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Zusammenfassung
Anliegen Es herrscht Unklarheit über die Zugehörigkeit der Kaufsucht zu anderen Krankheitsentitäten. Nach ICD-10 und DSM-IV wird sie als "Impulskontrollstörung, nicht näher klassifiziert" codiert. Manche Autoren sehen darin eine Form der Abhängigkeitserkrankung. Methode Es wird die Kasuistik eines Patienten mit Kaufsucht geschildert und die diagnostische Nähe zur Abhängigkeitserkrankung diskutiert. Schlussfolgerung Vor dem Hintergrund eines gegenwärtig diskutierten erweiterten Verständnisses des Abhängigkeitsbegriffes hat das Kaufverhalten des Patienten vermutlich die gleichen Belohnungsregelkreise aktiviert wie bei stoffgebundenen Abhängigkeiten.
Abstract
Objective It is unclear what disease entity causes compulsive buying. In ICD-10 and DSM-IV, compulsive buying is classified as "Impulse control disorder - not otherwise classified". Some publications interpret compulsive buying rather as a dependence disorder. Method We present the case of a male patient with compulsive buying syndrome. We discuss the close relationship to dependence disorders. Conclusions The patient showed symptoms which would normally be associated with a dependence disorder. On the basis of a wider understanding of the dependency concept, as it is currently being discussed, we believe that the patient has shown a typical buying behavior that has presumably activated a reward loop similar to that of a substance dependency.
Schlüsselwörter
Kaufsucht - Impulskontrollstörung - Abhängigkeitserkrankung
Key words
oniomania - impulse control disorder - addiction disorder
Einleitung
Kaufsucht hat eine lange Geschichte. Die Störung wurde schon vor beinahe einem Jahrhundert von Kraepelin [1] und später von Bleuler [2] beschrieben und steht im Interesse von Psychiatern und populärwissenschaftlichen Medien.
Kaufsucht ist ein Syndrom, das charakterisiert ist durch impulsives oder zwanghaftes Kaufen von unnötigen Dingen, durch persönlichen Leidensdruck, durch Beeinträchtigung der beruflichen oder der sozialen Funktionen und / oder durch finanzielle Probleme. Die Prävalenz beträgt 2-8 % in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung, 80-95 % der Betroffenen sind weiblich [3]. Der Beginn liegt im Alter von 20 ± 5 Jahren. Der Verlauf ist meist chronisch, die meisten Patienten kommen nach 2 Jahrzehnten erstmals in Behandlung. Hinsichtlich medikamentöser Therapieoptionen werden selektive Serotoninrückaufnahmehemmer (SSRI) im Allgemeinen hochdosiert empfohlen [3].
Psychiatrische Komorbidität ist häufig, hierbei insbesondere affektive, Angst-, Ess- und Persönlichkeitsstörungen sowie Substanzmissbrauch. Berichtet wurde auch von Impulskontroll- und Zwangsstörungen [4]. Einige Arbeiten sehen in der Kaufsucht eher eine Abhängigkeitserkrankung (Review bei Lejoyeux et al. [5]). Es herrscht Unklarheit über die Zugehörigkeit der Kaufsucht zu anderen Krankheitsentitäten (Abhängigkeits-, Impulskontroll- oder Zwangserkrankungen u. a.), und darüber, ob es sich bei der Kaufsucht um eine eigene Entität handelt. Die Codierung erfolgt aktuell sowohl nach ICD-10 [6] als auch nach DSM-IV [7] über "Impulskontrollstörung, nicht näher klassifiziert" (ICD-10 F63.8, DSM-IV 312.30).
Wir beschreiben den Fall eines männlichen Patienten mit Kaufsucht, der in eindrucksvoller Weise hinsichtlich seines Kaufverhaltens die Kriterien der Abhängigkeitserkrankung nach ICD-10 und DSM-IV erfüllte und ein eher "süchtiges" als "impulskontrollgestörtes Verhalten" berichtete. Wir diskutieren die diagnostische Nähe zur Abhängigkeitserkrankung und weisen auf die Problematik der SSRI verursachten Nebenwirkungen hin.
Falldarstellung
Anamnese
Der 46-jährige Patient berichtet über ein in den letzten Jahren zunehmend auffallendes Kaufverhalten. Vor ca. 10 Jahren habe er begonnen über den Versandhandel Kleidung zu bestellen. Anfangs habe er dies getan, da er Übergrößen benötigt und nur schwarze Kleidung getragen hätte. Das zunächst unauffällige Kaufverhalten habe, auch durch die zunehmende Verfügbarkeit von Bestellkatalogen, an Quantität und Qualität rapide zugenommen und zunehmend Artikel umfasst, die der Patient nicht benötigte. So habe er zeitweise bis zu 6 Videorekorder gleichzeitig besessen, von denen 3 in Originalverpackung im Keller standen. In den letzten 3 Jahren vor stationärer Aufnahme habe dieses Bestellverhalten extreme Ausmaße angenommen.
Der Patient beschrieb ein ausgeprägtes Verlangen, Bestellungen per Versandkatalog zu tätigen, mit ausgeprägter innerer Unruhe bis zum Eintreffen der bestellten Ware und regelrechten Entzugssymptomen, wenn er versuchte, einige Tage nicht zu bestellen oder daran gehindert war. Ein Kontrollverlust hinsichtlich der Menge der bestellten Ware war ausgeprägt. Die Kataloge habe er unmittelbar nach deren Eintreffen komplett durcharbeiten müssen, sonst sei eine starke innere Unruhe und erhöhte Reizbarkeit aufgetreten.
Die vielen Bestellungen aufzugeben sei zwar zeitaufwendig, ihm aber nicht unangenehm gewesen. Er habe hierdurch eine innerliche Entspannung wahrgenommen. Am Auslieferungstermin habe er die Ware mit hoher Anspannung erwartet und möglichst das Haus nicht verlassen. Wenn er doch außer Haus gehen musste, sei er genau durchdachte Wege abgelaufen, um den Postboten abfangen zu können. Bei Ankunft der Pakete sei er deutlich euphorisiert und erregt gewesen und habe sie sofort auf Vollständigkeit kontrolliert. Er habe die Pakete dann in der Wohnung stehen lassen oder sie in einem zusätzlich für diesen Zweck angemieteten zweiten Kellerraum ordentlich gelagert, da der erste schnell überfüllt war. Die Rechnungen habe er sorgsam in Aktenordnern abgeheftet. Ungenutzte Artikel wieder zu verkaufen oder zu entsorgen habe er nie versucht.
So entstanden ca. 70 000-100 000,- Schulden bei den Versandhäusern, Mahnverfahren waren die Folge. Sechs Monate vor stationärer Aufnahme durchsuchte die Polizei die Wohnung und fand nahezu sämtliche in den Rechnungsordnern des Patienten aufgeführten Waren und beschlagnahmte diese. Ein Gerichtsverfahren wurde eingeleitet. Der Patient entschloss sich ohne juristischen Druck zu einer stationären Therapie. Er zeigte Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft.
Sozialanamnese
Der Patient wurde als Sohn einer Hausfrau und eines Bauingenieurs geboren. Er hat eine jüngere Schwester, zu der heute ein gespanntes Verhältnis und kein Kontakt mehr besteht. Er sei unter normalen materiellen Verhältnissen aufgewachsen und habe eine eher liberale Erziehung erfahren. Zunächst sei er auf das Gymnasium gegangen. In der 9. Klasse habe er wegen absinkender Schulleistungen auf die Realschule gewechselt. Ursache für den Leistungsabfall sei der Umzug in eine andere Stadt und der damit verbundene Verlust der Freunde gewesen. Nach Beendigung der Schule mit der mittleren Reife dann Ausbildung und Angestelltenverhältnis im Kanzlei- und Schreibdienst im Sozialgericht bis zum 24. Lebensjahr. Die Arbeit wäre ihm eher schwer gefallen und er hätte darin keine Perspektive gesehen. Er sei oft arbeitsunfähig gewesen und habe an einer "Herzneurose" gelitten. Danach arbeitete er für ein Jahr als Geschäftsführer eines Kulturkreises, was durch die Insolvenz desselbigen beendet wurde. Er habe sich in dieser Zeit deutlich überfordert gefühlt. Zudem habe er wegen persönlicher finanzieller Engpässe Gewinne einer anderen Gesellschaft veruntreut, für die er nebenbei gearbeitet habe. Hierauf folgte eine Bewährungsstrafe von 2,5 Jahren. Er sei dann im 28. Lebensjahr aus finanziellen Gründen von Düsseldorf zu seinen Eltern nach Mannheim gezogen. Da er zunächst keine reguläre Tätigkeit gefunden habe, sei er in das Rotlichtmilieu gelangt. Da ihm hier ebenfalls Konflikte mit dem Gesetz drohten, habe er diese Tätigkeit mit knapp 30 Jahren beendet. Seitdem sei er arbeitslos, lebe von Sozialhilfe, verdiene aber regelmäßig in Gaststätten illegal Geld hinzu und erledige die Steuererklärungen von Freunden. 38-jährig lernte der Patient seine heutige Lebensgefährtin kennen. Diese Beziehung stelle die erste dauerhafte Bindung in seinem Leben dar. Der Patient habe heute 2 sehr enge Freunde und einen weiten Bekanntenkreis.
Somatischer Aufnahmebefund
Der Patient berichtet seit 10 Jahren Nichtraucher zu sein und Alkohol nur am Wochenende oder zu festlichen Anlässen zu trinken. Bekannt ist eine medikamentös eingestellte arterielle Hypertonie sowie eine Hyperurikämie und eine Hypercholesterinämie, wahrscheinlich im Rahmen einer Adipositas per magna (150 kg bei 180 cm, BMI 46,3). Im 44. Lebensjahr erkrankte der Patient an einem Lungenempyem unklarer Genese. Weitere körperliche Erkrankungen in der Vorgeschichte bestanden nicht. Der weitere internistisch-neurologische Untersuchungsbefund war unauffällig.
Psychopathologischer Aufnahmebefund
Wir sahen einen wachen, bewusstseinsklaren und zu allen Qualitäten orientierten Patienten. Der Patient zeigte sich von Beginn an offen, interessiert und kooperativ. Im Gespräch war der Patient freundlich zugewandt, stets um eine erschöpfende Darstellung der anstehenden Fragen bemüht. Die Atmosphäre war angenehm. Eine tiefgehende Fähigkeit zu Selbstkritik und Introspektion gepaart mit Humor förderten die Anamnese sehr. Äußerlich auffällig war die ausschließlich schwarze Kleidung. Aufmerksamkeit und Mnestik erschienen unauffällig. In der Persönlichkeit dominierte eine gutmütige, konfliktvermeidende und verletzliche Disposition. Der Patient neigte deutlich zu Rückzug und Vermeidung und hatte eher Schwierigkeiten, seine Bedürfnisse in interpersonellen Beziehungen zu artikulieren und durchzusetzen. Als regenerativ entspannend erlebte er Nahrungsaufnahme, die er ritualisiert und Kochen zu seinem Hobby erklärt hatte.
Das Denken war formell wie inhaltlich unauffällig. Leichte Ängste vor körperlicher Nähe (z. B. in einer überfüllten Bahn), die nicht das Ausmaß einer Soziophobie erreichten. Die Stimmung war besorgt. Es bestanden deutliche Zukunftsängste, insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Verschuldung. Die Schwingungsfähigkeit war erhalten. Der Antrieb insgesamt normal. Der Patient berichtete von deutlicher innerer Unruhe. Der Schlaf war ungestört, die Appetenz unauffällig. Es bestand keinerlei Anhalt für Eigen- und Fremdgefährdung, auch nicht in der Vorgeschichte.
Psychologische Testung
Die allgemeinen Kriterien für eine Impulskontrollstörung wurden nach ICD-10 und DSM-IV vollständig erfüllt, wobei das pathologische Kaufverhalten in beiden Diagnoseschlüsseln nicht näher klassifiziert wird. Im SCID-I-Interview [8] zeigte sich kein Verdacht auf eine weitere Achse-I-Störung. Eine frühere bzw. aktuelle manische oder hypomane Phase konnte ausgeschlossen werden. Die Kriterien für eine Zwangsstörung wurden nicht erfüllt, ebenso nicht die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung nach ICD-10 oder DSM-IV.
Familienanamnese
Die Familienanamnese hinsichtlich psychiatrischer Erkrankungen war unauffällig.
Therapie und Verlauf
Der Patient nahm in seiner dreiwöchigen stationären Therapie im Rahmen eines qualifizierten Alkohol- und Medikamentenentzugsprogramms an allen für Abhängigkeitskranke angebotenen Therapiesitzungen teil. Wesentliche Elemente des Programms sind therapeutische Maßnahmen zur Motivationsbildung zur Aufrechterhaltung der (Alkohol-)Abstinenz, zur Veränderung im Verhalten und der Lebensführung, zur sozialen Reintegration und zur ambulanten Nachbetreuung. Ziel dieser Maßnahmen ist die konsequente Erarbeitung einer hinreichenden Krankheitseinsicht, die zu der Bereitschaft des Patienten führt, eine weiterführende Behandlung anzutreten.
Zusätzlich begannen wir eine medikamentöse Therapie mit zunächst Doxepin bis 100 mg pro Tag wegen Schlafstörungen und innerer Unruhe, die bei diesem Patienten als ein Entzugssyndrom gewertet werden mussten.
In der nachstationären ambulanten Behandlung verabreichten wir zunächst Citalopram einschleichend bis 40 mg pro Tag für über 2 Monate, da der Patient weiter von starkem Bestelldruck und begleitender Nervosität berichtete. Hierunter besserte sich der Bestelldruck, allerdings nicht ausreichend. Nebenwirkungen bestanden nicht. Wir erhöhten stufenweise auf 80 mg pro Tag, worunter der Bestelldruck nach einem weiteren Monat restituierte.
Das jetzige Auftreten von Nebenwirkungen (innere Unruhe, Libidoverlust und Erektionsschwierigkeiten) zwang zur Dosisreduktion auf 60 mg pro Tag, was mit einem Wiederauftreten des Bestelldrucks verbunden war. Nach weiteren 2 Wochen setzten wir bei fehlender Restitution der Nebenwirkungen Citalopram auf Fluvoxamin 200 mg pro Tag um. Hierunter war der Bestelldruck wieder deutlich geringer. Auch die Erektionsschwierigkeiten besserten sich. Nach 4 Wochen Fluvoxamin zeigte sich allerdings eine persistierende innere Unruhe, weswegen wir das Präparat erneut wechselten und nun Sertralin mit 200 mg pro Tag verabreichten. Hierunter verschwand der Bestelldruck wieder völlig. Es kam zu einem Sistieren der inneren Unruhe. Libido und Erektionsstörungen normalisierten sich über 6 Wochen vollständig. Auch 2 Jahre später zeigte Sertralin mit 200 mg pro Tag eine hervorragende Wirkung ohne Nebenwirkung. Reduktionsversuche wurden regelmäßig mit einem Wiederauftreten des Bestelldrucks beantwortet.
In der ambulanten Nachbetreuung kamen neben den medikamentösen Maßnahmen verhaltenstherapeutische Konzepte zur Anwendung, die sich an der Therapie der Alkoholabhängigkeit und an der Therapie anderer Impulskontrollstörungen (z. B. des pathologischen Glücksspiels) orientierten. Zusätzlich besucht der Patient eine Schuldnerberatung. Die Prognose wird als günstig eingeschätzt, nachdem der Patient nun weit über 2 Jahre in der ambulanten Nachbetreuung stabil geblieben ist.
Diskussion
Im Gegensatz zu der nach ICD-10 und DSM-IV üblichen Klassifikation der Kaufsucht bei den Impulskontrollstörungen als "andere" zeigte der Patient Symptome, die am ehesten der Abhängigkeitserkrankung nach ICD-10 und DSM-IV zuzuordnen sind. Unseres Erachtens leidet der Patient an einer Abhängigkeitserkrankung und nicht an einer Impulskontrollstörung, wobei alle 6 Kriterien einer Abhängigkeitserkrankung nach ICD-10 erfüllt sind. Neben einem ausgeprägten "Craving" (1) im Sinne eines Bestelldrucks zeigte der Patient insbesondere einen starken Kontrollverlust (2) hinsichtlich der Bestellmenge. Weiter kam es zu einer Toleranzentwicklung (3) im Sinne einer zunehmenden Frequenz des Bestellens und zu einem "Entzugssyndrom" (4) mit innerer Unruhe, Nervosität und psychomotorischer Agitiertheit, wenn er nicht bestellte. Das Freizeitverhalten war verändert (5), indem der Patient praktisch seine gesamte Freizeit dem Bestellen, Entgegennehmen, Auspacken, Kontrollieren und Verräumen der Waren widmete. Darüber hinaus zeigten sich schädliche Folgen (6) im sozialen Bereich, mit erheblicher Verschuldung und mit gerichtlichen Konsequenzen, trotz derer er über lange Zeit weiterbestellte.
Nicht der Impuls zu bestellen war entscheidend, sondern insbesondere das Vorhandensein der Versandhauskataloge, oder auch Gedanken an diese, führten zu einem "Bestellverlangen".
Dies erinnert sehr an reizabhängiges Verhalten, was bei Abhängigkeitserkrankungen eine große Rolle spielt. In einer gewissen Analogie zu dem Reiz-Reaktions-Konzept aus dem Bereich der Abhängigkeitserkrankungen tätigte der Patient daraufhin "süchtig" Bestellungen. Aus diesem Grunde erfolgte die Behandlung stationär im Rahmen einer verhaltenstherapeutisch orientierten gruppengestützten qualifizierten Entzugsbehandlung für Alkohol- und Medikamentenabhängige, von der der Patient sehr profitierte, da er die suchtspezifischen Verhaltenskonzepte gut auf sich übertragen konnte. Die Psychoedukation der Modelle der Entwicklung und der Therapie von Abhängigkeitserkrankungen war für ihn sehr hilfreich.
Die Applikation von SSRIs in Anlehnung an die Therapie impulskontrollgestörter oder zwangserkrankter Menschen führte zu einer deutlichen Abnahme des Bestelldrucks gerade im poststationären ambulanten Verlauf. Der Patient schilderte, dass unter Hochdosis-SSRI-Behandlung eine innere Distanzierung von den Bestellimpulsen erreicht wurde.
Er erlebte es als ausgesprochene Erleichterung, die postalisch immer wieder eintreffenden Kataloge nun entsorgen zu können, anstatt diese durcharbeiten und Bestellungen tätigen zu müssen. Er berichtete, dass er darüber sehr froh und stolz sei. Wir führen diesen Erfolg maßgeblich auf die SSRI-Hochdosis-Medikation zurück, da schon geringe Dosisreduktionen zu einem Wiederauftreten der Symptomatik führten.
Differenzialdiagnostisch zu diskutieren ist das Vorliegen einer Zwangserkrankung. Diese ließ sich aber weder klinisch noch testpsychologisch bestätigen, zumal die Handlungen ichsynton und dem Patienten in keiner Weise unangenehm erschienen.
McElroy und Kollegen [9] meinen, dass Kaufsucht häufiger als angenommen ist. Kaufsucht besitze phänomenologische Charakteristika der Zwangserkrankungen, der Impulskontrollstörungen und der Abhängigkeitserkrankungen. Bei der Kaufsucht bestünde eine gewisse Beziehung zu anderen psychiatrischen Erkrankungen und sie sei behandelbar. Aus diesen Gründen meinen sie, sollte die Kaufsucht als eine eigenständige Erkrankung geführt werden. Sie definieren folgende 3 Kriterien als charakteristisch für das Vorliegen einer Kaufsucht:
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Vorhandensein von Kaufimpulsen (oder intensive Beschäftigung mit Kaufen) oder exzessivem Kaufen von unnötigen Dingen;
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Die Kaufbeschäftigungen, -impulse oder -verhaltensweisen verursachen merklichen Leidensdruck, sind sehr zeitintensiv, interferieren signifikant mit sozialen oder beruflichen Funktionen oder resultieren in finanziellen Problemen;
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Das exzessive Kaufverhalten tritt nicht ausschließlich in hypomanischen oder manischen Phasen auf.
Da die Kaufsucht einige Gemeinsamkeiten mit Zwangserkrankungen und Impulskontrollstörungen aufweist, meinten Christenson et al. [10], dass es sich um eine "Obsessive-compulsive-spectrum"-Erkrankung handeln könnte.
Vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse über das zerebrale Belohnungssystem lenken Forscher den Blick zunehmend von Abhängigkeitserkrankungen und Zwangserkrankungen auf repetetive Verhaltensweisen, die ähnliche Veränderungen wie stoffgebundene Abhängigkeiten im mesolimbischen Belohnungssystem hervorrufen. Menschen, die solche pathologischen Verhaltensweisen ausüben (Kaufsucht, Spielsucht, Internetsucht u. a.) laufen Gefahr, um der Belohnung willen die Kontrolle über ihr Verhalten zu verlieren und süchtig zu werden [11].
Die Biografie des Patienten weist einige Merkmale auf, die auf das Vorhandensein einer Persönlichkeitsstörung schließen lassen könnten. Wir sind dieser Frage testpsychologisch und anamnestisch nachgegangen. Im SCID-II-Interview zeigte sich eine leichte Akzentuierung einer zwanghaften oder einer antisozialen Persönlichkeit, die Werte lagen aber deutlich im Normbereich. Letztlich konnten keine Hinweise für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung gefunden werden. Wir denken nicht, dass hier Zusammenhänge mit der Kaufsucht zu sehen sind.
Unseres Erachtens hat der Patient in klassischer Weise ein süchtiges Kaufverhalten ausgeführt, das vermutlich die gleichen Regelkreise wie bei stoffgebundenen Abhängigkeiten aktiviert hat, ihm deswegen ichsynton erschien und nicht mehr zu kontrollieren war.
Interessenkonflikte
Keine angegeben.
Literatur
1 Kraepelin E. Psychiatrie. 8. Auflage. Leipzig: Verlag Von Johann Ambrosius Barth 1915, p. 408-4092 Bleuler E. Textbook of Psychiatry. New York: Macmillan 1924, p. 5403 Black DW. Compulsive buying disorder: definition, assessment, epidemiology and clinical management. CNS Drugs 2001; 15 (1): 17-274 McElroy SL, Keck PEJr , Phillips KA. Kleptomania, compulsive buying, and binge-eating disorder. J Clin Psychiatry 1995; 56 (Suppl. 4): 14-275 Lejoyeux M, Mc Loughlin M, Ades J. Epidemiology of behavioral dependence: literature review and results of original studies. Eur Psychiatry 2000; 15 (2): 129-1346 Weltgesundheitsorganisation. Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F) Klinisch-diagnotische Leitlinien. Bern: Hans Huber 19917 American Psychiatric Association. DSM-IV. Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. American Psychiatric Press 19948 Wittchen H. et al. "Strukturiertes klinisches Interview für DSM-IV". Göttingen: Hogrefe 19979 McElroy SL, Keck PEJr , Pope HGJr . et al. Compulsive buying: a report of 20 cases. J Clin Psychiatry 1994; 55 (6): 242-24810 Christenson GA, Faber RJ, de Zwaan M. et al. Compulsive buying: descriptive characteristics and psychiatric comorbidity. J Clin Psychiatry 1994; 55 (1): 5-1111 Holden C. "Behavioral" addictions: do they exist?. Science 2001; 294 (5544): 980-982
Dr. med. Bernhard Croissant
Kliniken Landkreis Sigmaringen GmbH
Hohenzollernstraße 40
72488 Sigmaringen
e-Mail: b.croissant@klksig.de
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