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Mehr Balance beim Arbeiten, Wirtschaften, Wachsen: Gut und zufrieden leben!
von:
Dietmar Hexel
„Ohne mehr Wachstum geht es nicht. Ohne mehr Wachstum gibt es keinen sozialen Fortschritt. Ohne mehr Wachstum gibt es nichts zu verteilen. Ohne mehr Wachstum verringert sich unser Lebensstandard. Ohne Wachstum bricht der Finanzmarkt zusammen.“ Wirklich?
Das Mantra „Wachstum“ löst heftige Diskussionen aus – auch in den Gewerkschaften. Gewerkschaften sind in ihrer Geschichte durch einen positiv besetzten Wachstumsbegriff geprägt. Wachsen, damit mehr verteilt werden kann und es allen besser geht. Das war lange Zeit eine klare Sache. Obwohl das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 bis heute im „Magischen Viereck“ den Begriff „Wachstum“ als wirtschaftspolitisches Ziel definiert, wackelte in Folge der 68er-Debatte und dem Bericht von Meadows über die „Grenzen des Wachstums“ und der Ölkrise dieses Mantra. Auch seine unkritische Messgröße, das BIP, kam – zunächst folgenlos - ins Gerede. Besonders die Arbeitstagung der IG Metall 1972 „Qualität des Lebens“, an der ich teilgenommen habe, hinterließ bis heute Spuren in der gewerkschaftlichen wie allgemeinen Diskussion. Der sozialdemokratische Politiker Erhard Eppler sagte auf dieser Tagung u.a.
„Wir sprechen heute von Qualität des Lebens, obwohl wir nicht genau wissen, worin sie besteht, noch weniger, wie sie zu verwirklichen sei. Wir sprechen von Qualität, weil wir an der Quantität irre geworden sind. Am Anfang steht also auch hier nicht das Wissen, sondern der Zweifel. Wir zweifeln, ob dies gut für die Menschen sei: immer breitere Straßen für immer mehr Autos, immer größere Kraftwerke für immer mehr Energiekonsum, immer aufwendigere Verpackung für immer fragwürdigere Konsumgüter, immer größere Flughäfen für immer schnellere Flugzeuge, immer mehr Pestizide für immer reichere Ernten, und, nicht zu vergessen, immer mehr Menschen auf einem immer enger werdenden Globus.
Denn wir haben in den letzten Jahren gelernt, daß dies auch bedeutet: immer schlechtere Luft, immer widerlichere Schutthalden, immer unerträglicherer Lärm, immer weniger sauberes Wasser, immer gereiztere Menschen, immer mehr Giftstoffe in den Organismen, und immer mehr Tote auf den Straßen.
(…) Sicher scheint nur, daß dasselbe Wirtschaftswachstum, das unser Leben in den letzten 100 Jahren in vielem angenehmer gemacht hat, es schließlich auch unerträglich machen kann.[1]“
Das war vor 40 Jahren. Manches davon stimmt auch heute noch – oder erst recht. Nicht zu vergessen ist, dass vor 40 Jahren 3,8 Mrd. Menschen auf der Welt lebten, heute sind es 7 Mrd.[2], 2050 – also ziemlich bald – werden es mindestens 9,5 Mrd sein. Doch unübersehbar ist auch: technischer und gesellschaftlicher Fortschritt hat die Luft, beispielsweise mit Hilfe der „TA Luft“ über der Ruhr wieder blau gemacht und im Main und Rhein gibt es wieder (auch essbare) Fische. Es wurden Grenzen für Pestizide festgelegt, es gibt Bio-Nahrungsmittel, Recycling-Technologien und einen besseren Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben sowie eine sich rasch entwickelnde Industrie für erneuerbare Energien und jede Menge guter Ideen für eine andere, bessere Mobilität.
Dem unkritischen Wachstumsbegriff der traditionellen Ökonomie stellten die Gewerkschaften in Folge der Debatte um „Wachstum“ in den 70er Jahren gemeinsam mit anderen den Begriff „qualitatives Wachstum“ entgegen. Dies meint, langlebige (heute sagen wir nachhaltige) Produkte und Dienstleistungen, die ohne die weitgehende Ausbeutung oder gar Zerstörung von Menschen und Natur hergestellt werden. Festzuhalten bleibt: gerade die Kosten für die Nutzung der Natur sind bisher weder hinreichend in der Kalkulation der Unternehmen, noch im BIP enthalten.
Heute wird sowohl weltweit, in Europa und seit neustem auch in Deutschland über Wachstum[3], seine Meßgröße und die Wachstumschancen und -risiken diskutiert. Meine Annahmen dazu lauten:
- Wachstum ist nicht die Voraussetzung, sondern das Resultat wirtschaftlichen Handelns. Wachstum ist kein Ziel an sich, Lebensqualität und Wohlstand dagegen sehr wohl.
- Das BIP ist keine zeitgemäße betriebs- noch volkswirtschaftliche Steuerungsgröße. Begrüßenswert sind die Entwicklung neuer Indikatoren, vor allem, wenn sie den Aspekt der Lebensqualität in den Focus nehmen.
- Die prozentualen Steigerungsraten des BSP sanken in den letzen 40 Jahren kontinuierlich, während sich der Ausstoß an konsumierbaren Gütern und Dienstleistungen und der Ressourcenverbrauch ständig erhöhte[4]. Die jährlichen Zuwachsraten werden in Zukunft kleiner werden, vermutlich werden sie zwischen 0,5 und 1,5 % liegen.
- Es geht in Zukunft weniger um weitere Gewinnsteigerung, sondern um Robustheit und das Vermeiden von Verlusten, sowohl in den Unternehmen wie in den Volkswirtschaften.
- Der derzeitige Wachstumsbegriff und das bisherige Wachstumsmodell ist überholt. Es muss durch ein Balance-Ziel der sozialen, ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkte ersetzt werden, wobei Gerechtigkeit und Ausgleich, und nicht individuelle Bereicherung die Leitsterne sind.
- Zu entscheiden ist nicht, ob Wachstum nötig ist, sondern wofür, welches und zu welchem Preis, der die Natur- und sozialen Schädigungen mit berücksichtigt.
In der vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission, der ich als Sachverständiger angehöre, habe ich in meinen Eingangsstatement unter anderem ausgeführt:
„Das Wachstum an Gütern und Dienstleistungen hat nicht automatisch zu einem besseren Leben für die Mehrheit der Menschen und einer gerechten Verteilung der Wertschöpfung geführt. Auch nicht in Deutschland. Heftige soziale Auseinandersetzungen waren nötig und stehen uns noch bevor. Weltweit als auch bei uns wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. Trotz einer gigantischen Wertschöpfung leisten wir es uns, über Mindestlöhne und Hartz IV-Sätze unwürdig zu streiten, obwohl wir ein sehr wohlhabendes Land sind.
Im Kern wird es um die Fragen gehen: Wie kommen wir zu einer neuen sozial gerechten Wertschöpfung und -verteilung, zu einer Balance des Wirtschaftens, die Menschen und Natur nicht verschwenderisch ausbeutet? Wie kommen wir zu einer demokratischen Entscheidung, was, wie und wo produziert wird, wie zu einem Ringen, wie die Wertschöpfung verteilt wird? Nur eine solche Balance bietet die Chance und den Weg für
Erstens: mehr Lebensqualität,
Zweitens: Wohlstand
Drittens: Wachstum.“
Mit einer solchen Reihenfolge wäre das Mantra vom „Wachstum“ entzaubert. Nicht mehr Wachstum, sondern mehr Lebensqualität ist das Ziel. Die Qualität des Lebens, Chancengleichheit und Wohlstand und eine aktive Teilhabe an der Kultur sind für die Mehrheit der Bevölkerung die erstrebenswerten Ziele in unserer Gesellschaft. Sie gehören zu den Gründungsideen der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften. Wenn wir uns nach diesen Zielen ausrichten und sie in einem demokratischen Dialog konkretisieren, können wir weiter gesund wachsen. Wachstum ist also das, was wir als Gesellschaft als wünschenswert definieren, beispielsweise:
- bessere Schulen und Hochschulen,
- Vollbeschäftigung und Teilhabe,
- mehr freie Zeit und der Ausbau der Kultur,
- weniger Burn-outs und Frühverrentungen,
- bessere Luft, weniger Naturzerstörung,
- ein anderes Mobilitätskonzept,
- eine CO2-arme Energieversorgung,
- ein effizientes Gesundheits- und Pflegesystem.
Ein solch anderer Wachstumspfad, der mit neuen Ideen, Möglichkeiten und Zielen einhergeht und die Dinge in die Balance bringt, wird zu deutlich mehr Lebensqualität und Wohlstand führen. Die nationale wie internationale Politik muss dazu eine Menge beitragen. Der Staat kann dies durch entsprechende Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in die öffentliche Daseinsvorsorge steuern – und beispielsweise über seine Steuerpolitik eine Änderung des Verhaltens herbeiführen, nicht nur durch eine längst überfällige Finanztransaktionsteuer.
In Umfragen plädieren 88 Prozent für eine neue Form des Wirtschaftens bei der Umwelt- und Ressourcenschutz sowie der soziale Ausgleich eine stärkere Rolle als bisher spielen.
Als eigenständiges Ziel hat Wachstum bei vielen Menschen seine Strahlkraft ohnehin längst verloren. Auch weil die meisten von uns den Eindruck haben, dass bei der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung kaum mehr etwas vom gemeinsam erarbeiteten Wachstum ankommt: über zwei Drittel der Deutschen haben Zweifel daran, dass ihre Lebensqualität steigt, wenn die Wirtschaft wächst.
Balance und eine andere, qualitative Art des Wachstums bedeutet selbstverständlich Wachstumsregulierung und den politischen Mut zum Eingriff. Damit sind Maßnahmen verbunden die tatsächlich und wirksam, und nicht nur dem Schein nach, die totale Entfesselung des Kapitalmarktes wieder rückgängig machen. Mit einer geänderten Erbschaftssteuer, Ausgleichsabgaben für globale Transaktionen, Umweltkapital und Finanzprodukte gibt es hinreichende Vorschläge der Gewerkschaften und namhafter Wissenschaftler, die auf eine „ökosoziale, statt einer marktradikalen“ Weltfinanzordnung abzielt.[5] Nahezu eindeutig und unbestreitbar ist, dass ein Wachstum ohne regulierende Rahmenbedingungen die Grundlage unseres Zusammenlebens und Wirtschaftens zerstören würde.
Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch
Nirgendwo wird das so deutlich wie beim Verbrauch von Ressourcen, nicht nur bei Wasser, Luft und Boden. Mit einer Ressourcenentnahme von rund 60 Milliarden Tonnen jährlich entnimmt und verwendet der Mensch heute etwa um 50 Prozent mehr Ressourcen als noch vor 30 Jahren. Würde die gesamte Welt diesen Verbrauchsmustern weiter folgen, dürfte sich die globale Ressourcennutzung innerhalb von 20 Jahren vervierfachen.[6] Die noch weitgehend „kostenlose“ Nutzung der Natur führt dann zu unübersehbaren Schäden und Kosten.[7] Zumal die Weltbevölkerung jährlich um etwa 83 Millionen wächst. Das ist die Einwohnerzahl der Bundesrepublik.
Weiterhin sind begrenzte Ressourcen ein Flaschenhals für die industrielle Entwicklung. Das Industrieland Deutschland hat im Jahr 2008 Rohstoffe für 126 Milliarden Euro importiert, während aus eigener Förderung lediglich Rohstoffe im Wert von 10 Milliarden gewonnen werden konnten. Was knapper wird kostet auch mehr. Allein in der Stahlbranche sind die Preise für Eisenerz gegenüber dem Jahr 2000 um ca. 800 Prozent angestiegen. Zwischen 2000 und 2008 haben sich die Industrierohstoffe insgesamt um 57 Prozent verteuert.[8] Die oligopolistisch organisierten Rohstofflieferanten gehen keine langfristigen Verträge mehr ein. Dadurch nehmen die Preisvolatilitäten auf den Rohstoffmärkten zu. Außerdem befinden sich bestimmte Rohstoffe eher in den Ländern mit einer politischen Willkürmacht, was die Gefahr der Instrumentalisierung von Rohstoffen als politische Waffe erhöht. Hinzukommen noch die Spekulationen auf den Rohstoffmärkten, die mit bis zu 30 Prozent die Preisbildungsprozesse beeinflussen – alles in allem eine problematische Perspektive für die deutsche Industrie.[9]
Konsequente Ressourceneffizienz (nicht nur bei Energie!), eine konsequente Kreislaufwirtschaft, Erfindung und Einsatz anderer Materialien und eine Politik der Mäßigung beim Verbrauch materieller Güter (in hoch entwickelten Ländern) kann eine Alternative zum Thema Ressourcenverknappung sein. Mäßigung ist für Gewerkschafter dabei ein schwieriges Wort. „Wenn es für alle nicht mehr reicht, springen die Armen ein“ ist eine bittere Erkenntnis aus vielen sozialen Kämpfen der letzen 200 Jahre. Dabei ist die Schere mit 1,2 Mrd. Wohlhabenden – zu denen auch wir in Deutschland zählen – und 5,3 Mrd. Armen weltweit und im nationalen Maßstab auch in Deutschland stark auseinander gegangen. Anders arbeiten und wirtschaften bedeutet deshalb auch, eine andere Verteilung bei der Produktion wie dem Besitz der Wertschöpfung. Es ist unschwer voraussehbar, dass die Auseinandersetzung um die Verteilung von Chancen wie Ergebnissen zunehmen wird. Gerechtigkeit und Mäßigung ist eine Forderung an alle, die deutlich mehr besitzen, als sie jemals verbrauchen können.
Unternehmen und Betrieb als Handlungsfeld
Der Erhalt des Industriestandortes Deutschland wird erheblich von unserem Willen und unserer Fähigkeit abhängen, das notwendige Wachstum vom Ressourcenverbrauch absolut zu entkoppeln. An den Fähigkeiten mangelt es nicht: Deutschland ist einer der führenden Exporteure von Ressourceneffizienzlösungen. Am Willen hingegen gibt es noch Zweifel und die betreffen vor allem viele Unternehmen, die bei Kostensenkung zunächst an Personalkosten denken. Anderes wird bedauerlicherweise überwiegend an den betriebswirtschaftlichen Lehrstühlen auch nicht gelehrt. Die Universität Leuphana zu Lüneburg ist hier eine beispielhafte Ausnahme. Hier ist ein Curriculum „Nachhaltigkeit“ für alle Studierende verpflichtend, egal, welches Studium sie aufnehmen. Ein Blick in die Wirklichkeit zeigt: Personalkosten sind nicht das Problem, wer heute hier noch auf Kosten der Arbeitnehmer „spart“, hat morgen keine qualifizierten Wertschöpfer mehr. Die Material- wie Energieeffizienz wird nach wie vor vernachlässigt. Das ist wundersam, denn Material ist der viel größere Kostenfaktor. Wie sehr die gewerblichen Unternehmen den Materialbereich vernachlässigt und einseitig das Personal rationalisiert haben, zeigt sich an der Entwicklung: der Materialkostenanteil ist von 1993 bis heute von 38 auf 46 Prozent gestiegen, währen der Personalkostenanteil von 27 auf 18 Prozent gefallen ist.[10] In einigen Industrien liegen die Personalkosten unter 10 %.
Die Unternehmen sind deshalb aufgefordert, mehr zu tun. Dazu gibt es zahlreiche Ansätze, die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten und Betriebsräte initiieren können:
- Entwicklung neuer Recyclingtechnologien,
Read more at www.gegenblende.de- Verbesserung des Instandhaltungsmanagements, Ressourceneffizienzoptimierte Produktgestaltung,
- die Einführung einer Ressourcenkostenrechnung,
- die stärkere Nutzung nachwachsender Rohstoffe,
- die konsequente Umsetzung des Gedankens der Kreislaufwirtschaft
- der Schaffung eines Energie- und Ressourcen-Managers unterhalb der Geschäftsführung
- Ausbildung und Einsatz von „Betrieblichen Effizienzexperten“
Die Betriebsräte sind auch die natürlichen Ansprechpartner für Fragen der Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz. Das Betriebsverfassungsgesetz räumt die notwendigen Handlungsspielräume ein. Im Wirtschaftsausschuss sollte dies ein ständiger Tagesordnungspunkt sein. Natürlich ist eine Qualifizierung für das Thema erforderlich, damit Wirksamkeit erzielt wird. Der DGB und das DGB Bildungswerk haben gemeinsam mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit dazu ein Projekt gestartet (siehe hierzu den Beitrag in dieser Ausgabe). Unter dem Titel „Ressourceneffizienz für Betriebsräte und Beschäftigte“ hilft es den Genannten bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung für nachhaltige Entwicklung und unterstützt eine verbesserte Ressourcennutzung in Unternehmen. Ein Zertifikatsabschluss „Betriebliche/r Effizienzexperte/In“ ist in Entwicklung.
Ein weiterer Ansatz in diesem Zusammenhang ist die Zusatzqualifizierung „Assistent/in für Energie und Ressourcen im Handwerk“, die derzeit in Erprobungslehrgängen in Nordrhein-Westfalen angeboten wird. Diese Qualifizierung findet in Ergänzung zum eigentlichen Berufsschulunterricht von Auszubildenden statt und umfasst 240 Stunden. Lehrinhalte sind unter anderem Grundkenntnisse der relevanten Normen und Gesetze, das Ermitteln von Energiesparmöglichkeiten im Betrieb sowie der effiziente Einsatz von Material.[11]
Natürlich sind auch in der Tarif- und Betriebspolitik der Gewerkschaften neue Aspekte zu diskutieren, die zu mehr Gerechtigkeit und Balance der Teilhabe und Güter führen. Branchenübergreifende Zeitkontensysteme, die beim Betriebswechsel mitgenommen und für verschiedene, auch längere Abwesenheiten eingesetzt werden können, ein flexibles „Bildungskonto“ für Weiterbildung, abgesicherte Rechte für Qualifizierung, eine Übernahmegarantie für Auszubildende, eine längere Kündigungsfrist von mindestens neun, besser zwölf Monaten, in der sich die Betroffenen bei voller Bezahlung auch eine neue Arbeitschance suchen können, ein gebündeltes Belegschaftskapital, das nicht unmittelbar konsumiert werden kann, dafür zur Stabilität der Vorsorge und Unternehmensfinanzierung genutzt werden kann und zu einer anderen Balance in den Unternehmenszielen führen wird.
Neue Energie für anderes Wachstum
Die letzten Monate waren in Deutschland von einer intensiven Energiedebatte geprägt. Ergebnis war ein erneuter Ausstieg aus der als zu riskant eingeschätzten Kernenergie. Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist das Ziel. Für die notwendige Übergangszeit werden Gas und Kohle eine ausreichende und bezahlbare Energieversorgung sicherstellen. Der Energieumstieg wird in Deutschland zu neuen Produkten und Dienstleistungen – und damit anderem Wachstum führen. Gleichzeitig wird er dafür sorgen, dass sich die Grundlage unseres Energiesystems von ausländischen Quellen (beispielsweise Uran, Gas) auf inländische (Wind, Wasser, Biomasse, Geothermie, Sonne) verlagert. Bisher entfallen noch knapp 75 Prozent unserer Rohstoffimporte auf den Energiebereich. Das wird sich ändern und damit die Energieversorungssicherheit und auch die Preisstabilität für die Industrie erhöhen. Nicht zuletzt wird der Umstieg auf "Erneuerbare" aber vor allem eine Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch auf diesem volkswirtschaftlich so wichtigen Sektor bringen. Die erneuerbaren Energien sind ein Beispiel für das andere, „richtige“ Wachstum.
Soziale Leitplanken des neuen Wachstums
Gleichzeitig zeigt die Branche der erneuerbaren Energien Schwächen. Sie liegen im sozialen Bereich. Während in den „alten“ Industrien Wachstum auch zu sozialem Fortschritt geführt hat, ist dies bei erneuerbaren Energien noch längst nicht überall der Fall. Anderes, qualitatives Wachstum wird nicht nur durch grünen Anstrich und positive Umweltwirkungen definiert. Es muss mit besseren Arbeitsbedingungen verbunden sein. Grüne Jobs sind nicht automatisch gute Jobs. Damit sie nachhaltig, also vor allem sozial sind und zu mehr Lebensqualität führen, müssen sie dem Konzept „Gute Arbeit“ entsprechen. Dazu gehören auf jeden Fall Tarifverträge und die gesetzlich vorgesehene Wahl von Betriebsräten – und wünschenswerter Weise auch eine neue Form der Teilhabe der Arbeitnehmer/innen sowohl bei der Gestaltung der Arbeitsprozesse, der Führung des Betriebs wie auch bei einer steigenden Wertschöpfung, sprich dem Besitz.
Noch sind, beispielsweise in der Solarbranche in Ostdeutschland, die Arbeitsverhältnisse häufig prekär. Das Lohnniveau liegt etwa 10 Prozent unter dem tariflichen Niveau ostdeutscher Branchentarifverträge. Arbeitnehmerunfreundliche Arbeitszeit- und Schichtplanung steigern die Arbeitsbelastung. Betriebliche Interessenvertretungen der Arbeitnehmer werden teilweise systematisch behindert oder verhindert.[12]
Daraus folgt: die ökologische Gestaltung der Wirtschaft muss sich zwangsläufig positiv in der Qualität der Arbeit niederschlagen, wenn sie attraktiv, wirksam und dauerhaft werden will. Wer nicht sozial ist, ist auch nicht nachhaltig, sondern produziert Ungerechtigkeit und Unzufriedenheit statt mehr Lebensqualität.
Wachstum ist ein natürlicher Kreislaufprozess
Abschließend eine nachdenkliche Schlussbetrachtung: Täglich werden 370.000 Kinder geboren und alle paar Sekunden verhungert ein Kind. Letzteres können wir ändern. Wir werden geboren, wachsen heran und durchlaufen unterschiedliche Lebenszyklen. Wir leben in bestimmter Weise nur durch unsere Nachkommen weiter, denen wir durch unser Verhalten nicht die Möglichkeiten eigener Entwicklung abschneiden dürfen. Und wir wissen sehr genau, unser Leben ist unwiderruflich endlich, unsere persönlichen Möglichkeiten zum Konsum sind es auch. Die Ressourcen unseres Planeten sind ebenfalls in einer bestimmten Art und Weise limitiert. Doch anders als das menschliche Leben können und müssen wir sie immer wieder erneuern, schon aus Verantwortung gegenüber unseren Nachkommen – und anders verteilen. Es geht also um nachhaltige Entwicklung und qualitatives Wachstum, nicht um Wachstum um jeden Preis[13]. Der technische wie gesellschaftliche Fortschritt wird dies ermöglichen, wenn wir es richtig angehen. Da gehöre ich zu den Optimisten. Wir dürfen dabei nur nie vergessen – nicht nur wegen der Bilder aus Japan -, dass die Natur älter und stärker ist, als wir alle zusammen, woran Nassim Nicholas Taleb erinnert hat[14]. Wir können die Natur nicht besiegen oder uns untertan machen. Doch wir können von ihr lernen, sie nutzen und sie - und damit uns - pfleglich behandeln.
[1] Erhard Eppler, 1972, „Maßstäbe für eine humane Gesellschaft. Lebensstandard oder Lebensqualität?“, Stuttgart
[2] UN Department of Economic and Social Affairs, Population Division, “World Population Prospects: The 2010 Revision”
[3] zu den einzelnen Aspekten der Wachstumsdiskussion sei hier auf die hervorragende Buchreihe „Zukunft der Erde“, herausgegeben von Klaus Wiegandt, Stiftung Forum für Verantwortung, verwiesen
[4] Statistisches Bundesamt, „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung – Wichtige Zusammenhänge im Überblick“, S. 12
[5] Dirk Solte (2009): Weltfinanzsystem in Balance: Die Krise als Chance für eine nachhaltige Zukunft und Heiner Flassbeck (2010): Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts sowie Hendrik Enderlein: Global Governance von Finanzmärkten in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ 08/2009
[6] zitiert nach „Thematische Strategie für eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen“, EU-Kommission, KOM(2005) 670
[7] Hans-Christoph Binswanger (2009): Vorwärts zur Mäßigung: Perspektiven einer nachhaltigen Wirtschaft
[8] Instit. der dt. Wirtschaft, Vortrag Konferenz Nachhaltigkeit, September 2009, Stuttgart
[9] DGB, „Bericht zur gewerkschafts- und gesellschaftspolitischen Lage“ an den Bundesausschuss 02.03.2011
[10] „Materialeffizienz und Ressourcenschonung“, Endbericht, Dez. 2010, Zusammenfassung Seite 10
[11] http://www.lgh.de/1/lgh-webseite/projekte/aktuelle-projekte/assistentin-assistent-fuer-energie-und-umwelt.html
[12] Christina Deckwirth „Ein New Green Deal im Interesse der Beschäftigten?“, Hans-Böckler-Stiftung, Jan. 2010, Seite 41
[13] vgl. auch Michael Müller/Johano Strasser „Transformation 3.0 – Raus aus der Wachstumsfalle“ (2011)
[14] Nassim Nicholas Taleb (2010): Der Schwarze Schwan – Konsequenzen aus der Krise
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