Auch der Arbeitslosenverband Großenhain stellt Volksabstimmungsantrag Das Volk soll über Grundsicherung entscheiden!
Von Marianne Grimmenstein [via Neue Rheinische Zeitung]
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=17306
Der Arbeitslosenverband (ALV) Großenhain hat am 14.12. 2011 einen Antrag auf Volksabstimmung an das Bundesinnenministerium gestellt. Damit folgt der ALV dem Beispiel der INITIATIVE VOLKSENTSCHEID, die den Antrag auf Volksabstimmung zu einer Finanzfrage bereits am 31.11.2011 an das Bundesinnenministerium gestellt hat. Wie die INITIATIVE VOLKSENTSCHEID vertritt der ALV Großenhain (Sachsen) die Meinung, dass es hierzu keines gesonderten Ausführungsgesetzes bedarf, weil das Grundgesetz die Durchführung von Volksbefragungen und -abstimmungen nicht unter einen Gesetzesvorbehalt stellt. Die Bürger sollen folgende Frage entscheiden: Wollen Sie, dass die derzeitigen gesetzlichen Regelungen zum Arbeitslosengeld II abgeschafft und durch eine menschenwürdige Grundsicherung ersetzt werden?
Die INITIATIVE VOLKSENTSCHEID vertritt die Auffassung, dass für bundesweite Volksentscheide keine Grundgesetzänderung vonnöten ist, weil Artikel 20 Abs. 2 GG bereits diese Möglichkeit bietet. Dieser Auffassung schließt sich der ALV Großenhain an, so Carsten Heine, Stellvertretender Vorsitzender des ALV Großenhain. "Man muss nur wollen", so die Mitglieder des Großenhainer ALV. Und das ALG II geht das ganze Volk an. Schließlich nach inoffiziellen Statistiken stehen 75% aller 60-Jährigen jetzt schon ohne Arbeitsstelle da. Deshalb ist es notwendig, dass das ganze deutsche Volk in einer Abstimmung entscheidet, ob es weiter diese Praktiken akzeptieren will oder nicht. Der Antrag wurde ausführlich begründet.
Die nachteilige Wirkung von ALG II
Die Neuordnung des SGB II und die Ersetzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch das Arbeitslosengeld II (im Volksmund Hartz IV genannt) hat die Kultur des Umgangs mit den von Arbeitslosigkeit Betroffenen erheblich verändert. Nicht nur die persönliche Lebensleistung wird in diesem System völlig ignoriert. Auch wesentliche Grundrechte (z.B. das Recht der freien Berufswahl sowie das Recht auf frei gewählten Wohnraum, um nur zwei zu nennen) werden in beträchtlichem Maße eingeschränkt. Aber die Auswirkungen der Einführung des ALG II gehen über den Bereich der Arbeitslosen weit hinaus. Es hat sich herausgestellt, dass das neue System einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen der abhängig Beschäftigten hat. Arbeitnehmer sind bei Verhandlungen mit dem Arbeitgeber durch das ALG II in einer sehr schwachen Position, deshalb sind die Arbeitnehmer zunehmend bereit, nachteilige Arbeitsverträge zu akzeptieren. Die Angst vor dem Abrutschen in das ALG II mit seinen teilweise menschenunwürdigen Bedingungen veranlasst immer mehr abhängig Beschäftigte, Einbußen bei Lohn und Gehalt sowie verschlechterte Arbeitsbedingungen (Urlaub, Überstundenregelungen) zu akzeptieren.
Ein sichtbares Indiz dafür ist die Tatsache, dass immer mehr abhängig Beschäftigte so gering entlohnt werden, dass sie trotz Vollzeitarbeit zusätzlich noch ergänzendes ALG II beantragen müssen. Dadurch ist ein signifikanter Einfluss der ALG II-Regelungen weit über den Kreis der Arbeitslosen hinaus in die Gesellschaft festzustellen. Das rechtfertigt nach der Vorstellung des ALV, den Antrag dem Volk direkt vorzulegen, um die Entscheidung über den Fortbestand dieser Regelungen dem Volk zu überlassen.
Dem ALV ist bekannt, dass die Auffassung existiert, dass bundesweite Themen dermaßen komplex sind, dass sie Volksabstimmung nicht mit einem einfachen "Ja" oder "Nein" bei einer Abstimmung zu erfassen sind. Daraus leitet sich die Auffassung ab, alle Themen auf dieser Ebene im Rahmen der Stellvertreterdemokratie durch Legislative und Exekutive zu entscheiden. Der ALV hält dem entgegen, dass im Grundgesetz ausdrücklich von der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk UND durch entsprechende Organe (Bundestag, Regierung, Rechtssprechung) die Rede ist. Die Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk erfolgt laut Grundgesetz durch Wahlen UND Abstimmungen.
Die im Grundgesetz genannten zwei Fälle von zwingend notwendigen Volksentscheiden stellen nach seiner Auffassung keine abschließende Aufzählung dar. D.h. nach der Auffassung des ALV enthält das Grundgesetz bereits jetzt die Voraussetzung einer bundesweiten Volksabstimmung. Der ALV will mit seinem Antrag auch nicht in die Gesetzgebungskompetenz des Bundestages eingreifen, da die Volksabstimmung lediglich eine Grundsatzentscheidung beinhaltet und die konkrete Umsetzung der getroffenen Entscheidung dann durch Gesetze erfolgt, die der Deutsche Bundestag entsprechend seiner Aufgabe zu beschließen hat.
Die ungeeignete Struktur des Bundestages
Insbesondere dann, wenn der Bundestag durch seine Struktur ungeeignet ist, über ein bestimmtes Thema angemessen zu entscheiden, muss das Volk direkt diese Entscheidung treffen. Und für die Entscheidung zu diesem Fall scheint der Bundestag nicht angemessen zusammengesetzt zu sein. Unverzichtbar für eine ausgewogene Entscheidung, ist nach Auffassung des ALV, dass ein ausreichend großer Anteil der Entscheidenden die Auswirkungen der Entscheidung aus eigenem Erleben nachvollziehen kann. D.h., eine gewisse Mindestanzahl der Bundestagsabgeordneten sollte über Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit bzw. mit Beschäftigungen im unteren Lohnsegment verfügen. Die soziale Struktur des Bundestags hingegen entspricht nicht in Ansätzen der sozialen Struktur in Deutschland.
Die Unterschiede der sozialen Struktur des Volkes zur sozialen Struktur des Deutschen Bundestages liegen im System der Stellvertreterdemokratie begründet. Aufstellungs- und Wahlverfahren setzen eine gewisse finanzielle und zeitliche Unabhängigkeit voraus, die einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung die reale Chance auf Teilhabe an der Stellvertreterdemokratie verschließt. Diese Schichten sind aber vom Thema ALG II am unmittelbarsten betroffen.
Des Weiteren muss festgestellt werden, dass die Bundestagsabgeordneten auch über Gesetze abstimmen, deren Inhalt sie nicht ausreichend kennen. Es besteht also häufig kein Unterschied im Grad der Informiertheit zwischen Abgeordneten und Volk. Als Beispiel für diese Behauptung führt der ALV die Umstände der Beschlussfassung zu den so genannten Hartz II-Gesetzen an. Das Gesetz wurde am 15.11.2002 im Deutschen Bundestag beschlossen. Die Unterlagen wurden den Abgeordneten laut eigener Aussage am 11.11. 2002 zugeleitet.
Das heißt, eine angemessene Zeit zum Durcharbeiten der Unterlagen stand den MdB gar nicht zur Verfügung. Vertreter des ALV Großenhain haben dann am 18.11. nach kurzer Durchsicht des neuen Gesetzes einer MdB der damaligen Regierungskoalition dargelegt, welche Auswirkungen das beschlossene Gesetz auf Betroffene wirklich hat. Die betreffenden Regelungen waren der MdB gar nicht im Detail bekannt und demzufolge waren ihr die Auswirkungen auch nicht bewusst. Das Volk hat in diesem Fall den gewählten Akteuren der Stellvertreterdemokratie Nachhilfe gegeben.
Das ist keine Geringschätzung der Arbeit der MdB, zeigt aber, dass der Sachverstand der Bevölkerung erheblich größer ist, als landläufig vermutet und es keinen Grund gibt, davon auszugehen, dass wesentliche Dinge vom Volk schlechter durchdacht werden, als von einer kleinen Schicht gewählter Vertreter.
Das Ziel der menschlichen Gesellschaft sollte eigentlich eine menschenwürdige Gesellschaft sein. Daher ist es nach der Auffassung des Großenhainer ALV einer menschwürdigen Gesellschaft und dem Wesen der Demokratie und des Grundgesetzes entsprechend, diese Volksabstimmung durchzuführen. Der ALV weist ausdrücklich darauf hin, dass es bei diesem Antrag NICHT um eine Petition zur Änderung des Grundgesetzes handelt, sondern um die Umsetzung der bereits jetzt im Grundgesetzt enthaltenden Möglichkeiten.
Selbstverständlich wird die INITIATIVE VOLKSENTSCHEID den Fortgang auch dieses Volksabstimmungsantrages verfolgen. Sie wird in ihren Newslettern darüber auch informieren. Wer sich informieren möchte, kann unter www.initiative-volksentscheid.de den Newsletter kostenlos abbonieren. (PK)
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