Ungarn auf dem Weg in die Diktatur
Von Bernhard Odehnal
Stellen wir uns kurz vor: Alle Schweizer Wahlberechtigten müssen sich neu registrieren lassen. Die Wählerverzeichnisse sind zwar auf dem letzten Stand. Doch der Bundesrat meint, dass es den Stimmbürgern an Demokratiebewusstsein mangle. Erst durch den Zwang zur Anmeldung würden die Wähler begreifen, was für ein kostbares Gut die Demokratie sei.
Die Registrierung ist gar nicht so einfach. Man kann sich zwar online anmelden, braucht dazu aber den Zugangscode für die Internetsite, den man persönlich bei der Behörde abholen muss. Dann gibt es ja noch arme und ältere Menschen ohne Computer oder Zugang zum Internet. Sie müssen sich auf den Gemeindeämtern melden und dort lange Wartezeiten in Kauf nehmen.
Wer sich aber zwei Wochen vor dem nächsten Wahlgang nicht registriert hat, der verliert das Recht auf Stimmabgabe. Nicht nur für Parlamentswahlen, sondern für alle Abstimmungen. Der Bundesrat ist da streng. Ausnahmen gibt es nicht.
Die Vorstellung, jemand würde ein solches Gesetz in der Schweiz vorschlagen, geschweige denn: es verabschieden, ist absurd. Genau das ist aber am Montag in Budapest geschehen. Viktor Orbans Partei Fidesz hat mit ihrer absoluten Mehrheit ein Gesetz beschlossen, mit dem die Rechte der Wähler ebenso wie die Wahlwerbung durch die Opposition massiv eingeschränkt werden: Alle Wähler müssen sich neu anmelden, online oder bei einem Notar. Wer das nicht bis 15 Tage vor den Parlamentswahlen schafft, verliert sein Wahlrecht.
Die neuen Nichtwähler
Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wer es nicht bis in die Wahlzelle schaffen wird: Roma aus den Barackensiedlungen, die dem Staat misstrauen und die Behörden fürchten. Ältere Menschen, die davon gar nichts erfahren. Junge, die sich erst im letzten Moment zur Stimmabgabe entschieden hätten.
Fidesz hat straff geführte Parteibüros in allen Gemeinden. Sie kennen ihre Stammwähler und können sie noch in letzter Sekunde zur Registrierung bewegen. Die neu gegründete Oppositionsplattform «Gemeinsam» hingegen kennt ihre Wähler noch gar nicht und kann sie deshalb nicht kontaktieren. Das neue Gesetz ist ein fundamentaler Verstoss gegen demokratische Grundrechte.
Orbans Partei argumentiert, dass sich auch in Ländern wie Grossbritannien Wähler registrieren lassen müssten. Dort gibt es allerdings keine Meldepflicht. Ungarn hat diese Meldepflicht und ordentlich geführte Wählerverzeichnisse. Aus den vergangenen Jahren sind keine Probleme bekannt. Die Regierung hingegen kann also nicht schlüssig argumentieren, warum die neue Registrierung notwendig ist. Es gibt nur eine logische Erklärung: Orban will sich schon heute den Wahlsieg 2014 sichern.
Das Monopol des Oligarchen
Auch die Neuregulierung der Wahlwerbung bevorzugt die Regierungspartei. Politische Werbung in privaten Radio- und TV-Sendern wird verboten. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden zur Gänze von Fidesz kontrolliert und machen schon jetzt nur mehr Regierungspropaganda. Wahlwerbung in Kinos wird ebenfalls verboten, Plakate im öffentlichen Raum bleiben erlaubt. Bloss gehören viele Agenturen, die Plakatwände in Ungarn anbieten, dem Oligarchen Lajos Simicska einem persönlichen Freund Orbans und Finanzier von Fidesz.
Undemokratisch ist auch die Art, wie die neue Wahlordnung beschlossen wurde. Eine Debatte liess die Parlamentsmehrheit erst gar nicht zu. Viele Änderungen wurden in letzter Sekunde eingebracht, sodass die Opposition die Entwürfe nicht einmal durchlesen konnte. Fallen gelassen wurde lediglich der Plan, Wahlwerbung auch im Internet zu verbieten.
Ein letztes Detail zeigt gut, welche Geisteshaltung hinter der Reform steht. Am 23. Oktober erklärte der ehemalige Regierungschef Gordon Bajnai, er werde mit der Opposition gegen Orban antreten. Kurz danach wurden in Budapest grosse Plakate geklebt, auf denen Bajnai beschuldigt wird, gemeinsam mit dem Sozialisten Ferenc Gyurcsany das Land ruiniert zu haben: «Einmal ist genug. Wir vergessen nicht!» Die nächsten Wahlen finden erst in eineinhalb Jahren statt, und das neue Gesetz limitiert den Wahlkampf auf maximal 50 Tage vor dem Wahlgang. Doch wenn es um den Erhalt der Macht geht, hält sich Orbans Partei nicht einmal an die eigenen Regeln.
(Tages-Anzeiger)
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