Atomausstieg
Das große Geschäft der Stromkonzerne
Bericht: Jan Schmitt, Jochen Leufgens, Frank Konopatzki, Jannis Carmesin
Georg Restle: Atomkraftwerke sind für die deutschen Stromkonzerne so etwas wie wahre Gelddruckmaschinen. Jedenfalls bis zum Jahr 2022, wenn dann endgültig abgeschaltet werden soll. Ein Milliardengeschäft, bezahlt mit unseren Stromrechnungen, subventioniert mit unseren Steuern. Doch was passiert eigentlich nach 2022, wenn die Kraftwerke verschrottet und der Atommüll endgelagert werden soll? Wer zahlt eigentlich dann? Auf keinen Fall der Steuerzahler, sagt die Kanzlerin. Wahrscheinlich doch, sagen unsere Autoren Jan Schmitt, Jochen Leufgens und Jannis Carmesin."
Atomstrom in Deutschland. Jahrzehntelang gab es kaum ein besseres Geschäft. Mehr Nähe zur Politik auch nicht. Atomlobby und Kanzlerin - gute Zusammenarbeit garantiert - trotz Atomausstieg. Die vier Energiekonzerne RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall machten enorme Gewinne mit Strom aus Atom - mit freundlicher Unterstützung des Staates. Über Subventionen und konzernfreundliche Regelungen pumpte er geschätzte 210 Milliarden Euro in die Großunternehmen. Ein Riesendeal für die Atomwirtschaft. Bei dem sie am Ende zumindest für eines garantieren sollte: Die Kosten für den Rückbau der Kraftwerke und die bislang völlig ungeklärte Endlagerung zu tragen. Ganz im Sinne der Kanzlerin, denn wie sagte sie noch vor Kurzem zur Atomkraft?
Zitat: Risiken auf Staat und Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab."
Schöne Worte. Und jetzt ein bisschen Realität. Für Rückbau und Endlagerung haben die Konzerne Rückstellungen gebildet. 35,8 Milliarden Euro. Eine Belastung für die Energieversorger? Wohl kaum. Sie legten das steuerfreie Geld nämlich nicht krisensicher auf die Seite, sondern spekulierten damit und bauten ihre Unternehmen aus. Die Bilanzexpertin Bettina Meyer errechnet für MONITOR, was das den Konzernen brachte.
Bettina Meyer, Forum Ökologisch Soziale Marktwirtschaft: Dadurch, dass die Energieversorger die Rückstellungen einsetzen konnten für ihre Investitionen und Unternehmenskäufe, haben sie einen wirtschaftlichen Vorteil von ja, über 70 Milliarden Euro erzielen können. Und das ist ja schon mal das Doppelte von dem, was die Rückstellungen wert sind."
Über 70 Milliarden Euro brachten den Konzernen die Spekulationen mit den Rückstellungen zusätzlich ein. Eine Summe, die zeigt, die Rückstellungen waren vor allem eines - ein gutes Geschäft. Aber gut, irgendwann müssen Rückbau und Endlagerung ja wirklich von den Energiekonzernen bezahlt werden. Oder doch nicht? Können sie sich doch noch aus der Verantwortung ziehen? Wir recherchieren. Auffällig die Unternehmenskonstruktionen. Die Konzerne haben manche ihrer Kernkraftwerke ausgelagert - als Tochtergesellschaften. Ganz korrekt heißt das bei den Atomkraftwerken: Betreibergesellschaft. Und die sind dann später auch für den Rückbau verantwortlich.
Prof. Wolfgang Irrek, Hochschule Ruhr West: Wenn die Kernkraftwerke im Rückbau sind, machen diese Gesellschaften aber keine Gewinne mehr. Wenn dann am Ende plötzlich die Rückbau- und Entsorgungskosten höher sind als ursprünglich geschätzt, dann droht, dass am Ende der Staat diese Kosten bezahlen muss, sprich der Steuerzahler für die Entsorgung aufkommen muss."
Rückbau und Endlagerung können noch bis ins Jahr 2100 dauern. Die Kosten dafür genau abzuschätzen, ist kaum möglich. Aber ein Blick auf Atomprojekte, die jetzt schon abgewickelt werden zeigt: Die Kosten explodieren jedes Mal. Beispiel Jülich - der Versuchsreaktor hier wurde vor Jahren abgeschaltet, schon jetzt gibt es Mehrkosten von 166 Millionen Euro. Beispiel Karlsruhe - ebenfalls ein stillgelegter Versuchsreaktor, schon jetzt 130 Millionen Euro Mehrkosten. Beispiel Greifswald - stillgelegtes Kernkraftwerk, Mehrkosten gegenüber der Planung: 900 Millionen Euro. Steigerungen bis zu 50 Prozent. Und wahrscheinlich wird es noch teurer. Wenn aber die Kosten für den Rückbau der Kraftwerke steigen und die Betreibergesellschaft insolvent geht? Wer schützt dann davor, dass der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird? Immerhin sagte doch die Kanzlerin:
Zitat: Risiken auf Staat und Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab. FAZ 16.05.2014"
Endlich antwortet uns das Bundeswirtschaftsministerium. Alles nicht so wild, teilt man uns mit. Es schützten so genannte Gewinnabführungs- oder Beherrschungsverträge. Diese bestehen zwischen den Tochter- und Muttergesellschaften. Bei Zahlungsunfähigkeit muss der Mutterkonzern für die Tochter haften. So weit, so gut. Nur, bei der Recherche der Vertragskonstruktion stellen wir Erstaunliches fest. Die Verpflichtung, diese Verträge fortzuführen läuft 2022 aus. Können sich die Konzerne damit doch noch aus ihrer Pflicht stehlen, und wer zahlt dann?
Robert Habeck (B'90/Grüne), stellv. Ministerpräsident Schleswig-Holstein: Wäre es so, dass die Muttergesellschaften nicht mehr für ihre Töchter haften und diese Töchtergesellschaften pleitegehen, dann haftet niemand mehr dafür. Dann ist der deutsche Steuerzahler dran."
Und hier, in Schleswig-Holstein, kann man heute schon beobachten, dass dies ein äußerst realistisches Szenario ist. Hier hat sich nämlich schon ein Mutterkonzern aus der Verantwortung gezogen. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall ließ einen Beherrschungsvertrag mit seiner deutschen Tochter enden. Und damit hat sich der schwedische Mutterkonzern auch von seiner finanziellen Verantwortung für die mittlerweile abgeschalteten Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel frei gemacht. Eine Blaupause auch für andere Energieversorger, sich aus der Verantwortung zu stehlen?
Robert Habeck (B'90/Grüne), stellv. Ministerpräsident Schleswig-Holstein: Ich halte das für wahrscheinlich, dass solch ein Modell dann übertragen wird auch auf andere Konzerne. Dass die Mithaftung der Mutterkonzerne gekappt werden soll, damit, wenn das Ding irgendwann nicht mehr lukrativ läuft, nicht mehr der Gesamtkonzern in der Haftung ist. Aber das ist eine Unverschämtheit."
Übrigens, das Land Schleswig-Holstein musste dabei machtlos zusehen. Der Landtag stellte fest:
Zitat: Es gibt keine atomrechtlichen Möglichkeiten" dies zu verhindern oder zu untersagen.
Sylvia Kotting-Uhl (B'90/Grüne), atompolitische Sprecherin: Es ist natürlich ein absolutes Unding, dass die Atomkraftwerke viel Gewinn eingebracht haben, die Konzerne das gerne genommen haben über die ganzen Jahrzehnte. Aber immer, wenn diese Atomkraftwerke Kosten verursachen, am Anfang ihrer Geschichte und am Ende ihrer Geschichte, dann wird es in die öffentliche Hand gedrückt und das ist ein absoluter Skandal."
Milliardensubventionen für die Konzerne und am Ende droht der Steuerzahler doch für die Entsorgung zahlen zu müssen. Und das alles ist übrigens völlig im Rahmen der Gesetze, die die Politik vorgibt. Wie sagte es Angela Merkel noch? Risiken auf den Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab. Schön wär's.
Georg Restle: Morgen soll im Bundesrat übrigens auch über dieses Thema beraten werden. Wie gesagt, zwei Tage vor dem WM-Finale in Brasilien."
- MONITOR-DossierAtomkraft
- tagesschau.de Strompreis-Rabatte für Industrie: Streit um EEG-Reform beigelegt
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