"Was sollte Medienjournalismus leisten?"
Dies ist die etwas ausführlichere Fassung meines Kurzreferates auf einer Tagung zum Medienjournalismus von Message in
Leipzig am 30.4.2010.
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Albrecht Müller.
Albrecht Müller
Kurzreferat zum Thema "Außenansichten: Was sollte Medienjournalismus leisten?" am 30.4.2010 im Rahmen einer Internationalen Tagung im Mediencampus Leipzig
Sie haben mich eingeladen, weil ich Herausgeber und Autor von www.NachDenkSeiten.de bin. Ich soll eine Außenansicht vortragen, fühle mich aber als Herausgeber und Autor eines Mediums mit im Schnitt gut 50.000 Besuchern pro Tag und über 5 Millionen Pageimpressions im Monat eigentlich als Insider, auch als Medienjournalist. Unsere Hauptarbeit besteht ja darin, die Meinungsmache und Manipulation mithilfe von Medien und durch Medien zu analysieren.
Wir sind rundum froh darüber, dass es kritischen Medienjournalismus in Deutschland noch gibt. Wenn ich mich im folgenden also kritisch äußere, dann gilt diese Kritik zuallerletzt den Kolleginnen und Kollegen, die sich in den wenigen Spalten und Sendeplätzen damit abmühen, die Fülle des Kritisierenswerten in den Medien zu sichten. Wenn ich mehr Leistung erbitte und beschreibe, welcher Art diese sein könnte, dann im Bewusstsein dessen, dass die Ressourcen des Medienjournalismus schon heute ausgesprochen knapp gehalten werden.
Die führenden Medienmacher, die Eigner der Medien und sogar viele Journalisten mögen Kritik nicht. Das bekommen wir Autoren der NachDenkSeiten und ich als Autor des medienkritischen Buches "Meinungsmache" oft zu spüren. Medienjournalisten teilen diese Erfahrung mit uns. Kuno Haberbusch hat gestern drastisch beschrieben, dass er es als Autor des medienkritischen Magazins Zapp oft erlebt hat, nach medienkritischen Sendungen von Kollegen gemieden zu werden. Damit muss man wohl leben. Wir NachDenkSeiten-Macher müssen damit leben, dass wir wenig zitiert werden. Als Autor von "Meinungsmache" muss ich damit leben, dass dieses Buch in den meisten überregionalen Zeitungen und Sendungen auch neun Monate nach Erscheinen noch nicht besprochen wurde, nicht mal kritisiert, einfach gemieden.
Ich werde Ihnen jetzt acht Anregungen vortragen. Streng orientiert am gesetzten Thema: Was sollte Medienjournalismus leisten?
Wir erleben dies gerade beim Umgang mit den finanziellen Schwierigkeiten Griechenlands. Die Bildzeitung macht seit Wochen Stimmung gegen eine Unterstützung Griechenlands. Diese Agitation zeigte Wirkung. Die zur Brechung der Spekulation notwendige feste Hilfszusage blieb aus.
Die Camouflage gelingt oft meisterhaft. Dass Medien versuchen, ihre wahre Tendenz zu verbergen, kann man ihnen kaum übel nehmen. Warum sollten sie sich um ihrer Glaubwürdigkeit bei einem breiten Publikum willen nicht ein Image halten, das nicht den Fakten entspricht? Umso mehr wäre es aber eine Aufgabe des Medienjournalismus, jeweils die Tendenz, sichtbar zu machen.
Der falsche Eindruck von der Tendenz eines Mediums ist gelegentlich bewusst gemacht worden: In den Siebzigern lief in Kreisen von CDU und CSU offensichtlich eine Kampagne zur Stigmatisierung einiger Rundfunksender, insbesondere des WDR. Der WDR und wahlweise auch das gesamte Fernsehen wurde zum "Rotfunk" erklärt, obwohl dies damals auch schon nicht stimmte. Neben dem WDR, der auch zu Klaus von Bismarcks und von Sells, zu Novotnys und zu Pleitgens Zeiten nie ein einseitiger "Rotfunk" war, und es außerdem den Bayerischen Rundfunk und den Südwestfunk und den Süddeutschen Rundfunk und den Saarländischen Rundfunk und das ZDF gab damals und heute durchweg keine linken Anstalten. Objektiv betrachtet konnte man im Blick auf das gesamte Rundfunkwesen wirklich nicht von "Rotfunk" sprechen. Die damalige Etikettierung war übrigens die Folge einer Kampagne, die erkennbar darauf abzielte, das Feld für die Kommerzialisierung des Fernsehens und des Hörfunks zu bestellen.
Für Medienjournalisten müsste die Hegemonie der Wirtschaft in den Medien ein Dauerthema sein. Wo man auch hinschaut, dominieren die Sichtweise und die Interessen der Arbeitgeber. Und diese werden als im Gesamtinteresse liegend verkauft. Michael Sommer muss reden wie die Arbeitgeber, der IG-Metall-Vorsitzende macht dann publizistisch Punkte, wenn er Lohnzurückhaltung fordert. Professor Sinn macht seit Jahren Furore, weil er konsequent für ein niedriges Lohnniveau eintritt. Professor Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft wird sogar in den Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen als neutrale Kompetenz-Instanz präsentiert. Arbeitnehmerinteressen und Gewerkschaften werden in der Summe ausgesprochen mies behandelt.
Diese Hegemonie und die Gleichsetzung von Arbeitgeberinteressen mit dem Gesamtinteresse müsste ein beständiges Thema von Medienjournalisten sein.
PR ist vermutlich für die meisten Menschen kein fest umrissener Begriff. Sie kennen den Anteil von Public Relations gesteuerten Beiträgen in ihren Medien nicht. Sie wissen nicht einmal, was "ots" Originaltextservice bedeutet. Woher denn auch.
Sie vermögen vermutlich in der Regel nicht zu unterscheiden zwischen redaktionellen und PR-Beiträgen. Sie wissen nicht, dass manche Stücke ihrer Fernsehsender gar nicht dort, sondern außerhalb von privaten Produzenten im Auftrag von Firmen und anderen Interessenten produziert werden. Zapp hat am 21. April, also vor gut einer Woche, über einen markanten Fall dieser Art berichtet, über einen Fake-Nachrichtenbericht von N 24 im Auftrag der Dresdner Bank, der von der PR-Agentur Mhoch4, einer Tochter der Markenfilm GmbH, produziert worden war.
Die Zuschauer wissen normalerweise nichts von solchen Machenschaften. Sie nehmen an, so etwas würde im Sender produziert, sie wissen nicht, dass der Sender dafür nichts bezahlen muss. Also, hier ist sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Wahrscheinlich müssen die Medienjournalisten bei diesem Thema in der Sache und emotional zulegen. Volker Lilienthal hat in einem Interview mit Zapp das Verhalten von N 24 "unlauter" genannt. Mit Verlaub, bei aller Wertschätzung für den Medienjournalisten und Wissenschaftler Lilienthal: Mit einer solch bescheidenen Qualifizierung wird man diesem Unwesen nicht beikommen. Auch nicht mit der Annahme, dass die Medienaufsicht, die Medienkontrolle und die Medienpolitik nicht wisse, "dass hier bezahlte Botschaften eingeschmuggelt werden", wie Volker Lilienthal im gleichen Interview zu bedenken gibt. Das sehe ich ziemlich anders. Die Medienpolitik und in ihrem Gefolge die Medienaufsicht drückt doch seit Jahren und Jahrzehnten alle Augen zu, weil die einschlägig tätigen Politiker annehmen, nur jene Politiker kommen in den mächtigen Medien gut weg, die sich gemein machen mit ihren Interessen. Also tun sie auch nichts Entscheidendes gegen den wachsenden Einfluss der PR-Industrie. Medienpolitiker, die eigentlich kritisch sein müssten, sind die Tanzbären der wirklich Mächtigen.
(Nachtrag: Volker Lilienthal meinte freundlicherweise anschließend im Gespräch, meine kritische Anmerkung sei berechtigt gewesen.)
In meinem jüngsten Buch "Meinungsmache" habe ich Dutzende dieser Vorgänge beschrieben. Den Hauptmedien schmeckt die Analyse solcher Kampagnen nicht. Sie halten die Analytiker der Meinungsmache für Verschwörungstheoretiker. Ein Vorwurf, der nur noch Kopfschütteln auslösen kann, wenn man die Massivität und Wirksamkeit von Kampagnen und damit auch ihre zerstörerische Kraft Revue passieren lässt. Verschwörungstheoretiker haben bei weitem nicht soviel Phantasie wie die Realität verlangt. Ein paar Kampagnenbeispiele aus dem realen Leben:
Jetzt haben die Republikaner und die Finanzindustrie in den USA eine Kampagne gegen Obamas Regulierungsversuche in Gang gesetzt. Sie zielt darauf, den Staat für die Bankenkrise verantwortlich zu machen so wie das im Ansatz auch bei uns mit dem wiederkehrenden Hinweis auf die besonders schlimme Rolle der öffentlichen Banken versucht worden ist und wird. Mit dem Schlagwort Big Bank Bailout, einer Erfindung eines berühmten Spindoktors, könnte es gelingen, die Fakten auf den Kopf zu stellen. Ein beträchtlicher Teil der US Medien wird dabei mitmachen.
Der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung hat gestern (auf dem Podium) darauf aufmerksam gemacht, dass die kriminellen Akten von Akteuren auf den Finanzmärkten nicht ausreichend zur Sprache gebracht würden. Das ist richtig. Weil wir das genauso sehen, habe ich in den NachDenkSeiten schon am 17.8.2007 darüber geschrieben.
Der Medienjournalismus hat sich beim Thema Altersvorsorge auch nicht ausreichend der unglaublichen Vermischung von PR und redaktioneller Arbeit z.B. zwischen Bild-Zeitung und Allianz AG gewidmet. Auch nicht den Machenschaften von Finanztest, dessen Chefredakteur groteskerweise hingegen immer wieder als glaubwürdiger Experte zu Talkshows und anderen Sendungen herbeigezogen wurde und wird.
Wie eingangs erwähnt, dies ist nur eine kleine Auswahl von Kampagnen, denen wir ausgesetzt waren und sind. Das Geschäft blüht.
Markante Beispiele sind die von der Bertelsmann-Stiftung, ihrem Ableger CHE und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft veranlassten Umfragen und Ratings. Bei ihnen kommt unten meist das heraus, was man oben eingibt. Die schon erwähnte Studie des "Berlin Instituts" zur angeblich niedrigsten Geburtenrate in der Welt und der niedrigsten Geburtenrate seit 1945 und ihre weite Verbreitung in den Medien ist ein anderes Beispiel. Hätte es ein Bewusstsein für die eigens präparierte Nutzung solcher Institute zur Verbreitung und Stützung einer Kampagne gegeben, dann hätten die Medienmacher in den einzelnen Zeitungen und Sendern die Studie einfach abgeheftet so könnte man hoffen. Oder sie hätten wenigstens auf die Seite 2 der Studie geschaut, wo zu lesen war, dass die Studie von der DKV AG, der Deutschen Krankenversicherung AG finanziell gefördert worden war.
Von Medienjournalisten würden wir erwarten, dass sie ihre Kollegen in den Zeitungen und Redaktionen bei den Sendern bedrängen, wenn diese immer wieder Organisationen und Institute zitieren, die eigens für die Public Relations-Arbeit gegründet worden sind: namentlich zum Beispiel die INSM, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, BerlinPolis, das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA), das Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA) in den Händen der Deutschen Post AG und des Berliner Professors Klaus Zimmermann, das MEA, ein Mannheimer Institut unter Leitung von Professor Börsch-Supan, finanziert von der Versicherungswirtschaft und dem Land Baden-Württemberg, das Freiburger Institut von Raffelhüschen, das IW, das Institut der deutschen Wirtschaft, usw.
Man könnte von Medienjournalisten erwarten, dass sie die Engagements von Personen wie Beckmann, Kerner, Plasberg und auch ihrer Produktionsgesellschaften zu einem fortwährenden Thema machen.
Immerhin: die hohen Honorare, die der Fernsehprominenz gezahlt werden, wenn sie Vorträge halten oder moderieren, wurden thematisiert. Zapp und die SZ berichteten am 17. und 18. Juni 2009 über die Honorare von Petra Gerster, Tom Buhrow, Claus Kleber, Anja Kohl, Peter Hahne und Michael Antwerpes. "Der ARD-Topjournalist Tom Buhrow kassiert mit Privatauftritten für Firmen mächtig ab: das schillerndste Beispiel einer Wachstumsbranche, in der es kaum um Unabhängigkeit geht," schrieben die Medienjournalisten Jakobs und Riehl in der Süddeutschen Zeitung.
Das waren acht Wünsche an den Medienjournalismus. Wenn sie die Wünsche nicht erfüllen, ich weiß, dann liegt das am allerwenigsten an den Medienjournalisten, zumal ihre Arbeit voraussichtlich nicht leichter wird. Denn wenn die Medieneigentümer weiterhin und immer mehr vor allem Geld sehen wollen, dann wird ihnen die Krittelei der Medienjournalisten im Wege stehen. Diese nagen schließlich berufsbedingt an der Glaubwürdigkeit der Hauptstrommedien. Also kann ich ihnen dem Trend entgegen nur von Herzen alles Gute wünschen.
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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