Sie ist klein, schmal, aber man übersieht sie nicht. Das ist wohl eine Frage der Energie. Der Wille zum Mittelpunkt kann es nicht sein, den haben (allzu) viele. Angelica Domröse jedoch sucht den Mittelpunkt nicht, sie agiert immer vom Rande aus, jedoch mit einer Intensität, die geborenen Mittelpunktmenschen (Manfred Krug! Hilmar Thate!) zeitig und bis heute anhaltend Respekt beibrachte, notfalls mit den ihr zur Verfügung stehenden verbalen Direktheiten einer Berliner Nachkriegskindheit mit noch rauchenden Trümmern und starken Sehnsüchten.
Thate, der junggeniale Brecht-Schauspieler rief ihr einmal beim Auto waschen mit selbstgewissem Übermut quer über den Hof des Berliner Ensembles nach: »Na Kleene, jehste wieda üben?« Ihre Antwort muss ihn beeindruckt haben: »Den Ton verkneifen wir uns aber, wa?« Welche Zartheit und Härte vereinigt doch dieses Mädchen! Sieht man das Ehepaar heute, dann scheint sich an der gegenseitigen Faszination nichts geändert zu haben.
Kein falscher Respekt, aber echte Ehrfurcht und unbedingte Hingabe, das war es wohl, was Angelica Domröse zu einem Beispiel für so viele machte. Ich schenke mich, wenn ich es will und wem ich will, aber ich lasse mich weder zwingen noch kaufen. So träumte mancher sich den Sozialismus, aber sie hat sie gelebt. Darum ist sie für so viele immer die Paula aus Heiner Carows Film und Plenzdorfs Geschichte geblieben. Sie vereinigte dabei den stärksten Gegensatz in sich: sehr proletarisch direkt zu sein und gleichzeitig entrückt, geradezu feenhaft zu wirken.
Geboren wurde Angelika Domröse (damals noch mit »k«) am 4. April 1941 in einem »Heim für gefallene Mädchen« (wie es die Berliner salopp nannten) in Berlin Weissensee. Ihre Mutter war Fahrkartenverkäuferin bei der S-Bahn. An den ersten russischen Panzer vor ihrem Haus kann sie sich noch erinnern, an ihren Vater nicht, Franzose und Jude mit Nachnamen Ruthenberg. Den Vornamen hat sie nie gewusst, Fotos gibt es keine. Aber dafür kann sie sich an Stiefvater Otto Domröse um so besser erinnern, Hilfsschlosser. Im Scheidungsurteil war dann als Scheidungsgrund etwas von »geistiger Überlegenheit der Ehefrau« zu lesen. Ein hartes Klima für die Träume eines jungen Mädchens.
Da stand dann die siebzehnjährige Stenotypistin im Außenhandel in einer langen Reihe von hoffnungsvollen jungen Mädchen beim DEFA-Casting. Denn Slatan Dudow, der Erfinder des proletarischen Films (»Kuhle Wampe«), suchte eine Hauptdarstellerin für sein neuestes Projekt: »Verwirrung der Liebe«. Angelika (immer noch mit »k«) ist die 1106. Bewerberin des Tages. Dudow wusste genau, wen er für den neuen proletarischen Film brauchte, obwohl, oder gerade weil er sich inzwischen im Mercedes chauffieren ließ: eine Lebenshungrige! Da konnte er unmöglich an dieser Stenotypistin vorbeigehen, denn niemandes Lebenshunger schien größer als ihrer. Weg von der Kleine-Leute-Lebensperspektive in einem Vorzimmer im Außenhandel. Wenn schon, dann richtig proletarisch, also welterschütternd. Leider ist der Film nicht welterschütternd geworden. Aber Angelika war hinterher Angelica (mit »c«). Regisseurin ihres eigenen Daseins. Bis heute.
Begegnungen sind das eigentliche Glück im Leben. Die folgenreichste war jene mit Heiner Carow. Das spürt sie sofort, als sie am 5. Februar 1972 in einem Hotel in Plauen das Drehbuch zu »Die Legende von Paul und Paula« liest. Das bin ich, das muss ich spielen! Nur Carow weiß noch nichts von seiner Hauptdarstellerin, das Drehbuch ist gar nicht für sie. Er hat sie soeben in »Effi Briest« gesehen, sehr überzeugend, aber nicht unbedingt das, was an eine alleinerziehende Mutter von der Flaschenannahme in einer Friedrichshainer Kaufhalle denken lässt. Zu bildungsbürgerlich, zu egozentrisch und außerdem auch schon zu alt!
Doch Angelica Domröse wusste es besser: »Ich bin Paula.« Carow hatte keine Chance, seine Paula hatte ihn gefunden, bevor er sie gefunden hatte. Welch wunderbares Traumbild: die widerspenstige Zähmung von Paul, diesem etwas langsamen und gegen so viel Leidenschaft völlig wehrlosen Apparatschik. Ursprünglich sollte Alexander Lang die Rolle spielen, aber Carow sah sofort. Der ist nicht naiv genug als Paul. Also wurde Winfried Glatzeder jener Simplicissimus, der in diesem einzigartigen filmischen DDR-Bildungsroman von Paula aus der Flaschenannahme zum Vollmenschen erzogen wird. Manchmal scheint es, als sei sie fortan nur Paula geblieben. Aber das stimmt nicht, weil sie auch vorher unübersehbar war, etwa als metallharte Gräfin in »Wege übers Land« oder später als Todkranke in »Daniel Druskat« oder auch in einem der schönsten Filme der 70er Jahre, »Fleur Lafontaine«.
Man könnte die Reihe der Filme fortsetzen, die der Begegnungen auch: mit Helene Weigel am Berliner Ensemble, mit dem großen Schauspieler Wolf Kaiser, mit Benno Bessons Volksbühne, mit George Tabori, Otto Schenk, Klaus Poche ... Mit Frank Beyer drehte sie ihren ersten Film im Westen: »Die zweite Haut«, mit Egon Günther, ebenfalls im Westen, einen ihrer Lieblingsfilme: »Hanna von acht bis acht«.
Westen, das war die Folge der Biermann-Ausbürgerung und des erstmals offen ausgesprochenen Wortes »Protest« von Künstlern dagegen. Die Trennung vom Ost-Publikum war eine schwere Zeit, aber auch eine wichtige Erfahrung die nur macht, wer sich entchließt zu gehen, wenn Länger-Bleiben Selbstverbiegung bedeutet. Es folgen neue Lehrzeiten im Verhältnis von Leben und Kunst Hamburg, Bochum, Wien und schließlich das Schiller Theater, das ausgerechnet als einziges großes Berliner Theater der Vereinigung zum Opfer fiel.
1990 dreht sie wieder einen Film mit Heiner Carow, »Die Verfehlung«, über ein Dorf im Wandel jüngster Zeiten. Da ging es um Schuld und Verrat und das, was aus der Liebe wurde. Kaum jemand interessierte sich dafür es war, als ob plötzlich bestimmte Themen auf eine bestimmte Weise (von innen, nicht von außen) erzählt, keine Öffentlichkeit mehr fanden. Thate/Domröse haben immer einen weiten Bogen um Serienangebote aller Art gemacht darin sind sie konsequent bis zum Boykott des Fernsehens in seiner jetzigen Niedergangsgestalt als Boulevardmedium.
Sie, die die DDR aus Protest verließen, schockierte die Volkskammerwahl vom 18. März 1990. Angelica Domröse war eingeladen, im Wahl-Studio der ARD die Ergebnisse zu kommentieren aber was sie sagte, machte sie gleich wieder zur Außenseiterin inmitten neuer gesamtdeutscher Vereinigungsideologie: »Warum hat dieses gerade befreite Ost-Land nicht einfach sich selbst gewählt? Den eigenen Aufbruch, den Runden Tisch? Manchmal glaube ich, wir haben das DDR-Schwarz-Weiß nur gegen ein anderes Schwarz-Weiß eingetauscht.«
Es ist dies der überwache Sinn dafür, dass Geschichte, als Siegergeschichte missverstanden, immer obszön ist und künstlerisch uninteressant bleibt. Die Niederlagen, das Scheitern, der Schmerz, das allein ist der Stoff, aus dem die großen Geschichten gemacht sind: auch die jener Paula, die aus Liebe starb, um ihren Traum nicht zu verraten.
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