(...)
Luzenir
Caixeta: „Wir sind prekär aber revolutionär!“
Widerstandsstrategien von Migrantinnen
„Entschuldigen Sie bitte die Störung,
aber das hier ist eine Revolution!“
(EZLN)
Mit dem Jingle „Wir sind
prekär aber revolutionär!“ stellt maiz seit Jahren, am alternativen 1. Mai
und bei anderen Aktionen[1],
die Prekarisierung und gleichzeitig auch die Macht der Migrantinnen dar.
Die Rolle und die Anzahl von
Migrantinnen im prekarisierten Bereich der
Care-Dienstleistungssektoren
nehmen rasant zu. Bestehende Arbeitsverhältnisse sind dabei überwiegend im
Kontinuum „Sex – Fürsorge – Pflegearbeit“ angesiedelt, sei es als
Sexarbeiterinnen, als bezahlte Hausarbeiterinnen, als Kranken- und
Altenpflegerinnen oder als Kinderbetreuerinnen u.a.. Dies ist Resultat sowohl
diskursiver als auch rechtlicher und wirtschaftlicher Faktoren. Auch wenn es
widersprüchlich klingt, behaupte ich im ersten Teil dieses Beitrags, dass die
Frauenmigration in den letzten Jahrzehnten sowie die Anwesenheit von
Migrantinnen im prekarisierten Care-Bereich in der sogenannten reichen Welt als
latente gegenhegemoniale Widerständigkeit wahrzunehmen ist.[2]
Das
framework
dieses Beitrags besteht aus
einer kontextualisierten migrantischen Perspektive und basiert auf der
standpunktlogischen „Epistemologie des Südens“ nach Boaventura de Sousa Santos
(2009). Nach diesem Standpunkt werden die Signalseite der Realität, die
Widerstandsstrategien von gegenhegemonialen Praktiken, die in konkreten sozialen
Erfahrungen angelegt sind, Pfade zur Diskussion und Argumentation für die
Erweiterung (auch symbolisch) von zukünftigen Möglichkeiten. Die Erfahrung der
feministischen und antirassistischen Selbstorganisation maiz[3],
einem autonomen Zentrum von und für Migrantinnen in Oberösterreich, bildet diese
kontextualisierte migrantische Perspektive und wird im zweiten Teil dieses
Artikels, hinsichtlich des skizzierten Spannungsfeldes im ersten Teil, explizit
benannt.
(Latente) gegenhegemoniale
Widerständigkeit der Prekarisierten
Die hohe Konzentration von
Migrantinnen in den oben genannten prekarisierten Dienstleistungssektoren ist
kein Zufall. Mehrere Studien zeigen, wie dieses Phänomen in engem Zusammenhang
einerseits mit der restriktiven (österreichischen) Einwanderungspolitik, die
wiederum mit den internationalen ökonomischen Bedingungen, mit der restriktiven
europäischen Einwanderungspolitik und dem Umbau der westeuropäischen
Wohlfahrtsregime zusammenhängt. Andererseits ist es verbunden mit der der
Nachfrage nach diesen Dienstleistungen in den Zielländern sowie mit der
Zuschreibung von bestimmten Geschlechterrollen und einem rassistisch und
sexistisch segmentierten Arbeitsmarkt. Die Rolle des Staates bei der Schaffung
der Rahmenbedingungen hinsichtlich all dieser Punkte ist äußerst wichtig, denn
sexistische und rassistische Stereotype und Strukturen spielen eine zentrale
Rolle bei der Zuweisung von Migrantinnen in diese Erwerbsarbeitssektoren, die
stark vergeschlechtlicht und ethnisiert sind – so sind in Österreich rund 80%
der Sexarbeiterinnen Migrantinnen.
Unter
Prekarisierung, so zeigt die
Erfahrung, kann aber mehr als rechtliche, soziale und finanzielle Unsicherheit
verstanden werden: Gefordert ist auch, neue flexible Formen von Kollektivität zu
entwickeln und die Fähigkeit, sich selbst kreativ zu entwerfen. Dies sind
soziale Erfahrungen, die verfügbar, identifizierbar und aufwertbar sind – obwohl
sie durch die hegemoniale Rationalität für nicht-existent erklärt werden.
In diesem Sinn stellen die
vorhandenen Widersprüche im Prozess der Prekarisierung eine besondere
Herausforderung dar. Die Unterwerfung unter hyperausbeuterische Verhältnisse
befreit nämlich die Betroffenen paradoxerweise aus den rigiden Vorstellungen
patriarchal-fordistischer Normalität und eröffnet den prekär Beschäftigten aus
Sicht migrantischer und feministischer Theorie und Praxis auch verbesserte
Lebensperspektiven.[4]
In der Prekarisierung von Migrantinnen wird dabei deutlich, was als „Autonomie
der Migration“ bezeichnet werden kann, einer Art Prekarisierung „von unten“, in
die die Wünsche der Einzelnen nach besseren Lebensperspektiven einfließen. So
bietet die Unterwerfung unter die vielfältigen prekarisierenden
Zwangsverhältnisse zugleich erweiterte Handlungsspielräume.
Bereits das Ausbrechen aus
elenden ökonomischen Verhältnissen und patriarchalen Strukturen im Herkunftsland
und der Schritt in die Lohnarbeit im Ausland kann eine Erfahrung von
Selbstermächtigung und in manchen Fällen Kollektivermächtigung sein. Selbst in
Ausbeutungsstrukturen finden sich dabei „Zeichen möglicher zukünftiger
Erfahrungen, die als Tendenzen und Latenzen erscheinen und die von der
hegemonialen Rationalität und dem hegemonialen Wissen ignoriert werden.“ (De
Sousa Santos 2004, S. 1011)
Ob und wie wir beschreiben,
wie sich Betroffene beim Verkauf von sexuellen Dienstleistungen in der
Sexindustrie, beim Putzen für Reinigungsfirmen oder in Privathaushalten etc.
Lebensverhältnisse schaffen konnten, die auch ihren eigenen Interessen
entspricht, und welche „sexuelle oder putzende Mehrarbeit“ diese beständig
aufwenden müssen, um sich den üblichen Zuschreibungen zu widersetzen, ist
demnach auch eine Frage der politischen Strategie. (Caixeta 2005) Entscheidend
für diese Strategie sind dabei Antworten auf die Frage, wie die bestehenden und
zu entdeckenden Widersprüchlichkeiten jenseits eines simplen
Verelendungsdiskurses begriffen werden können, der die Subjektivität und
Eigenaktivität der Einzelnen in der Prekarisierung sowie die kollektive
Strategien unsichtbar werden lässt.
Die flexible Gestaltung der
alltäglichen Reproduktion etwa ist dabei nicht nur als Folge neuer ökonomischer
Zwänge zu bewerten. Entscheidend ist jedoch, inwiefern das Aufbegehren gegen
patriarchal-fordistische Normalitäten und die Suche nach alternativen
Lebensweisen eine Bedingung für die Durchsetzung neuer Arbeits- und
Produktionsverhältnisse darstellen und wie sie in kollektive Strategien
überführt werden kann. (Boudry, Kuster, Lorenz 1999) Hinterfragt und neu
organisiert werden müssen auch neue Formen der Arbeit und Arbeitsteilung, die
die Grundlagen für transnationale Verteilung und dabei auch neue Spaltungen
schaffen – wie in Fall von transnationalen Familien. (Lutz 2007)
Ein Blick auf die konkreten
Tätigkeiten illustriert wie seitens der Betroffenen gekämpft wird, deren
Widerstandsstrategien – im Spannungsfeld aller vorhandenen Widersprüche und
Schwierigkeiten – und
die Tendenzen paradoxaler Verknüpfung (Caixeta 2007) von einerseits
verstärkter Unterwerfung[5]
und andererseits erweiterter Autonomie: So erhalten die einzelnen
Beschäftigten oder Teams im Reinigungsgewerbe z.B. die Säuberung ganzer Objekte
überantwortet, die Arbeit wird eigenverantwortlich organisiert, der Chef ist
meist nicht vor Ort. Ganz ähnlich sind Arbeitsverhältnisse in Privathaushalten
geregelt, die meist (wenn auch nicht immer) in Zeiten gereinigt werden, in denen
die Auftraggeber_innen außer Haus sind. In der Sexbranche verdienen Migrantinnen
das meiste Geld, können ihre Tätigkeit als Nebenjob ausüben, müssen meist keine
Ausbildung vorweisen, haben keine vertragliche Bindung und die Möglichkeit
Kontakte zu knüpfen, eine Fremdsprache zu üben, usw.
Nichtsdestotrotz bleibt der
Kampf um die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von migrierten Sex-
und Hausarbeiterinnen – wie auch für Migrantinnen in anderen prekären
Dienstleistungsverhältnissen – notwendig. Für jene Migrantinnen, die
illegalisiert werden, kann die Tätigkeit im informellen Sektor zwar die
Subsistenz kurzfristig ermöglichen, andererseits besteht ständig die Gefahr
extremer Ausbeutung, da diese Personen keinerlei Rechte besitzen. Um die
Situation von Migrantinnen zu verbessern, ist es notwendig deren Rechte
auszubauen und zu stärken. Nicht so sehr trotz, sondern gerade aufgrund des
„verborgenen Charakters“ der Care-Dienstleistungen gilt es die Arbeitsrechte der
darin Beschäftigten zu stärken. Gleichzeitig muss daran gearbeitet werden, dass
diese Berufe eine gesellschaftliche Aufwertung erfahren und wie im Falle der
Sexarbeit eine Entstigmatisierung und Entkriminalisierung stattfindet – die
Anerkennung von Rechten und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sind dabei
unabdingbar. Dabei gilt es vor allem einer Anti-Prostitutions- und
Anti-Migrationspolitik entgegenzutreten. Die meist moralistisch begründete
Verweigerung der Anerkennung von Sexarbeit als mit Rechten ausgestatteter, stark
ethnisierter Arbeit verringert die Zahl der Migrant_innen in diese Sektor nicht,
sie ignoriert lediglich die Realität vieler Menschen. Repressive politische
Regelungen im Bezug auf Migration, öffentliche Ordnung und Moral führen zu einer
verstärkten Verwundbarkeit der Dienstleisterinnen und zu negativen Konsequenzen
für deren Gesundheit und Sicherheit.
Um nicht in partikularen
Lösungen stecken zu bleiben bedarf es also der Entwicklung übergreifender
ethisch-politischer Positionen, als Grundlage für jene Kämpfe, die die
hegemoniale gesellschaftliche Ordnung in Frage stellen und
dekonstruieren.
Dabei ist die Identifizierung und Erweiterung der gegenhegemonialen Praxis der
Betroffenen – in Form von Selbstorganisation – sowie Allianzen mit allgemeinen
gegenhegemonialen Bewegungen, lokal und weltweit, unverzichtbar. Denn, wie Žižek
betont, „mehr als je zuvor sollte die Antwort auf jede Krise noch
internationalistischer und universalistischer sein als die Universalität des
globalen Kapitals.“ (Žižek 2010)
Gegenhegemoniale
Widerstandspraxis – Die Erfahrung von maiz
„Als
selbstorganisierter Zusammenschluss haben wir 1994 begonnen, unsere eigene
Situation als Migrantinnen in Österreich zu analysieren – als Arbeiterinnen in
der Sexindustrie, als Reinigungskräfte für Leasingfirmen, als Putz- und
Pflegekräfte in Firmen und Privathaushalten, als Pflegehelferinnen im
Gesundheitsbereich, aber auch als Illegalisierte, als Asylwerberinnen, als
Arbeitlose, als Hausfrauen, als Studentinnen, als Wissenschaftlerinnen...
Wir kämpfen für
die rechtliche und soziale Besserstellung von allen Migrantinnen und greifen
aktiv in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Migration und (Anti-)Rassismus
ein. Neben Beratungs- und Bildungsangeboten umfassen unsere Aktivitäten daher
auch politische Kulturarbeit, öffentliche Aktionen und wissenschaftliche
Forschungsprojekte.
Wir stellen uns
gegen den Opfer-Diskurs und Voyeurismus der Medien und setzen auf Protagonismus,
Selbstartikulation und kollektives Handeln.
Wichtig dabei ist
uns auch die Auseinandersetzung unter Migrantinnen selbst. Im Spannungsfeld
aller vorhandenen Widersprüche bemühen wir uns deshalb, kollektive Räume für
einen Austausch zu schaffen, mit dem Ziel Interessen von Migrantinnen zu fördern
und Forderungen nach außen zu tragen.“[6]
Es ist mir als Mitbegründerin von maiz ein Anliegen, einen Blick auf unsere
politische Erfahrung – die ein gegenhegemoniales Ziel von Anfang an verfolgt –
nach Möglichkeiten, aber auch auf Probleme und Spannungen zu werfen. Als Basis
wird versucht auf die Frage einzugehen: Wie definieren und gestalten wir unsere
Praxis angesichts der hegemonialen Verhältnisse? In der Folge werden drei Ebenen
nach den maiz-Prinzipien untersucht: erstens Organisation, zweitens
Repräsentation, drittens politische Strategien und politische Aktion.
Definition und Gestaltung
einer Praxis angesichts der hegemonialen Verhältnisse
Definition[7]:
Der Begriff der Hegemonie, die wir in maiz verwenden, bezieht sich auf die
marxistische Definition von Gramsci und bedeutet nicht eine erzwungene
Unterwerfung, sondern schließt „die aktive Zustimmung der Subalternen zu
ihrer Unterwerfung mit ein: Zwang und Konzens. Hegemoniefähig wird eine
gesellschaftliche Gruppe oder Klasse nur, wenn es ihr gelingt, den engen Bereich
der Eigeninteressen zu überschreiten, also von einer
korporativ-partikularistischen Phase in eine ethisch-politische Phase
einzutreten, in der sie eine progressive Funktion für die gesamte Gesellschaft
übernimmt (...). Ohne das aktive Element der Zustimmung würde sich Hegemonie auf
Zwang und Gewalt reduzieren.“ (Candeias 2007, 19) Konsens wird im Einklang
mit Gramscis Theorie als „Ausdruck sozialer Kämpfe und den Herrschenden
abgerungener sozialer Kompromisse“ definiert. (Brand 2004) Rechtliche
Bestimmungen, staatliche Politiken sind Institutionalisierungen dieser
Kompromisse. Der Ort, wo die Kämpfe um Hegemonie stattfinden, wäre nach Gramsci
die Zivilgesellschaft.
Auf der Ebene der
Prozessgestaltung der österreichische Migrations- und Integrationspolitik
beteiligt sich die Zivilgesellschaft, aber nicht Repräsentant_innen von
Migrant_innenorganisationen sondern der Mehrheitsgesellschaft – vermutlich
Weiße, meistens männlich Mitarbeiter großer Einrichtungen aus dem Sozialbereich
vertreten die vermeintlichen Interessen aller Migrant_innen. Was uns in
maiz in Bezug auf die Interessen der
Migrant_innen
(die kein homogener Block sind) interessiert, sind nicht die einzelnen
Positionen der Migrant_innen, sondern das grundsätzliche Hinterfragen der
Strukturen, die bestimmte Gruppen in der Gesellschaft von Prozessen der
Mitbestimmung ausschließen und ihnen das Recht auf Selbstbestimmung untersagen.
Nicht nur an
institutionalisierte Regelungen und Praxen des Ausschlusses richtet sich unsere
Kritik, sondern auch an die inhaltlichen Positionen und vertretenen Anliegen der
beteiligten Akteur_innen im Aushandlungsprozess zur Herausbildung des
hegemonialen Konsenses im Bereich der Migrationspolitik. In verschiedenen
Themenbereichen, wie bspw. DaZ (Deutsch als Zweitsprache), werden die
Vereinnahmungsstrategien seitens der zuständigen staatlichen Behörden sowie eine
gewisse Verstricktheit zwischen den unterschiedlichen Positionen hervorgehoben,
um die Frage nach der Möglichkeit eines Auswegs bzw. die Frage nach der
Möglichkeit von Dissidenz zu entwerfen.
Obwohl wir uns, aufgrund der
öffentlichen Subventionierung eines Großteils unserer Arbeit, gewisser eigener
Verstricktheit im oben erwähnten Prozess bewusst sind, bemühen wir uns in maiz
stets um dissidente Positionierungen. Wir versuchen diese Spannung produktiv zu
gestalten, indem Widersprüche in unserer Praxis nicht geleugnet oder verdrängt,
sondern benannt und problematisiert werden. Um dies zu gewährleisten, versuchen
wir eine kontinuierliche Reflexion in der Organisation zu ermöglichen, Räume der
Auseinandersetzung mit unserer Praxis und der Entwicklung widerständiger
Strategien.
Gestaltung:
Die maiz-Prinzipien[8]
wurden bewusst gegen die hegemoniale Verhältnisse formuliert und dienen als
Referenz und Maßstab für die Gestaltung unserer Praxis, die im Folgenden in den
Ebenen der Organisation, Repräsentation und politische Strategien/Aktion
skizziert werden.
„maiz ist als ein Raum des
Widerstands entstanden und definiert sich immer noch als ein solcher: ein Raum
zur Reflexion, zur Kritik, zur Erfindung von Strategien, um das Leben möglicher
und besser zu machen. Ein Ort der Lust, der Utopie, der Solidarität, der
ethischen Empörung. Ein Ort, wo Anteilslose ihre Anliegen und Forderungen
artikulieren können. Dementsprechend werden unsere Prinzipien und Ziele
formuliert.“ (Salgado
2010, 41)
1. Organisation
- Autonomie:
maiz ist ein von Parteien, Kirchen und sonstigen Organisationen unabhängiger
Verein.
- Selbstorganisation:
Die Arbeit von maiz basiert wesentlich auf der Selbstorganisierung von
Migrantinnen, jenseits neoliberale Konzepte (Begriffe wie „Selbstmanagement“
oder „Mainstreaming“ lehnen wir entschieden ab).
(aus den
maiz-Prinzipien)
Am Anfang waren wir zu dritt
(alle ohne Bezahlung), heutzutage sind wir über dreißig Frauen, die bei maiz
(angestellt) arbeiten. Selbstverständlich war und ist die Frage über die
passende, mit den Prinzipien kohärente Organisationsform und Struktur immer sehr
präsent.[9]
Auf dieser Ebene sind wir mit verschiedenen
Problemen und/oder
Herausforderungen konfrontiert, wie z.B.: interne Demokratie einschließlich der
Transparenz der Entscheidungen und der Kommunikation; Machtverhältnisse zwischen
Kolleginnen, Migrantinnen und Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft im
Bewusstsein unseres Selbstorganisationscharakters; das Gleichgewicht zwischen
einer formal hierarchischen Struktur (die vom Subventionsgeber verlangt wird)
und einer partizipativen Struktur im Sinn von Horizontalität zu schaffen; unsere
Ressourcen nicht von Verwaltung und Bürokratie verzehren zu lassen; unsere
politische Autonomie, trotz öffentlicher Finanzierung der Arbeit zu bewahren.
2. Repräsentation
- Partizipation & Selbstvertretung:
Wir fordern die gleichberechtigte Beteiligung von Migrant_innen am politischen,
kulturellen und sozialen Leben sowie ihre Einbindung in politische
Entscheidungsprozesse.
- Gleiche Privilegien für alle & das Recht, nicht gleich sein zu müssen:
Wir wollen rechtliche, politische, wirtschaftliche und soziale Bedingungen, die
allen Menschen – unabhängig von ihrer sozialen und geografischen Herkunft, ihrem
Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung – ein Leben in Österreich ohne
Diskriminierung garantieren.
- Kein Mensch ist „tabula rasa“:
Migrant_innen kommen nicht als unbeschriebenes Blatt nach Österreich. Sie
verfügen über Wissen, Bildung und Fähigkeiten, die anerkannt werden müssen.
(aus den
maiz-Prinzipien)
Wen repräsentiert
maiz? Unseren Prinzipien zufolge beanspruchen wir nicht, repräsentativ für die
Migrant_innen Organisationen und sowieso nicht für alle Migrant_innen zu
sein. Nur für diejenigen, die sich mit unseren Utopien identifizieren und unsere
Träume mit uns träumen können. In diesem Sinn sind wir mit vielen
gegenhegemoniale Bewegungen auch verbunden, wie die Zapatist_innen in Mexiko:
„Hinter uns
sind wir ihr. Hinter unseren Masken ist das Gesicht aller ausgeschlossenen
Frauen. Aller verfolgten Homosexuellen. Aller verachteten Jugendlichen. Aller
geschlagenen Migrant_innen. Aller für ihre Worte und Gedanken Eingesperrten.
Aller erniedrigten Arbeiter_innen. Aller durch Vergessen Gestorbenen. Aller
einfachen und gewöhnlichen Männer und Frauen, die nicht zählen, die nicht
gesehen werden, die nicht genannt werden, die kein Morgen haben.“
(EZLN)
Wer repräsentiert
maiz? Migrantinnen, in Absprache und artikuliert, denn wir sind als
Selbstorganisation dezidiert für Selbstvertretung.
Entscheidend dabei ist nicht
so sehr wer, sondern das Spannungsfeld was und wie, denn es
geht darum, in hegemoniale Diskurse einzugreifen und diese zu verschieben. Die
kritische Positionierung ist dabei äußerst wichtig, sei es in Bezug auf den
common sense
– wie gegen die folkloristischen und exotisierenden Zuschreibungen an
Migrant_innen – oder in Bezug auf die Politik-Gesetzgebung gegen die herrschende
Integrationspolitik und Migrationspolitik oder spezifische Themen wie Gewalt an
Frauen, Bildungspolitik, Prostitutionsgesetz, usw. Die Gestaltung der
Sichtbarmachung ist extrem zeitraubend, denn sie erfordert viel (kollektiven)
Raum für Reflexion, Diskussion und Vorbereitung von z.B. Publikationen,
Stellungnahmen oder Aktionen und ist oft ein
Ansatzpunkt für Spannung und Konflikt. Auch die Miteinbeziehung der sogenannten
neuen Generation von Migrantinnen ist eine Aufgabe, die ernster genommen werden
muss.
3.
Politische Strategien/Aktion
- Kollektive Selbstermächtigung:
Wir setzen uns kritisch mit bestehenden Herrschaftsstrukturen auseinander, um
sie zu verändern.
- Feministisches & kritisches Handeln:
maiz ist am Entwurf und an der Realisierung einer Praxis beteiligt, als Beitrag
für eine Gesellschaft, die sich nicht als weiß, westeuropäisch, patriarchal, (post-)kolonialistisch
und heterosexuell definiert.
- Ethische Empörung:
ist die Grundlage für unser politisches Handeln.
- Sexarbeit ist Arbeit:
Wir treten für die Anerkennung von Sexarbeit als Erwerbsarbeit ein.
- Arbeit:
Wir fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie den freien Zugang zum
Arbeitsmarkt für alle.
(aus den maiz-Prinzipien)
Die
maiz-Prinzipien
sind, was die politische Positionierung von
maiz
angeht, unmissverständlich. Es geht um Veränderung und nicht um reformistische
Vorstellung der Herrschaftsstrukturen. Die Konkretisierung dieser politischen
Arbeit beinhaltet alle unsere tagtäglichen Aktivitäten in den verschiedenen
Bereichen und Ebenen und ist nicht frei von Spannung und Wiederspruch. Dazu
gehört:
Read more at www.grundrisse.net(1)
Die Arbeit mit
Migrantinnen,
besonders denjenigen die illegalisiert arbeiten bzw. worden sind:
Netzwerke von und für
Migrantinnen
zu schaffen; Räume schaffen, in denen sich
Migrantinnen
treffen und ihre Lebens- und Arbeitssituation reflektieren können, damit
kollektive Ermächtigung und Organisierung möglich werden; durch Beratung,
Kursmaßnahmen und Gruppenaktivitäten u.a. inhaltliche und rechtliche
Informationen an die Frauen weitergegeben um eine Ausweitung und Umsetzung von
Rechten zu bewirken.
(2)
maiz
als Organisation:
Eine interne Verbesserung
von horizontalen Praktiken und Systeme der Mitverantwortung gehören auch dazu,
in Kohärenz mit unseren radikalen Utopien!
(3)
Besetzung von öffentlichen Räumen: Die Allianzen mit allgemeinen
gegenhegemonialen Bewegungen, Gruppen, etc. ist für diese stark symbolische
Ebene enorm wichtig, muss aber unbedingt unter der Voraussetzung der
Symmetrie in einer
postkolonialen Perspektive stattfinden – das beinhaltet Diskussionen,
Vereinbarungen, Evaluationen, um eurozentrische Vereinnahmungen oder kolonialen
nonsense zu vermeiden. Obwohl die aktionistische Verbreitung von Utopien
und die ironische bzw. humorvolle Kritik[10]
an den hegemonialen Verhältnissen Bestandteil unserer Erfahrung sind, muss ich
gestehen, dass wir fragend
voran gehen, denn „wir fragen nicht nur, weil wir den Weg nicht kennen (wir
kennen ihn nicht), sondern auch, weil das Fragen nach dem Weg Teil des
revolutionären Prozesses selbst ist.“ (Zapatist_innen)
Laut Boaventura de Sousa
Santos ist die Diskrepanz zwischen sehr starken Fragen und sehr schwachen
Antworten etwas, was uns vereint, beunruhigt und zu einem rebellischeren Denken
zwingt. „Ich glaube, es ist an der Zeit, kompetente Rebell_innen zu formen. Um
kompetente Rebell_innen zu formen, ist es notwendig, bei uns und den Theorien,
die wir lehren anzufangen.“ (De Sousa Santos 2009)
E-Mail: l_caixeta@maiz.at
Literatur:
Boudry, P./ Kuster, B./
Lorenz, R., (Hg.): Reproduktionskonten fälschen! Heterosexualität Arbeit &
Zuhause. Berlin: b_books 1999
Brand, Ulrich: Was ist
eigentlich Hegemonie? In: www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2004/09/20/a0182
(Stand 05.05.11)
Caixeta, Luzenir:
Jenseits eines
simplen Verelendungsdiskurses - Prekäre Arbeitsverhältnisse von Migrantinnen.
In: Köchl / Patulova / Yun (Hg.innen); fields of TRANSFER. MigrantInnen in der
Kulturarbeit. IG Kultur Österreich 2007
Caixeta,
Luzenir:
Precarius labor et stuprum
corporis. Prekarität und die bezahlte sexuelle Dienstleistung. In: Kulturrisse
02/05 2005
Candeias, Mario:
Gramcianische Konstellationen. Hegemonie und die Durchsetzung neuer Produktions-
und Lebensweisen. In: Merkens, A./Rego diaz, V., Hg.: Mit Gramsci arbeiten.
Texte zur politisch-praktischen Aneignung Antonio Gramscis. Hamburg: Argument
Verlag 2007
De Sousa Santos,
B./Meneses, M.(Orgs.): Epistemologias do Sul. Série Conhecimento e Instituicoes.
Coimbra: Ed. Almedina
SA 2009
De Sousa Santos, Boaventura:
Gegenhegemoniale Globalisierung. In: UTOPIE kreativ, H. 169 (November 2004), S.
1004-1016
Gutierrez
Rodriguez, Encarnacion: Migration, Domestic Work and Affect. A Decolonial
Approach on Value and the Feminazation of Labor.
London/New York: Routledge
2010
Hess, Sabine: Globalisierte
Hausarbeit. Au-Pair als Migrationsstrategie von Frauen aus Osteuropa.
Wiesbaden: VS
Verlag für Sozialwissenschaften 2009
Kofman/Phizacklea/Raghuram/Sales:
Gender and International migration in Europe: employment, welfare and politics.
London/New York: Routledge 2000
Lutz, Helma: Vom Weltmarkt
in den Privathaushalt. Die neuen Dienstmädchen im Zeitalter der Globalisierung.
Opladen:
Budrich 2007
maiz (Luzenir
Caixeta, Bettina Haidinger, Barbara Haas, Sonnja Rappold, Daniela Rechling,
Pamela Ripota): Housework and Caretaking in Austria: Migrant Women in Private
Households.
Unpublisched report, 2004
Salgado, Rubia:
Deutsch als Zweitsprache im Kontext hegemonialer Verhältnisse. Oder: Das
Einzige, was wir wollen, ist, die Welt zu verändern. In: ÖDaF-Mitteilungen
(österreichischer Fachverband für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache).
Wien, Heft 2/2010
Sassen, Saskia:
Contrageografías de la globalización. Género y ciudadanía en los circuitos
transfonterizos.
Madrid: Traficantes de suenos 2003
Žižek, Slavoj: Zeit der
Monster. Ein Aufruf zur Radikalität. In: www.monde-diplomatique.de/pm/2010/11/12.mondeText.artikel,a0048.idx,14
(Stand 05.05.11)
[1]
Mit verschiedenen Performances und seit 2010 mit „radical
chearleadings“ (www.maiz.at/fotogalerie)
[2]
Gutierrez Rodriguez 2010, Hess 2009, Kofman/Phizacklea/Raghuram/Sales
2000, Lutz, 2007, maiz 2004, Sassen 2003.
[3]
maiz wurde in 1994 von Migrantinnen gegründet, ist eine
Erwachsenenbildungseinrichtung und Beratungsstelle, realisiert Projekte
im Forschungsbereich und ist im Feld autonomen Kulturarbeit tätig. (www.maiz.at)
[4]
Dieser Aspekt habe ich bereits in einen Artikel erarbeitet: Jenseits
eines simplen Verelendungsdiskurses (2007)
[5]
Ein Faktor, der beispielsweise die Prekarisierung im Sektor Sexarbeit
besonders fördert ist deren sozial stigmatisierter Status Quo.
Migrantinnen (in Österreich ca. 80% der Sexarbeiter_innen) werden
mehrfach, als „Ausländerinnen“ und als „Huren“ ausgegrenzt,
stigmatisiert und diskriminiert.
[6]
Selbstdefinition – Vgl. www.maiz.at
[7]
Für diesen Abschnitt bediene ich mich bei einem Artikel meiner Kollegin
Rubia Salgado: Deutsch als Zweitsprache im Kontext hegemonialer
Verhältnisse (2010).
[8]
Siehe die maiz-Prinzipien: www.maiz.at/prinzipien
[9] Derzeit sind wir in acht
verschiedenen Arbeitsbereiche und Teams organisiert, zwei davon sind
bereichsübergreifend (Projektentwicklung und Administration). Die Teams
haben ihre Eigendynamik und alle zusammen (auch die ehrenamtlich
Arbeitenden) treffen sich bei den maiz-Foren (6 x im Jahr) und
Weiterbildungsprogramm – beide Settings werden mit Partizipation von
Mitarbeiterinnen organisiert. Seit 2009 existiert auch ein Betriebsrat.
Die sogenannte Geschäftsführung (bei uns heißt es Koordinationsteam)
wird von einem dreiköpfiges Team, die gleichzeitig auch
Bereichskoordinatorinnen sind (zwei Migrantinnen und eine
Österreicherin), gemacht. Unser Vorstand hat eher eine beratende
Funktion.
[10]
Wie mit dem Spruch „Austria we love you! Wir warden dich
nie verlassen!“
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