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Mechanisms of Nicotine Dependence
Zusammenfassung
In der westlichen Welt rauchen ca. 30 % der Bevölkerung. Die meisten Raucher tun dies, weil sie nikotinabhängig sind. Neben einer intensiven Fortführung der Aufklärung über die gesundheitlichen Folgen des Rauchens und einer Erschwerung des Zigarettenkonsums in der Gesellschaft ist es nötig, die Mechanismen der Nikotinabhängigkeit besser zu verstehen, um effektivere Therapien und Raucherentwöhnungsprogramme zu entwickeln.
Diese Übersicht fasst den aktuellen Kenntnisstand über die Mechanismen der Nikotinabhängigkeit zusammen. Im Zentrum stehen zelluläre Effekte von Nikotin sowie die Effekte auf 3 neurophysiologische Funktionssysteme, die bei der Nikotinabhängigkeit eine Rolle spielen: a) Belohnungssystem, b) kognitive Netzwerke und c) Stress-Response-System.
Das Belohnungssystem wird durch Nikotin und andere Suchtstoffe aktiviert. Es ist eng mit dem Emotionsregulationssystem verknüpft. Darüber hinaus moduliert Nikotin die kognitiven Netzwerke für Aufmerksamkeit und Lernen/Gedächtnis, wobei die meisten Daten auf kurzfristig günstige Effekte hindeuten. Schließlich beeinflusst Nikotin auch das Stress-Response-System, wobei abhängig vom Stadium der Nikotinabhängigkeit unterschiedliche Effekte resultieren.
Die nikotinische Modulation dieser Netzwerke durch Zigarettenrauchen wird wenigstens bei Subpopulationen von Rauchern als Selbstbehandlungsversuch klinischer oder subklinischer Beschwerden in den Bereichen Stimmungsregulation/Depression, Aufmerksamkeit/Gedächtnis und Stress-Bewältigung angesehen.
Abstract
About 30 % of the population in Western societies smoke. Most smokers do so due to nicotine dependence. In concert with ongoing education about the detrimental consequences of tobacco abuse and further restriction of public smoking, further scientific effort is needed to investigate the mechanisms of nicotine dependence, in order to develop more effective treatments and smoking cessation programmes. This review summarises our current knowledge of the mechanisms of nicotine dependence, focussing mainly on the cellular effects of nicotine and the effects on three neurophysiological systems that contribute to nicotine dependence: a) reward system, b) cognition/attentional networks and c) stress response system. The reward system that is connected with the mood regulatory system is activated by nicotine and other addictive substances. Furthermore, nicotine modulates cognitive networks involved in attention and learning/memory. Most data point to positive effects of acute nicotine administration on these networks. Finally nicotine influences the stress response system, however, the effects depend on the stage of nicotine addiction. Nicotinic modulation of these networks by means of smoking may reflect an attempt to self-medicate clinical or subclinical symptoms in the areas of mood regulation/depression, attention and learning/memory and stress coping, at least in a subset of smokers.
Einleitung
In Deutschland rauchen mehr als 25 % der Bevölkerung regelmäßig [1]. Mit dieser Raucherquote liegt Deutschland im WHO-Durchschnitt und im oberen Drittel der EU-Staaten [4].
Das regelmäßige Rauchen von Zigaretten reduziert die mittlere Lebenserwartung um ca. 10 Jahre [2][3]. Mehr als jeder 2. Zigarettenraucher stirbt an den gesundheitlichen Folgen des Rauchens wie dem Bronchialkarzinom, dem Lungenemphysem und kardiovaskulären Erkrankungen [2][3]. Dies macht Zigarettenrauchen zur häufigsten Ursache für Krankheit und vorzeitigen Tod in Deutschland [5][6].
Nikotin ist der wesentliche psychoaktive Bestandteil des Tabaks, und Nikotinabhängigkeit ist der Grund dafür, dass viele Betroffene weiterrauchen, obwohl sie den Wunsch haben aufzuhören.
Etwa 30 % aller Raucher unternehmen jedes Jahr einen Versuch, das Zigarettenrauchen zu beenden; dies gelingt jedoch aufgrund der abhängigkeitserzeugenden Wirkung von Nikotin nur in einem geringen Prozentsatz [7].
Das Abhängigkeitspotenzial von Nikotin entspricht insgesamt dem von anerkanntermaßen harten Drogen wie Heroin und geht möglicherweise sogar darüber hinaus. Zwillingsstudien legen nahe, dass Nikotinabhängigkeit und Rauchverhalten genetisch mitbedingt sind [8][9].
Die Vererbung von Rauchverhalten und Nikotinabhängigkeit ist ähnlich wie bei anderen komplexen psychologischen Phänomenen und psychiatrischen Erkrankungen polygen, d. h. die Eigenschaft wird durch ein Zusammenspiel mehrerer Gene, die jeweils nur einen kleinen Teil der Varianz erklären, weitergegeben [10]. Gleichzeitig spielen Umweltfaktoren eine wichtige Rolle. Es gibt Hinweise darauf, dass genetische Aspekte insbesondere in späteren Phasen der Nikotinabhängigkeit, d. h. beim Weiterrauchen bzw. Nicht-Aufhören-Können bedeutsam sind, während Umweltfaktoren eher in der Anfangsphase des Rauchens wichtig sind [11]. Andererseits gibt es auch Hinweise auf neuroplastische Veränderungen, die bereits frühzeitig im Verlauf einer Nikotinabhängigkeit wirksam werden können [14].
In jedem Fall ist Nikotin ein stark abhängigmachender Suchtstoff. Fidler u. Mitarb. berichteten kürzlich, dass britische Teenager, die einmalig eine Zigarette geraucht haben, noch 3 Jahre später ein erhöhtes Risiko haben, nikotinabhängige Raucher zu werden [15]. Dies könnte genetische oder psychosoziale Ursachen haben oder aber auch an den neuromodulatorischen, plastischen Effekten von Nikotin liegen. Ein besseres Verständnis der beteiligten molekularen Mechanismen und psychophysiologischen Systeme ist nötig, um die bestehenden medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlungsansätze bei Nikotinabhängigkeit weiterzuentwickeln. Dies ist erforderlich, da Aufklärung über die gesundheitlichen Folgen alleine bei Rauchern mit schwerer Nikotinabhängigkeit oft nicht zur Abstinenz führen wird.
Aufgrund der aggressiven Nichtraucher-Kampagnen wird in den westlichen Ländern der relative Anteil dieser schwer abhängigen Raucher an der Gesamtpopulation aller Raucher zunehmen. Von einem besseren Verständnis der molekularen und psychophysiologischen Mechanismen von Nikotinabhängigkeit und Rauchverhalten und den sich hieraus ableitenden Behandlungsstrategien wird insbesondere diese schwer betroffene Gruppe profitieren.
In dieser Übersichtsarbeit werden die Mechanismen, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Nikotinabhängigkeit beteiligt sind, dargestellt.
Diese lassen sich folgenden psychophysiologischen Systemen zuordnen: a) Kognition (hier insbesondere Aufmerksamkeitsnetzwerk einerseits und Lernen/Gedächtnis andererseits), b) Belohnungssystem, c) Stress-Response-System. Im weiteren Verlauf dieses Artikels werden wir zunächst die zellbiologischen und neurophysiologischen Grundlagen der cholinergen Neurotransmission im ZNS darstellen. Anschließend wird die Wirkung von Nikotin auf die 3 oben genannten psychophysiologischen Systeme diskutiert.
Nikotinische Azetylcholin-Rezeptoren und zelluläre Effekte von Nikotin
Nikotin entfaltet seine zentralen Effekte über die Stimulation nikotinischer Azetylcholin-Rezeptoren (nAchR). Bei Rezeptoren dieses Typs handelt es sich um pentamere Ionenkanäle, durch die im geöffneten Zustand Na+-, K+- und Ca++-Ionen fließen können [16]. nAchR können sich aus multiplen Untereinheiten zusammensetzen (α2 - α10 und β2 - β4) [17]. Die Zusammensetzung bestimmt die biochemischen und physiologischen Eigenschaften des Rezeptors. Die häufigsten und verhaltensrelevantesten nAchR im ZNS sind die α7- und α4β2-Rezeptoren [10][18][19] (siehe auch [Abb. 1a]). Nikotinische AchR lassen sich in präsynaptischen Terminals, Zellkörpern und Dendriten nachweisen.
Eine Stimulation präsynaptischer Rezeptoren führt über einen Ca++-Einstrom zu einer vermehrten Neurotransmitterausschüttung. Eine Stimulation somatischer Rezeptoren führt ausgehend von einem Ruhemembranpotenzial zu einem depolarisierenden Ionenfluss mit der Folge einer gesteigerten neuronalen Erregbarkeit bzw. Feuerrate dieses Neurons [20] ([Abb. 1b]). Auf diese Weise modulieren Nikotinrezeptoren eine Vielzahl zerebraler Systeme und Prozesse wie z. B. das Belohnungssystem, das Aufmerksamkeitsnetzwerk, Lernen, Hirnentwicklung und Neuroprotektion [8].
Die physiologischen Effekte von nikotinischer, cholinerger Neurotransmission sowie die Effekte von exogen zugeführtem Nikotin sind also von der Lokalisation des stimulierten Rezeptors auf dem Neuron (präsynaptisch, dendritisch oder Soma), dem Neurontyp - nAchR finden sich z. B. auf GABAergen, glutamatergen, dopaminergen und cholinergen Neuronen - und dem funktionell-anatomischen Netzwerk des betreffenden Neurons (z. B. Belohnungssystem, Aufmerksamkeitsnetzwerk oder Lernen/Gedächtnis) abhängig.
Abb. 1 Zelluläre, nAchR-vermittelte Effekte von Nikotin. a) Ionenfluss durch α7 und α4β2-Rezeptoren. b) Zelluläre (elektrophysiologische) Effekte von Nikotin abhängig von der Lokalisation nAchR. c) Signaltransduktions-Kaskaden, die durch Nikotin aktiviert werden können.
CaMK = calcium/calmodulin dependent kinase, CREB = cAMP response element binding protein, ERK/MAPK = extracellular signal-regulated kinase/mitogen-activated protein kinase, PI3K/AkT/Gsk3β = phosphoinositide 3-kinase/protein kinase B/glycogen synthase kinase 3β.
Die physiologische Stimulation eines nAchR durch Azetylcholin zeichnet sich durch ein schnelles Anfluten des Transmitters, hohe Peak-Konzentrationen und ein Abklingen der Stimulation innerhalb von Millisekunden aus, da Azetylcholin rasch durch Cholinesterase abgebaut wird. Unter diesen physiologischen Bedingungen befindet sich der nAchR entweder im aktivierbaren Ruhezustand oder im aktivierten Zustand. Anders ist es bei der Stimulation des nAchR durch Nikotin.
Das Rauchen einer Zigarette führt zu einer deutlich längeren Exposition des nAchR gegenüber niedriger konzentriertem Nikotin. Die längere Interaktion zwischen Nikotin und Rezeptor ergibt sich neben der minutenlangen Zufuhr von Nikotin durch den Rauch einer Zigarette daraus, dass Nikotin nicht durch Cholinesterase gespalten wird und somit länger mit dem Rezeptor in Wechselwirkung treten kann als Azetylcholin. Diese unphysiologische, niedrigdosierte Dauerstimulation des nAchR begünstigt den inaktivierten/desensibilisierten Konformationszustand des Rezeptors.
Diese Rezeptordesensibilisierung ist ein gängiges Erklärungsmodell zur Toleranzentwicklung [21]. Raucher beschreiben typischerweise die erste Zigarette des Tages (nach mehrstündiger Nikotinkarenz, in der die Rezeptoren wieder in den aktivierbaren Ruhezustand übergehen) als "die Beste".
Längerfristige Exposition eines Rezeptors gegenüber seinem endogenen Liganden oder einer stimulierenden exogenen Substanz führt meist zur Herunterregulation des Rezeptors. Die Stimulation nikotinischer Azetylcholin-Rezeptoren durch Nikotin stellt hier eine Besonderheit dar: Chronische Nikotinexposition führt zu einer Zunahme von heteropentameren, β2-haltigen, nikotinischen Rezeptoren, insbesondere von α4β2-Rezeptoren, was in Abhängigkeit vom Konformationszustand bzw. der Aktivierbarkeit der Rezeptoren zu einer Potenzierung der nikotinischen Antwort führen kann. Dieses seit längerem bekannte Phänomen wurde in der Vergangenheit auf unterschiedliche Weise erklärt [22][23]. Die Heraufregulierung von nAchR bei chronischer Nikotinexposition könnte an bestimmten Phänomenen der Nikotinabhängigkeit wie Sensibilisierung und Entzugssymptomen unter Nikotinkarenz beteiligt sein, wenn eine erhöhte Anzahl aktivierbarer Nikotinrezeptoren im Sinne einer "cholinergen Übererregbarkeit" zur Verfügung steht [24][25].
Neben dem oben aufgeführten Einfluss chronischer Nikotinexposition auf den nAchR (Zunahme membranständiger Rezeptoren) kommt es durch Nikotin zu weiteren plastischen Veränderungen, durch die die neurophysiologischen Eigenschaften von Neuronen moduliert werden können. Plastische Phänomene wie Long Term Potentiation (LTP) bzw. Long Term Depression (LDP) sind in mehreren Funktionssystemen, die durch Nikotin moduliert werden können, beschrieben [11][26][27]. Plastische neuronale Veränderung wie LTP werden im Wesentlichen durch intrazelluläres Ca++ gesteuert [28]. Im Falle von LTP werden 3 verschiedene Formen unterschieden, die in unterschiedlicher Weise durch intrazelluläres Ca++ beeinflusst werden: a) Typ 1 = nicht transkriptionsabhängig/nicht translationsabhängig, Typ 2 = nichttranskriptionsabhängig/translationsabhängig, Typ 3 = transkriptionsabhängig/translationsabhängig. Nikotin kann im Wesentlichen auf 2 Arten intrazelluläres Ca++ erhöhen und die oben genannten Mechanismen in Gang setzen: Durch Aktivierung der nAchR, insbesondere von α7-Rezeptoren, die sich durch einen hohen Ca++-Fluss auszeichnen, können direkt intrazelluläre Ca++-abhängige Prozesse angestoßen werden. Alternativ können durch eine nAchR-vermittelte Depolarisierung spannungsabhängige Ionenkanäle geöffnet werden, die ihrerseits einen Ca++-Einstrom verursachen, der die oben genannten "downstream" Ereignisse anstößt [20].
Durch eine Aktivierung präsynaptischer nikotinischer Rezeptoren an glutamatergen oder dopaminergen Synapsen können schließlich auf dem Wege einer vermehrten Ausschüttung dieser Transmitter plastische Veränderungen an dieser Synapse bzw. am postsynaptischen Neuron induziert werden [14][29]. Dopaminvermittelte - d. h. durch eine nikotinische Stimulation dopaminerger Neurone vermittelte - plastische Effekte von Nikotin sind z. B. im Nucleus accumbens, einer zentralen Struktur des Belohnungssystems (siehe folgenden Absatz), relevant [28][30][31].
Die Signaltransduktionsprozesse, die zu den oben genannten LTP-Formen führen können, werden über eine Reihe von Proteinkinasen und Transkriptionsfaktoren vermittelt [28][32] ([Abb. 1c]). [Abb. 1c] fasst die zellulären Effekte einer Stimulation nikotinischer AchR durch Nikotin zusammen.
Nikotin und Belohnungssystem
Eine Gemeinsamkeit der meisten, wenn nicht aller Suchtstoffe ist es, dass sie zu einer vermehrten Dopaminausschüttung im Nucleus accumbens (NAcc), der anatomisch dem ventralen Striatum zuzurechnen ist, führen [33] ([Abb. 2]). Dopaminausschüttung im NAcc korreliert mit dem subjektiven positiven Belohnungserleben und fördert süchtiges Verhalten bzw. entsprechendes Verhalten im Tiermodell wie Selbstapplikation des Suchtstoffes und konditionierte Bevorzugung eines bestimmten Aufenthaltsortes, der mit dem Suchtstoff assoziiert ist (conditioned place preference, CPP).
Hierbei scheinen die verhaltenspsychologischen Phänomene "konditionierte Verstärkung" (conditioned reinforcement, d. h. verstärkender Effekt eines konditionierten Stimulus) und "Lernen aktivierender Motivation" (incentive lerning) [33] eine wichtige Rolle zu spielen.
Die Dopaminausschüttung im NAcc fördert süchtiges Verhalten im Zusammenhang mit Umweltreizen, die mit dem Drogenkonsum bzw. der Drogenapplikation assoziiert sind. Konditionierungsprozesse zwischen Umweltreizen und süchtigem Verhalten spielen beim Entstehen einer Nikotinabhängigkeit und bei der Aufrechterhaltung süchtigen Verhaltens beim Raucher eine wichtige Rolle.
Bei den beiden Aspekten "Belohnung" und Konditionierung von Umweltreizen scheinen unterschiedliche Strukturen innerhalb des NAcc (Schale vs. Kern) unterschiedliche Funktionen zu übernehmen [20]. Der NAcc erhält seine dopaminergen Afferenzen aus dem ventralen tegmentalen Areal (VTA) im Mittelhirn, dessen dopaminerge Neurone außerdem in andere Vorderhirnareale wie die Amygdala, den Hippocampus, den Präfrontalkortex und das dorsale Striatum projizieren.
Die dopaminergen Projektionen aus dem VTA in den NAcc sind die zentrale anatomische Struktur des mesolimbischen Belohnungssystems ([Abb. 2]). Dopaminerge VTA-Neurone erhalten ihrerseits exzitatorischen, glutamatergen Input vom Präfrontalkortex und cholinerge Afferenzen aus diversen subkortikalen Kerngebieten. Inhibitorischen Input erhalten sie von lokalen GABAergen Neuronen und von GABAergen Neuronen im NAcc sowie im tegmental-peduculopontinen Nucleus [20]. nAchR finden sich auf den Somata der dopaminergen VTA-Neurone sowie präsynaptisch auf GABAergen und glutamatergen Afferenzen.
Systemische Nikotingabe oder lokale Nikotinapplikation im VTA aktiviert dopaminerge VTA-Neurone und führt zu einer vermehrten Dopaminausschüttung im NAcc [17][34]. Nikotin wirkt über mindestens dreierlei Mechanismen auf dopaminerge VTA-Neurone: 1. Direkte Aktivierung über α4β2-Rezeptoren auf den dopaminergen Neuronen selbst [34], 2. Erhöhung des exzitatorischen Inputs über präsynaptische α7-Rezeptoren auf glutamatergen Neuronen [14] und 3. Erhöhung des inhibitorischen Inputs über β2-haltige Rezeptoren auf GABAergen Neuronen [37]. Mechanismen 1 und 2 wirken synergistisch im Sinne einer Aktivitätszunahme dopaminerger VTA-Neurone. Darüber hinaus fördert die kombinierte prä- und postsynaptische Stimulation plastische Veränderungen, die dazu führen, dass eine einmalige Nikotingabe die Dopaminausschüttung im NAcc für mehr als eine Stunde erhöht [38], obwohl die β2-haltigen nAchR auf den dopaminergen VTA-Neuronen binnen Minuten desensibilisieren [20][41]. Der inhibierende GABAerge Einfluss auf dopaminerge VTA-Neurone währt nur kurzfristig, da die β2-haltigen nAchR auf diesen Neuronen ebenfalls rasch desensitivieren [37].
Abb. 2 Einfluss von Nikotin auf das Belohnungssystem.
VTA = ventrales tegmentales Areal, NAcc = Nucleus accumbens
Der Nettoeffekt einer akuten systemischen Nikotingabe oder lokalen Nikotinapplikation in das VTA ist also eine Aktivitätszunahme dopaminerger VTA-Neurone und eine vermehrte Dopaminausschüttung im NAcc. Die Auswirkungen einer chronischen Nikotinapplikation auf das Belohnungssystem sind in vivo weniger gut untersucht [42]. Am ehesten kommt es zu homöostatischen Anpassungsprozessen auf Rezeptorebene - Rezeptordesensibilisierung und Heraufregulierung nikotinischer Rezeptoren auf GABAergen VTA-Neuronen einerseits und α7-Rezeptor-vermittelten plastischen Prozessen andererseits -, die sich gegenseitig kompensieren und zu geringen neurophysiologischen und verhaltensbezogenen Auffälligkeiten führen, solange Nikotin zugeführt wird [42]. Bei einem Wegfall der chronischen nikotinischen Stimulation entsteht aber eine cholinerge Unterstimulation des Systems mit konsekutivem, relativem Dopaminmangel, durch die die Entzugssymptome Anhedonie (Freudlosigkeit) und Depressivität erklärt werden können.
Neben der erhöhten Inzidenz von Depression im ersten Abstinenzjahr nach chronischem Nikotinkonsum [43] sprechen auch die erhöhte Lebenszeitprävalenz von Depressionen bei Rauchern [44] und umgekehrt die erhöhte Gefahr einer Nikotinabhängigkeit bei Depressiven [47] für einen Zusammenhang zwischen Depression bzw. Emotionsregulation und Rauchen. Sucht (z. B. Nikotinabhängigkeit) und Störungen des Emotionsregulationssystems (Depression) scheinen über das Belohnungssystem miteinander verbunden zu sein [48]. Möglicherweise stellt Nikotinkonsum bei depressiven und "latent" depressiven Rauchern, den Versuch dar, sich durch eine dopaminerge Aktivierung des Belohnungssystems selbst zu medizieren [49].
Nikotin und Kognition
Nikotin beeinflusst kognitive Prozesse wie Lernen/Gedächtnis, Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeit sowohl bei nikotinabhängigen als auch bei nicht-nikotinabhängigen Menschen und Versuchstieren [50][51]. Die Mehrzahl der publizierten tierexperimentellen Untersuchungen deuten auf eine Verbesserung der Gedächtnisleistung durch Nikotin hin.
Das neurophysiologische Korrelat von Lernen und Gedächtnis ist die Steigerung der synaptischen Übertragungseffizienz (long term potentiation, LTP) im Hippocampus. nAchR finden sich sowohl auf hippokampalen Pyramidenzellen als auch auf Interneuronen, wobei prä- und postsynaptische Rezeptor-Lokalisationen vorkommen. Abhängig von den experimentellen Bedingungen kann Nikotin LTP im Hippocampus induzieren, wodurch die günstigen Effekte auf Lernen und Gedächtnis zu erklären sind [26][52]. Umgekehrt führt die Applikation von nAchR-Antagonisten in den Hippocampus zu einer Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung. [55]. Bei der Vermittlung plastischer Prozesse im Hippocampus scheinen sowohl α4β2- als auch α7-Rezeptoren beteiligt zu sein [50][51].
Akute Nikotingabe moduliert das Aufmerksamkeitsnetzwerk [bestehend aus Präfrontalkortex, anteriorem singulären Kortex (ACC) und parietotemporalen Assoziationsarealen] und verbessert die Aufmerksamkeitsleistung sowohl im Tiermodell als auch beim Menschen [56], wobei es wichtig ist zu bemerken, dass sich dieser positive Effekt auch bei Nikotin-naiven, gesunden Probanden findet [51][67]. Untersuchungen mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) zur Wirkung von Nikotin auf das Aufmerksamkeitsnetzwerk lieferten bislang unterschiedliche Befunde.
Neben Berichten über eine Aktivierung des Aufmerksamkeitsnetzwerkes durch Nikotin [67][68] gibt es auch Hinweise auf andere Effekte: Thiel u. Mitarb. [67] berichten über eine Nikotin-assoziierte, regional verminderte neuronale Aktivität in parietalen Assoziationsarealen bei Stimuli außerhalb des aktuellen Aufmerksamkeitsfokus. Hahn u. Mitarb. [69] berichten über eine Nikotin-induzierte Deaktivierung des so genannten "default mode network", einem Netzwerk von Hirnarealen, das in Ruhe aktiv ist und beim Bearbeiten spezifischer Aufgaben deaktiviert wird. Diese Deaktivierung des "default mode network" korrelierte mit der Verbesserung der Aufmerksamkeitsleistung unter Nikotin.
Die Effekte von Nikotin auf das fronto-parietale Aufmerksamkeitsnetzwerk sind auf zellulärer bzw. elektrophysiologischer Ebene bislang wenig untersucht worden. Eine kürzlich veröffentlichte elektrophysiologische Untersuchung deutet ebenfalls darauf hin, dass der entscheidende Nikotineffekt möglicherweise nicht eine Aktivierung ist, sondern eine Optimierung des Signal-Rausch-Verhältnisses im Präfrontalkortex [27].
In dieser Studie wurde durch Nikotin die Aktivität GABAerger Interneurone gesteigert, was zu einer Erhöhung der Schwelle für das Auftreten bestimmter plastischer Prozesse ("Spike-Timing-Dependent Potentiation") führte. Dieser Effekt wurde sowohl durch β2-haltige nAchR als auch durch α7-Rezeptoren auf GABAergen Interneuronen im Präfrontalkortex vermittelt [27]. Funktionale nAchR waren auf präfrontalen Pyramidenzellen der Schicht 5 selbst nicht nachweisbar ([Abb. 3]). Eine Reihe eigener Studien sprechen für die psychophysiologische und klinische Relevanz des Signal-zu-Rausch-Verhältnisses im Präfrontalkortex, zum Beispiel bei der Schizophrenie [70].
Möglicherweise sind aber auch noch andere Prozesse an der Nikotin-vermittelten Modulation der präfrontalen Aktivität und der Aufmerksamkeitsleistung beteiligt. Beispielsweise könnte Nikotin den glutamatergen oder dopaminergen Input aus anderen Hirnarealen modulieren.
Klinische Daten sprechen dafür, dass Nikotin gerade bei Patienten mit gestörter kognitiver Leistungsfähigkeit das Aufmerksamkeitsnetzwerk günstig beeinflusst. Patienten mit Schizophrenie und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) sind überdurchschnittlich häufig Raucher [73]; und es zeichnet sich ab, dass eine Nikotin-vermittelte Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit gerade bei diesen Raucher-Subpopulationen klinisch bedeutsam bzw. verhaltensrelevant sein könnte [AAAA
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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