Niedriglohnland Ostseeküste
Prekäre Beschäftigungsverhältnisse in
Mecklenburg-Vorpommern auf dem Vormarsch
Von Jörn Boewe
[via Junge Welt]
Prekäre Beschäftigungsbedingungen breiten sich aus, und besonders schnell tun sie das im Nordosten.
Darauf hat der DGB-Bezirk Nord in einer kürzlich veröffentlichten Studie aufmerksam gemacht. Danach arbeiten 40,8 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern im Niedriglohnsektor. Das bedeutet, sie verdienen weniger als zwei Drittel des gesamtdeutschen Medianlohns also des »mittleren Entgelts«. Die so definierte Niedriglohngrenze lag 2009 bei 1784 Euro brutto für einen Vollzeitjob. Immerhin fast ein Viertel (23,8 Prozent) lag sogar noch unter der wesentlich niedrigeren ostdeutschen Niedriglohnschwelle von 1367 Euro. Bei den weiblichen Beschäftigten trifft dies praktisch auf ein Drittel zu.Interessant ist, wie der Wirtschaftsaufschwung nach der Krise von 2007/08 die Arbeitsverhältnisse verändert hat. So verzeichnet die Studie des DGB von 2008 bis 2010 in Mecklenburg-Vorpommern einen Rückgang der Vollzeitarbeitsverhältnisse um 1,9 Prozent, während die Teilzeitjobs im selben Zeitraum 8,2 Prozent zulegten. In absoluten Zahlen bedeutet dies, daß per Saldo rechnerisch 7709 Vollzeit- in 7465 Teilzeitstellen umgewandelt wurden. Zudem wuchs der Sektor der Minijobs um 917, von März 2008 bis 2011 sogar um 1309 Stellen (1,6 Prozent).Vor allem junge Leute arbeiten im prekären Sektor: Von 26 151 Vollzeitbeschäftigten unter 25 Jahren wird rund die Hälfte, nämlich 12557 (49,8 Prozent) zu Niedriglohnbedingungen bezahlt. Die schlecht bezahlten Jobs finden sich dabei »überproportional stark in Dienstleistungsberufen«, in Mecklenburg-Vorpommern vor allem im Tourismus.
Die öffentlichen Kassen bezuschußten die nichtexistenzsichernden Lohnarbeitsverhältnisse im Nordosten 2009 mit 322 Millionen Euro. Von den 163 450 erwerbsfähigen Beziehern von Hartz-IV-Leistungen war im Dezember 2010 fast jeder dritte (50152) erwerbstätig immerhin 14353 in sozialversicherungspflichtigen Vollzeitarbeitsverhältnissen. Vier Prozent aller regulär Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern erhielten 2009 ergänzende Sozialleistungen nach Hartz IV.Die »politisch gewollte Förderung des Niedriglohnbereichs« habe zu einer weiteren Erosion des Normalarbeitsverhältnisses geführt, so der DGB. »Tendenziell nimmt Vollzeitarbeit ab, es gibt mehr Teilzeitarbeit, mehr geringfügig entlohnte Jobs, mehr befristete Arbeitsverhältnisse, mehr Leiharbeit, mehr Praktikantenstellen«, heißt es im Resüme der Studie.
»Kurz gesagt, prekäre Arbeitsverhältnisse machen sich breit, werden politisch gefördert und werden hinter den aufgebauschten Datenmengen vernebelt.«In bezug auf die 2005 erfolgte Einführung von Hartz IV als »Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, die sich als Abschaffung der Arbeitslosenhilfe entpuppte«, urteilen die Autoren, daß »das Ganze nicht nur zum Selbstzweck geschieht, sondern bewirken soll, daß auch immer niedrigere Löhne, Renten etc. akzeptiert werden«.
Als Konsequenz fordert der DGB »umgehend mehr Branchenmindestlöhne und einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde«. Niedrigentgelte dürften nicht mehr durch Hartz IV aufgestockt werden, so die Gewerkschafter: »Dies würde zu einer Verringerung dieser Billig-Arbeitsverhältnisse und zu einer Umwandlung in besser bezahlte, sozialversicherungspflichtige, möglichst tarifgebundene Vollzeitjobs führen.« Zugleich müßten die Gewerkschaften die Tarifbindung erhöhen, »um atypische Beschäftigungsverhältnisse einzudämmen«.
So seien in Ostdeutschland im Jahre 2009 mehr als drei Viertel (77 Prozent) der Betriebe ohne Tarifbindung gewesen. Diese beschäftigten rund die Hälfte (49 Prozent) aller Lohnabhängigen.
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