Hunger-Inflation von Robert Kurz
Es war allgemein bekannt, dass die gewaltigen staatlichen Rettungspakete und Konjunkturprogramme seit dem Kriseneinbruch 2009 ein inflationäres Potenzial enthalten, das sich nach einer Übergangszeit entladen muss.
Tatsächlich ist die Inflation weltweit auf dem Vormarsch besonders bei den globalen Wachstumsträgern China, Indien und Brasilien, aber ansatzweise auch schon in der Euro-Zone.
Dabei gibt es allerdings Unterschiede zwischen den Produktionssektoren. Überall laufen die Lebensmittelpreise allen anderen davon.
Die offizielle Inflationsrate beträgt in China derzeit 5 Prozent; im Lebensmittelsektor liegt sie bei 10 Prozent, real wird sie auf 19 Prozent geschätzt.
Noch schlimmer ist die Preisexplosion für Grundnahrungsmittel in Indien und anderen Teilen Asiens, in Afrika und Lateinamerika.
Auch in den USA und in der EU liegen die Preissteigerungen bei Lebensmitteln in den letzten Monaten weit über der allgemeinen Inflationsrate. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO wurden Reis, Mais, Weizen, Fleisch, Gemüse und Genussmittel im globalen Durchschnitt seit Jahresbeginn um mehr als 30 Prozent teurer.
Warum explodieren gerade die Lebensmittelpreise? Offenbar verschränken sich hier mehrere Ursachen kapitalistischer Wirtschaftslogik. Staatsprogramme und Geldschwemme der Notenbanken führen zur eigentlichen Geldentwertung, die alle Sektoren betrifft. Bei den Lebensmitteln kommen aber Sonderfaktoren hinzu. Besonders gravierend wirkt sich die zunehmende Produktion von Biosprit aus: Ölsaaten werden als Treibstoff verheizt und Anbauflächen gehen für diesen Zweck verloren. Gleichzeitig sind aber auch die Preise für fossile Energie gestiegen und damit die Kosten für Diesel und Düngemittel in der Agrarproduktion.
Diese Entwicklung eskaliert, weil die hohen Erdölpreise die Umwandlung von Agrarprodukten in Treibstoff umso attraktiver machen. Schließlich lockt eine solche Lage bei den agrarischen Rohstoffen spekulatives mobiles Geldkapital an, das auf weiter steigende Preise setzt und diesen Prozess zu einem sich selbst verstärkenden macht.
Wie sich die Preisrekorde im Lebensmittelsektor sozial auswirken, hängt ganz davon ab, wie hoch der Anteil am Einkommen ist, der für Essen und Trinken ausgegeben werden muss. Die Mehrzahl der Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika wenden zwischen 60 und 90 Prozent ihrer Einkünfte für die Ernährung auf. In China sind es trotz der Wachstumserfolge immer noch 30 bis 40 Prozent. In Europa liegt der Anteil bei 5 bis 10 Prozent.
Aber diese Zahlen verschlechtern sich in allen Weltteilen dramatisch. Im Gefolge der keineswegs überwundenen Weltwirtschaftskrise hat sich die globale Armut wie ein Lauffeuer ausgebreitet, wenn auch ungleichmäßig. In vielen Weltregionen sind die Einkommen großer Bevölkerungsmassen auf einen Tiefpunkt gefallen.
Jetzt kommt der Preissprung ausgerechnet bei den elementaren Nahrungsmitteln hinzu. Schon 2010 warnte die Weltbank vor neuen Hungerrevolten. Bei den Aufständen im arabischen Raum spielen die unerträglich gestiegenen Ernährungskosten eine große Rolle.
Und Spanien zeigt, dass sich in den Krisenländern der Euro-Zone ähnliches anbahnt. Zwar muss hier noch niemand verhungern, aber angesichts der ausufernden Jugendarbeitslosigkeit könnte bei den kampffähigen Generationen der Geduldsfaden reißen, wenn sich viele nicht einmal mehr die selbstverständlich gewordenen kulturellen Güter und Technologien leisten können, weil bei sinkenden Budgets allein schon das Essen immer teurer wird.
In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.
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