Freitag, 30. November 2012

Unselige Traditionspflege bei der Bundeswehr - mehr um 20:15 Uhr in #KONTRASTE auf #tagesschau24 am 30.11.


Unselige Traditionspflege bei der Bundeswehr
 
 
[Kontraste - Sendung vom 29.11.2012]
 
http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_29_11/unselige_tradition.html

 

Nach Kontraste-Recherchen wurde auf einer offiziellen Veranstaltung der Bundeswehr zum Volkstrauertag ungehindert Liedgut der Waffen-SS vorgetragen. Einer der renommiertesten deutschen Forschungspreise für Militärhistoriker ist nach einem ehemaligen SS-Mitglied benannt. Noch immer sind zahlreiche Bundeswehrkasernen nach Wehrmachtsoffizieren benannt, die tief in die nationalsozialistische Rassen- und Eroberungspolitik verstrickt waren. Obwohl dies dem Bundesverteidigungsministerium bekannt ist, wurden die Kasernen nicht umbenannt.

Immer wieder haben wir in den vergangenen Jahren darüber berichtet, wie einstige Nazi-Helden in der Bundeswehr geehrt werden und den Soldaten heute als Vorbild dienen sollen. Immer wieder versicherte die Bundeswehr nach unseren Berichten, dies seien Einzelfälle, denen man nachgehen würde. Daher dachten wir, inzwischen hätte sich etwas geändert. Doch was meine Kollegen Caroline Walter, Gregor Witt und Moritz Schäfer bei erneuten Recherchen zur Bundeswehr erlebt und herausgefunden haben, wollten sie zuerst selbst kaum glauben.

Gedenkfeier der Bundeswehr zum Volkstrauertag - im Ehrenhain des Ausbildungszentrums Munster. Die Bilder wurden uns zugespielt.

Bei der Zeremonie müssen Bundeswehrsoldaten auch Kränze für Wehrmachtsdivisionen ablegen, darunter auch für berüchtigte Eliteeinheiten.

Wie die Panzergrenadier Division Großdeutschland. Sie beging Massaker an dunkelhäutigen Soldaten der französischen Armee, nachweislich nicht das einzige Kriegsverbrechen.

Geehrt wird auch das Panzerkorps Feldherrnhalle. In dieser Einheit waren viele aus der Schlägertruppe SA.

Unter den Gästen der Bundeswehr sind zahlreiche Veteranen der Wehrmacht, auch der Waffen SS. Am Abend davor gab es schon ein "Traditionstreffen" im Offiziersheim der Bundeswehr.

Mann
"Ich gehöre zur 12. SS-Panzerdivision 'Hitlerjugend'."

Sein Verband galt als besonders fanatisch. Der Veteran hatte engen Kontakt zu dem SS-Oberführer Meyer, der kanadische Kriegsgefangene erschießen ließ.

Im Ehrenhain spielt ein Veteran ein besonderes Lied für seine Kameraden, während Bundeswehrsoldaten daneben stramm stehen müssen.

Mann
"Das ist das Treuelied der Waffen SS."

Wie kann so etwas im Jahr 2012 in einer Kaserne der Bundeswehr noch möglich sein?

Winfried Nachtwei ist sprachlos, als wir ihm die Bilder zeigen. Er war lange im Verteidigungsausschuss des Bundestages und hat sich immer gegen solche Umtriebe engagiert.

Winfried Nachtwei (Bü90/Grüne)
ehem. Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag

"Hier entsteht der Eindruck, als seien Bundeswehrangehörige und Wehrmachtssoldaten gemeinsame Kameraden, als wäre eine ungebrochene Tradition zwischen Wehrmacht, Krieg gegen die europäischen Nachbarn, und Bundeswehr heute – und das geht absolut nicht."

Das Verteidigungsministerium schreitet seit Jahren nicht dagegen ein.
Dabei verkündet Minister de Maiziere öffentlich immer einen hohen Anspruch.

Thomas de Maizière (CDU), 14.10.2011
Bundesminister der Verteidigung

"Wir brauchen Erziehung zur Tradition. Und Traditionspflege, das heißt für mich: die ganze Geschichte im Blick haben und das Gute sich zum Vorbild nehmen."

Von wegen: Etliche Kasernen tragen noch immer die Namen von hochrangigen Nazi-Offizieren. Wie die General Hüttner Kaserne in Hof. Hans Hüttner war Ritterkreuzträger und galt damals als "überzeugter Nationalsozialist", kämpfte immer an vorderster Front.

Wir fragen am Standort der Kaserne, am Volkstrauertag, wie man hier den Namenspatron Hüttner sieht.

Reservist
"Ich sehe ihn als ganz normalen Soldaten und auch ihm muss man gedenken."
KONTRASTE
"Kann so jemand noch ein Vorbild sein wie Hüttner?"
Reservist
"Ja, ich denke schon."
KONTRASTE
"Warum?"
Reservist
"Er war General und ein guter Führer, kann man sagen."

Auf jeden Fall war Hüttner dem Führer treu bis zum Schluss. 1943 hielt er eine Durchhalterede:
"Einmal wird auch dieser Krieg siegreich zu Ende gehen und dazu wollen wir alle unserem Führer helfen!"

KONTRASTE
"Kann man all das heute ausblenden als Bundeswehr?"
Reservist
"Ich kann das als Reservist ausblenden und kann es sortieren. Ich kann erkennen, dass er nationalsozialistisch tätig gewesen ist. Aber ich heute als Führungskraft in der Wirtschaft muss auch manchmal Durchhaltereden halten und weiß genau, wie das ausgeht."
KONTRASTE
"Nun gibt es eine Diskussion, ob man die Kaserne umbenennen sollte. Was halten Sie davon?"
Kriegsteilnehmer
"Ein Unsinn. Man will unsere Historie verwischen. Man will uns die Götter nehmen."

Hüttner - nicht das einzige falsche Vorbild für Soldaten heute.

KONTRASTE liegen exklusiv Gutachten des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr vor. Darin finden wir noch viele andere belastete Kasernennamen.

Zum Beispiel die Freiherr von Fritsch Kaserne. Generaloberst Fritsch schrieb in einem Brief nach der Reichspogromnacht. Es seien drei Schlachten zu schlagen und eine davon, Zitat:
"…gegen die Juden. Und der Kampf gegen die Juden ist der Schwerste."

Bis zu seinem Tod war er Hitler loyal ergeben, so das Bundeswehrgutachten.

In der Fritsch Kaserne sieht auch mancher Soldat das Wehrmachtserbe kritisch.

KONTRASTE
"Finden Sie so jemand kann ein Vorbild für Sie sein?"
Soldat
"Nein, er kann kein Vorbild sein. Aber wenn die Kaserne so heißt – ich habe sie nicht so benannt, sag ich mal. Und wenn ich hierher versetzt werde, dann ist es nun mal mein Auftrag."

Nicht "traditionswürdig" sind all diese Namensgeber – das war schon 2004 das Ergebnis der Gutachten, die das Verteidigungsministerium selbst in Auftrag geben hatte.

Doch damals verschwanden sie im Giftschrank – bis heute.

In einem aktuellen Antrag fordern Abgeordnete aus dem Verteidigungsausschuss von Minister De Maiziere, die Gutachten endlich öffentlich zu machen und belastete Kasernen umzubenennen.

Doch das Ministerium schiebt die Verantwortung ab: Der Prozess soll "von unten nach oben" stattfinden, ergebnisoffen.

Wie das aussieht, erklärt uns der Standortälteste der Hüttner Kaserne.

Standortältester General Hüttner Kaserne
"Dieser Prozess beginnt zunächst einmal mit einer Meinungsbildung der Dienstellenleitung des Standortkommandanten des Standortältesten. Dann geht es hier natürlich den militärischen Weg nach oben, dann wird die Kommune hier, der OB, gegebenenfalls auch der Regierungspräsident eingebunden und dann entscheidet letztendlich der Minister und dann kommt man hier bei uns in der Bundeswehr zu einer Umbenennung."

Oder auch nicht. Das Absurde daran: Seit 1982 gibt es einen eindeutigen Traditionserlass, der vorschreibt: für die Bundeswehr sind nur Personen traditionswürdig, die sich um Recht und Freiheit verdient gemacht haben. Danach dürfte keine Kaserne nach Fritsch oder Hüttner benannt sein.

Das meint auch Winfried Nachtwei. Er hat jahrelang miterlebt, wie das Ministerium beim Wehrmachtserbe taktiert.

Winfried Nachtwei (Bü90/Grüne)
ehem. Mitglied Verteidigungsausschuss Bundestag

"Der Bundeswehrführung und dem Ministerium fehlt es in diesem Zusammenhang an Rückgrat. Rückgrat und Selbstbewusstsein wird von den Soldaten selbstverständlich verlangt, aber in der Auseinandersetzung um belastete Kasernennamen, da hat sich das Ministerium über viele Jahre immer wieder weggeduckt."

Auch dieser mächtigen Behörde der Bundeswehr muss man Ignoranz vorwerfen: Das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung vergibt den "Werner Hahlweg Preis" für Militärgeschichte. Seit 1992 wird der als renommiert geltende Preis an junge Akademiker verliehen.

Doch wer war dieser Werner Hahlweg?

Spurensuche in den Archiven: Nach Aktenlage ist Werner Hahlweg bereits 1933 in die SS eingetreten. Er war auch Mitglied im "Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund", der damals an der Bücherverbrennung beteiligt war. 1936 ist Hahlweg dann in die NSDAP eingetreten.

Hahlweg hat nicht nur Dienst in der SS geleistet, wie hier vermerkt. Für die NSDAP Gaupropagandaleitung wirkte er mit bei der Ausstellung "Das politische Danzig – zum Kampf gegen die polnische Bedrohung". In der Ausstellung finden sich die besten Wünsche von Adolf Hitler an die Gauleitung.

Später war Hahlweg bei der Wehrmacht und nahm an einem "Kommando in den besetzten Gebieten" teil, so steht es in den Akten. 1942 wurde Hahlweg Dozent für Geschichte in Berlin – unter einschlägigen Historikern des Nationalsozialismus.

Wir zeigen dem renommierten Militärhistoriker Detlef Bald die belastenden Dokumente.

Detlef Bald
Historiker

"Es ist erschreckend und es ist geradezu skandalös, dass man, als dieser Preis begründet wurde, nicht ordentlich die Biographie recherchiert hat. Ein derartig ins Dritte Reich, in den Nationalsozialismus integrierte und involvierte Wissenschaftler taugt nicht für unsere Bundesrepublik und die Kultur unserer akademischen Welt."

Nach dem Krieg wurde Hahlweg Dozent an der Uni Münster. Seine linientreue Karriere im Dritten Reich hat er nie öffentlich aufgearbeitet. Als Nachlass stiftete er den Wissenschaftspreis dem Bundesamt der Bundeswehr.

Prof. Tuchel ist Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Seit 30 Jahren beschäftigt er sich mit NS-Biographien. Was sagt er zum "Werner Hahlweg Preis"?

Prof. Johannes Tuchel
Leiter Gedenkstätte Deutscher Widerstand

"Ich denke, dass wir nicht unbedingt Opportunismus und Eintritt in eine totalitäre Partei als vorbildhaftes Verhalten im Jahre 2012 betrachten müssen. Vor diesem Hintergrund würde ich empfehlen, dass man heute den Werner-Hahlweg-Preis nicht mehr vergibt."

KONTRASTE hat bei mehreren Preisträgern nachgefragt. Keiner wusste von der NS-Vita Hahlwegs. Alle zeigten sich überrascht, teilweise sogar fassungslos. Wir sollten die Institution fragen, die den Preis vergibt, das Bundesamt. Es ist dem Verteidigungsministerium unterstellt.

Wir konfrontieren die Behörde mit Fakten, die sie bisher ignoriert hat. Die Antwort, Zitat:
"Aufgrund Ihrer Anfrage haben wir ... beauftragt, die Vita Werner Hahlwegs einer umfassenden Prüfung zu unterziehen, ob an der Stiftung und Namensgebung festgehalten werden kann."

Verteidigungsminister De Maiziere sollte endlich durchgreifen in Sachen Vorbilder und Tradition. Auch damit so etwas – wie das Treuelied der Waffen SS – keinen Raum mehr in der Bundeswehr hat.

Das Bundesverteidigungsministerium und das Ausbildungszentrum Munster haben kurz vor der Sendung auf unsre Recherchen reagiert. Man nähme die Vorkommnisse, Zitat: "zum Anlass einer eingehenden Überprüfung" Man werde Sorge tragen, Zitat - "dass der Eindruck einer Traditionslinie zu Verbänden der ehemaligen Wehrmacht bzw. Waffen-SS künftig nicht entstehen kann." Wir nehmen Sie beim Wort.


Beitrag von Caroline Walter und Gregor Witt



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