Freitag, 12. August 2011

Trotz Fachkräftemangel - Hochqualifizierte Behinderte oft chancenlos mehr in #KONTRASTE - seit 20:15 Uhr in #EinsExtra


Trotz Fachkräftemangel - Hochqualifizierte Behinderte oft chancenlos

[KONTRASTE - Sendung vom 11.08.2011]
 
seit 20:15 Uhr am 12.08.2011 in EinsExtra

http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_11_08/trotz_fachkraeftemangel.html
 
 

Die deutsche Wirtschaft boomt, Fachkräfte sind Mangelware. Trotzdem steigt die Zahl arbeitsloser älterer Behinderter - unter ihnen sind viele Hochqualifizierte. Viele Unternehmen scheuen dieses Arbeitskräftepotential. Sie klagen, das Arbeitsrecht erschwere die Einstellung von Behinderten, weil man sie im Krisenfall nur schwer wieder entlassen könne.

Gute Nachrichten für Jobsuchende: Die Arbeitslosigkeit geht im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurück – aber Menschen mit Behinderung hilft das wenig: sie haben es im Gegenteil immer schwerer, eine Stelle zu finden. Lieber zahlen Unternehmen eine Abgabe, als die Behindertenquote zu erfüllen. Iris Marx und Axel Svehla werfen ein Schlaglicht auf dieses Problem.

Mario Ohoven, Bundesverband mittelständischer Wirtschaft
"Mario Ohofen ich bin der Präsident des Bundesverbandes mittelständischer Wirtschaft. Wir haben momentan 100.000 offene Stellen und durch den Fachkräftemangel geht der Wirtschaft ein Wertschöpfungspotential von circa 20 Milliarden im Jahr verloren."

Die deutsche Wirtschaft sucht dringend qualifizierte Arbeitskräfte.

Mario Ohoven, Bundesverband mittelständischer Unternehmen
"Einwandfrei haben wir einen XXL-Aufschwung. 40 Prozent der deutschen Unternehmen möchten gerne mehr einstellen."

Wolfgang Neumann, IT-Spezialist, arbeitssuchend
"Ja, ich heiße Wolfgang Neumann bin 54 Jahre alt und habe 2 Ingenieurabschlüsse, auch einen Facharbeiterabschluss und habe in der letzten Zeit hauptsächlich als Softwareentwickler gearbeitet. Ich bin – mit einigen kleinen Unterbrechungen – seit etwa fünf Jahren jetzt arbeitslos und bemühe mich natürlich, keine Arbeit zu bekommen. Und ich glaube, ein wichtiger Grund, warum ich keine Arbeit bekomme, ist meine Behinderung."

Petra Strack, Personalleiterin
"Also ich habe Wirtschaftspsychologie an der Univertität Bochum studiert und habe da auch meinen Abschluss gemacht. Also es war nach der Uni schon mal ein Thema, das habe ich auch gemerkt bei den Bewerbungen teilweise. Telefoninterviews wo alles wunderbar lief, gegen Ende des Gesprächs habe ich immer erwähnt: übrigens ich sitze im Rollstuhl wie ist das bei ihnen im Gebäude gibt es da Aufzüge komme ich da zurecht. Und dann kam ganz oft: "Ahh wir melden uns."

Warum stellen Unternehmen kaum Behinderte ein?

Mario Ohoven, Bundesverband mittelständischer Unternehmen
"Menschen mit Behinderungen die sind uns eigentlich sehr, sehr willkommen. Aber was muss getan werden? Ich bin davon überzeugt der Mittelstand würde noch viel, viel mehr Behinderte einstellen wenn die Hürden, die gesetzlichen Hürden, die Bürokratien gesenkt würden."

Prof. Christian Rolffs, Arbeitsrechtsexperte
"Mein Name ist Christian Rolfs. Ich bin Professor an der Universität zu Köln und habe hier unter anderem einen Lehrstuhl unter anderem für Arbeitsrecht inne. Nachteile für den Arbeitgeber sind zunächst einmal dadurch, dass der Arbeitnehmer Zusatzurlaub in Höhe einer Woche hat, Dass er möglicherweise höhere Fehlzeiten aufweist als nicht behinderter Arbeitnehmer und dass er Sonderkündigungsschutz genießt, man also die Zustimmung einer Behörde braucht, um den Arbeitnehmer entlassen zu können."

Mario Ohoven, Bundesverband mittelständischer Unternehmen
"Ich bin von einer Sache überzeugt wenn der Kündigungsschutz gelockert würde dann würden mehr Behinderte eingestellt. Denn wenn die Konjunktur etwas nachlässt oder wenn das Saisongeschäft nachlässt, dann sind die natürlich vorsichtig wie nur was einen weiteren Mann einzustellen."

Das Märchen vom unkündbaren Behinderten

Wolfgang Neumann, IT-Spezialist, arbeitssuchend
"Also ich habe diese Unkündbarkeit am eigenen Leibe gespürt - nämlich im Gegenteil. Also ich bin zwei mal gekündigt worden betriebsbedingt und es hat mir meine Schwerbehinderteneigenschaft nichts genutzt. Es nur der formale Weg einzuhalten, also die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen, die müssen mich dann noch anhören und dann geht die Sache ihren Lauf."

Prof. Christian Rolffs, Arbeitsrechtsexperte
"Die Zustimmung der zuständigen Behörde zu bekommen, ist eigentlich gar nicht so schwierig. Die Behörde soll nur dann einschreiten, wenn es den Eindruck hat, dass die Kündigung mit der Behinderung im Zusammenhang steht. Sie soll also nicht behinderungsbedingte Kündigungen nicht verhindern, so dass ich etwa bei betriebsbedingten Kündigungen in Folge von Auftragsmangel oder der Gleichen, Wirtschaftskrise, eigentlich schwerbehinderte Arbeitnehmer genauso leicht entlassen kann wie normale andere Arbeitnehmer auch."

Vorurteile der Arbeitgeber

Jürgen Bielert, Arbeitsagentur Berlin Süd
"Mein Name ist Jürgen Bielert. Ich bin Geschäftsführer operativ bei der AG Süd, Vermittlung, Integration in Arbeit. Insgesamt kann man sagen, dass es schwieriger ist, Schwerbehinderte in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der eine oder andere Arbeitgeber: schon genug Probleme hier und ich möchte eigentlich an der Personalfront eher Ruhe haben."

Mario Ohoven
"Die haben keine Zeit um solche großen Bürokratien zu bewältigen. Dann gibt es auch noch Fachkräftemangel. Da werden Überstunden gemacht, also jetzt müssen sie sich auch noch da um die Behinderten kümmern in der letzten Konsequenz mit Bürokratien. Und wir müssen klar sagen die zeit uns damit zu Beschäftigen haben manche betriebe die drei vier fünf Mann haben nicht."

Michael Decius, GF DeWiBack
"Mein Name ist Michael Detius, ich bin Geschäftsführer bei der Firma DeWiBack. Wir haben ungefähr 180 – 190 Mitarbeiter, davon sind zurzeit circa 12 behinderte Kollegen. Ich glaube, dass sich viele AGs mit diesem Thema nicht so beschäftigt haben. Das ist ein Vorurteil. Ich kann da nicht folgen. Es gab im Laufe der Jahre durchaus den ein oder anderen behinderten Mitarbeiter, mit dem es Probleme gab, aber das gibt es bei den normalen Mitarbeitern auch. Aber die Problemquote lag eindeutig bei den nichtbehinderten Menschen erheblich höher."

Behinderte einstellen – eine Zukunftsinvestition?

Wolfgang Neumann, IT-Spezialist, arbeitssuchend
"Von der Motivation her ist ein Behinderter meistens noch mehr motiviert als ein gesunder Mensch. Schon um seine Behinderung mehr oder weniger mit der Arbeit, ich will jetzt nicht sagen zu überspielen oder zu kompensieren. Und die Arbeit ist natürlich auch besonders wichtig wenn man sonst viele Einschränkungen hat, wenn man als Behinderter noch zuhause rum sitzen muss, das ist ein trauriges Los."

Petra Strack, Personalleiterin
"Ich kann es einerseits nachvollziehen wenn Leute eben nur sehr wenig Kontakt zu behinderten hatten und eben erst mal nur in diesen Schubladendenken aktivieren. Für mich selber kann ich sagen das meine Chefs immer nach ein paar Wochen, wo ich dann da war auf mich zugekommen sind gesagt haben: Du, Petra, ich wollte dir nur mal sagen, ich sehe deine Behinderung gar nicht mehr. Also am Anfang war ich immer: Da kommt Petra im Rollstuhl. Irgendwann: Da kommt Petra, die macht grad das und das Thema, aber der Rollstuhl ist komplett in Hintergrund gerutscht."

Hin und wieder ist es eben doch gut, sich von Vorurteilen zu verabschieden.

Beitrag von Iris Marx und Axel Svehla

Dieser Text gibt den Sachstand vom 11.08.2011 wieder. Neuere Entwicklungen sind in diesem Beitrag nicht berücksichtigt.



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