Samstag, 10. Dezember 2011

-->> #Neuro-Enhancement aus #suchtmedizinischer #Sicht "Smart drugs" und "enhancers" (...) #Ritalin

 


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Neuro-Enhancement aus suchtmedizinischer Sicht
Zusammenfassung  Zunehmend wird der Einsatz von Pharmaka zur Leistungssteigerung bei Gesunden unter solch schillernden Begriffen wie "Neuro-Enhancement" auch von Neurowissenschaftlern propagiert. Eine ganze Reihe von Substanzen, einschließlich Psychostimulanzien, wird diesbezüglich vorgeschlagen. Aktuelle Daten einer Erhebung der Deutschen Angestelltenkrankenkasse zeigen dabei, dass ohnehin schon viele gesunde Arbeitnehmer Medikamente einnehmen, um im Beruf leistungsfähig zu bleiben. Aus suchtmedizinischer und ethischer Sicht ist dieser Ansatz, der auch von renommierten Neurobiologen in der Zeitschrift "Nature" vorgeschlagen wurde, sehr bedenklich. Überraschenderweise ist die deutsprachige psychiatrische Literatur dazu bislang sehr zurückhaltend. Der Autor plädiert nachdrücklich gegen ein "Hirndoping" bei Gesunden.

Schlüsselwörter  Aufmerksamkeit - Kognition - Psychostimulanzien - Doping

Neuro-enhancement from an addiction specialist's viewpoint
Summary  The use of medications to enhance performance in healthy individuals is increasingly being propagated even by neuroscientists under such colorful terms as"neuro-enhancement". A large number of medications, including psychostimulants have been advocated in this context. Recent data from the German health insurance company DAK indicate that a number of employees already take medications to fulfill their professional needs and enhance performance. The use of new drugs in the healthy has even been advocated by prominent neurobiologists in a commentary in a recent edition of Nature. There are a number of ethical objections to this use and there is an apparent risk of addiction. To date German psychiatrists have surprisingly not been outspoken on this issue. The author would like to make an emphatic plea against"brain doping" in healthy individuals.

Keywords  Attention - Cognition - Psychostimulants - Doping


Über die Prävalenz von Missbrauch und Abhängigkeit so genannter legaler Medikamente ist wenig bekannt [19]. Prävalenzschätzungen gehen aber von bis zu 1,5 Mio. Medikamentenabhängigen aus. Glaeske [8] schätzt zwischen 1,3 und 1,4 evt. sogar 1,9 Mio. Medikamentenabhängige. Bei den missbräuchlich eingenommenen Medikamenten handelte es sich bislang überwiegend um psychotrope Substanzen, speziell Beruhigungs- und Schlafmittel, sowie Analgetika. Dramatisch angestiegen ist aber auch der Konsum von Psychostimulanzien, speziell Amphetaminen, die mit exponentiellen Steigerungsraten zunehmend auch zur Therapie des so genannten Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms bei Erwachsenen eingesetzt werden [1, 2, 4, 7, 10, 11, 12, 17], obwohl hierfür in Deutschland gar keine Zulassung besteht. Die klinischen Kriterien dafür scheinen noch recht vage zu sein, insbesondere im Hinblick auf neuropsychologische Parameter [14, 16]. Der klinische Eindruck ist, dass manche Indikationen auf sehr schwankendem klinischem Boden stehen [10].

Mittlerweile wird der Einsatz von Medikamenten zur Verbesserung von Kognition und vor allem Aufmerksamkeitsleistungen nicht nur bei Patienten mit Hirnleistungsstörungen, sondern auch bei Gesunden diskutiert, was Anlass zur Besorgnis gibt und zur Abfassung dieses Artikels führte, der unabhängig von der im gleichen Heft publizierten Übersicht von Förstl erstellt wurde und nicht als Replik zu verstehen ist.

Die Diskussion über den Einsatz von Medikamenten zur Leistungssteigerung bei Gesunden hat in der letzten Zeit aufgrund einiger Publikationen dramatisch an Brisanz gewonnen. Die Einnahme von Psychostimulanzien für nichtmedizinische Zwecke hat dabei eine lange Tradition [10, 13]. So wurden Psychostimulanzien seit den 1930er Jahren zur Verbesserung des Durchhaltewillens beim Militär eingesetzt, in den letzten Jahren ist speziell in den USA (erster Golfkrieg) Modafinil hinzugekommen [13]. Bekannt ist auch der Amphetaminmissbrauch im Sport [10]. Zunehmend wird aber auch der Einsatz von Medikamenten zur Leistungssteigerung bei Gesunden speziell am Arbeitsplatz propagiert. Betriebliche Präventionsprogramme für Suchterkrankungen haben sich bislang im Wesentlichen auf Alkohol und Nikotin konzentriert [5, 6]. Die mit dem Medikamentenkonsum verbundenen Risiken sind aus psychiatrischer Sicht bislang nicht ausreichend diskutiert worden. Einige Publikationen der letzten Wochen lassen Schlimmes ahnen.


DAK-Report "Medikamente am Arbeitsplatz"

In dem von der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (DAK) herausgegebenen Gesundheitsreport 2009 wird das Thema "Doping am Arbeitsplatz" umfassend behandelt. In dem lesenswerten Bericht des IGES-Instituts in Berlin [3] wird zunächst Bezug genommen auf eine weltweite Online-Umfrage des Wissenschaftsmagazins "Nature", wobei jeder fünfte angab, bereits ohne medizinische Gründe einmal Medikamente genommen zu haben, um Konzentration, Aufmerksamkeit und Erinnerungsvermögen zu verbessern [3]. In der Diskussion werden verschiedene Begriffe verwendet, z. B. Psycho- oder Neuro-Enhancement, "Gehirndoping", "doping the mind". In jedem Fall geht es um Medikamente, die bei Gesunden eingesetzt werden, um eine Leistungssteigerung bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit zu erreichen. Zu den "Enhancement-Stoffen" zählen Stimulanzien, Amphetamine, Modafinil, Antidementiva (z. B. Donepezil) sowie Antidepressiva, speziell selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (Fluoxetin). Es werden für den Einsatz bei Gesunden Wirkstoffe zur Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten von solchen zur Verbesserung des psychischen Wohlbefindens unterschieden. Zu ersten zählen z. B. Methylphenidat, Modafinil, Piracetam, Memantine oder Dihydroergotoxin, zu letzteren werden Fluoxetin oder auch der β-Rezeptor-Blocker Metoprolol gerechnet. Eine von der DAK durchgeführte bundesweite Befragung von ca. 3000 Erwerbstätigen (20 bis 25 Jahre) zeigte dabei u.a., dass etwa jeder fünfte bereits einmal die Erfahrung gemacht hatte, dass ihm ohne medizinisch zwingende Notwendigkeit derartige Medikamente zur Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit oder psychischen Befindlichkeit vom Arzt empfohlen worden waren und ca. 17% haben solche Medikamente auch schon einmal eingenommen. 2,2% der Erwerbstätigen "dopen" dabei laut eigenen Angaben regelmäßig, wobei die Autoren davon ausgingen, dass zwischen 1–1,9% der Erwerbstätigen potente Wirkstoffe ohne medizinische Notwendigkeit einnahmen. Weitere Datenanalysen zeigten z. B., dass beim Wirkstoff Methylphenidat bei 27,6% der Versicherten mindestens eine Verordnung ohne eine entsprechende Diagnose vorlag. Bei Modafinil traf dies bei 24,9% der Versicherten zu.

Mit diesen Zahlen liegt das Thema "Doping am Arbeitsplatz" auf dem Tisch. Über das Bedingungsgefüge, das zu diesem Einnahmeverhalten führt (z. B. psychosomatische Erkrankungen oder psychosoziale Belastungen am Arbeitsplatz bzw. Arbeitsbedingungen, berufliche Schwierigkeiten, Anforderungen oder Stress), soll an dieser Stelle nicht weiter spekuliert werden. Diskutiert werden aber am Ende des Reports die konträren Standpunkte: "Sollte es erlaubt sein, ohne medizinisch zwingende Gründe, seine geistige Leistungsfähigkeit durch die Anwendung bislang verschreibungspflichtiger Medikamente für eine verbesserte berufliche Performance zu steigern?" oder "Sollte die Gesellschaft etwas tun, damit die Arzneimittelanwendung durch Gesunde im Sinne von "Doping am Arbeitsplatz" sich nicht weiter verbreitet?".


Nature goes Ritalin

Die Diskussion zum Einsatz leistungsfördernder Medikamente in der Ausbildungs- und Arbeitswelt ist vor kurzem von unerwarteter Seite spektakulär angestoßen worden. Auf die in "Nature" publizierte Umfrage von Wissenschaftlern ist oben schon hingewiesen worden. Eine Gruppe von neurobiologisch orientierten Wissenschaftlern publizierte in "Nature" einen Kommentar "Towards responsible use of cognitive-enhancing drugs by the healthy" (!) In dem Artikel weisen Greely et al. [9] einleitend darauf hin, dass der Einsatz speziell von Psychostimulanzien wie Ritalin an Universitäten gang und gebe sei. Bis zu 25% der Studenten in den USA hätten diese, aktuellen Befunden zur Folge, im letzten Jahr eingenommen [9] und zwar zur Leistungssteigerung. In dem Artikel werden explizit Psychostimulanzien vom Typ des Ritalin sowie Modafinil angesprochen. Ähnlich wie Iversen [10] weisen auch Greely et al. [9] mit entwaffnender Ehrlichkeit darauf hin, dass diese Substanzen auch von amerikanischen Soldaten im Kampfeinsatz eingesetzt wurden. Diese Frage sei erlaubt: Taugen sie deshalb auch für Studium und Arbeitswelt?


"Smart drugs" und "enhancers"

Der Einsatz solcher Medikamente nicht zur Behandlung, sondern zur Verbesserung von Leistungen, "enhancing" statt "treating", spielt in einer Reihe von vergleichbaren Publikationen eine große Rolle [13, 15] und die Spannbreite der diesbezüglich möglicherweise einzusetzenden Medikamente ist noch deutlich breiter, wie einer lesenswerten Übersicht von Lannie et al. [13] zu entnehmen ist. Die Autoren weisen im Übrigen darauf hin, dass durch solche "enhancers" die menschliche Kreativität wohl kaum verbessert werden könne, es geht nur um Aufmerksamkeitsleistungen. Für den psychiatrischen Suchtmediziner ist es interessant zu sehen, dass es hier nicht nur wie etwa in den 1960er Jahren um Substanzen zur so genannten Bewusstseinserweiterung oder zur Steigerung der Emotionalität und Kreativität geht, wie irregeleitet solche Versuche z. B. mit LSD oder Mescalin auch gewesen sein mögen, hier geht es allein um Leistung und Durchhaltevermögen, letztendlich um Effizienz.

Über das Suchtpotenzial der ein oder anderen Substanz, speziell Psychostimulanzien, soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Interessant ist aber der Oberbegriff, unter dem solche Substanzen eingeführt werden sollen: "smart drugs" oder "enhancers" – eine sehr suggestive Wortschöpfung, die direkt der Drogenszene entlehnt sein könnte. Hier werden die gefährlichsten Substanzen häufig unter Pseudonymen wie Angel Dust oder Ecstasy vermarktet. Wer könnte sich dem Reiz von "smart drugs" entziehen? Wer möchte dumm bleiben, wenn alle anderen sich "schlau dopen"? Mit der Einführung solcher Begriffe wird möglicherweise einem bislang psychopharmakologisch noch nicht bereiteten Gebiet der Boden bereitet.


Schlussfolgerungen

Eine der Hauptaufgaben der Suchtforschung ist Risikoerfassung, insbesondere von neuen Drogen und Medikamenten [18]. Nicht nur in diesem Zusammenhang muss der unter dem Schlagwort "Neuro-Enhancement" geforderte Einsatz von Medikamenten zur Leistungssteigerung bei Gesunden kritisch diskutiert werden. Es handelt sich hier offensichtlich nicht mehr um Einzelmeinungen und seltene Tatbestände, wie die o.g. Ausführungen belegen. Der Einsatz von Medikamenten, um die kognitive Leistungsfähigkeit bei Gesunden zu verbessern, wird auch von deutschen Psychiatern bereits propagiert [15]. Diskutiert werden im Zusammenhang Phosphodiesterase-Inhibitoren, MMDA-Modulatoren wie Donepezil sowie die erwähnten Modafinil und Methylphenidat. Die Autoren sehen auch die Verbesserung der sozialen Interaktion und sogar sexuellen Leistungsfähigkeit (!) als interessante Forschungsgebiete in diesem Zusammenhang an und schlussfolgern, dass es trotz bislang fehlender Effizienz bisher überprüfter Medikamente einen hohen Bedarf für solche Medikamente gäbe [15]. Letztlich erscheint so jeder Bereich menschlichen Zusammenlebens pharmakologisch optimierbar.

Es ergibt sich eine ganze Reihe von ethischen Implikationen aus diesen Forschungsansätzen. Diskutiert werden in "Nature" auch Fragen wie "Suchtgefährdung", "Chancengleichheit" und "Fairness" [13]. Einige werden sich die neuen Medikamente leisten können, andere nicht. Eine ganze Reihe von ethischen Problemen ergibt sich fast zwangsläufig. Das Kernproblem ist natürlich, ob man auch beschwerdefreie Gesunde (psycho)pharmakologisch zur Leistungssteigerung behandeln kann. Plastische Chirurgen haben die Frage nach Operationen an Gesunden für sich längst beantwortet. In der Psychiatrie stellt sich dies aber ganz anders dar. Besonders problematisch erscheint u.a., dass "smart drugs" in letzter Konsequenz wohl vor allem auch Kindern und Jugendlichen, also Minderjährigen, verschrieben werden sollten. Wer möchte schon zusehen, dass sein Kind vermeintlich dümmer bleibt als andere, vielleicht der Übertritt aufs Gymnasium daran scheitert? Seltsamerweise bleiben die überblickten Publikationen von solchen Überlegungen unberührt. Andere Bedenken betreffen natürlich das Suchtpotenzial vieler Medikamente, vor allem aber auch das Risiko von Persönlichkeitsveränderungen und anderen psychischen Schäden nach Einnahme von "smart drugs".

Besonders bedenklich erscheint dem Autor dieser Zeilen aber, dass diesem "Behandlungsansatz" zugrunde liegende Menschenbild. Wünschenswert ist offensichtlich derjenige, der leistungsfähig ist, lange durchhält, außerordentliche Vigilanzleistungen zeigt und überhaupt eine gute "Performance" bietet. Spontan mag man an den auch zu nachtschlafenden Börsenzeiten in Fernost hypervigilanten Börsenmakler oder Investment-Banker denken.

Der Mensch wird hier zur leistungsorientierten Maschine degradiert, was eine gesteigerte Aufmerksamkeit, erhöhte Arbeitsleistung und evt. sogar eine bessere "sexual performance" beinhalten mag. Zu Recht ist Doping im Sport außerordentlich negativ besetzt. Die aktuelle Entwicklung etwa im Radsport belegt anschaulich die damit verbundenen Risiken. Die Analogie zum Doping beim Sport liegt auf der Hand.

Ist das menschliche Gehirn für pharmakologische Manipulationen weniger anfällig als Bizeps und Myokard? Der Autor würde gerne eine nicht nur neurobiologisch geprägte Diskussion über den Sinn solcher Behandlungsstrategien anregen.


Literatur

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