Freitag, 30. November 2012

gleich um 20:15 Uhr in #KONTRASTE auf #tagesschau24 mehr zu. Thema "Lebensgefährliche Blindgänger in Deutschlands Städten"


Lebensgefährliche Blindgänger in Deutschlands Städten
 
[Kontraste - Sendung vom 29.11.2012]
 
http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_29_11/tickende_zeitbomben.html

Lebensgefährliche Blindgänger in Deutschlands Städten

Deutschlandweit liegen tausende Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg unter Straßen und Wohngebieten. Ihre Zünder sind marode und die Gefahr wächst, dass sie von selbst detonieren. Seit Jahren fordern Experten, gezielt nach Blindgängern zu suchen. Doch die Bundesregierung weigert sich, für die Beseitigung alliierter Bomben die Kosten zu übernehmen.

Nicht nur die Bundeswehr tut sich schwer mit dem Erbe der Nazi-Diktatur. Auch andere Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs sind noch allgegenwärtig - und höchst gefährlich! Erst Dienstag wurde in Duisburg eine 10-Zentner Bombe gefunden. Mitten in der Nacht werden rund 4.000 Menschen im Stadtteil Kasselerfeld aus ihren Betten geklingelt. Deutschlandweit werden noch zehntausende solcher Blindgänger im Boden vermutet. Doch die Bombenbeseitigung geht viel zu langsam. Das Problem ist ein politisches: Bund und Länder können sich nicht einigen, wer dafür bezahlen soll. Gregor Witt.

München vor einigen Wochen: Spezialisten sprengen einen Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg, nachdem Tausende Einwohner von Schwabing ihre Wohnungen verlassen haben.

München am Tag danach: Als die Bewohner in ihre Häuser zurückkehren stehen sie vor einem Trümmerfeld. Die Sachschäden gehen in die Millionen. Den Blindgänger zu entschärfen oder aus der Stadt zu bringen war zu gefährlich. Die Bombe könne dabei unkontrolliert explodieren, befürchteten die Spezialisten.

Oranienburg bei Berlin. Hier weiß man um die Gefahren alter Blindgänger aus dem 2. Weltkrieg. Deshalb wird seit Jahren systematisch nach ihnen gesucht. Viele haben chemische Langzeitzünder wie der Blindgänger in München. Brandenburgs Innenminister meint, wer hier lebt, ist ständig in Gefahr.

Dietmar Woidke (SPD), Innenminister Brandenburg
"Es werden vermutet weitere 300 Bomben, Großbomben mit chemischen Langzeitzündern. Und diese chemischen Langzeitzünder werden in der Tat jeden Tag gefährlicher. Es besteht immer die Gefahr, dass sie jetzt im Laufe der Zeit dann selbst detonieren und deswegen ist eine Beräumung dringend notwendig."

In den letzten Kriegsmonaten haben die Alliierten mehr als 18.000 Bomben über Oranienburg abgeworfen, um die dortigen Rüstungswerke zu zerstören. Vermutlich jede zehnte ist damals nicht explodiert. Jahr für Jahr werden acht bis zwölf Blindgänger wie dieser gefunden.

Evakuierungen gehören zum Alltag. Genauso wie Sprengungen.

Die Anwohner schwanken zwischen Angst und Gewöhnung.

Anwohnerin
"Man lebt damit. Das kennen wir ja schon ein paar Jahre. Man arrangiert sich irgendwie damit."

Mann
"Wenn man so denkt, könnte gleich hochgehen und man sitzt in der Schule."

Frau
"Ich hoffe nur, dass nicht so mal geht wie in München vor kurzer Zeit, dass doch mal was Schlimmeres passiert."

Pro Jahr gibt Brandenburg für Bombensuche und Räumung allein in Oranienburg rund 4 Millionen Euro aus. Doch langsam stößt das Land an seine finanziellen Grenzen. Denn die Bundesregierung zahlt nur einen geringen Teil der Kosten. Begründung: Der Bund sei nur für eher selten auftretende Bomben der Wehrmacht, so genannte "reichseigene" Munition zuständig.

Dietmar Woidke (SPD), Innenminister Brandenburg
"Bei reichseigener Munition kriegen wir die Kosten vom Bund erstattet. Bei alliierter Munition ist es so, dass das Land derzeitig allein auf weiter Flur steht. Aus meiner Sicht sind das Kriegsfolgen des Zweiten Weltkrieges und deswegen sollte der Bund auch hier mit in die Verantwortung gehen und die Länder nicht alleine lassen."

Die Länderkammer meint, laut Grundgesetz sei der Bund dazu verpflichtet, sich an der Beseitigung dieser Kriegsfolgen zu beteiligen. So steht es jedenfalls im aktuellen Gesetzentwurf.

Es ist seit 1992 der fünfte Versuch, den Bund zur Kostenübernahme zu zwingen. Doch alle Bundesregierungen haben sich bisher geweigert. Auch die schwarz-gelbe schiebt den schwarzen Peter an die Länder zurück. Auch sie bezieht sich dabei aufs Grundgesetz, nach dem die Länder, Zitat:
"... für die Gefahrenabwehr … zum Schutz der Bevölkerung verantwortlich sind."

Dietmar Woidke (SPD), Innenminister Brandenburg
"Ich denke, das ist ein vorgeschobenes Argument. Der Bund sollte hier sich klar bekennen, dass er auch eine Verantwortung dafür trägt, die Länder zu unterstützen, die Folgen des 2. Weltkrieges zu beseitigen und um solche handelt es sich hier."

Jetzt liegt der Gesetzentwurf erneut im Bundestag. Doch niemand erwartet, dass die schwarz-gelbe Parlamentsmehrheit gegen die eigene Regierung stimmen wird.

Der Streit ums Geld könnte die Bürger bald teuer zu stehen kommen - wie in Langenhagen bei Hannover. Immer wieder haben die Alliierten hier wichtige Bahnlinien und Rüstungsunternehmen bombardiert. Auf den alten Luftbildaufnahmen kann man noch heute erkennen, wo möglicherweise Blindgänger liegen. Bislang hat das Land für die Suche und Beseitigung der Blindgänger gezahlt. Auch, als unter dieser Schule eine Bombe gefunden wurde.

Doch weil Niedersachsen sparen will, hat sich das Land aus der Bombensuche zurückgezogen und die Mittel drastisch gekürzt. Städte und Gemeinden sollen sich jetzt selbst um die Bombensuche kümmern. Und die können sich das Geld ja beim Bürger holen, meint Niedersachsens Innenminister:

Uwe Schünemann Innenminister Niedersachsen (CDU)
Archiv 18.5.2011

"In der Zukunft wird es so sein, dass die Kommunen auch die Privaten beauftragen müssen. Sie müssen dann auch die Rechnungen bezahlen. Allerdings können sie dieses weitergeben auch an private Grundstücksbesitzer, wo die Bombe dann aufgefunden und beseitigt wird."

So droht im Streit ums Geld unterzugehen, worum es eigentlich geht: Noch immer leben bundesweit Hunderttausende in der Nähe von Weltkriegsbomben. Gefährlich, eigentlich sogar unverantwortlich.


Beitrag von Gregor Witt



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