Mittwoch, 6. April 2011

Vom Sollen zum Wollen - über #neuere #Entwicklungen in der #Wirtschaftsethik [Perspektiven der Wirtschaftspolitik: 2009]



 

Vom Sollen zum Wollen –über neuere Entwicklungen in der Wirtschaftsethik

[Perspektiven der Wirtschaftspolitik - 2009 - Volume 10 - Issue 3]

Volker Arnold 1*
  1 FernUniversität in Hagen
  *Korrespondenzadresse: FernUniversität in Hagen, Universitätsstraße 41, 58084 Hagen, volker.arnold@fernuni-hagen.de.
Einem anonymen Gutachter danke ich für hilfreiche Anregungen. Darüber hinaus hatte ich Gelegenheit, die Inhalte dieses Beitrages in der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Pécs in Ungarn vorzustellen und zu diskutieren.

Copyright Journal compilation © Blackwell Publishing Ltd und Verein für Socialpolitik

ABSTRACT

Abstract 1. Einf hrung 2. Ein Ausflug in die Rechtsphilosophie 3. Wirtschaftsethik und Marktwirtschaft 4. ber die Bedeutung des Wettbewerbs und der Rahmenordnung Literaturverzeichnis

Abstract:  The classical question of moral philosophy reads: "What ought I to do?" (Kant). Especially in modern times such a philosophy has been subject to criticism for not going beyond the ought. To address such criticism the question has to be answered in which way the ought can be implemented in modern, anonymous mass societies (Homann). Attempts to induce the members of such societies to translate the ought – out of insight, out of a sense of duty, out of religious convictions, or on the basis of cultural traditions – into action are prone to failure. Where the sanctions of face-to-face societies fail to have an impact, moral norms must be implemented in the rules governing societies. If there are effective sanctions for violating those rules, the majority of individuals will conform out of self-interest.

DIGITAL OBJECT IDENTIFIER (DOI)
About DOI
 
 
 

1. Einführung

Abstract 1. Einf hrung 2. Ein Ausflug in die Rechtsphilosophie 3. Wirtschaftsethik und Marktwirtschaft 4. ber die Bedeutung des Wettbewerbs und der Rahmenordnung Literaturverzeichnis

Der Wirtschaftsethik kommt im Rahmen der vielfältig ausdifferenzierten Wirtschaftswissenschaften bestenfalls ein Mauerblümchen-Dasein zu. Entsprechende Diskurse finden vorwiegend zwischen Philosophen, Theologen, Staatsrechtlern und Politologen statt. Diese Diskurse leiden in der Regel unter dem Tatbestand, dass der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand weitgehend ausgeblendet bleibt.

1 Wohin das führt, das hat Joseph Kardinal Ratzinger bereits vor vielen Jahren wie folgt auf den Punkt gebracht: "Eine Moral, die die Sachkenntnis der Wirtschaftsgesetze überspringen zu können meint, ist nicht Moral, sondern Moralismus, also das Gegenteil von Moral" (Ratzinger, 1986, S. 58, zitiert nach Homann, 2008, S. 14). Eine mögliche Konsequenz aus dieser unbefriedigenden Situation könnte in den Rechtswissenschaften bereits vorgezeichnet sein. Für diese stellt Habermas Folgendes fest: "Die Rechtsphilosophie ist in Deutschland längst keine Sache der Philosophen mehr. … Es ist ja kein Zufall, dass die Rechtsphilosophie dort, wo sie den Kontakt mit der gesellschaftlichen Realität noch sucht, in die Juristischen Fakultäten abgewandert ist" (Habermas, 1992, S.9). Die folgenden Ausführungen haben das Ziel, einen Beitrag dazu zu leisten, die Wirtschaftsethik besser in den Wirtschaftswissenschaften zu verankern.

Ethik oder – was dasselbe meint – Moralphilosophie befasst sich traditionellerweise mit Fragen der Moralbegründung und der Moralkritik. Die klassische Fragestellung dieser Disziplin hat Kant so formuliert: "Was soll ich tun?" Darauf und auf neuere Entwicklungen wie die Diskursethik, die eine Umstellung vom Ich des vernunftbegabten Einzelnen auf das Wir der ebenfalls vernünftigen aber den Konsens suchenden Diskursteilnehmer vornimmt, um damit moralischen Regeln einen "universalistischen Geltungssinn" zu verleihen (

Habermas, 1992, S. 141), soll im Folgenden nicht eingegangen werden.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist vielmehr Hegels Vorwurf an die Moralphilosophie, wonach diese beim Sollen stehen bleibt (

Hegel, 1971, S. 369). Akzeptiert man das, so stellt sich die Frage, was eine – entsprechend erweiterte – Moralphilosophie zu sagen hat, wenn der vernunftbegabte Einzelne sein Handeln nicht aus Pflicht am Kategorischen Imperativ sondern vielmehr an seinen Neigungen, Begierden und Trieben (ebenda, 366) ausrichtet? Was ist, wenn die Diskursteilnehmer sich bei ihren Handlungen nicht an die Handlungsnormen halten, denen sie im rationalen Diskurs bei gleichmäßiger Berücksichtigung der Interessen jedes Einzelnen zugestimmt haben? Was ist, wenn der Einzelne sich einfach dem den Konsens suchenden Diskurs verweigert? Oder – einfacher ausgedrückt – was ist, wenn aus dem Sollen nicht das Wollen folgt?

Dies sind zentrale Fragestellungen, mit denen sich der Münchner Philosoph und Wirtschaftsethiker Karl Homann seit nunmehr gut zwei Jahrzehnten beschäftigt. Hierzu Homann im Originalton: "Die Philosophie hat nach Hegels Diagnose (von der Ohnmacht des Sollens, V.A.) gegen Ende des 18. Jahrhunderts die klassische praktische Philosophie gewissermaßen halbiert und die Frage der Implementierung des Sollens aus den Augen verloren. An dieser Lage hat sich bis heute – trotz vielfältiger Differenzierungen in der Ethik – im Grunde nichts geändert. Die philosophische Ethik steht seit Kant – zumindest in der kontinentaleuropäischen Tradition – im Horizont der Frage nach der Begründung von Sollensforderungen. … Das Implementierungsproblem stellt die offene Flanke der modernen philosophischen Ethik dar." (

Homann, 2002, S. 243f.).

Ehe hier näher auf die Homannschen Gedanken eingegangen wird, soll zunächst ein Ausflug in die Rechtsphilosophie unternommen werden. Dort hat der wohl zur Zeit bekannteste deutsche Philosoph, Jürgen Habermas, mit seinem im Jahre 1992 erschienenen, viel beachteten Werk: "Faktizität und Geltung" einen bemerkenswerten Versuch unternommen, den seit über zwei Jahrhunderten bestehenden Graben zwischen dem Sollen und dem Wollen zu überbrücken, indem er dem positiven Recht eine zur Moral komplementäre Rolle zuweist. Dieser Versuch unterscheidet sich von demjenigen Homanns im Ansatz, kommt aber zu verblüffend gleichartigen Ergebnissen.

 
 

2. Ein Ausflug in die Rechtsphilosophie

Abstract 1. Einf hrung 2. Ein Ausflug in die Rechtsphilosophie 3. Wirtschaftsethik und Marktwirtschaft 4. ber die Bedeutung des Wettbewerbs und der Rahmenordnung Literaturverzeichnis

Ausgangspunkt der Habermasschen Überlegungen zum Verhältnis von Recht und Moral ist die Auffassung, dass rechtliche und moralische Regeln in der Vormoderne unhinterfragt durch Religion und kulturelle Überlieferungen bestimmt waren. Mit der aufkommenden Moderne gerieten die kulturellen Überlieferungen sowie die sakralen Grundlagen von Recht und Moral seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert unter Reflexionsdruck. Recht und Moral wurden – wie Habermas das formuliert –"durch den Filter posttraditionaler Begründungen hindurchgetrieben" (

Habermas, 1992, S. 129). Mit diesem Prozess des Hindurchtreibens von Recht und Moral durch die Filter der praktischen Vernunft oder des den Konsens suchenden Diskurses ist die klassische Moralphilosophie aber bereits an ihrem Ziel angelangt – mit Habermas' Worten: "Natürlich bezieht sich auch die kulturell freischwebende Moral auf mögliche Handlungen; aber mit den Motiven, die den moralischen Urteilen Schubkraft für die Praxis verleihen, und mit den Institutionen, die dafür sorgen, dass berechtigte moralische Erwartungen tatsächlich erfüllt werden, unterhält sie (die Moral, V.A.) sozusagen von sich aus keinen Kontakt mehr." (Habermas, 1992, S. 145). Dies ist – nur anders formuliert – exakt die eingangs angeführte, auf Hegel zurückgehende Diagnose Homanns, die ja lautet: Die klassische Moralphilosophie bleibt beim Sollen stehen.

Um diese Blockade zu durchbrechen, meldet Habermas Zweifel daran an, dass eine Vernunftmoral über entsprechende Sozialisationsprozesse im Persönlichkeitssystem der Handelnden verankert werden könne – solche Sozialisationsprozesse seien in der Neuzeit mit dem Verfall der traditionalen Sittlichkeit unwahrscheinlich geworden (ebenda, S. 145). Und dann kommt der entscheidende Satz: "Eine Moral, die auf das entgegenkommende Substrat geeigneter Persönlichkeitsstrukturen angewiesen bleibt, bliebe in ihrer Wirksamkeit beschränkt, wenn sie die Motive der Handelnden nicht auch noch auf einem anderen Wege als dem der Internalisierung erreichen könnte, eben auf dem Wege der Institutionalisierung eines Rechtssystems, das die Vernunftmoral handlungswirksam ergänzt" (ebenda, S. 146).

Denn – so die Begründung – nur den Rechtssätzen komme unmittelbare Handlungswirksamkeit zu. Sie fehle – wegen der schwachen Motivationskraft guter Gründe – moralischen Urteilen. Recht und Moral stehen also in einem Ergänzungsverhältnis zueinander.

Die Ursache dafür, dass gute Gründe oft nicht ausreichen, um moralischen Urteilen auf der Handlungsebene zum Durchbruch zu verhelfen, sieht Habermas – neben anderem – in einer mangelnden Willensstärke (

Habermas, 1992, S. 148). Denn in Konfliktsituationen sollte der Einzelne – so die Diskursethik – zum einen eigentlich bereit sein, eine die Interessen aller gleichmäßig berücksichtigende, konsensfähige Lösung zu suchen. Das ist aber bei divergierenden Interessen umso unwahrscheinlicher, je ungleicher die Machtverteilung zwischen den Konfliktparteien ist. "Zum anderen soll er die Kraft aufbringen, nach moralischen Einsichten, gegebenenfalls auch gegen die eigenen Interessen, zu handeln, also Pflicht und Neigung in Einklang zu bringen" (Habermas, 1992, S. 148). Auch dieser Forderung wird nicht jedermann ohne weiteres nachkommen wollen.

Daraus zieht Habermas den folgenden Schluss: "Eine Vernunftmoral ist in dem Maße, wie sie in den Motiven und Einstellungen ihrer Adressaten nicht hinreichend verankert ist, auf ein Recht angewiesen, das normenkonformes Verhalten bei Freistellung der Motive und Einstellungen (Hervorhebung durch V.A.) erzwingt. Das zwingende Recht belegt normative Erwartungen derart mit Sanktionsdrohungen, dass sich die Adressaten auf folgenorientierte Klugheitserwägungen beschränken dürfen" (

Habermas, 1992, S. 148). Das sanktionsbewehrte Recht tritt demnach gleichberechtigt neben die Moral, um normenkonformes Verhalten zu erzwingen. Das normenkonforme Wollen folgt also nicht allein aus guten Gründen, es ist vielmehr oft das Ergebnis von Klugheitserwägungen.

Dieses Recht bewirkt aber noch mehr – es entlastet den Einzelnen von der Bürde der eigenen moralischen Urteilsbildung. Er muss nur noch – und das gebietet die Klugheit – gesetzestreu handeln. Moralische Forderungen werden also nicht mehr unmittelbar an den Einzelnen herangetragen. Sie gerinnen vielmehr im positiven Recht und wirken auf diesem Umweg auf sein Handeln zurück.

Damit ist nicht gesagt, dass bei Existenz eines funktionsfähigen Rechtssystems der Einzelne sich nicht mehr von moralischen Grundsätzen leiten lässt – viele werden das sicherlich tun. Damit eine gute soziale Ordnung gewährleistet ist, müssen es aber alle tun, und das ist wegen der beschriebenen menschlichen Willensschwäche nicht unbedingt gewährleistet.

Ein Weiteres ist zu beachten. Rechtsnormen sind in der Regel, wenn sie auf einen konkreten Fall angewendet werden, auslegungsbedürftig. Interpretationsstreite müssen deshalb durch die Gerichte geschlichtet werden. Das Rechtssystem, das aus den Rechtssätzen und der Gerichtsbarkeit besteht, entzieht damit "den Rechtspersonen … die Definitionsmacht über die Kriterien der Beurteilung von Recht und Unrecht" (

Habermas, 1992, S. 147).
 
 

3. Wirtschaftsethik und Marktwirtschaft

Abstract 1. Einf hrung 2. Ein Ausflug in die Rechtsphilosophie 3. Wirtschaftsethik und Marktwirtschaft 4. ber die Bedeutung des Wettbewerbs und der Rahmenordnung Literaturverzeichnis

Zu Ergebnissen, die denjenigen Habermas' sehr ähnlich sind, kommt Karl Homann für das gesellschaftliche Subsystem "Wirtschaft". Das ist im Folgenden zu zeigen. Homann nimmt zunächst einen Perspektivwechsel vor. Nicht mehr der Einzelne, der sich fragt: "Was soll ich tun?" oder die Diskursteilnehmer, die nach konsensfähigen Lösungen suchen, sondern die Gesellschaft ist der Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Die Gesellschaft wird dabei mit Rawls als "ein Unternehmen zur Förderung des gegenseitigen Vorteils" aufgefasst (

Rawls, 1971/1979, S. 20, vgl. 105). Die zugehörige Frage lautet deshalb: Wie sollte eine Gesellschaft organisiert sein, in der es als Ergebnis der gesellschaftlichen Zusammenarbeit allen besser geht? Oder – in die Sprache der Ökonomen übersetzt – wie sollte eine soziale Ordnung aussehen, in der die gesellschaftliche Kooperation zu Pareto-superioren Lösungen führt?

Als Kandidatin für eine gute soziale Ordnung im gesellschaftlichen Subsystem "Ökonomie" ist nach 70 Jahren des Experimentierens im vergangenen Jahrhundert nur die marktwirtschaftliche Ordnung übrig geblieben. Die Idee einer solidarischen Gesellschaft, in der jeder für den anderen eintritt und mit ihm teilt, ist gescheitert.

Eine solche marktwirtschaftliche Ordnung gewährleistet zunächst einmal die Freiheit jedes Einzelnen im Hinblick auf seine ökonomischen Entscheidungen. Vor dem Hintergrund des Tatbestandes, dass in der Zeit von 1933 bis 1945 in Deutschland nicht nur alle politischen Freiheiten, sondern auch die Freiheiten im ökonomischen Bereich verloren gegangen waren, ist deshalb das folgende Zitat aus dem wohl bekanntesten Werk des "Vaters des deutschen Wirtschaftswunders", Ludwig Erhard, aus dem Jahre 1957 zu sehen, das den Titel "Wohlstand für alle" trägt: "Konsumfreiheit und die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung müssen in dem Bewusstsein jedes Staatsbürgers als unantastbare Grundrechte empfunden werden" (

Erhard, 1957, S. 14). Hierzu gab es seinerzeit einen breiten gesellschaftlichen Konsens, wie das folgende Zitat aus dem "Godesberger Programm" der SPD aus dem Jahre 1959 zeigt: "Freie Konsumwahl und freie Arbeitsplatzwahl sind entscheidende Grundlagen, freier Wettbewerb und freie Unternehmerinitiative sind wichtige Elemente sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik" (Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, 1959).

Eine marktwirtschaftliche Ordnung gewährleistet im gesellschaftlichen Subsystem "Ökonomie" aber nicht nur Entscheidungsfreiheit. Bei einer entsprechenden Ausgestaltung der Rahmenbedingungen– und darauf wird zurückzukommen sein – bringt sie auch "Wohlstand für alle", um noch einmal den Titel des Erhardschen Buches aufzugreifen.

Darüber hinaus sorgt sie für einen stetigen Anstieg dieses Wohlstandes, was die folgenden Zahlen belegen mögen. Seit Beginn der Industrialisierung vor über 200 Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung in einem kaum vorstellbaren Ausmaß angestiegen. Für Deutschland betrug dieses Wachstum zwischen den Jahren 1870 und 1998 zum Beispiel im Durchschnitt 1,7 Prozent pro Jahr, was bedeutet, dass sich die Pro-Kopf-Produktion von Gütern und Dienstleistungen in diesem Zeitraum trotz zweier furchtbarer Kriege und eines gewaltigen Bevölkerungswachstums versiebzehnfacht hat (

Arnold, 2006, S. 23). Mit diesem Anstieg des materiellen Wohlstands ging eine enorme Verringerung der pro Jahr und pro Kopf geleisteten Arbeitsstunden und damit ein entsprechender Zuwachs an Freizeit einher.

Was sind nun die Ursachen für diese enorme Leistungsfähigkeit marktwirtschaftlicher Systeme? Die vorläufige Antwort Homanns lautet: Das individuelle Vorteilstreben (

Homann, 2002, S. 249), das sich auf unternehmerischer Seite im Gewinnstreben manifestiert. Er folgt damit dem schottischen Moralphilosophen, dem Begründer der modernen Ökonomik, Adam Smith, dessen berühmter Satz aus dem Jahre 1776 an dieser Stelle nicht fehlen darf: "Nicht von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse" (Smith, 1776/1923, Band I, S. 18/9).

Da sich bei wirtschaftsethischen Diskursen an dieser Stelle Theologen und Philosophen sowie Politikwissenschaftlern und Soziologen in der Regel die Nackenhaare sträuben, ist diese Behauptung, die seit nunmehr gut 200 Jahren zum allgemein akzeptierten Wissen der Ökonomik gehört, im Folgenden kurz zu belegen.

In der kurzen Frist können Unternehmen ihre Gewinne steigern, indem sie in Märkte eindringen, in denen hohe Gewinne erzielt werden. Solche Gewinne zeigen an, dass dort die mit Kaufkraft ausgestatteten Bedarfe noch nicht hinreichend gedeckt sind, da die Kosten einer Produktionsausweitung noch unter dem Preis liegen, den die Nachfrager dafür zu zahlen bereit sind. Indem Unternehmen in diese Märkte eindringen, um dort Gewinne zu erzielen, sorgen sie für zusätzliche Angebote und decken damit diese Bedarfe. Gewinne erfüllen damit in Marktwirtschaften eine wichtige Aufgabe: Sie lenken die knappen Produktionsfaktoren, über die in einer Volkswirtschaft verfügt werden kann, in die von der Gesellschaft erwünschten Verwendungen. Erstmals finde man diese Erkenntnis wohl beim "Vater" der modernen Ökonomik, Adam Smith: "Indem er (der Unternehmer, V.A.) … lediglich seinen eigenen Gewinn (verfolgt) … wird (er) … von einer unsichtbaren Hand geleitet, einen Zweck zu fördern, den er in keiner Weise beabsichtigt hatte" (

Smith, 1776/1923, Band II, S. 235). Das gesellschaftlich erwünschte Ergebnis ist also – um mit Homann zu sprechen – die nicht-intendierte Folge intentionaler Handlungen (Homann, 1997/2002, S. 191).

Das Streben der Unternehmen nach Gewinn zieht noch eine weitere, ebenfalls unbeabsichtigte Konsequenz nach sich: Mit dem Prozess der Angebotsausweitung auf den Märkten, auf denen der mit Kaufkraft ausgestattete Bedarf größer ist als die Kosten einer Produktionsausweitung, sinken die Preise, die die Nachfrager dort zu zahlen bereit sind. Sinkende Preise sind jedoch gleichbedeutend mit sinkenden Gewinnen. Indem die Unternehmen den Gewinnen nachlaufen, eliminieren sie diese, was ebenfalls eine nicht beabsichtigte Folge intentionalen Handelns ist.

Das Gewinnstreben lenkt jedoch nicht nur die knappen Ressourcen einer Volkswirtschaft in die von den Mitgliedern der Gesellschaft gewünschten Verwendungen, es leistet viel mehr, indem es beständig Anreize setzt, neues technisches Wissen zu produzieren. Sind nämlich durch Marktzutritte die Gewinnchancen auf allen Märkten eliminiert, so können Unternehmer, die diesen Namen verdienen – die also etwas unternehmen –, nur dann wieder Gewinn erzielen, wenn sie neue oder verbesserte, die Kosten senkende Produktionsverfahren entwickeln oder mit neuen oder verbesserten Produkten einen bereits latent vorhandenen Bedarf treffen. Die Gewinne dieser Schumpeterschen Pionierunternehmer rufen dann jedoch die Schumpeterschen Imitatoren auf den Plan, mit der Konsequenz, dass deren zusätzliche Angebote die Preise wieder drücken und damit die Pioniergewinne verschwinden lassen. Die wahren Gewinner der Produktion solcher technischen Fortschritte sind damit erneut die Nachfrager.

Bei Ludwig Erhard liest sich das wie folgt: "Das ist der soziale Sinn der Marktwirtschaft, dass jeder wirtschaftliche Erfolg, wo immer er entsteht, dass jeder Vorteil aus der Rationalisierung, jede Verbesserung der Arbeitsleistung dem Wohle des ganzen Volkes nutzbar gemacht wird und einer besseren Befriedigung des Konsums dient" (

Erhard 1957, S. 174). Der geschilderte Prozess von Verstoß und Nachahmung bewirkt, so nochmals Ludwig Erhard: "…– im besten Sinne des Wortes –eine Sozialisierung des Fortschritts und des Gewinns …"(ebenda, 1957, S. 8).

Diese, durch das Gewinnstreben ausgelöste beständige Produktion von neuem technischem Wissen ist die wesentliche Ursache für die oben angeführte ungeheuere Steigerung des materiellen Wohlstandes in den westlichen Industrienationen während der letzten 200 Jahre.

Theologen, Philosophen, Politikwissenschaftlern und Soziologen bleibt dieser Zugang zu den Funktionen von Gewinnen verschlossen, solange sie sich weigern, sich auf die Ökonomik und die dort diskutierten Gesetzmäßigkeiten einzulassen. Für diejenigen, die es tun, bleibt dabei offenbar ein bitterer Beigeschmack, was das folgende Zitat von Habermas zeigt: "Das realistischere Modell einer nicht-intentionalen, hinter dem Rücken der Aktoren sich durchsetzenden, anonymen Vergesellschaftung löst das idealistische Modell einer von den Rechtsgenossen intentional herbeigeführten und kontinuierlich aufrechterhaltenen Assoziation ab" (

Habermas, 1992, S. 65). Ein wenig Wehmut klingt hier durch.
 
 

4. Über die Bedeutung des Wettbewerbs und der Rahmenordnung

Abstract 3. Wirtschaftsethik und Marktwirtschaft 4. ber die Bedeutung des Wettbewerbs und der Rahmenordnung 5. Umweltschutz als gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers Literaturverzeichnis

Nach diesem Loblied auf das unternehmerische Gewinnstreben ist jedoch eine Warnung angebracht: Gewinne haben einen Januskopf. Bisher ist nur das der Sonne zugewandte Gesicht angesprochen worden. Wenden wir uns deshalb dem anderen, dem im Schatten liegenden Gesicht zu.

Den bisherigen Ausführungen lag – ohne dass das explizit vermerkt worden war – eine wettbewerbsmäßig organisierte Ökonomie zugrunde. Nun kennen Unternehmer natürlich die Funktionsweise einer solchen Wirtschaft und wissen deshalb, dass bei Konkurrenz ihr Streben nach Gewinnen zum Verschwinden eben dieser Gewinne führen wird. Aus diesem Grunde werden sie alles tun, um den Wettbewerb untereinander auszuschalten. Bei Adam Smith liest man dazu Folgendes: "Leute von demselben Gewerbe kommen selten auch nur zu Lustbarkeiten und Zerstreuungen zusammen, ohne dass ihre Unterhaltung mit einer Verschwörung gegen das Publikum oder einem Plane zur Erhöhung der Preise endigt" (

Smith 1776/1923, Band I, S. 171/2). Die Zünfte der Handwerker und die Gilden der Kaufleute waren bis in die Neuzeit hinein perfekte Institutionen zur Ausschaltung des Wettbewerbs. Kartellabsprachen zwischen Unternehmen, die gleichartige Produkte anbieten, erfreuen sich auch heute noch außerordentlicher Beliebtheit. Am komfortabelsten ist natürlich eine staatlich garantierte oder eine durch Unternehmenszusammenschlüsse entstandene Monopolstellung.

So interessant die Ausschaltung des Wettbewerbs zwecks Stabilisierung der Gewinne aus der Sicht der Unternehmen auch sein mag, für die Funktionsweise der Marktwirtschaft hat sie desolate Folgen. Die so stabilisierten Gewinne verlieren nämlich sowohl ihre Lenkungsfunktion wie auch ihre Funktion, als Anreiz für die Produktion von neuem technischen Wissen zu dienen. Aus diesem Grund unternimmt der Gesetzgeber heute vieles, um die Ausschaltung des Wettbewerbs durch Absprachen oder Zusammenschlüsse zu verhindern.

Welcher Stellenwert dem zukommt, sieht man an Folgendem: In der Bundesrepublik Deutschland wacht das Bundeskartellamt als eine nicht an politische Weisungen gebundene Institution über die Einhaltung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Und in Europa versucht die Europäische Kommission die in den Artikeln 81 und 82 des EG-Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln durchzusetzen, ohne dass irgendein Ministerrat eingreifen könnte. Beide Behörden sind damit – wie die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank – dem politischen Zugriff entzogen, was ihre Bedeutung eindrücklich unterstreicht.

All das ist Standardstoff volkswirtschaftlicher Vorlesungen. Warum bringe ich es dennoch? Weil es für einen interdisziplinären wirtschaftsethischen Diskurs unerlässlich ist, dass sich alle Diskursteilnehmer über die Funktionen des unternehmerischen Gewinns in Marktwirtschaften im Klaren sind. Insbesondere müssen sie erkennen, dass das Gewinnstreben für die Gesellschaft fruchtbar gemacht werden kann, wenn es Wettbewerbsbedingungen unterworfen wird; und hier setzt Homann an.

Um den Ort der Moral in einer solchen Wettbewerbswirtschaft zu bestimmen, trennt er "zwischen der Rahmenordnung des Handelns und den Handlungen innerhalb der Rahmenordnung" (

Homann, 1993/2002, S. 4). Oder, um es anders auszudrücken: Es ist zwischen Spielregeln und Spielzügen zu unterscheiden. In der Rahmenordnung ist der Wettbewerb durch Gesetz zu verankern. Innerhalb dieser Ordnung können die Unternehmen – geleitet von ihren eigenen Interessen – handeln, wobei Justiz und Wettbewerbsbehörden als Schiedsrichter die Einhaltung der Spielregeln gewährleisten müssen. Das Gewinnstreben als Motiv der Handelnden ist dabei ethisch freigestellt: "In der modernen Gesellschaft liegt die Moral nicht länger in den Motiven der Akteure, sondern in den Regeln" (Homann, 1997/2002, S. 7), oder anders ausgedrückt: "Der systematische – nicht einzige – Ort der Moral in der modernen Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung. Wer die Moral der modernen Welt an den unmittelbaren Handlungsmotiven der Akteure im Wettbewerb festmachen will, sucht an der falschen Adresse …" (ebenda).

Damit ergibt sich eine interessante Parallele zwischen der Habermasschen Rechtsphilosophie und der Wirtschaftsethik Homanns. Beide stellen die Motive der Handelnden moralisch frei. Diese haben sich aber mit ihren Handlungen am Gesetz und der entsprechend ausgestalteten Rahmenordnung der Ökonomie zu orientieren, und da beides sanktionsbewehrt ist, werden sie es in der Regel aus Klugheitserwägungen heraus auch tun.

Diesem letzten Schritt – die moralische Freistellung der individuellen Motive – vermag beispielsweise der

Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in seiner jüngst erschienenen Denkschrift: "Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive" (2008) nicht zu folgen. In den "Leitgedanken" liest man dort zur Bedeutung des unternehmerischen Handelns zwar Folgendes: "Unternehmerisches Handeln ist von zentraler Bedeutung für Innovation, Wertschöpfung und gesamtgesellschaftlichen Wohlstand. Moderne Gesellschaften brauchen Menschen, die bereit sind, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen" (ebenda, S. 12). Aber nicht der "wirtschaftliche Erfolg"– so Bischof Huber in seinem Vorwort – sondern vielmehr die "soziale Verantwortung" gilt dabei "als Maßstab unternehmerischen Handelns. … Sie verpflichtet dazu, die Behauptung eines Unternehmens am Markt und dessen gesellschaftliche Verantwortung aufeinander zu beziehen; …"(ebenda, S. 8).
 
 

5. Umweltschutz als gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers?

Abstract 4. ber die Bedeutung des Wettbewerbs und der Rahmenordnung 5. Umweltschutz als gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers 6. Marktwirtschaft und asymmetrische Information 7. Abschlie ende Bemerkungen Literaturverzeichnis

Aber nicht nur der Wettbewerb muss in der Rahmenordnung verankert sein, damit von Gewinnen die gesellschaftlich erwünschten Signale ausgehen. In wettbewerbsmäßig organisierten Ökonomien lenken Gewinne die knappen Produktionsmittel nämlich nur dann in die von den Verbrauchern gewünschten Verwendungen, wenn alle ökonomisch relevanten Beziehungen zwischen den Wirtschaftssubjekten über Märkte gesteuert werden. Das ist jedoch keineswegs immer der Fall, denn nahezu jede Produktion ist Kuppelproduktion.

Der Spediteur, der Waren von A nach B bringt, erstellt nicht nur eine Transportleistung, er produziert gleichzeitig auch Lärm, Abgase, Trennwirkungen und Unfallgefahren. Bei der Verhüttung von Eisenerz entstehen Stahl, Schlacke, Abwärme, Ruß und anderes mehr. Diese Beispiele lassen sich beliebig vermehren. Ein großer Teil dieser Kuppelprodukte lässt sich nicht vermarkten, da keine entsprechenden Bedarfe bestehen. Stehen rechtliche Regelungen dem nicht entgegen, so werden sie als Abfälle in die Umwelt emittiert. Von dort kehren sie jedoch in der Regel – teils in geänderter Form – als Immissionen in den Wirtschaftskreislauf zurück und verursachen Schäden bei Konsumenten und Unternehmen.

Die Vermeidung oder Reduzierung dieser Schäden durch die sie verursachenden Unternehmen würde bei diesen Kosten verursachen. Dies würde wiederum ihre Gewinne schmälern oder sogar zu Verlusten führen. Aus diesem Grund werden entsprechende Aktivitäten unterbleiben. Damit geben solche, nicht alle Kosten der Produktion berücksichtigende Gewinne aber falsche Signale ab: Es werden knappe Produktionsmittel in solche Verwendungen gelenkt, bei denen die gesamtwirtschaftlichen Kosten einer Produktionsausweitung den Preis, den Verbraucher dafür zu zahlen bereit sind, eventuell bereits übersteigen. Gewinne erfüllen dann ihre Lenkungsfunktion nicht mehr, da in solchen Verwendungen die Produktion eingeschränkt und nicht ausgedehnt werden sollte. Dies ist – kurz gefasst – der ökonomische Aspekt des Umweltproblems.

In dieser Situation an den einzelnen Unternehmer zu appellieren, auf einen Teil seines Gewinnes zu verzichten, indem er die von ihm bewirkten Umweltschäden durch Kosten verursachende Aktivitäten vermeidet oder doch zumindest reduziert, widerspricht der ökonomischen Klugheit. Denn folgen tatsächlich einige diesem moralischen Appell – kommen sie also ihrer vom Bischof Huber geforderten "gesellschaftlichen Verantwortung" nach – so produzieren sie mit höheren Kosten als diejenigen, die diesen Appell ignorieren, und das hat zur Folge, dass sie bei Wettbewerb auf Dauer vom Markt verdrängt werden. Am Markt verblieben dann nur diejenigen Unternehmen, die die Umwelt ohne moralische Skrupel verschmutzen. Dies wäre eine nicht intendierte Folge eines moralischen Appells.

Der Schutz vor Umweltschäden muss deshalb ebenfalls in der Rahmenordnung der Ökonomie verankert sein. Dort muss sichergestellt werden, dass die bei anderen verursachten Schäden, die durch die Produktion von unerwünschten Kuppelprodukten verursacht werden, ohne Ausnahme in die Kostenrechnungen der entsprechenden Unternehmen eingehen, oder – mit anderen Worten – die unternehmensexternen Kosten sind zu internalisieren. Nur wenn das gewährleistet ist, wird moralisches Handeln nicht systematisch bestraft. Nur dann lenken Gewinne di

Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen