sie praktisch umgesetzt werden. Was in schwierigen und kontroversen Fällen voraussetzt, dass eine Regierung den Staats- und Steuerbürgern eine als „notwendig" erachtete Reform offen darlegt und möglichst ehrlich begründet. Das ist in Griechenland in aller Regel nicht der Fall. Dies wiederum verstärkt die Zweifel, ob eine Athener Regierung bereit und imstande ist, ein als notwendig erkanntes Programm von „Zukunftsreformen" von sich aus – und nicht auf Druck einer Troika oder anderer „äußerer Mächte" – auszuarbeiten, dafür zu werben und schließlich auch umzusetzen. Eine solche gesellschaftlich vermittelte Reformpolitik stieße allerdings – unabhängig vom Willen und der Zusammensetzung der Regierung – auf ein weiteres Hindernis in Gestalt der staatlichen Bürokratie, die ebenfalls ein Produkt des politischen Klientelsystems ist und schon deshalb wenig Lust auf Veränderungen entwickelt.

Ohne Reformen kein Ausweg aus der Krise

Die meisten Beobachter der griechischen Krise sind sich, ungeachtet ihrer politischen Couleur, in einem Punkt einig: Ohne eine durchdachte, langfristig angelegte und von der Gesellschaft nicht nur tolerierte, sondern getragene Reformpolitik wird es niemals einen Grexit im Sinne eines Auswegs aus der tiefsten Krise der jüngeren griechischen Geschichte geben. Deshalb lautet – angesichts der politischen Verhältnisse im Herbst 2014 – eine Schlüsselfrage für die Zukunft des Landes: Wie hält es die heutige Opposition und potentiell nächste Regierung mit den Reformen?

Noch vor fünf Monaten, nach dem Resultat der Europawahlen im Mai, war es eine kühne Prognose, der Syriza innerhalb eines Jahres eine ernsthafte Chance auf Ablösung der Regierung Samaras/Venizelos zuzutrauen. Das sieht heute, nachdem die Regierung ihr Tischfeuerwerk von „success stories" abgebrannt hat, entschieden anders aus. Dies ist das Resultat von Entwicklungen auf drei Ebenen:

  1. Neuwahlen zum Parlament im Frühjahr 2015 sind viel wahrscheinlicher geworden.
  2. Der Vorsprung der Syriza in den demoskopischen Umfragen hat sich stabilisiert und noch ausgeweitet.
  3. Die Oppositionspartei und ihr Vorsitzender haben im Zuge innerparteilicher Klärungsprozesse und in Konfrontation mit der Realität mehr politische Bodenhaftung entwickelt und ihr Profil als regierungsfähige Kraft gestärkt.

Die Frage der Neuwahlen

Zum ersten ist die Möglichkeit vorzeitiger Neuwahlen (wie im ersten Teil dieser Sachstandsberichts am 17. Oktober aufgezeigt) zu einer hohen Wahrscheinlichkeit geworden. Die Aussichten der Regierung Samaras, bei den fälligen Präsidentenwahlen Anfang nächsten Jahres die nötige drei-Fünftel-Mehrheit im Parlament für ihren Kandidaten zu organisieren, sind drastisch gesunken. Damit dürften Neuwahlen im kommenden März fällig sein. Darauf beginnt sich auch die öffentliche Meinung einzustellen: Die Umfragen im Oktober zeigen, dass erstmals eine Mehrheit dafür ist, den nächsten Präsidenten erst durch ein neu gewähltes Parlament bestimmen zu lassen.

Diese Entwicklung hat auch die politische Klasse längst in einen „Vorwahlmodus" versetzt. Das schildert uns der Parlamentsreporter der Kathimerini, der sich unter den Abgeordneten umgehört hat: „Zwar schlagen alle drei Kreuze, wenn die Möglichkeit vorzeitiger Wahlen erwähnt wird, aber auf der politischen Piazza ist es ein offenes Geheimnis, dass die Parlamentarier nur noch über eines diskutieren – wie es um die Aussichten ihrer Wiederwahl steht." Der Reporter berichtet von allerlei hektischen Aktivitäten, vom ständigen Drängen in die Radio- und Fernsehprogramme, von Aufträgen an demoskopische Institute, von kleinlichen Streitereien „unter Genossen", die sich um denselben Wahlkreis bewerben – alles Dinge, die „nach Neuwahlen riechen".(Kathimerini vom 26. Oktober)

Die Umfragen

Die demoskopischen Umfragen zeigen , dass die Syriza ihren Rückhalt bei den Wählern seit dem Sommer weiter verstärkt hat. Das Institut für Public Opinion-Studien der Mazedonischen Universität Thessaloniki ermittelt in ihrer jüngsten Umfrage (publiziert in der Kathimerini vom 19. Oktober) für die Syriza einen Vorsprung von 7,5 Prozentpunkte gegenüber der ND. Wichtiger noch: Mit 27,5 Prozent käme die Oppositionspartei derzeit auf 3,5 Prozent mehr als die Regierungsparteien ND (20 Prozent) und Pasok (4 Prozent) zusammen. Und noch interessanter: Unter Berücksichtigung der noch „unentschiedenen" Wählern (17 Prozent) spricht alles dafür, dass die Syriza bei vorzeitigen Neuwahlen die 30-Prozent-Schwelle klar überschreiten kann.

Die Studie des Thessaloniki-Teams untersucht auch, aus welcher Richtung sich die potentiellen Wähler auf die Syriza zu bewegen. Dass viele aus der ehemaligen Gefolgschaft der linkssozialdemokratischen Dimar stammen, ist kaum erstaunlich. Die linke Opposition hat aber auch rund 30 Prozent der Wähler aufgesaugt, die bei den letzten Parlamentswahlen (im Juni 2012) für die rechtspopulistische Anel (Unabhängige Hellenen) gestimmt haben; desgleichen 13 Prozent der früheren Wähler der neonazistischen Chrysi Avgi und 12 Prozent der orthodoxen Kommunisten (KKE). Bei aller Zurückhaltung gegenüber solchen Wählerwanderungsanalysen dürfte es zutreffen, dass die Syriza zum zentralen Sammelbecken von Wählern geworden, deren Hauptmotiv die Ablehnung der Memorandums-Politik war und ist. Auf der anderen Seite zieht die linke Opposition auch „enttäuschte und erboste Wähler der beiden Regierungsparteien" an. Nach der Umfrage würde jeder fünfte Pasok-Wähler von 2012 heute Syriza wählen. Dieselbe Bereitschaft äußern überraschenderweise auch 10 Prozent der ND-Wähler von 2012 (was die Demoskopen als Hauptgrund für „die wachsende Differenz zwischen den beiden großen Parteien" sehen).

Die Syriza und mögliche Koalitionspartner

Während die Erfolge der Syriza bei den ehemaligen ND- und Pasok-Anhängern ihre politischen Hauptgegner direkt schwächen, ist der Wählerzufluss aus den kleineren Oppositionsparteien für die Partei eine zwiespältige Sache: Er legt das Wählerreservoir genau der Parteien trocken, die als Koalitionspartner für eine Regierung Tsipras in Frage kämen, falls die Syriza keine absolute Parlamentsmehrheit erzielen würde (wovon die meisten Beobachter ausgehen). Die Dimar als logischer Wunschpartner für eine linke Koalition liegt bei den Umfragen im Promille-Bereich und wird die nächsten Wahlen nicht überstehen. Auch die Anel, ein möglicher aber nicht wahrscheinlicher Koalitionspartner, rutschte in den letzten Umfragen unter der 3 Prozent-Grenze, womit sie im Parlament nicht mehr vertreten wäre. Die KKE ist ohnehin ein Fall für sich: Sie lehnt jede Mitarbeit in einer „bürgerlichen" Regierung und sieht in der Syriza nur eine „linke Reserve" des Kapitalismus und eine „neue Pasok".

Damit bleiben für die Syriza nur zwei potentielle Koalitionspartner übrig. Das ist zum einen die erst seit März 2014 bestehende Partei To Potami (der Fluss), die von den Medien im politischen Spektrum links der Mitte verortet wird, also dort, wo die Pasok eine klaffende Lücke hinterlassen hat. Der Gründer und Kopf von Potami, der Journalist Stavros Theodorakis, hat eine Richtungsaussage lange vermieden, definiert seine Partei neuerdings aber als „radikales Zentrum". Potami erzielte bei den Europawahlen im Mai mit 6, 6 Prozent einen Überraschungserfolg, war aber danach in den Umfragen leicht abgeschmiert. Nach der neuen Umfrage der Uni Thessaloniki liegt die Partei jetzt wieder bei 7 Prozent, weil sie es geschafft hat, sowohl rechts als auch links der Mitte zu fischen: Sie vermochte ein Viertel der früheren Dimar-Anhänger wie auch ehemalige Pasok- und Syriza-Wählern zu gewinnen; zugleich aber auch liberale Mitterechts-Wählern zu binden, denen die ND unter Samaras zu rechtslastig geworden ist. Ob To Potami mit der Syriza koalieren würde, ist eine völlig offene Frage. In jedem Fall wäre die Partei von Theodorakis aus Sicht der Sozialisten ein schwer berechenbarer Partner – wenn auch vielleicht der einzige, der nach den Wahlen noch zur Verfügung steht.

Als zweiten Bündniskandidaten die Pasok zu nennen, wäre bis vor einem halben Jahr nicht einmal als schlechter Witz durchgegangen. Aber falls es die Partei – unter dem Namen Elia (Olivenbaum) – überhaupt noch ins Parlament schafft, sind auch Koalitionsverhandlungen mit dem letzten Aufgebot der ehemals stolzen Papandreou-Truppe nicht völlig ausgeschlossen. Aber zweifellos würde die Syriza-Führung es vorziehen, die Überreste der Pasok in Form von Wählern einzusammeln. Im Übrigen wird sie alles tun, eine vorzeitige Diskussion über mögliche Koalitionspartner zu unterbinden, weil dies zu heftigen innerparteilichen Kontroversen führen würde.

Absolute Mehrheit durch doppelte Neuwahlen?

Vorerst gelingt es der Parteiführung, die heikle K(oalitions)-Frage dadurch ersticken, dass sie als Wahlziel eine „autonome Mehrheit", sprich eine Alleinregierung verkündet. Das klingt angesichts der aktuellen Umfragen ziemlich vermessen. Um an die Schwelle einer absoluten Mehrheit von 150 Sitzen heranzukommen, braucht die Syriza – trotz der 50 Extrasitze, die der stärksten Partei als Bonus zustehen – etwa 35 Prozent der Wählerstimmen. Die sind jedoch nach wie vor ziemlich unwahrscheinlich, wie man auch in der Parteizentrale einräumt. Deshalb spielt man mit einem Szenario, das ziemlich abenteuerlich klingt: Sollten Wahlen im März keine absolute Syriza-Mehrheit erbringen, aber auch keine Konstellation für eine andere Regierung, wären ohnehin Neuwahlen fällig. Und die würde man triumphal gewinnen, weil die Griechen dann unbedingt eine handlungsfähige Regierung wollen.

Die unterstellte Wählerdynamik erscheint durchaus denkbar. Aber wie das Land nach zwei erbitterten Wählkämpfen aussehen würde (und das nach einer gescheiterten Präsidentenwahl, die ja Voraussetzung des ganzen Szenarios ist), möchte man sich lieber nicht vorstellen. In einem klientelistischen System, wo der öffentliche Dienst zu Wahlkampfzeiten praktisch zum Stillstand kommt, dürfte die neue Regierung für den geplanten Neubeginn jedenfalls keine angenehmen Startbedingungen vorfinden.

Das Hauptproblem der Syriza

Damit sind wir beim Hauptproblem der Syriza-Strategie. Und das liegt nicht in der Frage, wie und nach wie vielen Wahlen und mit welchem Wahlrecht eine Alleinregierung möglich wäre. Es ist vielmehr die Frage, wie eine linke Partei in einer so tiefgehenden ökonomischen Krise eine gesellschaftliche Mehrheit gegen die alten, diskreditierten Kräfte organisieren kann, ohne mit falschen Versprechungen zu operieren. In einer solchen Situation ist es von entscheidender Bedeutung, dass man von der Realität ausgeht, also Lage des Landes und der Gesellschaft so beschreibt, wie sie ist, und nicht, wie man sie sich wünscht. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil die Syriza die ND-Pasok-Koalition – völlig zu Recht – als Regierung der leichtsinnigen Versprechen und gezinkten Erfolgsgeschichten darstellt. Ein linkes Gegenprogramm, das auf ehrlichen Auskünften und nüchterner Bestandsaufnahme der Realität basiert, ist auch und vor allem wichtig, um Enttäuschungen vorzubeugen. Ehrlich währt am längsten. Und unehrlich rächt sich ziemlich schnell. Sollte die Politik einer Syriza-geführten Regierung daran scheitern, dass ihre Versprechen mit der Realität unvereinbar sind, wäre jedwede Perspektive der demokratischen Linken in Griechenland für lange Zeit zerstört.

Ehe wir nach dem Verhältnis von Realitätssinn und Ehrlichkeit bei der Syriza fragen, müssen wir uns klarmachen, wie es um ihre Vertrauenswürdigkeit in den Augen der Wähler steht. In dieser Hinsicht vermitteln die Umfragen, die der Opposition einen klaren Vorsprung vor der Regierung bescheinigen, zugleich eine entschiedene Warnung.

Die aktuelle Umfrage der Uni Thessaloniki zeigt, dass große Teile der Gesellschaft der Syriza genauso misstrauen wie der Regierung. Und zwar speziell in der zentralen Frage, mit der Tsipras im Wahlkampf punkten will: Während 64 Prozent der Befragten nicht an den von der Regierung verkündeten „Ausstieg aus den Memoranden" glauben, gehen 69 Prozent davon aus, dass auch eine Syriza-Regierung den von ihr versprochenen Ausstieg nicht schaffen kann. Noch eindeutiger sind folgende Zahlen: Nur 10 Prozent sind sich „ganz sicher", dass Samaras sein Versprechen einlösen kann, aber bei Tsipras sind es sogar nur 5 Prozent.

Das Misstrauen der Wähler als Chance

Diese Glaubwürdigkeitslücke ist ein katastrophaler Befund, den man allerdings auch positiv interpretieren kann: Ein Großteil der griechischen Wähler hat die Regierung der success stories satt, weil sie die Realität viel klarer sehen als die politische Klasse. Aber mit derselben Skepsis werden auch die Grenzen der realen Möglichkeiten einer Syriza-Regierung gesehen.

Die deprimierenden Zahlen enthüllen im Grunde ein großes Potential, das die Opposition für sich nutzen könnte. Aber nur, wenn sie den Wählern statt unglaubwürdiger Versprechen ein schlichtes Angebot machen würde: „Versucht es mit uns, weil wir euch ehrlich kommen."

Das klingt utopisch. Hat man irgendwo auf dieser Welt von einer demokratischen Wahl gehört, die auf dem Tauschakt „Vertrauen" (der Wähler) gegen „Ehrlichkeit" (der Wahlbewerber) beruhte? Und das ausgerechnet in einem politischen System gehen, das sich jahrzehntelang über den klientelistischen Tauschakt „Stimme gegen Pöstchen" reproduziert hat?

Dem wäre entgegen zu halten: Die griechische Gesellschaft ist an den Punkt gelangt, an dem sich die Fehler des alten System derart akkumuliert haben, dass es sich eben nicht mehr reproduzieren kann. Wann wenn nicht jetzt wäre die Zeit für eine Opposition gekommen, die das Ganze in Frage stellt? Und zwar nicht, indem sie „linke" Errungenschaften verspricht, für die eine materielle Basis erst zu schaffen wäre, sondern indem sie den Kern des alten Modell, also den Klientelismus attackiert.

Die Syriza als bessere Sozialdemokratie?

Klingt das nicht ziemlich sozialdemokratisch? Sicher doch, aber was soll schlecht daran sein? Eine wirkliche und solide Sozialdemokratie, die gegen populistische Demagogie und klientelistische Versuchungen gefeit ist, wäre ziemlich genau das Projekt, das die griechische Gesellschaft nach dem jämmerlich gescheiterten Projekt namens Pasok nötig hätte . Und das nach dem großen Krisenschock sogar eine Mehrheit finden könnte.

Für viele Syriza-Mitglieder, vor allem auf dem linken Flügel (der sich als „Linke Plattform" organisiert hat) ist diese Vorstellung natürlich ein Horror. Sie setzen nach wie vor (offen) auf einen „Grexit" aus der Eurozone und (weniger offen) aus der Europäischen Union. Die Argumente gegen solche linken „Kinderkrankheiten" hat der Slavoj Zizek zusammengefasst, der mit der griechischen Gesellschaft seit langem vertraut ist. Der prominente slowenische Philosoph, der enge Kontakte mit Alexis Tsipras hat und sich auch ganz gern als dessen intellektueller Guru bezeichnen lässt, sprach Ende Juni in einem Interview mit der Efimerida ton Syntaktion ausführlich über die potentielle Rolle der Syriza in der griechischen Krise. Ich zitiere die wichtigsten Passagen im Wortlaut:

„Etwas erreichen kann man in Griechenland nicht etwa, indem man eine bekloppte linksradikale Revolution ausprobiert und damit scheitert, um hinterher eine nette historische Erinnerung zu haben, im Sinne von: Ach wie schön es damals war. – Nein. In Griechenland haben wir einen korrupten und klientelistischen Staat. Ich weiß, das sich das, was ich sagen werden, verrückt anhört, und das mich gewisse Marxisten dafür kreuzigen werden. Ich glaube aber, dass die Syriza einige wirklich produzierende Kapitalisten finden muss, die diesen Zustand – diesen klientelistischen und parasitären Staat – ebenfalls satt habe. Wir müssen absolute Pragmatiker sein. Vielleicht müsste die Syriza sogar eine glaubwürdige bürgerliche Partei bilden, die Griechenland endlich zu einem stinknormalen Staat machen würde, zu einem Staat, der irgendwie einem normalen liberalen demokratischen Staat ähnelt. Das (Fehlen dieses Staates) stellt für die Syriza ein Hindernis dar, aber es ist zugleich auch eine einmalige Chance. Um es auf gut marxistisch auszudrücken: Die bürgerlichen Parteien sind bekloppt, dass sie dieses Terrain nicht besetzen, und die Bürger wissen das. Natürlich sind nicht alle Syriza-Wähler Linke, das ist mir klar, aber sie sind von den bestehenden (bürgerlichen) Parteien angewidert. Und sie hoffen, dass endlich effektiv regiert wird."

An dieser Stelle wirft Zizek den EU-Partnern Griechenlands eine heuchlerische Haltung vor: Sie halten Griechenland immer wieder vor, ein korruptes Land zu sein, aber bei Wahlen unterstützen sie dann doch immer die Nea Dimokratia, die nichts anderes ist als die „Inkarnation" der beklagten Korruption. Deshalb, so Zizek, sollten die Europäer nicht auf die griechischen Stimmen hören, die ihnen mit der Behauptung Angst machen, Tsipras würde auf einen „totalitären Polizeistaat" zusteuern. In Europa müsse man vielmehr begreifen, dass die Realität der Syriza im Grunde nur eine Politik erlaubt: eine Politik der „Mäßigung".

Tsipras und seine Partei sind keine Parias mehr

Diese Argumentation ist, abgesehen von ihrer inneren Stringenz, auch deshalb von Belang, weil Zizek sie ganz sicher auch Alexis Tsipras vorgetragen hat. Wie sich der Syriza-Vorsitzende mit der Position seines intellektuellen „Mentors" auseinandersetzt, können wir nicht wissen. Aber es gibt eine Menge Anzeichen dafür, dass solche realpolitischen Überlegungen in der Parteiführung aufmerksame Zuhörer finden. Das gilt erkennbar auch für die Einschätzungen und Informationen, die Tsipras und seine engeren Berater aus ihren Kontaktgesprächen mit Politikern und Wirtschaftsvertretern auf internationaler Ebene gewinnen.

Diese Kontakte haben sich seit längerem erheblich verdichtet. Das zeigt zugleich an, dass die Syriza mittlerweile – vor allem im EU-Bereich – als ernstzunehmende politische Größe und Tsipras als potentieller griechischer Regierungschef wahrgenommen wird. Seit seinem ersten Gespräch mit Finanzminister Schäuble und seinen Auftritten beim IWF und der Brookings Institution im Januar 2013 hat der Syriza-Chef seine internationalen Reputation und Akzeptanz kontinuierlich ausgebaut. Mit Sicherheit gehört er heute zu den am besten „vernetzten" Politikern der europäischen Linken .

Dies gilt auch für die Syriza-connections mit der deutschen Politik. Schon aus Anlass der Europa-Wahlen im Mai dieses Jahres schrieb Jens Bastian, einer der kundigsten Griechenland-Beobachter, in dem blog Macropolis: Anders als noch bei den doppelten (Parlamentswahlen vom Sommer 2012 werde Tsipras und die Syriza in Berlin inzwischen viel gelassener gesehen: „Im Lauf der letzten beiden Jahre wurde zwischen Syriza-Vertretern und deutschen Bundesministerien eine ständige Kommunikationsverbindung etabliert und offen gehalten, häufig unter Vermittlung der deutschen Schwesterpartei der Syriza, der Linken." Dank solcher Kontakte ist es laut Bastian gelungen, „Missverständnisse auszuräumen, zum Beispiel über Schuldenermäßigungen, und bestimmte politische Positionen zu klären, zum Beispiel über Griechenlands Euro-Zugehörigkeit". Zudem seien damit „beide Seiten auf eine mögliche Zusammenarbeit vorbereitet, wenn dies nötig werden sollte".

Sollte dieser „Ernstfall" einer von der Syriza geführte Regierung eintreten, wird Tsipras „für das Berliner politische Establishment keine unbekannte Größe" mehr sein. Das gilt auch für die wichtigsten Wirtschaftsexperten der Partei (wie den Abgeordneten und „Schatten-Wirtschaftsminister" Giorgos Stathakis), die fast schon eine ständige Arbeitsbeziehung bis hinein in die Berliner Regierung haben.

Die Syriza und Europa

Was die „europäische Orientierung" betrifft, so hat die Syriza-Führung in den beiden von Bastian erwähnten Punkten frühere Unklarheiten restlos beseitigt. Griechenlands Zugehörigkeit zur Euro-Zone wird von keinem Parteisprecher mehr in Zweifel gezogen, selbst die Linke Plattform hat sich zu diesem Thema seit längerem nicht mehr geäußert. Und in der Frage der EU-Mitgliedschaft hat Tsipras seine Partei spätestens mit seiner offiziellen „Kandidatur" für den EU-Kommissionspräsidenten auf Linie gebracht. Wie er schon letztes Jahr bei einer Veranstaltung der österreichischen Sozialdemokraten erklärte, erstrebt die Syriza Partei ein „offenes, demokratisches und kohärentes Europa", wobei der erste Schritt zu diesem Ziel „die Stabilisierung der Eurozone" sei.

Was bedeuten solche europäischen Bekenntnisse für die Vorstellungen über eine Lösung der griechische Schuldenkrise? Aussagen des Typs, dass eine Syriza-Regierung am ersten Tag das „Memorandum" aufkündigen und alle Zahlungen einstellen werde, gehören der Vergangenheit an und werden auch im nächsten Wahlkampf nicht wieder auftauchen. „Harte" Verhandlungen ja, aber keine Ultimaten, lautet die Botschaft von Tsipras inzwischen, wobei er als Verhandlungsforum eine gesamteuropäische Schuldenkonferenz vorschlägt. Man muss immerhin anerkennen, dass diese Idee von der Einsicht ausgeht, dass Athen seinen Gläubigern substantielle Konzessionen nur mit Hilfe europäischer Verbündeter abringen kann, zu denen Tsipras auch sozialdemokratische Kräfte zählt. Dennoch ist das Konzept aus heutiger Sicht nicht besonders realistisch.

Forderung nach einem Schuldenschnitt – realistisch und irreal zugleich

Das gilt auch für die Frage aller Fragen: eine tragfähige Lösung für die gigantische griechische Staatsverschuldung. In diesem Punkt sind die Vorstellungen der Syriza zwar ökonomisch realistisch, aber politisch irreal. Die offizielle Position der Partei ist nach wie vor, dass ein Großteil der aktuellen Staatsverschuldung( in Höhe von 177 Prozent des BIP) abgeschrieben werden müsse, um diese auf etwa 100 Prozent des BIP zurückzuführen.

Die Überzeugung, dass dies die Voraussetzung für eine „tragfähigen" Schuldenlast ist, teilt die Syriza mit prominente Ökonomen (auch innerhalb des IWF), aber auch mit Analysten großer Finanzinstitute wie der Citigroup (siehe EfSyn vom 20. Oktober). Die Operation würde allerdings auf einen „haircut" bei den griechischen Staatspapieren, die inzwischen überwiegend bei staatlichen und öffentlichen Institutionen liegen (daher spricht man von „Official Sector Involvement" oder OSI). Das würde bedeuten, dass z.B. die EZB und nationale Zentralbanken zig Milliarden abschreiben müssten. Das macht OSI zu einem hochpolitischen Projekt der explosiven Art, das keine Regierung freiwillig anfassen würde (ob sozialdemokratisch oder nicht).

Ein linkes Programm für umfassende Reformen

Aus diesem Dilemma gibt es für eine Partei, die mit dem Anspruch auftritt, nicht nur die alte Regierung, sondern auch das alte System abzulösen, nur einen Ausweg. Sie muss ein eigenes Programm für umfassende Reformen entwickeln und sich in hartnäckigen Verhandlungen mit den EU-Partnern bemühen, möglichst viel von diesem Erneuerungsprogramm durchzusetzen – und zugleich möglichst viele der „Reformen" zu verhindern, die nicht zur Überwindung der Krise beitragen oder unzumutbare soziale Folgen haben. Aber die griechische Position in solchen Verhandlungen wird umso besser sein, je deutlicher sie ihre Bereitschaft zu eigenen, überfälligen Reformen demonstriert.

Da solche Reformen vor allem den Klientelstaat bekämpfen und damit den öffentlichen Sektor betreffen müssen, werden sich innerparteiliche Konflikte nicht vermeiden lassen. Zum Beispiel mit bestimmten „Gewerkschaften", die im Lauf der Zeit zum organischen Bestandteil des korrupten Klientelstaats geworden sind. Deren Repräsentanten, von denen viele seit Beginn der Krise von der Pasok zur Syriza übergelaufen sind, werden jede ihren Besitzstand bedrohende Reform zu torpedieren versuchen.

Es gibt klare Anzeichen dafür, dass Tsipras und seine Berater das Problem erkannt haben. Vor drei Wochen hielt der Syriza-Vorsitzende eine Rede, in der er den „traurigen Zustand des Staates" auf „Phänomene wie Korruption, Rechtlosigkeit, Schmuggelhandel und Erpressung" zurückführte: „Der heutige nicht funktionierende und verbürokratisierte Staat ist kein Zufall. Er ist politisch gewollt, weil er Seilschaften und krumme Geschäfte begünstigt." Das Publikum, dem Tsipras diese Kritik des Klientelstaates vortrug, war der griechische Unternehmerverband. Es bleibt abzuwarten, ob er ähnlich klare Worte auch gegenüber bestimmten Branchensyndikaten findet.

Postscriptum 1: In der zitierten Rede war Tsipras bemüht, den griechischen Unternehmern klarzumachen, dass eine Syriza-Regierung nicht die von Samaras beschworene Katastrophe wäre. Dabei präsentierte er seinem Publikum ein leicht naives Idealbild des „neuen Unternehmers", der innovativ ist, Herausforderungen annimmt und seine gesellschaftliche Verantwortung erfüllt. Solche Unternehmer seien für ihn „Mitstreiter" für „die Neubegründung, Neuordnung und Entwicklung des Landes".

Postscriptum 2: Diese Rede von Tsipras wurde nur in der linken Efimerida ton Syntakton dokumentiert. In den Wirtschaftszeitungen war sie nicht nachzulesen, auf der Wirtschaftsseite der Kathimerini fand sich nur eine winzige Notiz. Offenbar hat die Rede des Syriza-Vorsitzenden den regierungsnahen Redakteuren nicht gefallen. Auch das zeigt uns an: Es riecht nach Wahlen.




GdL-Streik & Tarifeinheit: Die Stunde der Heuchler -->> Jährlich #brechen #Konzerne die #Tarifeinheit

 
 

GdL-Streik & Tarifeinheit: Die Stunde der Heuchler

von redaktion01
 
[via arbeitsunrecht.de]
 
 
 

Jährlich brechen Konzerne die Tarifeinheit und schließen hunderte Tarifverträge mit gelben Scheingewerkschaften ab.

Kämpferische Organsiationen wie die GDL sollen zerstört werden.

von Werner Rügemer

Die Gewerkschaft deutscher Lokführer ist die älteste deutsche Gewerkschaft. Soll sie jetzt zerschlagen werden?

Die Gewerkschaft deutscher Lokführer ist die älteste deutsche Gewerkschaft. Soll sie jetzt zerschlagen werden?

Die Bild-Zeitung wirft der Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) vor, »unsere Wirtschaft lahmzulegen« und listet die Gehälter des Vorsitzenden und der Chefs ausgesuchter DGB-Gewerkschaften auf (Montagausgabe). Der Spiegel hetzte Ende vergangener Woche gegen die GDL als »Deutschlands dümmste Gewerkschaft«. Dem stehen die anderen »renommierten« Mitglieder der deutschen Mainstreammedien kaum nach. Doch warum die GDL streikt, wird selten erklärt: Damit nach 25jähriger Berufstätigkeit für einen Lokführer etwas mehr als 1.750 Euro netto rausspringen und weniger Arbeitsbelastung.

Dazu muss man die verschärften Bedingungen einbeziehen, seitdem die Bahn privatisiert wurde: Also weniger Personal, Vernachlässigung der Bahninfrastruktur, so dass kaputte Weichen, stillgelegte Ausweichgleise, verzögerte Instandhaltung die Arbeit erschweren, ständige Verspätungen den Lokführern angelastet werden. Das schlecht bezahlte Begleitpersonal in den Zügen ist von diesem Stress ebenfalls betroffen. Nicht zuletzt geht es um die Sicherheit der täglich Millionen Fahrgäste, die pünktlich zu ihren Arbeitsplätzen und Terminen kommen müssten. 

GdL siegte 2010 vor BAG

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat 2010 die jahrzehntelang geltende Regel der Tarifeinheit abgeschafft. Seitdem gilt arbeitsrechtlich das Prinzip »Ein Betrieb – eine Gewerkschaft« nicht mehr. »Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen«, heißt es etwas umständlich, aber eindeutig. Das BAG entsprach damit nur den geänderten Realitäten.

Dagegen ergriff als erster der damalige Präsident der »Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände« (BDA) Dieter Hundt das Wort. »Ich fordere die Politik auf, die Tarifeinheit gesetzlich zu regeln!« Sonst drohe die »Spaltung der Belegschaft« und dauerndes Streiken wie im Großbritannien der 1970er Jahre.

Dieser Aufforderung kam die Bundesregierung nun nach. Angesichts der effizienten Streikfähigkeit von GDL, Marburger Bund und der Pilotenvereinigung Cockpit (VC) in den letzten Jahren legte das Bundeskabinett unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) einen Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vor. Der DGB hatte Hundts Forderung schon frühzeitig unterstützt.

Falsche und fadenscheinige Argumentation

Doch die neuerlichen Freunde der Tarifeinheit sind Heuchler. Sie sind es selbst, die seit zwei Jahrzehnten die Tarifeinheit nachhaltig zerstören. Immer mehr Konzerne stiegen aus ihren Verbänden aus und machten damit flächendeckende Tarifverträge immer weniger möglich. BDA und einzelne Unternehmensverbände forderten statt dessen dezentrale, einzelbetriebliche Vereinbarungen. Das wurde unterstützt durch die Aufspaltung der Konzerne in einzelne juristische Einheiten. Zuletzt haben die Hartz-Gesetze seit 2004 mit ihren Regelungen für Leih- und Teilzeitarbeit für die fortgesetzte Aufsprengung der Tarifeinheit gesorgt. Nur noch die Hälfte der Lohnabhängigen wird nach Branchentarifverträgen bezahlt, in Ostdeutschland sind es nur noch 35 Prozent.

Gelbe Gewerkschaften

So haben zahlreiche Unternehmer das Dutzend »christlicher« Gewerkschaften aus ihrem jahrzehntelangen Schläferdasein erweckt und Tausende von dezentralen Tarifverträgen abgeschlossen. Zum »Christlichen Gewerkschaftsbund« (CGB) gehört der »Deutsche Handels- und Industrieangestellten-Verband« (DHV). Er hat zwischen 2003 und 2012 mehr als 900 einzelbetriebliche und regionale Tarifverträge mit Konzernen und Unternehmensverbänden abgeschlossen: im Fach-, Groß- und Einzelhandel, in der Metall- und Elektroindustrie, mit Banken und Versicherungen, in kirchlichen und Privatkliniken, auch in Sozialversicherungen, Krankenkassen und in Kommunen.

 Neue Arbeitgeberverbände für Dumping-Tarifverträge

Unternehmer haben sich zu neuen spezialisierten Verbänden zusammengeschlossen und suchen sich dafür auch die passende »Gewerkschaft« aus, die niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen zustimmt. Die Medienunternehmen unter Führung der Springer AG und des WAZ-Konzerns gründeten nicht nur den »Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste« (AGV-NBZ), sondern auch gleich die dazugehörige »Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste« (GNBZ), die über eine Anwaltskanzlei heimlich finanziert wurde und einen Tengelmann-Manager zum Vorsitzenden bekam. Die Einzelhandelskette Rossmann gründete den Verband »Instore Solution Services« (ISS), der für den Tarifvertrag der Regaleinräumer in Supermärkten als Gewerkschaft den DHV aussuchte.

Weil Arbeitsgerichte diesen »gelben« Gewerkschaften wegen eines geringen Organisierungsgrades in einigen Fällen inzwischen die Vertretungsfähigkeit abgesprochen haben, greift man schon mal zum Mittel der Korruption. Bei der Gründung einer DHV-Betriebsgruppe half ein Unternehmer mit einer monatlichen »Verantwortungszulage« von 50 Euro nach, damit Beschäftigte in die Scheingewerkschaft eintraten. Erinnert sei auch an die schon in den 1980er Jahren gegründete »Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger« (AUB). Der Siemens-Vorstand finanzierte sie über die Jahre mit mindestens 50 Millionen Euro und baute sie konzernweit als Alternative zur IG Metall aus. Die AUB stimmte Tarifverträgen mit unbezahlter Mehrarbeit und Lohnverzicht zu – das habe dem Konzern viel Geld erspart, gab ein Siemens-Manager vor Gericht zu. Die AUB stellt heute Betriebsräte bei ALDI Nord und hilft bei Hyundai Rüsselsheim, den gewählten Betriebsrat aus dem Amt zu jagen. Dagegen protestieren die Heuchler nicht.

Der deutsche Staat ist alleiniger Eigentümer der privatisierten Bahn. Er lässt die Bahn hinsichtlich Fahrsicherheit, Pünktlichkeit und Benutzerfreundlichkeit verkommen. Die Fahrpreise werden laufend erhöht, die Arbeitseinkommen der Beschäftigten sollen möglichst niedrig bleiben. Der Staat, vertreten durch die Bundesregierung, will Hohe Gewinne herausquetschen, um auch auf diese Weise das Ziel der »Haushaltssanierung« zu erreichen.

Fazit: Tarifeinheit nur vorgeschoben

Den Heuchlern in Regierung, Unternehmensverbänden und Propagandamedien geht es gar nicht um Tarifeinheit. Sie praktizieren schon längst das Gegenteil. Es geht ihnen darum, christlich lackierte und andere Gefälligkeitsgewerkschaften zu fördern, die Niedriglohndiktaten zustimmen und niemals streiken. Und zugleich geht es den Heuchlern darum, die Arbeitskämpfe der Lokführer demagogisch zum Anlass zu nehmen, um die Möglichkeiten und die Legitimation von Streiks überhaupt einzuschränken und schließlich ganz abzuschaffen.

Werner Rügemer




Die widersprüchlichen Wahrheiten eines Todesfalls - Oury Jalloh - Dok5 am 02.11.2014 um 11:04 Uhr auf #wdr5

 
 
Dok 5 - Das Feature
 
[via wdr5.de]
 
Sendung am 02.11.2014 um 11:05 Uhr
 
Demonstration am 07. Januar 2014 (9. Jahrestag des Todes von Oury Jalloh)  in Dessau-Rosslau.

Die widersprüchlichen Wahrheiten eines Todesfalls - 02.11.2014   

Kann ein gefesselter Mensch sich selbst anzünden ? Oder war der Feuertod eines afrikanischen Asylsuchenden im Polizeigewahrsam sorgsam vertuschter Mord ?



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#Unternehmer u. ihre #Verbände sind d. #Gegner u. nicht d. Sozialpartner d. #Gewerkschaften u. d. #Lohnabhängigen!

 
 
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