Freitag, 26. August 2011

"Auf d. #ökonomischen #Sachverstand von 1816 ist der #oberste #staatliche #Orientierungsgeber also wieder zurückgefallen."

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Der „unabhängige“ Bundespräsident kritisiert die „unabhängige“ Zentralbank

Selten kam Bundespräsident Wulff in seiner Amtszeit in die Schlagzeilen. Nun ist es ihm endlich gelungen. Er verstieß in einer Rede vor Nobelpreisträgern gegen das Tabu, dass die „unabhängige“ Europäische Zentralbank von der Politik oder von staatlicher Seite nicht kritisiert werden darf. Leider setzt er mit seiner Kritik an der falschen Stelle an. Ein Bundespräsident sollte Orientierung geben, gerade in schwierigen Zeiten, doch Wulff macht sich zum „präsidialen“ Sprachrohr des konservativen Teils der CDU, der aus den hinteren Bänken stänkert, und damit lässt das „Staatsoberhaupt sogar seine Kanzlerin im Regen stehen. Von Wolfgang Lieb

Der Bundespräsident hat nach unserer Verfassung wenig Macht; er hat vor allem die Macht des Wortes. Wenn er denn das richtige Wort findet. Das kann man dem seit gut einem Jahr im höchsten Staatsamt befindlichen Christian Wulff nicht gerade nachsagen. Bisher hat jedenfalls kaum ein Wort von ihm Anstoß erregt oder eine öffentliche Debatte angestoßen. Das war nach seiner bisherigen politischen Biografie auch nicht anders zu erwarten. Auch in seinem früheren Amt als Ministerpräsident von Niedersachsen war er dem „Präsident“ in seiner Amtsbezeichnung immer näher als dem „Minister“. Wulff lächelt eigentlich immer und ist ständig ordentlich frisiert.

Mit einer Rede auf einer relativ unverfänglichen Veranstaltung – einem Treffen von Nobelpreisträgern in Lindau – hat Wulff plötzlich Schlagzeilen gemacht. Er hat die Europäische Zentralbank kritisiert!

Das ist vor allem nach dem deutschen politischen Katechismus geradezu ein Tabubruch. Ist doch die „Unabhängigkeit“ der EZB für das politische Establishment hierzulande das höchste Gut. Gilt doch die Wahrung der Preisniveaustabilität als oberstes Ziel der Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Der Glaube, dass Geldpolitik eine Angelegenheit von „Experten“ sei, die nach eigenem Gutdünken „sachgemäß“ entscheiden, ohne dass sie demokratisch legitimierten Regierungen Rechenschaft ablegen müssten, gehört in Deutschland zum Grundkanon (konservativen) politischen Denkens. Wurde doch mit der Handlungsbeschränkung der EZB auf die Geld- und Zinspolitik die ökonomische Doktrin des sog. Monetarismus institutionalisiert, die die Geldmenge ins Zentrum des Wirtschaftsgeschehens stellt und ansonsten dem Dogma der Selbstregulierung des privaten Sektors über „die Märkte“ unterliegt und staatliche (oder politische) Interventionen in das Wirtschaftsgeschehen grundsätzlich als schädlich betrachtet.

Eine staatliche Institution als „höheres Wesen“, wäre nach angelsächsischem Demokratieverständnis undenkbar.

Dieses „unabhängige und höhere Wesen“ hat nun der gleichfalls „unabhängige“ Bundespräsident kritisiert. Als Kritiker eines solchen typisch deutschen (rechtshegelianischen) Staatsverständnisses, wonach staatliche Institutionen geradezu metaphysisch überhöht werden, könnte man in Applaus ausbrechen. Hätte der Bundespräsident kritisiert, dass die EZB über Jahre hinweg die unterschiedliche Inflationsentwicklung innerhalb der Europäischen Währungsunion schlicht ignoriert hat oder hätte er beklagt, dass die Währungshüter mit der Festlegung von zu hohen Diskontsätzen schon mehrfach die Konjunktur abgewürgt haben, dann hätte man Christian Wulff sogar nachdrücklich zustimmen können.

Aber nein, der Bundespräsident kritisiert, dass die Europäische Zentralbank Staatsanleihen der von der Spekulation bedrohten südeuropäischen Staaten aufgekauft hat:

„Mich stimmt nachdenklich, wenn erst im allerletzten Moment Regierungen Bereitschaft zeigen, Besitzstände und Privilegien aufzugeben und Reformen einzuleiten. Erst recht, wenn die obersten Währungshüter dafür auch noch weit über ihr Mandat hinausgehen und massiv Staatsanleihen – derzeit im Volumen von über 110 Milliarden Euro – aufkaufen. Dies kann auf Dauer nicht gut gehen und kann allenfalls übergangsweise toleriert werden. Auch die Währungshüter müssen schnell zu den vereinbarten Grundsätzen zurückkehren. Ich halte den massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die Europäische Zentralbank für rechtlich bedenklich. Artikel 123 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um die Unabhängigkeit der Notenbank zu sichern. Dieses Verbot ergibt nur dann Sinn, wenn die Verantwortlichen es nicht durch umfangreiche Aufkäufe am Sekundärmarkt umgehen. Der indirekte Kauf von Staatsanleihen ist im Übrigen auch noch teuerer als der direkte. Wieder verdienen Finanzmarktakteure Provisionen ohne jedes Risiko.“

Dem letzten Satz stimme ich übrigens ausdrücklich zu:

Es ist absurd, dass die EZB den Banken billiges Geld zur Verfügung stellt, damit die Banken mit diesem Geld Staatsanleihen zu weitaus höheren Zinsen kaufen und womöglich sogar mit dem Kauf solcher Staatsanleihen spekulieren und viel Geld machen.

Die EZB hätte gerade in einer Situation, wo „die Märkte“ erkennbar verrückt spielen, die Staatsanleihen etwa von Griechenland oder Portugal schon viel früher direkt kaufen sollen, dann wäre das ganze „Kartenhaus“ (Heiner Flassbeck) der Spekulation mit diesen Anleihen sofort in sich zusammengebrochen. Die ganzen „Rettungsschirme“ die jetzt aufgespannt werden mussten, sind doch der schlagende Beweis dafür, dass die „Weisheit“ der Finanz-„Märkte“ ein Trugbild ist.

Richtig ärgerlich ist, dass – wohl beraten von den Dogmatikern der Deutschen Bundesbank – der Bundespräsident, typisch deutsch, auf die Einhaltung der Europäischen Verträge pocht, aber keinerlei Angebot macht, wie denn die Euro-Krise zu bewältigen wäre. Motto: Mag die Europäische Währungsunion doch auseinanderplatzen und mag der Euro in noch so große Turbulenzen geraten und damit zum zweiten Mal hintereinander das Bankensystem von den Staaten (also vom Steuerzahler) gerettet werden müssen, Hauptsache die Verträge werden gewahrt. Fiat iustitia, et pereat mundus! (Frei übersetzt: Die Verträge müssen eingehalten werden, selbst wenn die Welt zugrunde ginge!)

Wenn man – wie Wulff – voller Pathos verkündet,

„Unser Europa muss uns alle Anstrengungen wert sein…Das Schicksal Europas ist das Schicksal aller seiner Völker…Dieser Verantwortung sind wir Deutsche uns bewusst“

, dann müsste man auch erwarten, dass wenigstens angedeutet würde, welche Anstrengungen denn unternommen werden müsste, um das Schicksal Europas zu wenden.

Mit seiner Kritik an der EZB ergreift Wulff Partei für das konservative Lager der CDU. Er hat den Hinterbänklern in der Bundestagsfraktion von CDU/CSU seine Stimme geliehen und fällt seiner Kanzlerin, die ihn ja zum Bundespräsidenten gemacht hat, in den Rücken. Denn sie und auch ihr Finanzminister haben ja dem Vorgehen der Zentralbank nichts entgegen gesetzt.

Sie saßen doch zusammen mit dem Präsidenten der EZB, Jean-Claude Trichet, am Tisch als die Intervention besprochen wurde. Sowohl Merkel als auch Schäuble wussten doch, was abläuft. Und der frühere Merkelberater und heutige Bundesbank-Chef, Jens Weidemann, wurde doch einfach überstimmt. Es ist im Übrigen nicht bekannt, dass Wulff, der bis zu seiner Wahl zum Bundespräsidenten einer von vier stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU war, sich jemals warnend zur Entwicklung der Europäischen Währungsunion geäußert hätte. Er tut also so, als sei er als Bundespräsident politisch aus seinem Vorleben auferstanden.

Typisch deutsch und nur in etwas feinerer Sprache als der Boulevard weist der Bundespräsident die Schuld ausschließlich den in Schwierigkeiten geratenen Ländern zu. Er sagt zwar nicht die Griechen hätten betrogen und seien faul, er sagt diese Regierungen hätten erst im allerletzten Moment Reformen eingeleitet. (Genauer hätte er sagen müssen: sind diese Regierungen zu Reformen gezwungen worden.)

Wir haben auf den NachDenkSeiten oft und ausführlich über Fehler und Probleme griechischer Politik geschrieben (hier oder hier). Und an dieser Stelle soll nicht wiederholt werden, dass eine der Kernursachen der europäischen Krise die Leistungsungleichgewichte innerhalb der Europäischen Währungsunion sind, die vor allem durch das Lohn-, Sozial- und (Unternehmen-)Steuerdumping in Deutschland verursacht wurden.

Ich will an dieser Stelle nur belegen, wie – gelinde gesagt – oberflächlich unser Bundespräsident – wohlgemerkt vor Nobelpreisträgern – die gängigen Sprüche wiederholt.

Wulff sagt:


„Über viele Jahre wurden in vielen Ländern Probleme immer wieder über höhere staatliche Ausgaben, höhere Schulden und billigeres Geld vor sich hergeschoben.“


Die Staatsausgaben haben sich von 1998 bis 2008 (also bis zur Krise) in Italien unter dem europäischen Durchschnitt (1,8 Prozent) in Italien real um 1,2 Prozent erhöht, in Portugal real um 2,4 Prozent und in Griechenland um 4,8 Prozent erhöht. Aber selbst die griechische Wachstumsrate liegt noch unter derjenigen von Großbritannien mit real 5,2 Prozent.

Staatsausgabenentwicklung

Wulff sagt:


„Dabei wurde im großen Stil konsumiert und spekuliert“


Die Wachstumsrate der Staatsausgaben betrug in den letzten 10 Jahren vor der Krise in Deutschland minus 0,2 Prozent. Wo wurde da im großen Stil konsumiert. Die staatliche Investitionsquote lag mit 1,5 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt der Eurozone mit immerhin 2,6 Prozent.


Wulff sagt:


„anstatt in gute Bildung und Ausbildung, in zukunftsweisende Forschung und Innovationen zu investieren“


Da kann man ihm nur zustimmen. Siehe – ohne Worte- die Grafik:


Bildungsausgaben


Quelle: Steuerpolitisches Konzept der GEW [PDF - 3.2 MB]


Wulff sagt:


„Was vermeintlich immer gut ging – neue Schulden zu machen -, geht eben nicht ewig gut. Es muss ein Ende haben, sich an der jungen Generation zu versündigen.“


Da jedenfalls in Deutschland, die Staatsausgaben real gesenkt wurden, können die „neuen Schulden“ jedenfalls nicht ausschließlich aus den Staatsausgaben resultieren. Staatsschulden haben immer zwei Seiten: Die Ausgaben und die Einnahmen.

Die Einnahmeseite will der „Ehrenvorsitzende“ der CDU natürlich nicht ansprechen:


Einnahmeausfälle


Quelle: Steuerpolitisches Konzept der GEW [PDF - ]


In seiner Schlusskadenz sagt Wulff:


„Wir haben die Wahl zwischen Sparsamkeit und Freiheit, oder Überfluss und Knechtschaft.” Dies sind die berühmten Worte des dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Thomas Jefferson, der im Sommer des Jahres 1816 eindringlich davor warnte, dass sich Regierungen überschulden.“


Auf den ökonomischen Sachverstand von 1816 ist der oberste staatliche Orientierungsgeber also wieder zurückgefallen.

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