Freitag, 23. Dezember 2011

#Belgien - Ein Land steht still von Arne Baillière [via Junge Welt]


Ein Land steht still

Von Arne Baillière

[via Junge Welt]

 

Ein Streik des öffentlichen Dienstes hat Belgien am Donnerstag weitgehend stillstehen lassen. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr brach zusammen, die Post wurde nicht zugestellt, in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Schulen, Gefängnissen, kommunalen Behörden und Kindertagesstätten wurden nur Notdienste angeboten. Mit dem hastig organisierten Ausstand demonstrierten die Gewerkschaften gegen die Rentenreformpläne der neuen Regierung von Ministerpräsident Elio Di Rupo. Empört zeigten sie sich vor allem über das Verhalten von Rentenminister Vincent Van Quickenborne, der die geplante Verlängerung der Lebensarbeitszeit bei gleichzeitigen Rentenkürzungen im Eilverfahren durch das Parlament peitschen will. Die Abstimmung ist für den heutigen Freitag vorgesehen.

»Die Streikbereitschaft bei den Beschäftigten ist sehr, sehr hoch«, erklärte am Donnerstag der Sprecher des Gewerkschaftsbundes ABVV, Erik De Deyn.

Auch die Beschäftigten der staatlichen Eisenbahngesellschaft SNCB setzten ihren schon am Mittwoch spontan begonnenen Ausstand fort, im ganzen Land fuhr kein einziger Zug. Der Betrieb der internationalen Hochgeschwindigkeitszüge von Thalys und Eurostar mußte ebenfalls völlig eingestellt werden. »Weil Belgien der Knotenpunkt unseres Netzwerk ist, fahren zwischen Deutschland, den Niederlanden und Belgien keine Züge«, erklärte ein Pressesprecher. Auf den Autobahnen rund um Brüssel wurde der Verkehr zudem durch »Filterblockaden« behindert. Dabei werden etwa auf einer dreispurigen Strecke zwei Spuren gesperrt. Das dient den Streikposten dazu, Industriegebiete abzuschneiden und Streikbrecher aufzuspüren.

Der Flughafen Lüttich blieb geschlossen. Da sich auch die Schleusenwärter am Streik beteiligten, wurde der gesamte Inlandsschiffsverkehr unterbrochen. Im zweitgrößten Seehafen Europas in Antwerpen blieben Dutzende Containerschiffe in den Docks, während sich auf hoher See eine Warteschlange von Schiffen bildete, die wegen der Arbeitsverweigerung der Lotsen nicht in den Hafen einfahren konnten. Die Kosten für einen solchen Stillstand waren bei einer ähnlichen Aktion im März auf eine Million Euro pro Stunde beziffert worden.

Die öffentliche Verwaltung kam ebenfalls vollständig zum Erliegen. Finanzämter, Bildungsbehörden, Verteidigungsämter und andere Einrichtungen blieben landesweit geschlossen. Im Brüsseler Justizpalast protestierten vom Generalstaatsanwalt an mehr als 100 Juristen. Sie sollen künftig eine Dienstlaufbahn von 48 statt bislang 30 Jahren nachweisen müssen, um Anspruch auf die volle Höhe ihrer Ruhestandsbezüge zu haben.

Ein kurzfristig einberufenes Treffen zwischen Van Quickenborne und Gewerkschaftsvertretern blieb am Donnerstag mittag ergebnislos. Der Minister habe erklärt, fest entschlossen zu sein, die Rentenreform durchzusetzen, berichtete Gewerkschaftssprecher De Deyn. »Aber wir sind auch entschlossen«, fügte er hinzu. »Wenn das Rentenreformgesetz am Freitag im Parlament abgestimmt wird, kommt es zu weitere Aktionen.« So hatten die Eisenbahner bereits angekündigt, ihren Ausstand auch über die Feiertage bis zum Jahresende fortsetzen zu wollen. Ende Januar soll zudem ein Generalstreik stattfinden, an dem sich dann auch die Bau- , Metall- und Bergarbeiter beteiligen werden.


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