»Tatsächlich suchen fast zehn Millionen Arbeit«
Nirgendwo wird so mit Zahlen jongliert wie bei der Arbeitslosenstatistik.
Bankenkrise längst nicht ausgestanden.
Ein Gespräch mit Herbert Schui
Prof. Herbert Schui lehrte Volkswirtschaft an der früheren Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hat Ende vergangener Woche die Wachstumsprognose für die BRD-Wirtschaft von 2,3 Prozent auf 2,6 Prozent im Jahr 2011 angehoben. Auch Forschungsinstitute nennen ähnliche Zahlen. Wie realistisch ist das?
Die Erhöhung liegt in einem statistisch unbedeutenden Bereich. Sie ist aber nicht unwahrscheinlich. Besonders die Aufträge für Investitionsgüter sind auf ein hohes Niveau geklettert. Zwar liegen die Auslandsbestellungen vorne, doch die inländischen Aufträge folgen in dichtem Abstand. Hierzulande wird also wieder mehr investiert.
Worauf ist das zurückzuführen?
Nach wie vor sind die Exporte ausschlaggebend. Die sind laut Daten der Bundesbank im Jahr 2010 im Vergleich zu 2009 um rund 20 Prozent gestiegen. Daran haben die Importe der Volksrepublik China einen gewissen Anteil, die größten Abnehmer kommen aus der EU.
Wirtschaftsminister Brüderle geht in der Prognose seines Hauses davon aus, daß sich das Wachstum 2012 auf 1,8 Prozent abschwächen wird. Das hat man von 2011 allerdings auch behauptet, und die Verlangsamung ist deutlich geringer ausgefallen als erwartet. Wie sehen Sie das?
Wir müssen tatsachlich davon ausgehen, daß sich die Konjunkturentwicklung wieder abflacht. Zwar wird jetzt wieder investiert der Bedarf an diesen Gütern wird jedoch bald abnehmen, sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch weltweit.
Es stecken aber noch weitere Probleme im System. So ist z. B. die Bankenkrise noch längst nicht ausgestanden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) fordert einen Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital von 20 bis 45 Prozent, je nachdem, in welchem Geschäftsfeld die Banken tätig sind. Die Deutsche Bank, als größte Privatbank der Republik, hat aber nur eine Eigenkapitalquote von vier Prozent. Das ist lausig. Denn es stehen noch Abschreibungen aus, also Wertverluste von Geldanlagen. Das betrifft etwa griechische, irische oder portugiesische Staatskredite. Sogar Spanien kann dazukommen, und die Banken besitzen sehr viele dieser Staatspapiere. Wenn diese Geldanlagen weniger wert sind, kann das die Banken ins Wanken bringen. Ihr Eigenkapital würde stark vermindert.
Und was ist mit den Schrottpapieren aus der letzten Krise 2007/08?
Zum Teil sind sie in den Bilanzen immer noch völlig überbewertet, täuschen also Vermögen vor, das es gar nicht gibt. Auch diese Buchungsposten müssen berichtigt werden. Zusammen mit der Euro-Krise kommen Gefahren auf die Banken zu, die vielleicht mit neuen Rettungsschirmen abgefangen werden müssen. Das würde dann wieder mit Steuergeldern finanziert.
Sie sprachen von mehreren Problemen. Was gefährdet außerdem das Wirtschaftswachstum?
Das Geld, das die Regierungen für die Bankenrettung ausgeben, fehlt natürlich bei den öffentlichen Ausgaben. Und wenn die Banken selbst in Schwierigkeiten geraten oder es auch nur befürchten, vergeben sie kaum noch Kredite. Das schwächt die Unternehmensinvestitionen und den Konsum der privaten Haushalte.
FDP-Minister Brüderle hat eine vorsorgliche Erfolgsmeldung abgegeben. Die Arbeitslosigkeit werde im Jahresmittel unterhalb der Drei-Millionen-Marke bleiben. Ist das plausibel?
Nirgendwo wird so mit Zahlen jongliert wie bei der Arbeitslosenstatistik. Tatsachlich suchen fast zehn Millionen Menschen eine Arbeit. Dazu gehören Teilzeitbeschäftigte, die eine Vollzeitstelle benötigen, und Vollzeitbeschäftigte, die zu wenig verdienen, um davon leben zu können. Dann gibt es noch die stille Reserve, die ganz aus der Statistik herausdefiniert wird. Tatsache ist: Die insgesamt geleisteten Arbeitsstunden pro Woche sinken ständig. Gleichzeitig sinkt aber auch die Zahl der wöchentlichen Arbeitsstunden pro Angestelltem. So kann die Zahl der Beschäftigten konstant bleiben oder sogar steigen. Die hohe Teilzeitquote ist ein Ergebnis der Hartz-Reformen.
Brüderle verweist darauf, daß 2012 die Zahl der Erwerbstätigen auf 41 Millionen steigen werde.
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