Mittwoch, 27. April 2011

Die #Gemeinde - #lebensnotwendige #Stimme für die #Gesundheitsförderung [Prävention und Gesundheitsförderung: 2009]


Editorial

Die Gemeinde – lebensnotwendige Stimme für die Gesundheitsförderung

[Prävention und Gesundheitsförderung: 2009]

J. LossContact Information

(1)  Institut für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, Universität Bayreuth, Prieserstraße 2 , 95440 Bayreuth

 

Ohne Zusammenfassung
PD Dr. J. Loss   
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Welche entscheidende Rolle die Gemeinde im WHO-Konzept von Gesundheitsförderung spielt, wird spätestens mit der Veröffentlichung der Ottawa-Charta im Jahr 1986 deutlich. Auf den 4 Seiten dieses programmatischen Dokuments fällt das Wort "community" bzw. "communities" alleine 12-mal.

Dass die gemeindenahe Gesundheitsförderung in Deutschland bislang vergleichsweise wenig Schlagkraft entwickelt hat, mag auch an der Eigenart des Terminus "community" liegen: Er hat eine Dehnbarkeit, die uns bereits bei der Übersetzung Schwierigkeiten bereitet. Wir können darunter eine Gemeinde verstehen, aber auch das Gemeinwesen oder die Gemeinschaft. Soviel diese deutschen Begriffe auf den ersten Blick "gemein" haben mögen – im wahrsten Sinne des Wortes –, so stark fallen die Bedeutungen auseinander, will man das Wort mit Leben füllen.

Hört gemeindenahe Gesundheitsförderung an den Grenzen einer Kommune auf? Oder ist auch ein Projekt in einer Stadt, einem Stadtviertel oder einer Nachbarschaft einer Form von "community-based health promotion"? Und was ist mit einem Projekt, das sich an eine Gemeinschaft von Schülern in einer Schule richtet?

Auch die Gesundheitswissenschaften haben keine einheitliche Entsprechung für die "community" finden können. Blickt man auf die offizielle deutsche Version der Ottawa-Charta, so erkennt man, dass der englische Begriff beinahe in jedem Absatz anders übersetzt wurde: wahlweise als "Gemeinde", "Nachbarschaft und Gemeinde", "Gruppe", "soziale Gruppe" "soziale Organisation" oder "Gemeinschaft". Damit wird das breite Revier dessen abgesteckt, wo gemeindenahe Gesundheitsförderung wirksam werden kann.

So können geografische Elemente eine "Gemeinde" definieren, d.h. eine Ansammlung von Individuen, die in einem bestimmten, lokal begrenzten Ort leben. Dies kann die klassische ländliche Kommune sein, wie beispielsweise im steirischen Netzwerk der Gesunden Gemeinden, das Reis-Klingspiegl in dieser Ausgabe von Prävention und Gesundheitsförderung vorstellt. Es können aber auch Stadtquartiere darunter gefasst werden, wie beim Projekt "Lenzgesund" im Hamburger Lenzviertel (beschrieben von Mossakowski et al.), oder beim "Netzwerk Märkisches Viertel" in einer Berliner Großwohnsiedlung, das Heusinger et al. untersuchen. Wir haben für dieses Heft aber auch das verhältnisorientierte Projekt "Naschgarten" aus Holzminden gewählt, das im Setting einer Kreisstadt angesiedelt ist (s. Artikel von Blättner u. Heckenhahn).

Im Englischen gebräuchlicher ist es, dass eine "community" auch durch kulturelle oder Lebensstilaspekte definiert werden kann, d. h. sich auf eine Gruppe von Personen bezieht, die bestimmte Lebensgewohnheiten, Interessen, Werte, Sprachen o. ä. teilen, beispielsweise eine Gruppe von Griechisch sprechenden Personen innerhalb einer Stadt ("greek community"). In diesem Sinn wird der Begriff im Deutschen bislang seltener gebraucht. Aber die in diesem Heft vorgestellten Projekte machen deutlich, dass innerhalb der Gemeinden und Städte meist besondere Gruppen in den Fokus genommen werden, z. B. Kinder (im "Naschgarten" oder bei "Lenzgesund") oder Ältere ("Netzwerk Märkisches Viertel"). Gesundheitsförderliche Maßnahmen für Kinder und Jugendliche haben sich auf kommunaler Ebene bereits sehr gut entwickelt, v. a. durch institutionelle Zugänge über Kindergärten, Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen. Es gibt hingegen nur vereinzelte gute Beispiele für Gemeindeprojekte, die auf ältere Menschen abzielen. Wie man auch für diese – nicht zuletzt aus demografischen Gründen – immer wichtiger werdende Zielgruppe in der Gemeinde aktiv werden kann, zeigt in dieser Ausgabe neben der Projektvorstellung von Heusinger et al. der Übersichtsartikel von Altgeld.

Ob man ganze Stadtviertel wählt oder eine Gruppe von über 60-Jährigen innerhalb eines Dorfes: Immer gilt, dass derartige Gemeinschaften heterogene Entitäten darstellen, auch in Hinblick auf ihre Interessen, Sorgen und Bedürfnisse. Um das angemessen berücksichtigen zu können, kann man nicht mit einem "One-size-fits-all-Ansatz" vorgehen, sondern muss sich auf die Personen einlassen, die Nutznießer eines Programms werden sollen. Ein australischer Experte der Gesundheitsförderung sagte zu mir: "Es geht um die Artikulation der Gemeinde. Die Gemeinde bekommt die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Und was man als Gesundheitsförderer machen muss, ist, wie mit einem Lautsprecher das zu verstärken, was die Gemeinde sagt. Und natürlich ist man dann auch dazu verpflichtet, zuzuhören."

Eine ähnliche Formulierung findet man interessanterweise auch in der englischen Fassung der Ottawa-Charta; als Ziel wird hier formuliert: "… to accept the community as the essential voice in matters of its health [and] living conditions". Der Gemeinde eine Stimme geben – das Ziel verfolgt beispielweise der innovative Ansatz der Fotodokumentation (im Englischen bezeichnenderweise auch als "Photovoice" bekannt). Eichhorn u. Nagel erläutern in dieser Ausgabe, wie er sowohl für die Bedarfserhebung als auch die Evaluation von gesundheitsförderlichen Projekten eingesetzt werden kann – v. a. in der Arbeit mit sozial Benachteiligten, Migranten oder Kindern. Wie die aktive Einbindung der Bürger gelingen kann, behandeln auch Mossakowski et al. in ihrem Beitrag zu partizipativen Ansätzen.

Die Beispiele in dem vorliegenden Heft sollen Mut machen, Gesundheitsförderung für Gemeinden, Stadtviertel und soziale Gruppen zu entwickeln und in die Tat umzusetzen. Bei der Realisierung von Ideen und Konzepten stößt man jedoch oft schnell an seine Grenzen – aufgrund finanzieller Engpässe. Es kann daher sinnvoll sein, sich – zusätzlich zu öffentlichen Mitteln – nach privaten Quellen für Fördergelder umzusehen. Loss et al. diskutieren daher in ihrem Artikel die Möglichkeiten von Fundraising und öffentlich-privaten Partnerschaften für gesundheitsförderliche Gemeindeprojekte.

Partizipation, Innovation, Evaluation – diese Schlagworte sollten die Zukunft der gemeindenahen Gesundheitsförderung vorgeben. Wie schwierig, aber auch lebenswichtig und hoch spannend es ist, sie mit Leben zu füllen, das sollen die Artikel in dieser Ausgabe illustrieren.

Julika Loss

Prävention und Gesundheitsförderung
© Springer Medizin Verlag 2009
10.1007/s11553-009-0186-9



Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

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