Hartz IV: ausgrenzende Aktivierung
oder Lehrstück über
die Antastbarkeit der Würde des Menschen
Überarbeitetes und mit Anmerkungen und Literaturverweisen versehenes Manuskript zum Thema "Erfahrungen aus der lokalen Umsetzung des SGB II - Strukturen, Leistungsprozess, Handlungsbedarfe"
"Allein der Mensch als Person betrachtet, d. i. als Subjekt einer moralisch-praktischen Vernunft, ist über allen Preis erhaben; denn als ein solcher (homo noumenon) ist er nicht bloß als Mittel zu anderer ihren, ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, d. i. er besitzt eine Würde (einen absoluten inneren Wert), wodurch er allen andern vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnötigt, sich mit jedem anderen dieser Art messen und auf dem Fuß der Gleichheit schätzen kann."
(Immanuel Kant)
"Wer in Wort oder Schrift oder tätlich oder sonstwie die moralische Gleichheit der Menschen (Bürger und Nicht-Bürger) angreift, also den Versuch unternimmt, eine [Â
] Gruppe von Personen, sei es kollektiv, sei es individuell [Â
] vom Genuß der dem Staatsbürger zustehenden Rechte (u. a. insbesondere von dem einer legalen Pursuit of happiness) auszuschließen [Â
], der macht sich - gleichgültig ob ein derartiger Versuch glückt oder nicht - des ÂVerbrechens gegen die Menschenwürde Schuldig und soll mit Kerker [Â
] bestraft werden."
(Hermann Broch)
I
(1) Folgt man der Entstehungsgeschichte des modernen demokratischen Rechtsstaats, so stößt man auf den von der Erfahrung des nationalsozialistischen Terrorregimes beförderten und geprägten Grundgedanken, daß die staatliche Ordnung durch einen politischen Werteund Verhaltenskodex zu spezifizieren und abzusichern sei. Dies läßt sich in besonderer Weise ablesen an der "Grundgesetz" genannten ÂVerfassung (2) der Bundesrepublik Deutschland, die ja bekanntlich als Schutzvorkehrung gegen einen Rückfall in die Barbarei der Herrschaft eines autoritären oder totalitären Staats entworfen worden ist und eben deswegen staatliches Handeln nicht nur im Sinne formaler Rechtsstaatlichkeit an Gesetz und Recht bindet (Art. 20 III GG), sondern dieses auch zur Achtung und zum Schutz der als objektive Werteordnung verstandenen Grundrechte verpflichtet (Art. 1 III GG), wie sie im Grundrechtsteil des Grundgesetzes (Art. 1-19 GG) niedergelegt ist. Dort heißt es in der verfassungsrechtlichen Fundamentalnorm von Art. 1 I GG zum Schutz der Menschenwürde ebenso kurz wie gehaltvoll, und zwar ganz in der Tradition der Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948, in deren Präambel deutlich hingewiesen wird auf die barbarischen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, die diese Verkündung der Menschenrechte als ein von allen Völkern und Nationen zu erreichendes gemeinsames Ideal motiviert hatten: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Wer sehen will, der sieht, daß die gegenwärtig sich vollziehende Metamorphose der Gesellschaft sich als ein rücksichtsloser Bruch mit der eigenen Geschichte entpuppt, bei der an die Stelle eines contrat social, der Individuen und Gesellschaft miteinander verbindet, zunehmend ein Partikularismus tritt, der sich allein an wirtschaftlichem Erfolg orientiert und dem die Durchsetzung ökonomischer Interessen auch mit den Mitteln außerökonomischer Zwangsgewalt als legitim erscheint. Daß von diesem Gesellschaftsvertrag immer mehr Abstand genommen wird, läßt sich überall erkennen: an der Arroganz, mit der die Apologeten der fundamentalistischen Heilslehre des Neoliberalismus das Gesetz der freien Konkurrenz als das einzige Gesetz, das sie gelten lassen, verkünden und durchsetzen, an dem massenhaften Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Prekarität der Arbeitsverhältnisse, an dem Ab- und Umbau der sozialstaatlichen Sicherungs- und Unterstützungssysteme, an der wachsenden Zahl von Menschen, die aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden und denen die Chance auf Teilhabe verwehrt wird. Zugleich wird Abschied genommen von einer Utopie, die seit über 200 Jahren das große Ziel abendländischer Politik war: nämlich von einer demokratisch verfaßten Gesellschaft autonomer Individuen, die die Art und Weise ihres Zusammenlebens selbst bestimmen. Im Gegenteil, beschritten wird ein Weg in einen autoritären Staat, bei dem nicht nur die seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert mühsam erkämpften sozialen Errungenschaften wie etwa der Normalarbeitstag oder die sozialstaatlichen Arrangements zum Beispiel zur Sicherung der Reproduktion der Arbeitskraft bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit den Gesetzen des Marktes geopfert werden, sondern bei dem auch die Leidtragenden dieser Entwicklung, die sogenannten Modernisierungsverlierer, intensivierter gesellschaftlicher Kontrolle und verschärfter staatlicher Repression ausgesetzt sind. Hierbei kommt der Sozialpolitik, gewissermaßen von ihren ursprünglich solidarischen Füßen auf den nunmehr sozialdarwinistischen neoliberalen Kopf gestellt, eine zentrale Schlüsselstellung zu, indem sie, statt die Sicherung der Existenz zu gewährleisten, fortan subjektive Unsicherheit und Verunsicherung zur Grundlage der von ihr im Einklang mit den Verfechtern der neoliberalen Heilslehre geforderten Eigenverantwortung erhebt. Deutliches Beispiel hierfür ist jene Politik, die unter dem Euphemismus "aktivierender Sozialstaat" (3) - insbesondere mit der Verabschiedung des umgangssprachlich Hartz IV genannten "Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt " (SGB II) (4), das organisatorisch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und materiell die Existenz-, das heißt die "Grundsicherung für Arbeitsuchende" zum Gegenstand hat - , einen Paradigmenwechsel in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik herbeigeführt hat, dessen längerfristigen Konsequenzen für die soziale und politische Realität der bundesrepublikanischen Gesellschaft so recht noch gar nicht abzusehen sind.
Um zu begreifen, was sich tatsächlich vor unseren Augen abspielt, ist es erforderlich, genau hinzuschauen und sich den Unterschied zwischen Intention und Proklamation zu vergegenwärtigen, will sagen, es ist zu bedenken, daß das, was einem in Form einer Regierungserklärung oder eines Gesetzestextes als Ziel präsentiert wird, nicht mit den Absichten übereinstimmen muß, die sich hinter den öffentlichen Verlautbarungen wortreich verkleidet verbergen. Und dies wiederum verlangt, das geäußerte Wort zum einen zwar wortwörtlich ernst zu nehmen, es zum anderen aber auch kritisch daraufhin zu befragen, ob und inwieweit es auch mit dem ihm eigentlich entsprechenden Handeln übereinstimmt, und, so dies nicht der Fall ist, über die möglichen Gründe für die festgestellte Inkongruenz von Wort und Tat zu reflektieren. Mit Blick auf die Frage, was sich tatsächlich hinter der Aktivierungspolitik à la Hartz IV verbirgt, sollen daher im folgenden, selbstredend ohne die Frage erschöpfend beantworten zu können, im ersten Schritt (II) einige Aspekte beleuchtet werden, anhand deren die Absurdität der von vielen geteilten Annahme plausibilisiert werden kann, der Gesetzgeber verfolge mit dem SGB II das Ziel der ÂIntegration der Arbeitslosen.(5) Es ist vielmehr das Gegenteil der Fall, das heißt, daß an die Stelle der bisherigen politischen Programmatik der Gewährleistung von Chancen gesellschaftlicher Teilhabe durch sozialstaatliche (Wieder-)Eingliederungsmaßnahmen die neoliberale Praxis der sozialpolitischen Produktion und Verwaltung sozialer Ausgrenzung getreten ist. Sodann werden im zweiten Schritt (III) einige Überlegungen anzustellen sein hinsichtlich der unheilvollen, weil sozial desintegrativen und politisch involutiven (6) Konsequenzen der beschriebenen Politik für eine ihrem Anspruch nach demokratisch verfaßte Gesellschaft.
II
Eine sprachanalytische Befassung mit § 1 I SGB II klärt einen darüber auf, so man dem syntaktischen Aufbau eine Bedeutung zumessen will, daß nicht die Absicherung des Lebensunterhalts, sondern die Stärkung der Eigenverantwortung das vordringlichste Ziel von Hartz IV ist. Die sich hierin artikulierende Betonung der Eigenverantwortung beruht zum einen auf dem sozialpolitischen Stereotyp, daß die durch den Sozialstaat geleistete Hilfe unwirksam sei und den Status scheinbarer wie auch realer Hilfebedürftigkeit der Betroffenen verfestige, weil die den Betroffenen erwiesene Hilfe nicht nur deren Eigenmotivation und -initiative nicht fördere, sondern diese sogar hemme. Zum anderen gründet sie klar erkennbar auf der Annahme, daß man nur die durch den Staat gewährte Fremdhilfe hinreichend weit zurücknehmen müsse, um bei den Betroffenen die Einsicht zur Notwendigkeit von Eigen- oder besser Selbsthilfe befördern zu können (vgl. statt anderer ausdrücklich Feist 2000), womit die Vertreter des Stereotyps den Betroffenen prinzipiell Handlungsvermögen unterstellen und Eigenverantwortung für ihr Handeln und damit Schuld für Verfehlungen zuschreiben. Hierzu ist kritisch anzumerken, daß verantwortlich jemand jedoch nur für das ist, wofür er etwas kann, was die Frage nach der Bedeutung und den Voraussetzungen des Dafür-Könnens aufwirft.
Als Minimalbedingung gehört hierzu die Handlungsfähigkeit, das heißt das Vermögen einer Person, kausal und intentional Ereignisse herbeiführen, Zustände verändern, Prozesse auslösen, also etwas in der Welt bewirken zu können. Einer Person zurechenbar sind allerdings nur solche Handlungsfolgen, die sie normalerweise voraussehen und aufgrund dieser Voraussicht auch kontrollieren und, bei unerwünschten Folgen, auch vermeiden hätte können. Die Frage, ob eine Person etwas für die Folgen ihres Handelns kann, läßt sich mithin letztlich nur dann beantworten, wenn man Aussagen über die internen und externen Handlungsbedingungen machen kann, unter denen konkret gehandelt wird, wozu kognitive Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten, Willensstärke und psychische Dispositionen wie Selbstkontrolle und -steuerung ebenso gehören wie die materiellen, zeitlichen, kulturellen und sozialen externen Faktoren, die aus dem Handelnden die Person gemacht haben, die sie ist.
Wenn nun die Theoretiker und Praktiker der Eigenverantwortung die Adressaten ihrer Hilfsmaßnahmen anzuhalten trachten, eigenverantwortlich zu handeln, so ist in der realen Welt - anders als in den Köpfen der Apologeten der Eigenverantwortung - zunächst einmal völlig offen, ob es sich bei den Voraussetzungen und Bedingungen eigenverantwortlichen Handelns um ein tatsächlich vorhandenes und nur wieder zu aktivierendes (7) internes persönliches Vermögen handelt und ob der Mobilisierung des Handlungsvermögens externe Hemmnisse entgegenstehen. Daraus folgt, daß sowohl im Falle eines unzureichenden Handlungsvermögens wie auch im Falle der Existenz externer Restriktionen zur Mobilisierung desselben dem Adressaten der staatlich verordneten Eigenverantwortung, wie sie namentlich im SGB II ihren konkreten Niederschlag gefunden hat, eine Aufforderung zur eigenen Initiative als grotesk erscheinen muß und von ihm als eine - unter Umständen sogar repressiv aufgenötigte - Form der Fremdbestimmung und Disziplinierung erlebt wird, was selbstredend auch dann zutrifft, wenn der Adressat der Aufforderungen sich selbst und seine Fähigkeiten anders deutet und versteht, als ihm seine Aktivierer zumuten.
Der hier in Rede stehende Sachverhalt der Priorisierung der Eigenverantwortung gegenüber der Existenzsicherung ist nun in besonderer Weise aufschlußreich, weil er einen spezifischen Bruch symbolisiert mit der Tradition des Sozialstaates, wie er in Art. 20 I GG seinen verfassungsrechtlichen Ausdruck gefunden hat. Denn mit der Betonung der Eigenverantwortung als inhaltlichem Kern der neuen Grundsicherung wird Abstand genommen von der Idee, die das alte Gesetz zur Existenzsicherung, das seinerzeitige BSHG, noch explizit leitete. Dort hieß es nämlich in § 1 II BSHG, Aufgabe der Sozialhilfe sei es, "dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht". Dies hatte selbstredend damit zu tun, daß die Institutionalisierung der Sozialhilfe seinerzeit, das heißt 1962, mit der festen Überzeugung erfolgte, vor dem Hintergrund der ÂWirtschaftswunder genannten prosperierenden und mit Vollbeschäftigung einhergehenden ökonomischen Entwicklung käme Armut nur noch die Bedeutung eines gesellschaftlichen Randphänomens zu, weswegen der Fürsorge beziehungsweise Sozialhilfe denn auch die Rolle eines "Lückenbüßers" (Achinger 1958: 110) zugewiesen wurde. Eine Überzeugung, die sich allerdings alsbald als haltlos erwies, als sich mit der ökonomischen Krise 1974/75 Arbeitslosigkeit als strukturell bedingte und dem zentralen Auslöser für den Bezug von Sozialhilfe (vgl. Brinkmann et al. 1991) zu verfestigen begann. Indem sich nun die Gesetzgebung, vor allem finanz- und arbeitspolitisch (8) motiviert, mit dem SGB II von dem Leitgedanken der Führung eines menschenwürdigen Lebens distanziert hat, ist sie wieder auf den Stand vor dem BSHG zurückgefallen, als Fürsorge Hilfebedürftigen gewährt wurde lediglich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, nicht aber um ihrer selbst willen. Ein Sachverhalt, den das Bundesverwaltungsgericht mit einer Entscheidung aus dem Jahre 1967 wie folgt kritisierte: "Wenn die Bundesrepublik als ein sozialer Rechtsstaat verfaßt und dem Staat die Menschenwürde anvertraut ist, so kann die Fürsorge nicht mehr als polizeiliche Armenpflege verstanden werden. Sie ist ein Teil der der staatlichen Gewalt aufgegebenen aktiven Sozialgestaltung, und innerhalb dieser aktiven Sozialgestaltung hat der einzelne Hilfesuchende eine Subjektstellung" (BVerwGE 27/63).
Zur Realisierung der programmatischen Kernaussage des SGB II sind nach § 1 i.V.m. § 4 zwei Leistungsarten vorgesehen: zum einen und zuvörderst Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und zum zweiten und nachgeordnet Leistungen zur Existenzsicherung. Auch hierin zeigt sich im Vergleich zum seinerzeitigen BSHG die grundlegende Neuausrichtung der sozialstaatlichen Existenzsicherung. Heute wie damals wird nur denjenigen das Recht auf Existenzsicherungsleistungen zuerkannt, die entweder über kein existenzsicherndes Einkommen oder verwertbares Vermögen verfügen oder nachweisbar erwerbsunfähig sind. Umgekehrt formuliert heißt dies aber auch, daß heute wie damals eine Verpflichtung besteht, die eigene Arbeitskraft zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen. Allerdings mit dem bedeutsamen Unterschied, daß heute nicht mehr wie damals der Satz gilt "Arbeit statt Sozialhilfe", sondern vielmehr "Arbeit für Sozialhilfe", mit dem das geänderte Verständnis formelhaft auf den Punkt gebracht wird und das im Angelsächsischen mit der Phrase "welfare to work" (9) seine sprachliche Entsprechung hat. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, auf seiten des hilfebedürftigen Bürgers bestünde eine Pflicht, die staatlich gewährte Existenzsicherung als Gegenleistung ÂabzuarbeitenÂ, eine Vorstellung, die einen zwar durchaus an das neutestamentarische Gebot "Wenn einer nicht arbeiten will, dann soll er auch nicht essen!" (2. Thess. 3, 10) erinnert, das aber in jenen Tagen gemünzt war gegen eine müßiggehende Oberschicht, während es heutzutage abstellt auf Hunger und Verelendung als Triebkraft für Arbeitsmotivation und damit auf den stummen Zwang der Existenznotwendigkeiten. (10) Wenn man dieser Leistung-Gegenleistung-Konzeption anhängt, die ja insofern einen Einbruch der Ökonomie in das Soziale darstellt, als es dem gemeinen politischen und auch wissenschaftlichen Denken zunehmend unmöglich erscheint, sich eine Leistung ohne Gegenleistung vorzustellen, dann ist es nur konsequent, sich nicht mehr ernsthaft, wie es der Gesetzgeber mit dem SGB II tut, um die Eingliederung der hilfebedürftigen Arbeitslosen in den Ersten Arbeitsmarkt (11) zu kümmern, sondern diesen ÂArbeit um jeden Preis aufzuzwingen. Was man unter dem euphemistisch als "Aktivierung" beschriebenen Aufzwingen von ÂArbeit um jeden Preis zu verstehen hat, mögen ein paar Hinweise verdeutlichen.
Den erwerbsfähigen hilfebedürftigen Beziehern von Arbeitslosengeld II stehen, wie den dem Arbeitsförderungsrecht SGB III zu subsumierenden Arbeitslosen auch, zwar Leistungen nach SGB III zu, gemäß § 16 I SGB II jedoch nur als Kann-Leistungen. Wegen der begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel für Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung kommt dies allerdings faktisch einem Ausschluß von diesen Leistungen gleich, was im Klartext gesprochen heißt, daß den Arbeitslosengeld-II-Beziehern im Regelfall keine existenzsichernde Erwerbsarbeit angeboten, sondern nur die Pflicht auferlegt wird, in einem rechtlich prekären Status eine Gegenleistung für den Erhalt der Grundsicherung zu erbringen, sei es in Form von Minioder Midi-Jobs (12) oder in Form der Arbeitssimulation in Praktika ohne Aussichten auf Übernahme in reguläre Beschäftigung oder von Maßnahmen zur Überprüfung der Arbeitswilligkeit oder im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, also den sogenannten Zusatz- oder Ein-Euro-Jobs (13), die zwar den Arbeitsgelegenheiten des früheren BSHG nachgebildet sind (14), denen aber im SGB II eine völlig andere arbeitsmarktpolitische Aufgabe zugewiesen wird, nämlich nicht Arbeitslosigkeit wie früher als temporäres individuelles, sondern als strukturelles kollektives ÂSchicksalÂ, sprich als Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Es sprechen etliche Gründe dagegen, daß nun mit den im SGB II vorgesehenen Eingliederungsleistungen das Ziel der möglichst schnellen und quantitativ bedeutsamen Verringerung der Massenarbeitslosigkeit zu realisieren ist, so man denn damit die Eingliederung in eine existenzsichernde sozialversicherungspflichtige sowie arbeits- und tarifrechtlich abgesicherte Erwerbsarbeit verbindet und nicht ÂArbeit um jeden PreisÂ. Der wichtigste Grund hierfür ist wohl der, daß angesichts der de facto bestehenden enormen Arbeitsmarktlücke zwischen Arbeitskraftnachfrage (offene Stellen) und Arbeitskraftangebot (Stellensuchende) zuungunsten des letzteren jegliches Eingliederungsbemühen, sei es auch das bestgemeinte, über gelungene Einzelfälle hinaus ins Leere laufen muß. Dies ist darauf zurückzuführen, daß vermittlungsorientierte Dienstleistungen wie etwa die hier in Rede stehenden Eingliederungsleistungen Information, Beratung sowie umfassende Unterstützung durch den hierfür in den §§ 4 I 1, 14 SGB II vorgesehenen "persönlichen Ansprechpartner" (15) - im managerialen Verdummungsdeutsch der Hartz-Kommission nunmehr "Case-Manager" (Hartz et al. 2002: passim) genannt (16) - strukturell unzulänglich sind, da sie Ziele und Wirkungen anstreben, die außerhalb der Reichweite der Dienstleistungskette liegen, soll heißen, daß die Besetzung oder gar Schaffung von Arbeitsstellen durch die Dienstleister, auch wenn sie dies wollten, selbst nicht herbeigeführt werden kann. Und auch nicht soll, zumindest wenn es nach den neoliberalen "Evangelisten des Marktes" (Dixon 2000) ginge, denen jeglicher Staatsinterventionismus als ein den Markt lähmendes Gift erscheint, es sei denn, dieser diene der Inneren Sicherheit, wovon die gegenläufige Entwicklung vom "Rückzug des wohltätigen Staates" einerseits und dem "Vormarsch des strafenden Staates" andererseits (vgl. etwa Wacquant 1997 mit Bezug auf die USA) beredtes Zeugnis ablegt.
Der hier beschriebene Sachverhalt des strukturellen Unvermögens, Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt bei Massenarbeitslosigkeit in Übereinstimmung zu bringen, ist dem Alltagsdenken ebenso gewiß wie die banale Tatsache, daß man Geld nicht zweimal ausgeben kann. Daraus wird für gewöhnlich gefolgert, wenn die bestehende Arbeitsmarktlücke schon nicht auf direktem Wege zu schließen sei, so müsse sie doch wenigstens prospektiv auf indirektem Wege geschlossen werden können durch Maßnahmen zu Erhalt, Verbesserung oder Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit (17), im Workfare-Jargon "employability" genannt, wie sie etwa mit den Ein-Euro-Jobs verbunden werden. Es ist hier nicht der geeignete Ort, um sich mit der ökonomischen Torheit der Ein-Euro-Jobs eingehend auseinandersetzen zu können, auf die Frage ihrer Grundgesetzkonformität beziehungsweise -widrigkeit wird weiter unten noch einzugehen sein. Doch vor dem Hintergrund der ernüchternden Befunde empirischer Studien zu den Eingliederungseffekten von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in reguläre Beschäftigung (vgl. Caliendo et al. 2005) ist soviel klar, zumindest dem wissenschaftlichen Denken im Gegensatz zu dem stark vorurteilsbehafteten Alltagsdenken, daß die Beschäftigung von Arbeitslosen in Ein-Euro-Jobs dem vorrangig herausgestellten Ziel von Hartz IV einer möglichst raschen Eingliederung in den Ersten Arbeitsmarkt wenig zuträglich ist. Im Gegenteil. Es kann sogar begründet angenommen werden, daß gerade die Politik der "Aktivierung" von Arbeitslosen durch Beschäftigung in Ein-Euro- Jobs in doppelter Weise kontraproduktiv ist, weil mit ihr erstens die Gefahr der Ersetzung oder Verdrängung regulärer Beschäftigung am Ersten Arbeitsmarkt zunimmt und weil sie zweitens nicht zur gesellschaftlichen Integration der Arbeitslosengeld-II-Bezieher beiträgt, sondern umgekehrt zu deren sozialen Ausgrenzung, denn Ausgrenzung, verstanden als Beschränkung oder Vorenthaltung von namentlich über Erwerbsarbeit und Geld vermittelter Teilhabe an mehr oder weniger zentralen Bereichen oder Ressourcen der Gesellschaft, beginnt nicht erst mit Langzeitarbeitslosigkeit, sondern bereits mit der Beschäftigung in prekären Beschäftigungsverhältnissen.
Es wird hier bewußt von Âsozialer Ausgrenzung und nicht von Âsozialer Exklusion gesprochen, weil letztgenannter Begriff im Kontext der die deutschsprachige Exklusionsdebatte dominierenden Luhmannschen Systemtheorie nicht notwendigerweise eine "problematische individuelle Lebenslage" (Scherr 2004: 62) bezeichnet. Hieraus sollte allerdings nicht im Umkehrschluß gefolgert werden, der ungleichheits- beziehungsweise klassentheoretische Begriff Âsoziale Ausgrenzung beschreibe seinerseits nur den umfassenden und dauerhaften Ausschluß von Personengruppen aus allen gesellschaftlichen Teilsystemen. Er stellt vielmehr ab auf ein Kontinuum mit den "Extremen von physischer Entfernung einerseits und der Wegnahme des wichtigsten Mittels der sozialen Teilhabe: nämlich Geld andererseits " (Steinert 2000: 10), wobei ein Phänomen nur dann als Âsoziale Ausgrenzung kategorisierbar ist, wenn es so häufig und weit verbreitet ist "dass man es nicht mehr als selbstverschuldet sehen kann, dass es vielmehr als das Ergebnis unpersönlicher Kräfte außerhalb der Kontrolle der Betroffenen verstanden werden muss" (ebd.: 8), wie Massenarbeitslosigkeit zum Beispiel, der mit Maßnahmen Âsozialer Kontrolle nur unzulänglich begegnet werden kann. (18)
Gleichviel: Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, daß mit der Maxime "Jede Arbeit ist besser als keine" (19), die der "aktivierenden Arbeitsmarktpolitik" zugrundeliegt, es unter Umständen gelingen mag, Arbeitslose in irgendeine Arbeit zu bringen. Doch es ist zu erwarten, daß es damit auch unter den Erwerbstätigen zu einer Verbreitung von Einkommensarmut (20) kommt, wodurch der Weg gebahnt wird in eine Gesellschaft, die von dauerhafter drastischer sozialer Ungleichheit geprägt ist. Dies zeigen jedenfalls die Erfahrungen aus den USA und Großbritannien (vgl. Ludwig-Mayerhofer 2005: 215), jene Länder also, die mit ihrer Workfare-Politik unter Bill Clinton und Tony Blair der damaligen rot-grünen Bundesregierung als Vorbild dienten für deren workfare-politisches Konzept des "aktivierenden Sozialstaates" mit seinem sich auch im SGB II wiederfindenden zentralen Handlungsgrundsatz des "Fördern und Fordern".
Das im SGB II zuvörderst genannte Ziel der Vermittlung von hilfebedürftigen Arbeitsuchenden auf im Ersten Arbeitsmarkt faktisch nicht vorhandene Arbeitsplätze zwingt die Grundsicherungsträger respektive deren Fachpersonal vor dem Hintergrund des Diktats des wirtschaftlichen, das heißt effizienten und effektiven Umgangs mit den vorhandenen knappen Ressourcen zur fortwährenden "fürsorglichen Belagerung" ihrer Klientel, mit der elementare Grundrechte mißachtet oder gar außer Kraft gesetzt werden. Seinen Ausdruck findet dies in der Art und Weise, wie das ebenfalls aus dem US-amerikanischen und britischen Kontext stammende Konzept des Case- beziehungsweise Care-Managements durch die Hartz-Kommission (vgl. Hartz et al. 2002: 66 ff.) im Hinblick auf die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und Aufrechterhaltung der Arbeitswilligkeit aufgegriffen und im SGB II implementiert wurde. (21)
Ursprüngliches Ziel des Case-Managements war, zwei Orientierungen so effizient und effektiv wie möglich in Übereinstimmung zu bringen, nämlich die Bedarfe des hilfesuchenden Klienten auf der einen Seite mit den Angeboten der Erbringer "personenbezogener sozialer Dienstleistungen" (vgl. grundlegend Bauer 2001) auf der anderen Seite, wobei im Idealfall die Tätigkeit des Case-Managers in seiner Rolle als ÂAnwalt des Klienten (22) darauf zielt, beide Orientierungen zugunsten der Bedarfsnotwendigkeiten des konkreten Einzelfalls zu integrieren.
Dies heißt allerdings nicht, alles zu tun, was der Klient will, noch ihm etwas anzudienen, was er nicht will, sondern mit dem Klienten gemeinsam Bewältigungsstrategien zu entwickeln, die seiner spezifischen Bedarfslage angemessen sind (vgl. Buestrich, Wohlfahrt 2005: 313 f.), weil nämlich die Frage, ob Hilfebedürftigkeit besteht, nicht allein von dem Helfer festzustellen ist, sondern nur das Ergebnis einer gemeinsamen Erörterung sein kann, wie auch die Mittel, mit denen, und die Ziele, auf die hin zu helfen ist, keineswegs von Anfang an festliegen, sondern ebenso als Ergebnis eines diskursiven Prozesses legitimierbar sein müssen, sofern an der vernunftmäßig begründbaren Einsicht und dem darauf aufbauenden Postulat festgehalten wird, daß es ein Recht des Hilfebedürftigen auf ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben gibt, dem die sittlich begründete Pflicht korrespondiert, diesem die hierzu erforderliche Unterstützung angedeihen zu lassen. Zu ignorieren, daß nur der Hilfebedürftige selbst authentisch über seine Hilfebedürftigkeit befinden kann, hieße, dessen Würde zu verletzen und dessen Vorstellung von der Führung eines gelingenden Lebens zu mißachten. Denn wie kann es angehen, des Menschen Würde für unantastbar zu halten und schützen zu wollen, wie es zum Beispiel das Grundgesetz in seiner Fundamentalnorm Art. 1 GG vorsieht, ohne daß diejenigen, die da Würde besitzen sollen, mitbestimmen, was denn ihre Würde wirklich sei?
In vorstehendem Verständnis von Case-Management wird die Beziehung zwischen Case-Manager und Klient also als ein sozialer Interaktionsprozeß beschrieben, in dem Helfer und Klient gemeinsam mit der Definition dessen beschäftigt sind, was dem Klienten fehlt und wie Abhilfe geschaffen werden kann. Gegen eine solche normativ aufgeladene Sichtweise läßt sich allerdings mit der Kühle des analytischen Blicks der prinzipielle Einwand formulieren, daß in Organisationen institutionalisierte und verberuflichte Hilfe weder auf der Grundlage von reziproken Erwartungsstrukturen noch auf der von religiös-moralischen Motiven, sondern auf der von Entscheidungsprogrammen erbracht wird (23), in denen definiert ist, wem wann wie geholfen werden kann, soll oder muß, womit zugleich die Herausbildung einer asymmetrischen Beziehung zwischen dem hilfebedürftigen beziehungsweise -suchenden Klienten und dem potentiell hilfeleistenden Helfer verbunden ist.
Jenseits dieser grundsätzlichen Kritik, die gegen die ideologisch verbrämte Sicht des Case-Managers als ÂAnwalt des Klienten vorgebracht werden kann, weil sie unzulässigerweise von den sachlichinhaltlichen, zeitlich-räumlichen und sozial-interaktiven Rahmenbedingungen des beruflichen Hilfeprozesses (vgl. Wolff 1981) abstrahiert, ist mit Blick auf den im SGB II institutionalisierten Hilfeprozeß festzuhalten, daß hier das Case-Management mitnichten beschrieben werden kann als ein sozialer Interaktionsprozeß, der sich charakterisieren ließe durch Freiwilligkeit der Inanspruchnahme der Hilfe, eine symmetrische Helfer-Klient-Beziehung und Offenheit hinsichtlich des Ergebnisses der Hilfe, also Grundsätze und Bedingungen, wie sie für das Gelingen von sozialen Beratungsleistungen zur Unterstützung von Hilfesuchenden in prekären materiellen Lebenslagen wie Arbeitslosigkeit oder Armut (vgl. insbesondere Bartelheimer/ Reis 2001) vorausgesetzt sind.
Dies kommt allein schon deutlich in dem von der Hartz-Kommission verfolgten Ziel zum Ausdruck, das Case-Management als ein Präventionsinstrument zu konzipieren, mit dem Langzeitarbeitslosigkeit frühzeitig erkannt werden soll, um eine damit gegebenenfalls erforderliche Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen ausschließen zu können (vgl. Hartz et al. 2002: passim). Es zeigt sich ferner in der Betonung des "Fordern" gegenüber dem "Fördern", das sich zum einen ablesen läßt an der Regelungssystematik des SGB II selbst, das dem Grundsatz des "Fordern" mit § 2 eindeutig Priorität einräumt vor dem des "Fördern" mit § 14 und welches das "Fordern" ausgestaltet als Muß- Leistung und das "Fördern" lediglich als Kann-Leistung, was gleichbedeutend ist mit einer Suspendierung individueller Rechte (vgl. Schruth 2004: 3). Es läßt sich zum anderen auch und vor allem identifizieren an der in § 48 SGB II vorgesehenen Zielvereinbarung, die der Grundsicherungsträger, das heißt hier die Bundesagentur für Arbeit, abschließen muß zur Erreichung der SGB-II-Ziele mit dem für sie zuständigen Ministerium im Einvernehmen mit dem Finanzministerium. Da Zielvereinbarungen betriebswirtschaftlich ausgerichtet sind beziehungsweise sich an der Haushaltslage orientieren, stellen sie den finanziellen Handlungsrahmen dar, innerhalb dessen sich der Case-Manager zu bewegen hat, so daß ihm denn auch so gut wie kein Handlungsspielraum verbleibt, um im Rahmen der Dienstleistungserbringung entsprechend der ihm im Ideal zugedachten Rolle als Âadvocate anwaltlich im Interesse der Klienten zu handeln. Im Gegenteil, der Case-Manager gerät dadurch in die Rolle eines Âgate-keepersÂ, also eines Türstehers, dessen Aufgabe darin besteht, arbeitslosen hilfebedürftigen Klienten den erstmaligen oder fortgesetzten Zugang zu den Unterstützungsleistungen zu verwehren, indem sie durch vorgeschaltete Aktivierungsmaßnahmen, etwa sogenannte "Sofortangebote" (24), und aggressives Case-Management, das heißt Strategien der "Verfolgungsbetreuung" (25), mit Leistungsausschlüssen oder -kürzungen konfrontiert werden (vgl. Fetzer 2006: 34 ff.).
Daß durch den Case-Manager also eine Selektion stattfindet, die sich nicht an dem Hilfebedarf des Klienten orientiert, sondern an den finanz- und organisationspolitischen Interessen des Grundsicherungsträgers, dies wird verstärkt durch die widersprüchlichen Bedingungen, unter denen sein Handeln erfolgt, nämlich auf den Arbeitsmarkt objektiv keinen maßgeblichen Einfluß nehmen zu können, dafür aber sehr wohl auf den hilfesuchenden und -empfangenden Arbeitslosen, so daß sich die den Hilfeprozeß steuernden Anstrengungen einer Vermittlungsarbeit auch zwangsläufig darauf konzentrieren, das auf der Makroebene angesiedelte Problem der Massenarbeitslosigkeit auf der Mikroebene des individuellen Verhaltens durch Anpassung, sprich Unterwerfung der Klienten an die Erfordernisse des Arbeitsmarktes zu überwinden, was wiederum die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von repressiven Mitteln wie die Einrichtung von Arbeitszwang oder die Drohung mit der Reduzierung oder gar vollständigem Entzug der Unterstützungsleistungen erhöht.
Nahegelegt wird diese Sichtweise aufgrund der sich mit dem Neoliberalismus vollziehenden Neudefinition des Verhältnisses von Staat, Ökonomie und Gesellschaft, wonach das Ökonomische nicht mehr, wie im Frühliberalismus, ein fest umrissener und eingegrenzter gesellschaftlicher Bereich mit spezifischer Rationalität, Gesetzen und Instrumenten ist, sondern nunmehr prinzipiell die Gesamtheit menschlichen Handelns umfaßt und über die Form des Marktes Staat und Gesellschaft als Organisationsprinzip dient (vgl. Lemke et al. 2000: 14 ff.), wandelt sich auch der Bürger vom Arbeitskraftbesitzer zum Unternehmer seiner selbst beziehungsweise zum "Arbeitskraftunternehmer" (Voß/Pongratz 1998). Dieser hat nicht bloß seine Arbeitskraft, sondern seine ganze Persönlichkeit als Ware auf dem Markt gewinnbringend feilzubieten, was erfordert, sich selbst als Unternehmen zu begreifen und entsprechend zu führen, das heißt, den gesamten eigenen Lebenszusammenhang aktiv an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien und unternehmerischen Kalkülen auszurichten. Das von der Hartz-Kommission inaugurierte und an das "Wörterbuch des Unmenschen" (Sternberger et al. 1986) erinnernde und demzufolge auch zu Recht zum Unwort des Jahres 2002 erklärte Wort "Ich-AG" (vgl. hierzu namentlich Lessenich 2003b) bringt expressis verbis die hinter ihm stehende Ideologie zum Ausdruck: Das Akronym ÂAG steht für das Ich als Aktiengesellschaft, für das ökonomische Individuum, für den arbeitskraftbesitzenden Menschen als Unternehmer seiner selbst, bei dem gewissermaßen Unternehmer- und Managerfunktion zusammenfallen, so daß er zugleich als "Eigentümer und Betriebsleiter seiner selbst" (Bröckling 2000: 154) erscheint. - Und was den erwähnten Arbeitszwang anbelangt, so handelt es sich dabei nicht um eine bloße Denkmöglichkeit: In seinem Gutachten zur Vereinbarkeit ausgewählter Bestimmungen des SGB II mit dem Grundgesetz kommt Wende zu der Einschätzung, daß - gemessen am Maßstab des Verbotes von Arbeitszwang und Zwangsarbeit, wie es Art. 12 II, III GG vorsieht - die Reduzierung und der Entzug des Arbeitslosengeldes II gemäß § 31 I SGB II grundgesetzwidrig ist, "soweit die Aufnahme von Arbeitsgelegenheiten gegen den Willen des Betroffenen verlangt wird und diesem der Arbeitsmarkt verschlossen ist" (Wende 2004: 54). Für eine solche Praxis ist die Bundesrepublik Deutschland bereits vor einigen Jahren schon einmal von einem Sachverständigenausschuß der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen gerügt worden, weil die Verpflichtung von sozialhilfeempfangenden Asylbewerbern auf der Grundlage der im BSHG vorgesehenen Arbeitsgelegenheiten als "nicht mit den Bestimmungen zum Verbot der Zwangsarbeit vereinbar" (zit. nach: Bust-Bartels 2004: 1) sei. Dort ist in Art. 2 I des von der Bundesrepublik Deutschland 1957 ratifizierten ILO-Übereinkommens Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit festgelegt: "Als ÂZwangs- oder Pflichtarbeit gilt jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat.")
Erleichtert wird dem Case-Manager das obig beschriebene Vorgehen durch ein politisch und massenmedial hergestelltes gesellschaftliches Klima der "Entsachlichung und normative[n] Dichotomisierung von Problemen" (Prisching 2003: 231), in dem wider besseres Wissen (26) zum Zwecke der Verdeckung handfester Interessenlagen Arbeitslose unter Generalverdacht gestellt werden, "Drückeberger", "Faulenzer", "Sozialschmarotzer" oder "Parasiten" zu sein, so daß es völlig legitim erscheint, gegen diese vermeintlich das Gemeinwohl schädigenden Âinnerstaatlichen Feinde mit aller Härte und ÂNull-Toleranz (vgl. Hansen 1999) vorzugehen und ihre soziale Ausgrenzung voranzutreiben, sie "auszufördern", wie es im Behördenjargon unverblümt heißt. Beispiel hierfür ist unter anderem die unsägliche, vom vormaligen Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement zu verantwortende Mißbrauchskampagne, in der auf der Grundlage ausgewählter Einzelfälle von Sozialleistungsmißbrauch Arbeitslose (27) pauschal der "Abzocke" (BMWA 2005: passim) bezichtigt und expressis verbis als "Parasiten" (ebd.: 10) bezeichnet wurden, eine Kategorisierung, die vorzunehmen in bezug auf Menschen sich vor allem wegen ihrer Nähe zur Propagandasprache des Nationalsozialismus (vgl. unübertroffen Klemperer 1969) (28) verbietet, die sich aber, wie ersichtlich, nichtsdestoweniger einer gewissen Beliebtheit erfreut, weil sie es erlaubt, die mit ihr bezeichneten Personen auszugrenzen (vgl. Steinert 2000: 17). (29) Dem scheint, zumindest auf den ersten Blick, die Einberufung eines Ombudsrates Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. Bergmann et al. 2005) durch Clement selbst zu widersprechen, zielt doch die aus Schweden stammende Grundidee der Institution eines Ombudsmanns darauf, einen Treuhänder mit der Wahrnehmung spezifischer Rechte der Bürger gegenüber dem Staat zu beauftragen, um deren ungerechte Behandlung durch diesen zu verhindern (30), und zwar unter anderem durch eine objektive Betrachtung des zwischen Staat und Bürger strittigen Sachverhalts und durch Abwägung der von beiden Seiten vorgebrachten Argumente. Betrachtet man sich jedoch die personelle Besetzung des Ombudsrates, so kann man sich nur schwer des Eindrucks erwehren, als sei hier gewissermaßen der Bock zum Gärtner gemacht worden, weil dessen Mitglieder in den Chor derer einstimmen, die, wie Clement und eine ihm willfährige Journaille, die hilfesuchenden und -empfangenden Arbeitslosen pauschal diskriminieren, indem sie diese zum Beispiel ungerechtfertigt zu den Verursachern der Kostenexplosion beim Arbeitslosengeld II abstempeln. (31)
III
Die hier bloß in groben Zügen dargestellte Aktivierungspolitik, die mittels Maßnahmen der Entsicherung und Entrechtung auf eine Re-Kommodifizierung der Arbeitskraft (32) zielt, das heißt, die Arbeitskraftbesitzer wieder verstärkt den Marktgesetzen ungeschützt auszuliefern, um die Betroffenen zu marktkonformem und eigenverantwortlichem Verhalten anzuhalten, erweist sich nicht nur in sozialer Hinsicht als höchst problematisch, führt sie doch qua Aufkündigung des bislang geltenden "impliziten Gesellschaftsvertrages" (Moore 1987: passim), Arbeit existenzsichernd zu entgelten, zu einer dauerhaften Ausgrenzung immer größerer Bevölkerungsgruppen, mit der nicht ganz unwahrscheinlichen Folge, daß mit der gesellschaftlichen Wiederkehr der zwar arbeitenden, aber sozial entsicherten und entrechteten Armen sozialdesintegrative Rückwirkungen auf die Mehrheitsgesellschaft verbunden sein werden. (33) Denn das soziale Draußen der Ausgrenzung liegt nicht im gesellschaftlichen Jenseits, sondern ist aufs engste mit dem sozialen Drinnen verschränkt (vgl. Simmel 1992: 522 f.). Zudem findet eine Abkehr vom bisher vorherrschenden Familienlohnmodell statt, wonach das über den Arbeitsmarkt zu erzielende Einkommen hinreichen sollte für den Unterhalt des Arbeitnehmers selbst und seiner Familienangehörigen. Es ist in diesem Zusammenhang an Art. 23 III der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die von der Bundesrepublik Deutschland 1973 ratifizierten und bindende Pflichten begründenden UN-Menschenrechtskonventionen von 1966 zu erinnern, in denen kodifiziert ist, daß Arbeit eine Bedingung für ein würdevolles Leben ist, eine Arbeit allerdings, die an eine Entlohnung geknüpft ist, die es ermöglicht, sich und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz zu sichern.
Höchst problematisch ist die Aktivierungspolitik überdies in sowohl verfassungs- beziehungsweise menschenrechtlicher als auch in politischer Hinsicht, was den wortreichen und tatkräftigen Befürwortern der Aktivierungsideologie aber offensichtlich gleichgültig ist. Die Gleichgültigkeit gegenüber (Grund-)Rechtsverstößen zeigt sich nicht nur in den als verfassungswidrig monierten Bestimmungen des SGB II, sie äußert sich auch in der Ignoranz von Politik und Verwaltung gegenüber der Rechtsprechung, so zum Beispiel in der durch das zuständige Ministerium qua Dienstanweisung legitimierten Praxis der Grundsicherungsträger, zusammenlebende Paare zu einer eheähnlichen Einstandsgemeinschaft zu erklären, obwohl nach höchstrichterlichem Recht ein unterhaltsrechtlicher Anspruch unter nichtverheirateten Paaren nach dem BGB nicht existiert. Die ebenfalls auf einer Dienstanweisung fußende Praxis, nichtleibliche Eltern zum Unterhalt für ihre Stiefkinder heranzuziehen, obwohl es nach dem BGB bei Stiefeltern keine Unterhaltspflicht gibt, ist zwischenzeitlich aufgrund einer Vielzahl von Rechtssprüchen und Beschwerden durch Weisung zwar eingestellt worden, ohne allerdings in der Weisung darauf hinzuweisen, daß der Grundsicherungsträger die zu Unrecht nicht gezahlten Leistungen von Amts wegen nachzuzahlen hat. (vgl. Thomé 2006: 4)
Der Bruch, der sich hier mit dem Wechsel vom keynesianischen Welfare State zum schumpeterianischen Workfare State (vgl. Jessop 1994: 57 ff.) vollzieht, ist nicht nur einer, der mit Blick auf die angestrebte Revitalisierung beziehungsweise Entfesselung der Kräfte des Marktes eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger durch eine neu herzustellende Balance von deren Rechten und Pflichten entsprechend der Maxime des "Fördern und Fordern" zum Gegenstand hat, sondern auch einer, mit dem der Weg in eine andere Republik geebnet zu werden scheint, eine Republik, der das Prädikat, "sozialer Rechtsstaat" zu sein, fürderhin kaum noch ernsthaft zugesprochen werden kann.
Wer eine solche Einschätzung für überzogen hält, den könnte ein Blick in das alles Handeln staatlicher Organe bindende Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland eines Besseren belehren, in dem der in Art. 1 I GG formulierte Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatspostulat des Art. 20 I GG seit jeher die zentrale Bezugsnorm aller Sozialpolitik war und das nach dem "Ewigkeitsklausel" genannten Art. 79 III GG in seinem Wesensgehalt, wie übrigens auch die in Art. 20 I GG niedergelegten grundlegenden Prinzipien für die rechtliche und organisatorische Gestaltung des Staates, unabänderbar und damit auch nicht politisch disponibel ist. Als verfassungsrechtliche Leitvorstellung sozialstaatlicher Maßnahmen hatte der Schutz der Menschenwürde Eingang gefunden sowohl in das vielfach als Sozialcharta für die Bundesrepublik Deutschland bezeichnete SGB I als auch in das seinerzeitige Existenzsicherungsgesetz BSHG, nicht aber, wie bereits erwähnt, in das heutige Grundsicherungsgesetz SGB II. Da neben dem SGB II jedoch kein weiteres Existenz- beziehungsweise Grundsicherungsgesetz für erwerbsfähige Hilfebedürftige existiert, kommt eben diesem, und zwar hergeleitet aus der Verpflichtung des Staates zum Schutz der Menschenwürde, die Aufgabe zu, die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichenfalls durch Unterstützungsleistungen zu sichern.
Nun läßt sich aber dem Grundgesetz selbst oder einer diesbezüglichen einfachgesetzlichen Ausgestaltung nicht entnehmen, was im einzelnen unter einem menschenwürdigen Dasein zu verstehen ist. Deswegen ist es angezeigt, auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurückzugreifen. Dieses hat 1970 klargestellt, daß die Gewährleistung des bloßen physischen Existenzminimums für ein menschenwürdiges Dasein nicht hinreicht, weil dem Hilfeempfänger gesellschaftliche Teilhabe möglich sein muß, also in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ein Leben "ähnlich wie diese" (BVerwGE 36, 258) führen zu können, wobei auf die herrschenden Lebensgewohnheiten abzustellen ist (vgl. BVerwGE
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