Pflege zum Discounttarif [Report Mainz - Sendung vom 22.08.2011]
Treue REPORT-Zuschauer wissen, wenn es um das Thema Pflege älterer Menschen geht, dann schauen wir genau hin - seit Jahren schon. Und als uns die Nachricht erreichte, dass im bayrischen Inzell ein Seniorenheim geschlossen werden soll, unter anderem weil man Bewohner stundenlang in den eigenen Exkrementen liegen ließ, da dachten wir: Gut so, hier hat die Kontrolle funktioniert.
Seniorenheim in Inzell
Wer so mit unseren Angehörigen umgeht, dem muss man das Handwerk legen. Doch dann hörten wir, dass es vor Ort auch Widerstand gegen die Schließung geben soll, dass sich Menschen, deren Angehörige in eben diesem Heim untergebracht sind, wehren. Wie kann das sein? Hat das vielleicht mit den günstigen Preisen des Heims zu tun? Gottlob Schober wollte es wissen und fuhr nach Inzell.
Ein Seniorenheim im bayerischen Inzell. Idyllisch gelegen macht es von außen einen hervorragenden Eindruck. Und auch Angehörige wie Gerlinde Dufter-Mayer, sind begeistert.
O-Ton, Gerlinde Dufter-Mayer, Angehörige:
"Wenn ich in dieses Haus komme, dann rieche ich nicht alte Leute, sondern es duftet nach Essen oder nach Kaffee. In der Lobby, meint man gerade, man ist in einem Vier-Sterne-Hotel."
Auch Eckard Klenner schätzt die Qualität der Einrichtung. Daher bittet er uns, ihn zu seiner 88-jährigen Mutter zu begleiten. Sie lebt im dritten Stock.
O-Ton:
"Meine Mutter zählt auch zu den leichten Fällen. Und ja."
Frage: Das heißt also sie ist nicht pflegebedürftig?
O-Ton:
"Sie ist nicht pflegebedürftig."
Also ein besserer Hotelgast. Margarete Klenner erwartet uns schon.
Frage: Ja, guten Tag, ich grüße Sie. Wie geht es ihnen hier im Heim?
O-Ton, Margarete Klenner, Bewohnerin:
"Perfekt. Perfekt, ich darf nicht klagen."
Eine heile Welt also? Der medizinische Dienst sieht das anders. Fünfmal in den vergangenen dreieinhalb Jahren wurde das Heim kontrolliert. Bei der letzten Prüfung im Juni wurden zum wiederholten Male gravierende Missstände festgestellt.
Uns liegt der 26-seitige Prüfbericht vor. Daraus geht hervor, dass es erhebliche Mängel in der Wundversorgung gegeben habe und dass Bewohner aufgrund der defizitären Versorgung bereits zu Schaden gekommen seien.
Außerdem wurden der Einrichtung erhebliche Mängel im Umgang mit chronischen Schmerzen, in der Medikamentenversorgung und im Bereich der Ernährung attestiert.
Wir treffen eine Pflegerin, die noch vor kurzem in dieser Einrichtung gearbeitet hat. Auch sie erzählt uns von Missständen, stützt die Einschätzung des medizinischen Dienstes. Sie selbst habe problematische Wunden fotografiert. Die Pflegerin möchte nicht erkannt werden.
O-Ton, Pflegekraft:
"Sehr auffallend war gewesen mit den Wunden, dass die nicht fachlich kompetent versorgt wurden. Sie waren eitrig, septisch gewesen, keine sterilen Kompressen drauf. Sie waren auch fachlich nicht richtig zum Schutze abgedeckt."
O-Ton, Ottilie Randzio, Medizinischer Dienst Bayern:
"Die Einrichtung muss geschlossen werden, um eben weiteren Schaden, gesundheitlichen Schaden von den Bewohnern abzuwenden."
Dagegen kämpft der Träger H&R. Auch Eckard Klenner und eine rund 30-köpfige Angehörigeninitiative sind gegen eine schnelle Schließung der Einrichtung. Und das, obwohl sie auf einer Informationsveranstaltung detailliert über Missstände informiert wurden.
O-Ton, Eckart Klenner, Angehöriger:
"Man hat uns dann dargestellt, seitens einer Dame vom medizinischen Dienst, dass ein pflegebedürftiger Mensch letztendlich in Fäkalien den ganzen Tag lag oder in der Nähe mit einer Verletzung am Gesäß und dies letztendlich medizinisch nicht vertretbar wäre, weil das hätte ja sofort zu Infektionen führen dürfen oder können."
Obwohl sie von den Missständen wussten. Warum zeichnen viele Angehörige ein so positives Bild vom Heim?
Das wollen wir vom Münchener Pflegeexperten Claus Fussek wissen. Er hat sich wochenlang mit den Vorfällen in Inzell beschäftigt. Fakt ist: Sowohl die Mutter von Eckard Klenner als auch die Mutter von Gerlinde Dufter-Mayer gehören zu den fitteren Bewohnern im Heim.
O-Ton, Claus Fussek, Pflegeexperte:
"Ich kann es eigentlich nur so interpretieren, dass man das kollektiv verdrängt, dass man das nicht wahrhaben will, dass die Eltern möglicherweise in ein paar Monaten auch pflegebedürftig sind, dass es schlechter wird. Und der andere Bereich ist das Geld. Und das fällt uns auf, dass sehr viele billige Einrichtungen auf dem Markt sind, und ich muss befürchten, dass viele Angehörige rein aus finanziellen Gründen sagen, ich schau gar nicht so genau hin, das reicht für meine Mutter, für meinen Vater und das war es."
H&R hat 18 Heime bundesweit. Der Betreiber wirbt im Internet mit dem Slogan "Erfolgreich - preiswert - leistungsstark. Pflegekosten, die bezahlbar sind".
O-Ton, Eckart Klenner, Angehöriger:
"Der Vergleich liegt ganz einfach, dass bei HR ein Preislevel für die so genannte Eigenleistung zwischen 1.000 und 1.100 Euro liegt, je nach Pflegestufe. Und in anderen Heimen rundrum dies bei 1.700, 1.800 Euro anfängt, das heißt also, eine Differenz von mindestens sieben bis achthundert Euro."
O-Ton, Gerlinde Dufter-Mayer, Angehörige:
"Ein Tausender ist es sicher im Monat."
Frage: Sie sparen 1.000 Euro pro Monat, nur weil ihre Mutter jetzt in dieser H&R-Einrichtung ist?
O-Ton, Gerlinde Dufter-Mayer, Angehörige:
"Ja, was heißt sparen, kostet ja auch ihr Geld. Aber die haben einfach eine andere Philosophie. Und es ist offensichtlich möglich, auch mit weniger Geld alte Leute zu pflegen."
Frage: Kann man mit diesem günstigen Preis menschenwürdige Pflege leisten?
O-Ton, Ottilie Randzio, Medizinischer Dienst Bayern:
"Grundsätzlich kann ich das nicht ausschließen, aber ich kann sagen, in der Einrichtung in Inzell, in der H&R-Einrichtung, ist der Beweis geführt, dass es nicht geht, dort nicht. Wir kennen alle drei H&R-Einrichtungen in Bayern. Die Ergebnisqualität in allen drei Einrichtungen ist in etwa vergleichbar, also auch vergleichbar mit der schlechten Qualität in Inzell."
Trotz detaillierter Anfrage von REPORT MAINZ verweigert H&R eine Stellungnahme zu den Vorwürfen. Was aber, wenn am 30. September das Heim tatsächlich geschlossen wird? Gerlinde Dufter-Mayer macht sich schon mal so ihre Gedanken.
O-Ton, Gerlinde Dufter-Mayer, Angehörige:
"Meine Mutter wird, wenn das wirklich schließen sollte, ein Sozialfall, weil sie das alleine nicht mehr tragen kann."
Frage: Und sie können es auch nicht?
O-Ton, Gerlinde Dufter-Mayer, Angehörige:
"Nein."
O-Ton, Ottilie Randzio, Medizinischer Dienst Bayern:
"Und wenn jemand wirklich mittellos ist, hat er Anspruch auf Sozialhilfe und das ist auch ein Rechtsanspruch, den er hat, und den sollte man dann auch wahrnehmen."
Fazit: Niemand muss in eine Problem-Einrichtung, nur weil das Geld nicht reicht. Warum aber kämpfen Angehörige dennoch gegen die Schließung des Seniorenheims Inzell?
O-Ton, Ottilie Randzio, Medizinischer Dienst Bayern:
"Wir haben durchaus natürlich welche, wo eindeutig es nur um das Geld geht."
Frage: Was heißt das?
O-Ton, Ottilie Randzio, Medizinischer Dienst Bayern:
"Dass Angehörige durchaus auch gelegentlich besonders günstige Heime suchen, um auch das Erbe zu schonen."
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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