Tödliche Profite
Deutsche Panzer von Arabien bis Kurdistan im Einsatz.
Rüstungsexporte sollen auch weiterhin den Einfluß
der westlichen Staaten im arabischen Raum sichern
Bronzemedaille für die BRD
Gemäß dem Rüstungsexportbericht der Bundesregierung für das Jahr 2009 wurden Kriegswaffen im Wert von 1 338,8 Millionen Euro ausgeführt.1 Von diesen Exporten gingen 76 Prozent an EU-, NATO- und der NATO gleichgestellte Länder. Die Kriterien für die Exportgenehmigung bei diesen Ländern sind nach den »Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern« grundsätzlich nicht zu beschränken; vom Prinzip her werden sie damit erst einmal als unbedenklich eingestuft. Problematisch ist dies insbesondere bei Ländern wie z.B. dem NATO-Mitglied Türkei, wo nachweislich deutsche Waffen zur Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung eingesetzt werden.
Ebenso brisant sind viele der restlichen 24 Prozent der Waffenexporte, die an sogenannte Drittländer gingen, wie zuvorderst an Ägypten, wo sie in diesem Jahr wie auch in vielen anderen Staaten dieser Region beim Versuch der Niederschlagung der Demokratiebewegungen eingesetzt wurden.
Finanziell nicht unerheblich, aber kein Posten im offiziellen Rüstungsbericht, sind Exportgarantien, die sogenannten Hermes-Bürgschaften. Diese werden zusätzlich zum tatsächlichen Verkauf von Rüstungsgütern von seiten der Regierung gewährt, um das politische und wirtschaftliche Risiko der Unternehmen auf die Steuerzahler abzuwälzen.
Was im Rüstungsexportbericht der BRD keine Berücksichtigung findet, aber faktisch zu einer schwer kontrollierbaren Weiterverbreitung von Kampfgerät beiträgt, ist die Produktion deutscher Rüstungsgüter in Lizenz in anderen Ländern. Dies betrifft insbesondere kleine und leichte Waffen. Die Regierung selber schreibt in ihrem Rüstungsbericht, daß diese die weitaus meisten Opfer in Konflikten verursachen. Nach Erhebungen der Studie »Global Burden of Armed Violence«, die 2008 anläßlich eines Genfer Ministertreffens vorgestellt wurde, kommen von den derzeit jährlich etwa 740000 Menschen, die infolge von Waffengewalt in Kriegssituationen oder infolge krimineller Handlungen sterben, sechzig Prozent durch kleine und leichte Waffen um. Bei deren Produktion sind deutsche Firmen, allen voran das Unternehmen Heckler&Koch in Oberndorf (Kreis Rottweil), führend im Weltgeschäft. Gefertigt werden dessen Handfeuerwaffen z.B. in der Türkei oder ab 2012 auch in einer aus der BRD exportierten Waffenfabrik in Saudi-Arabien.
Restriktionen ohne Effekt
Mehrere Abschnitte in den entsprechenden Gesetzeswerken beziehen sich auf die Einhaltung der Menschenrechte. So heißt es zum Beispiel in den »Politischen Grundsätzen«: »Der Beachtung der Menschenrechte im Bestimmungs- und Endverbleibsland wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht beigemessen.« In einer weiteren Erklärung im Bericht wird hierzu ausgeführt: »So werden Rüstungsexporte grundsätzlich nicht genehmigt werden, wenn hinreichender Verdacht besteht, daß das betreffende Rüstungsgut zur internen Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen mißbraucht wird.«
Wie wenig dies der Realität entspricht, zeigen aktuelle Beispiele wie z.B. die Verkäufe von G-36-Gewehren der Firma Heckler&Koch nach Mexiko, die vergangenes Jahr in umkämpften Provinzen wie zum Beispiel Chiapas auftauchten, was Ermittlungsverfahren gegen den Rüstungshersteller nach sich zog.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, daß die Regierung dazu angehalten ist, sich eine formale sogenannte Endverbleibserklärung vom Empfänger ausstellen zu lassen, in der dieser versichert, die erstandenen Waffen nicht unerlaubt an andere Länder weiterzuverkaufen. Die Bundesregierung verzichtet jedoch darauf, eine Exportgenehmigung für Rüstungsgüter mit einer regelmäßigen Berichterstattungspflicht des Empfängerlandes über den Bestand bzw. den Verbleib der gelieferten Güter zu verknüpfen. Hinsichtlich der Drittländer wird dieser Grundsatz maßgeblich eingeschränkt: »Auch im Rahmen dieser restriktiven Genehmigungspraxis für Drittländer können daher z.B. legitime Sicherheitsinteressen solcher Länder im Einzelfall für die Genehmigung einer Ausfuhr sprechen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die jeweiligen Sicherheitsinteressen auch international von Belang sind, wie beispielsweise bei der Abwehr terroristischer Bedrohungen und der Bekämpfung des internationalen Drogenhandels« (siehe Rüstungsexportbericht 2009).
Es ist kein Zufall, daß der Bundessicherheitsrat im geheimen tagt, dessen Mitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet sind und auch die Rüstungsexportberichte häufig erst im zweiten Jahr nach Ablauf eines Kalenderjahres erscheinen. Jedoch gelangten in den letzten Jahren immer wieder Entscheidungen des Gremiums an die Öffentlichkeit und sorgten für Proteste, so zuletzt Ende Juni der Panzerdeal mit Saudi-Arabien.
Rüstungsindustrie macht Druck
Zum anderen sorgen sinkende Rüstungsbeschaffungsbudgets in den wichtigsten Mitgliedstaaten der EU für Kürzungen selbst bei den schon vereinbarten Bestellungen. So sollen die Stückzahlen beim Transporthubschrauber NH90 von 122 auf 80 gesenkt und beim Kampfhubschrauber Tiger von 80 auf 40 halbiert werden. Außerdem plant das Bundesverteidigungsministerium, die derzeitige Tornado-Flotte von 185 Kampfjets »schnellstmöglich« auf 85 zu reduzieren, um Betriebskosten zu senken. Auf die Tranche 3b des Eurofighters, insgesamt 37 Flugzeuge, soll sogar komplett verzichtet werden.
Auch wenn es nach wie vor nationales Konkurrenzdenken gibt, etwa die Entwicklung des französischen Jagdflugzeugs Rafale parallel zum Eurofighter, führt der Trend hin zu gesamteuropäischen Rüstungsprogrammen. Zu diesem Zweck wurde 2004 die europäische Verteidigungsagentur EDA gegründet mit der Aufgabe, europäische Rüstungsbeschaffungen zu koordinieren und für Erhalt und Ausbau des militärisch-industriellen Komplexes zu sorgen. Durch den Vertrag von Lissabon erhält die Aufrüstung in der EU gleichsam Verfassungsrang. In Artikel 42, Absatz 3 verpflichten sich die unterzeichnenden Staaten explizit dazu, »ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«. Im selben Artikel wird der EDA die Aufgabe zugewiesen, den operativen Bedarf an Rüstungsgütern zu ermitteln und zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis einer europäischen Rüstungsindustrie beizutragen. Hauptprofiteure dieser Politik sind die multinational aufgestellten zehn größten Rüstungsproduzenten in Europa (BAE Systems, EADS, Finmeccanica, Thales, Saab, Rolls-Royce, DCNS, Safran, MBDA, Rheinmetall).
Die Lobbyisten in Industrie und Politik machen keinen Hehl daraus, daß sich eine Auslastung der bestehenden rüstungsindustriellen Strukturen nur durch verstärkte Waffenexporte aufrechterhalten läßt. So betonte etwa der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Thomas Kossendey, kürzlich auf einem wehrtechnischen Symposium in Hamburg, daß sich die deutsche Rüstungsindustrie noch stärker auf den Export in den europäischen und zum Teil auch in den außereuropäischen Raum stützen müsse, da Entwicklung und Forschung im wehrtechnischen Bereich immer weniger durch die Bundesregierung finanziert werden könnten. Der Vorsitzende des Bundesverbands der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDVS) und frühere stellvertretende Inspekteur der Bundesluftwaffe, Heinz Marzi, sieht daher Handlungsbedarf und fordert von der Politik: »Die generelle Linie sollte aus unserer Sicht lauten – von der Einstellung derjenigen her, die in diesen Prozeß einbezogen sind – von der Exportkontrolle zur Exportförderung im Sinne von Exportunterstützung [zu kommen]. Und dann im weiteren Sinne auch im Sinne von Industriepolitik.«
Stabilität heißt Repression
Die Bundesregierung setzt in der aktuellen Situation weiterhin massiv auf Waffenlieferungen, um Potentaten im Mittleren Osten an der Macht zu halten, solange diese halbwegs verläßlich die Umsetzung westlicher Interessen garantieren. Die geplante Lieferung von 200 Leopard-2-Panzern nach Saudi-Arabien trotz saudischer Beteiligung an der Niederschlagung der Bevölkerungsproteste im Nachbarstaat Bahrain begründete Verteidigungsminister Thomas de Mazière (CDU) damit, das Land sei »eine (r) der wichtigsten Stabilitätsanker in der Region (…) Menschenrechtsüberlegungen müssen eine Rolle spielen, doch überwiegen die internationalen Sicherheitsinteressen«. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) flankiert, indem er den Kampf gegen den internationalen Terrorismus bemüht: »Saudi-Arabien tut viel gegen Gewalt und Terror – davon profitieren wir auch.« Der europäische Hunger nach libyschem Öl und Erdgas führte auch dazu, daß Oberst Ghaddafi nach seiner Läuterung vom Oberterroristen zum Freund des Westens vor allem von Italien und Frankreich mit modernen Waffensystemen ausgerüstet wurde. Eben diese werden jetzt von der NATO bombardiert, während die Aufständischen in Bengasi erneut mit Kriegsgerät beispielsweise aus Frankreich aufgerüstet werden. Heute Waffenlieferungen an Despoten im Rahmen der »Stabilität«, morgen NATO-Luftangriffe gegen dieselben Despoten »zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Menschenrechte« – Rüstungsgeschäfte garantieren in jedem Fall stattliche Profite.
Waffen gegen Kurden
Seit Anfang der 1990er Jahre gab es vor allem aus der BRD massive Waffenlieferungen an die Türkei. Bekannt wurden die aus NVA-Beständen gelieferten BTR-60- und BTR-80- Schützenpanzer, die in Kurdistan zum Einsatz kamen: Fotos, die zeigten, wie getötete Guerillakämpfer mit diesen Fahrzeugen durch die Straßen geschleift wurden, gingen um die Welt. Unter der SPD-Grünen-Bundesregierung wurden aus Bundeswehrbeständen 300 ausgemusterte Leopard-2-Panzer geliefert. Erst im Frühjahr 2010 versprach Bundeskanzlerin Merkel der Türkei die Lieferung von weiteren 56 Geräten dieses Typs. Dazu kommen, wie schon erwähnt, die Lizenzproduktionen deutscher Gewehre und Maschinengewehre. Aktuell wird die militärische Eskalation hauptsächlich von den USA und Israel unterstützt, die der türkischen Luftwaffe Aufklärungsbilder zur Verfügung stellen bzw. entsprechende Aufklärungsdrohnen an die Türkei liefern.
Aktuelle Kampagnen
1 Im Rüstungsexportbericht der Regierung werden nur die Werte der tatsächlichen Ausfuhren von Kriegswaffen, nicht jedoch von den sonstigen Rüstungsgütern aufgeführt
Ellen Jaedicke und Elmar Millich sind aktiv im Bündnis »Tatort Kurdistan«
Termine
Aktionstag der Kampagne »Tatort Kurdistan« am 1. September 2011
Berlin:
17 Uhr, Heinrichplatz (Kreuzberg), Kundgebung mit Infos und Musik
Celle:
19.30 Uhr, Buntes Haus e.V. (Kreativ-Raum), Hannoversche Straße 30f (Auf dem Gelände der CD-Kaserne) Veranstaltung mit MdHB Cansu Özdemir, Thema: Migration von Kurden in Deutschland/Kampagne: Anerkennung der kurdischen Identität und Tatort Kurdistan
Erfurt:
15 Uhr, Anger, Infostand
Düsseldorf:
18 Uhr Marktplatz/Rathaus: Antimilitaristische Kundgebung mit Beiträgen zu Kurdistan, Afghanistan und Libyen
Frankfurt:
15.30 Uhr, Hauptwache, Kundgebung mit Infostand, Theater, Musik
Gießen:
ab Mittag, Cafe Amelie, Walltorstr. 17, Ausstellung
Hamburg:
17.30 Uhr, Kriegsklotz am Dammtor, Demonstration des Hamburger Forums für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung e.V. zum Antikriegstag 2011
Hannover:
17 Uhr, Gedenkstätte Aegidienkirche, Kranzniederlegung/Teilnahme an der DGB-Veranstaltung
17.30 Uhr, Bahnhofsvorplatz, Demonstration und Kundgebung mit dem Bündnis »Gegen Krieg, für Frieden« durch die Innenstadt von Hannover
Jena:
14 Uhr, Universitätscampus und angrenzender Innenstadtbereich: Farbenfrohe Aktion
Kassel:
16.00, Friedrichsplatz, Kundgebung
München:
17.30 Uhr, Marienplatz, Kundgebung mit anschließender Demonstration zum EineWeltHaus (Schwanthalerstr. 80), dort um 19.30 Uhr Veranstaltung mit Ertugrul Kürkcü
Freitag, 2.9.2011, 19 Uhr, EineWeltHaus (Schwanthalerstr. 80), Veranstaltung zum internationalen Kampf um Menschenrechte und zur Aufklärung von Kriegsverbrechen in der Türkei
Nürnberg
16 Uhr, Weißer Turm, Kundgebung
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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