Der Gießener Anzeiger berichtet in seiner Ausgabe vom 24. November 2012 über die Eröffnung einer Filiale der Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken (KFC). Dreihundert geladene Gäste hätten am Tag vor der offiziellen Eröffnung an einem sogenannten Pre-Dinner teilgenommen und dabei für einen wohltätigen Zweck gespendet. Der Orts- und Kreisverband des Deutschen Kinderschutzbundes wird zukünftig Sozialpartner der Filiale sein.
Dieser hat es sich zur Aufgabe gemacht, "die körperliche, seelische, geistige und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu fördern und der Gefährdung des Nachwuchses entgegenzuwirken". Die bei der Veranstaltung anwesende Repräsentantin des Kinderschutzbundes sagte, die Spenden würden unter anderem dafür verwendet, das "Kinderrechteprojekt" in Kindergärten weiter auszubauen.
Ziel dieses Projektes sei es, "dem Nachwuchs zu vermitteln, Nein sagen zu können".
Zuallererst sollte man den Kindern dort beibringen, "Nein" zu Kentucky Fried Chicken zu sagen.
Von Götz Eisenberg[*]
Dann sollte man ihnen demonstrieren, wie gut vernünftig erzeugte und anständig zubereitete Nahrungsmittel schmecken. Ich finde es unglaublich, dass eine Vereinigung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Gefährdungen von Kindern abzuwenden, eine Sozialpartnerschaft mit einer solchen Fastfood-Kette eingeht. Eine Sitzblockade hätten die Kinderschützer anlässlich der Neueröffnung organisieren sollen! Seit die Fastfood-Ketten bei uns Fuß gefasst haben, also seit rund zwei Jahrzehnten, hat sich die Anzahl der fettleibigen Kinder fast verdreifacht. Man weiß, dass es diese Unternehmen darauf anlegen, den Geschmack der Kinder zeitig so zu prägen, dass sie schließlich nur mehr nach diesem sogenannten Essen verlangen und kaum noch anderes anrühren. Schlechte Essgewohnheiten bremsen die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder und Jugendlichen und machen krank. Mehr als 70 Milliarden Euro muss das deutsche Gesundheitswesen jährlich für die medizinischen Folgen von falscher Ernährung aufwenden. Fast jeder Zweite hierzulande ist übergewichtig, darunter mehr als zwei Millionen Kinder und Jugendliche 15 Prozent aller Mädchen und Jungen. Rund 1,4 Millionen Heranwachsende zeigen Symptome einer Essstörung.
Malbouffe Scheißfraß hat der französische Bauernrebell José Bové die Angebote der Fastfood-Ketten genannt. Vor Jahren hat er mit einigen Mitkämpfern und unter Zuhilfenahme ihrer Traktoren eine McDonald-Filiale in Südfrankreich verwüstete und ist dafür für Jahre ins Gefängnis gegangen. Tausende von Franzosen haben Bové am Tag seiner Entlassung vor dem Gefängnis erwartet und ihn begeistert empfangen. Vor Jahren habe ich einen amerikanischen Starkoch gesehen, der beim Gang über die Frankfurter Buchmesse vor einem Fastfood-Lokal stehen blieb und sagte: "Was ist eine Pershing-Rakete gegen diesen Fraß? Damit verwandeln die US-Konzerne die ganze Menschheit in verfettete, hirnlose Idioten!" Hamburger und Chicken McNuggets seien Teil einer biologischen Kriegsführung, gewissermaßen kulinarische Massenvernichtungswaffen, keine Lebensmittel. Der König Herodes war jedenfalls ein Stümper im Vergleich zu diesen Fastfood-Ketten.
Es ist ja alles bekannt und man kann es im Internet recherchieren oder in den Büchern von Karen Duve: Anständig essen und Jonathan Safran Foer: Tiere essen nachlesen. Kentucky Fried Chicken kauft jedes Jahr fast eine Milliarde Hühner: "Würde man die alle dicht an dicht packen, würden sie die gesamte Halbinsel Manhattan bedecken." (Safran Foer) Die Tiere stammen aus Massentierhaltung und werden unter barbarischen Bedingungen aufgezogen. Sie werden mit Antibiotika gefüttert, die über das Fleisch in den menschlichen Körper gelangen und so dafür sorgen, dass immer mehr Menschen gegen gewisse Medikamente resistent werden. Die Zustände in den Schlachthöfen, in denen die Tiere fließbandmäßig getötet werden, sind ekelerregend und abstoßend. Die
Tierschutzorganisation PETA hat ein Video über einen solchen Schlachthof ins Netz gestellt, nach dessen Betrachten man sich schwört, nie wieder Hühnerfleisch zu essen. Zu den Lieferanten von KFC in Deutschland gehört der Geflügel-Gigant Wiesenhof, der für seine Skandale berühmt-berüchtigt ist. Ende August 2011 zeigte die ARD die Reportage "Das System Wiesenhof", die Tierquälerei, mangelnde Hygiene und Lohndumping aufdeckte.Warum bloß fällt der Kinderschutzbund auf eine derart durchsichtige PR-Aktion herein? Für ein paar "Kröten" verhilft der Kinderschutzbund der Fastfood-Kette zu einem positiven, kinderfreundlichen Image, verleiht ihr quasi ein Unbedenklichkeits-Zertifikat und erschließt ihr neue, bisher skeptische Kundenschichten. "Wenn KFC eine Sozialpartnerschaft mit dem Kinderschutzbund unterhält, dann feiern Anna und Sebastian dort ihren nächsten Geburtstag", hört man Eltern nach der Lektüre des Artikels sagen. Dabei hätte der Kinderschutzbund nicht nur auf die Gefahren hinzuweisen, die Kindern in Form von Gewalt und sexuellen Übergriffen in ihrem Nahbereich drohen, sondern sie auch vor dem Zugriff der Konsumgesellschaft zu schützen, die sie mit Haut und Haaren in Beschlag nehmen und ihren Bedürfnissen Warenform geben will. Durst wird umgeformt in Nachfrage nach Coca-Cola, Hunger in den Kauf von Hamburgern, gegrilltem Hähnchenfleisch und Pommes.
Solche um sich greifenden Formen von "Social Sponsering" quittieren sicher auch den Umstand, dass sich die Politik unter dem Druck vermeintlich unabweisbarer Sparzwänge aus wichtigen Feldern der öffentlichen Daseinsfürsorge zurückzieht und sie der karitativen Mildtätigkeit von "denen da oben" für "die da unten" überantwortet. Das rechtfertigt aber nicht derart unappetitliche Allianzen. Sonst könnten die Hells Angels einem Frauenhaus eine Sozialpartnerschaft antragen, das Medellin-Kartell einer Drogenberatungsstelle, ein Ölkonzern Greenpeace, eine Großbrauerei den Anonymen Alkoholikern. Es handelt sich um eine zeitgenössische Form des Ablasshandels: Firmen möchten sich von ihren Sünden freikaufen und sich Jahrhunderte im Fegefeuer ersparen, in das die Verantwortlichen geworfen würden, wenn es eine ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits gäbe. Im Falle von KFC bestünde das Fegefeuer aus einer Fritteuse oder einem Grill.
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