Trotz aller Jubelmeldungen der Regierung:
Löhne werden in diesem Jahr real um 0,7 Prozent sinken.
Ein Gespräch mit Michael Schlecht
[Junge Weltr vom 18.05.2011]
Michael Schlecht ist Abgeordneter und Chefvolkswirt der Linksfraktion im Bundestag
Die haben in einem Positionspapier zu Wochenbeginn die öffentliche Darstellung des Wirtschaftswachstums in der Bundesrepublik kritisiert. Was paßt Ihnen an den Verlautbarungen der Merkel-Regierung nicht?
Wir erleben ständig neue Jubelmeldungen über den Aufschwung der vergangenen anderthalb Jahre. Es ist natürlich beachtenswert, in welchem Tempo die deutsche Wirtschaft aus der Krise des Jahres 2009 herausgekommen ist. Auf der Verteilungsseite nutzt dieser Aufschwung aber nur den Unternehmen. Die Profite sind 2010 um 13 Prozent nach oben geschnellt, in diesem Jahr werden es vier bis fünf Prozent sein. Bei den Löhnen bewegt sich dagegen nichts. Dort ist Schmalhans Küchenmeister. Im letzten Jahr gab es zwar leichte Zuwächse, die beruhen aber im wesentlichen darauf, daß die Kurzarbeit deutlich zurückgegangen ist also daß die Beschäftigten mehr gearbeitet haben. 2011 wird sich wieder die alte deutsche Krankheit der Lohndrückerei bemerkbar machen: Es ist von einem realen Minus von 0,7 Prozent auszugehen. Die Tariflöhne werden zwar um rund 1,7 Prozent steigen, die Inflation wird aber 2,4 Prozent der Gehälter wieder auffressen.
Sowohl die Bundesregierung als auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute gehen aber von einem starken Wachstumsbeitrag des privaten Konsums aus. Wie sehen Sie das?
Vom Privatkonsum geht kein nennenswerter Impuls aus. Es ist zwar ein Rückgang der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen, aber neue Jobs entstehen fast nur als prekäre Arbeitsverhältnisse, wie Leiharbeit oder befristete Einstellungen. Wer mit Hartz IV plus Miete rund 800 Euro bekam und nun 1 000 oder 1 100 Euro netto verdient, hat zwar mehr Geld in der Tasche, kann seinen Lebensstandard jedoch nur minimal erhöhen.
Wen stört es, wenn es mehr Arbeit gibt und die Profite steigen? Das ist in unserer Wirtschaftsordnung doch nichts Ungewöhnliches.
Vielleicht bin ich etwas altmodisch, aber ich will mich nicht damit abfinden. Tatsächlich kommen die binnenwirtschaftlichen Impulse von seiten der privaten Investitionen. Dafür sind in erster Linie wiederum die Exporte verantwortlich. Wer für das Ausland produzieren will, muß seine Anlagen erweitern und seine Produktion rationalisieren. Deutschlands größtes wirtschaftliches Problem ist und bleibt die schlechte Binnennachfrage.
Alle Prognosen gehen davon aus, daß sich das Wachstum in der zweiten Jahreshälfte abschwächt. Als Grund werden die auslaufenden Konjunkturprogramme der USA und der VR China genannt. Hat die Bundesrepublik ihren Aufschwung von den amerikanischen Steuerzahlern und den chinesischen Devisenreserven erschnorrt?
Darauf habe ich unter anderem im Bundestag immer wieder hingewiesen, wenn Exwirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) die Konjunkturberichte in aller Fröhlichkeit vorgetragen hat. Die deutsche Exportindustrie hat aber auch neben den technischen Innovationen von der sehr zurückhaltenden Lohnentwicklung profitiert. Diesen Wettbewerbsvorteil konnten die deutschen Unternehmer für die explodierenden Aufträge aus den ausländischen Konjunkturprogrammen nutzen.
Geht nicht der Löwenanteil der BRD-Exporte ins EU-Ausland?
Dorthin gehen rund zwei Drittel der deutschen Ausfuhren. Doch die Euro-Zone hat auch insgesamt von der anziehenden Weltkonjunktur profitiert.
Manche Ökonomen sagen, daß die Bundesrepublik mit ihren Ausfuhren die Euro-Staaten zum Schuldenmachen zwingt. Ist das richtig?
Es ist in der Tat eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Deutschlands Erfolg beruht darauf, daß es mehr exportiert als importiert. Im März allein waren das 15 Milliarden Euro. In anderen Ländern, besonders in der EU, bedeutet das spiegelbildlich eine höhere Auslandsverschuldung. Dieser Mechanismus ist also nicht nur eine deutsche, sondern auch eine europäische Krankheit. In den vergangenen zehn Jahren sind aus dem Ausland unter dem Strich 1,5 Billionen Euro in die Bundesrepublik geflossen. Selbst wenn man die Tourismusausgaben der Deutschen abzieht, sind es noch 1,2 Billionen Euro. Die Lohnstückkosten (Lohnkosten pro produzierter Einheit) sind hier in dieser Zeit um sieben Prozent gestiegen, in den anderen Volkswirtschaften Europas um je 25 bis 30 Prozent. Dieser Konkurrenzvorteil hat Deutschland zu einer wirtschaftsimperialistischen Macht in der EU werden lassen.
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