Kapitalismusgrenzen
Konferenzbeiträge zu Rosa Luxemburgs ökonomischen Arbeiten
Von Andreas Diers
[via Junge Welt]
Der von Narihiko Ito, Annelies Laschitza und Ottokar Luban herausgegebene Sammelband »Rosa Luxemburg.
Ökonomische und historisch-politische Aspekte ihres Werkes« enthält Referate, die auf Tagungen der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft im Jahr 2007 (Tokio) sowie im Jahr 2009 (Berlin) gehalten wurden. Offensichtlich gewinnen die Schriften der Revolutionärin zur politischen Ökonomie angesichts der gegenwärtigen Finanz- und Weltwirtschaftskrise neue Aktualität.
Die bevorstehende Veröffentlichung einiger bislang nicht publizierter wirtschaftswissenschaftlicher Schriften Rosa Luxemburgs durch Annelies Laschitza und Eckhard Müller sollte Anlaß zu einer intensiveren Beschäftigung mit ihren Arbeiten auf diesem Gebiet sein.
Zentraler Gedanke
Michael R. Krätke (Großbritannien) stellt auf über vierzig Seiten umfassend und kritisch die Entwicklung der ökonomischen Ansichten Rosa Luxemburgs dar. Er kann dabei mehrere neue Einsichten in die Genesis ihrer Auffassungen über die Ökonomie des Kapitalismus und deren Bedeutung für heutige Untersuchungen präsentieren, macht jedoch auch auf einige gravierende Fehler und Lücken aufmerksam.
Als wesentlich hebt er aber den zentralen Gedanken Rosa Luxemburgs hervor, wonach der Kapitalismus dann an seine Grenzen stößt, wenn er sich erst über die gesamte Welt ausgebreitet habe. Dieses Stadium sei gegenwärtig zum ersten Mal erreicht.Die umfassende Analyse Krätkes wird durch mehrere Detailuntersuchungen ergänzt. In dem Beitrag von He Ping (VR China) werden die Aussagen zu China in Rosa Luxemburgs grundlegender Arbeit »Die Akkumulation des Kapitals« aus dem Jahre 1913 unter die Lupe genommen. Fritz Weber (Österreich) vergleicht die Imperialismustheorien Luxemburgs, Lenins, Hobsons und Hilferdings im Hinblick auf China und Japan.Zhang Wenhong und Wang Xue-Dong (beide VR China) sowie viele weitere Autorinnen und Autoren weisen in ihren Beiträge das steigende internationale Interesse an Leben und Werk der Sozialistin nach. Drei Autoren thematisieren die Möglichkeiten eines Sozialismus im 21. Jahrhundert und problematisieren vor allem die Bedeutung der basisdemokratischen Intentionen Luxemburgs für die linken globalen Bewegungen. William A. Pelz (USA) zeigt kursorisch auf, daß heute eine neue Bewertung der Sozialistin, »ein anderer Luxemburgismus«, gemäß ihren Prinzipien und frei von Stalinschen Revisionen, möglich ist.
In den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt er ihr Vertrauen in Demokratie und in die Volksmassen, ihren Internationalismus in Wort und Tat sowie ihren grundsätzlichen Humanismus und ihre Betonung von Menschenwürde als moralische Grundlagen des Sozialismus.
Der Vorsitzende der »Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft«, Narihiko Ito (Japan), umreißt Luxemburgs Vorstellungen vom Sozialismus und den Weg dorthin. In einer vergleichenden Biographie stellt Annelies Laschitza Gemeinsames und Unterschiedliches bei Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht dar.
Historischer Kontext
Ulla Plener (BRD), Felix Tych (Polen), Jean-François Fayet (Schweiz), Sobhanlal Datta Gupta (Indien) und Florian Wilde (BRD) thematisieren in ihren Beiträgen, die zum Teil Kontroversen auslösen dürften, Einflüsse sowie Übereinstimmungen und Differenzen zwischen Rosa Luxemburg und anderen Protagonisten der Arbeiterbewegung wie Lenin, Leo Jogiches, Karl Radek, Nikolai Bucharin und Ernst Meyer.Theodor Bergmann (BRD) behandelt die komplizierte Problematik der Positionen Luxemburgs zur Koalitionspolitik sozialistischer Parteien, Ottokar Luban (BRD) befaßt sich anhand von zwei neu aufgefundenen Reden mit ihrer Haltung zum Massenstreik, während Jakow Drabkin (Rußland) im Zusammenhang mit neuen Quelleneditionen überblicksartig über die kritische Haltung Luxemburgs zur Gründung der Komintern informiert.Dogan Göcmen (Türkei) arbeitet heraus, daß der Luxemburgsche Begriff des Politischen genauso wie der von Karl Marx und Friedrich Engels, und dieses sei an der Stelle ergänzt: auch der des in der Tradition Luxemburgs stehenden Linkssozialisten Wolfgang Abendroth trotz scheinbarer Übereinstimmungen nichts mit dem eines konservativ-nationalistischen Carl Schmitt gemeinsam hat.Der Band macht wie schon zuvor veröffentlichte Konferenzbände der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft zum einen deutlich, daß Leben und Werk der KPD-Mitbegründerin auch mehr als neunzig Jahre nach ihrer Ermordung vielfältige Anregungen zur Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft und zur Entwicklung von Sozialismuskonzepten enthalten. Zum anderen werden Lücken und Forschungsaufgaben klar benannt.Die nächste Konferenz der Internationalen Rosa-Luxemburg- Gesellschaft findet am 5. und 6. Oktober 2011 im Russischen Staatsarchiv für Sozialpolitische Geschichte in Moskau statt.
Narihiko Ito/Annelies Laschitza/Ottokar Luban (Hrsg.): Rosa Luxemburg - Ökonomische und historisch-politische Aspekte ihres Werkes. Karl Dietz Verlag, Berlin 2010, 236 Seiten, 16,90 Euro
Informationen zur Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft: www.internationale-rosa-luxemburg-gesellschaft.de/
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