An den Finanzmärkten herrscht (vorübergehend) Entspannung: Nach sechs Monaten heftigster politischer Auseinandersetzungen vereinbarte die US-Regierung am Wochenende mit der oppositionellen Republikanischen Partei »Einsparungen« von mehreren Billionen Dollar und eine Erhöhung der Schuldengrenze für den Staatshaushalt. Die Einigung erfolgte am Sonntag, nur zwei Tage vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit der USA. Nach Angaben des Finanzministeriums wären die Vereinigten Staaten ohne eine Erhöhung des Limits von derzeit 14,29 Billionen (14290 Milliarden) Dollar nur noch bis zum 2. August in der Lage, alle ihre Rechnungen zu begleichen. Die Börsen reagierten am Montag äußerst freundlich auf die Einigung: In Tokio, Seoul und anderen Finanzzentren Asiens kam es zu deutlichen Steigerungen der Leitindizes. Der japanische Nikkei sprang um fast zwei Prozent nach oben.
Pleite abgewendet? Der ausgehandelte Kompromiß »erlaubt uns, der Zahlungsunfähigkeit zu entgehen und die Krise zu beenden, die Washington Amerika aufgezwungen hat«, sagte US-Präsident Barack Obama in einer Stellungnahme am Sonntag nach Bekanntwerden der Einigung. »Vor uns liegen immer noch einige wichtige Abstimmungen«, so der Präsident unter Verweis auf die nötige Zustimmung beider Kammern des Kongresses zu dem Kompromiß.
Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, John Boehner (Ohio), warb nach der Einigung mit dem Weißen Haus in einer Telefonkonferenz um die Unterstützung seiner konservativen Parteikollegen. »Es ist nicht das beste Abkommen der Welt, aber es zeigt, wie sehr wir die Bedingungen der Debatte in dieser Stadt geändert haben.« Nach Angaben von Gesprächsteilnehmern erklärte Boehner triumphierend, daß alle »Einsparungen«, wie von den Republikanern gefordert, alleine aus Haushaltskürzungen kommen würden. »Die Bemühungen des Weißen Hauses, Steuern zu erhöhen, wurden zurückgeschlagen.«
Der Kompromiß kam offenbar durch eine Serie von Gesprächen zwischen dem Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell (Republikaner, Kentucky), und Vizepräsident Joe Biden am Wochenende zustande. Er sieht eine Senkung des Haushaltsdefizits in den kommenden zehn Jahren in mehreren Schritten von mindestens 2,4 Billionen Dollar vor. Im Gegenzug soll die Schuldengrenze in zwei Stufen um insgesamt 2,4 auf 16,7 Billionen Dollar angehoben werden. Das würde die Zahlungsfähigkeit der USA wie von Obama gefordert über die Kongreß- und Präsidentschaftswahlen im November 2012 sicherstellen und eine erneute Debatte mitten im Wahlkampf verhindern. Zudem soll ein Parlamentsausschuß, bestehend aus jeweils sechs Vertretern der Demokratischen- und der Republikanischen Partei, bis Ende des Jahres weitere Kürzungsvorschläge machen. Sollte der Kongreß (Repräsentantenhaus und Senat) die Ausschußempfehlungen verwerfen, würden Kürzungen automatisch erfolgen. Steuererhöhungen für Reiche und die Beseitigung von Schlupflöchern sowie Subventionen für profitable Industrien, wie sie Obama und die Demokraten gefordert hatten, sind zunächst vom Tisch.
Die erzielte Vereinbarung muß nun vor Ablauf der Frist, also bis Dienstag nacht, von beiden Kammern im Kongreß angenommen und vom Präsidenten unterzeichnet werden. Eine Verabschiedung des Gesetzes im Senat scheint wahrscheinlich. Seine Zustimmung zu dem Kompromißpaket hatte der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid (Nevada), bereits am Sonntag noch vor dem Weißen Haus und den Republikanern verkündet. In seiner Stellungnahme ließ er allerdings durchblicken, daß die Demokraten im Kongreß an den »Gesprächen zwischen dem Weißen Haus, Republikanern und anderen«, so Reid, nicht durchgehend beteiligt waren.
Offener dagegen ist der Verlauf der Abstimmung im Repräsentantenhaus. Nicht gerade enthusiastisch über die Einigung äußerte sich die Minderheitsführerin der Demokraten in der großen Kongreßkammer, Nancy Pelosi. Vertreter ihrer Partei müßten sich mit dem Vorschlag zunächst genauer befassen.
Ein noch größeres Fragezeichen bleibt die »Tea Party«-Bewegung. Deren bei den Zwischenwahlen vom November ins Repräsentantenhaus gewählte republikanische Abgeordnete beseitigten spätestens in der Schuldendebatte jeden Zweifel an ihrer Entschlossenheit. Die Energie der Tea Party sorgte für einen deutlichen Rechtsruck der Republikaner. Ihr unmißverständliches Nein zu jeder Form eines Kompromisses blockierte das politische Getriebe Washingtons und machte eine von vielen als undenkbar erachtete Zahlungsunfähigkeit erstmals in der Geschichte der USA zu einer realen Gefahr. Inwieweit diese Gruppe bereit ist, dem neuen Kompromiß zuzustimmen, bleibt offen. Die Tea-Party-Ikone und Anwärterin für eine Präsidentschaftskandidatur der Republikaner, Michele Bachmann, reagierte sofort nach Verkündung der Einigung mit klaren Worten. »Jemand muß nein sagen. Ich werde es tun.«
Tiefe Einschnitte Nach der am Wochenende erzielten Einigung soll die Schuldengrenze zunächst in zwei Schritten um insgesamt 900 Milliarden Dollar angehoben werden. 400 Milliarden würden sofort freigegeben. Weitere 500 Milliarden Dollar Schulden können aufgenommen werden, wenn der Kongreß die formale Gelegenheit erhält, diese Erhöhung zu blockieren. Im Gegenzug werden Einschnitte von insgesamt einer Billion Dollar in Hunderten Bundesprogrammen in den kommenden zehn Jahren in Kraft gesetzt.
Im nächsten Schritt soll ein Kongreßausschuß mit Abgeordneten beider Parteien bis November Kürzungen in Höhe von 1,5 Billionen Dollar vorschlagen, die aus weiteren Einschnitten in bzw. der Abschaffung von Sozialprogramme (n) oder einer Reform des Steuerrechts herrühren können. Sollte das US-Parlament diese Streichungen bis Weihnachten bestätigen, würde zugleich auch die Schuldengrenze um denselben Betrag angehoben. Um Anreize für einen Kompromiß zu liefern wurde vereinbart, daß im Falle einer Nichteinigung 2013 automatische, empfindliche Kürzungen in Höhe von 1,2 Billionen Dollar in Kraft treten. 50 Prozent davon sollen dann aus dem Verteidigungsetat kommen. Und auch wenn Bezüge aus mehreren beliebten staatlichen Sozialprogrammen verschont bleiben, sind Einschnitte in das auf diesen Systemen basierende Versorgungsnetz, darunter bei Ärzten und Krankenhäusern, sowie in die staatliche Krankenversicherung für Senioren (Medicare) Teil der geplanten Lösung.Read more at www.jungewelt.de |
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