Donnerstag, 22. Dezember 2011

--->>> Das #Leben #der #Geringverdienenden #in #Thüringen [via Thüringer Allgemeine]

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Das Leben der Geringverdienenden in Thüringen




  • Gebäudereiniger gehören zu den für atypische Beschäftigungen charakteristischen Berufsgruppen.
    Gebäudereiniger gehören zu den für atypische Beschäftigungen charakteristischen Berufsgruppen. "Arm trotz Arbeit" trifft auf viele von ihnen zu. Foto: TA

Thüringens Billig-Verdiener sind meist weiblich und arbeiten überwiegend zeitlich begrenzt als schlecht bezahlte Putzfrau, Verkäuferin oder als Kellnerin. In Thüringen arbeitet laut Statistischem Landesamt beinahe jeder fünfte Angestellte in einem atypischen Arbeitsverhältnis.
Erfurt. Regina Benitez steht seit über 13 Jahren um halb drei Uhr morgens auf.

Sie kämpft sich aus dem Bett, damit die Patienten im Helios-Klinikum in sauberen Zimmern liegen. Regina Benitez läuft zum Krankenhaus, weil um diese Zeit noch keine Bahn fährt. Das Auto braucht ihr Mann.

Die Schicht beginnt um fünf und endet halb zwölf. Im Krankenhaus wird gerade das Mittagessen serviert.

Sechs Stunden Saubermachen inklusive einer halben Stunde Pause. Regina Benitez bekommt am Ende des Monats weniger als 900 Euro netto heraus. Regina Benitez ist das, was Arbeitsmarktforscher "atypisch beschäftigt" nennen.

Der Volksmund verwendet dafür treffendere Umschreibungen: Niedriglöhner, Minijober, arm trotz Arbeit.

In Thüringen arbeitet nach den Zahlen des Statistischen Landesamtes beinahe jeder fünfte Angestellte befristet, in Teilzeit oder für wenig Geld. Die Wirtschaftsverbände sagen, dass diese Leute arbeitslos wären, würde ihre Arbeitskraft mehr kosten. Besser ein geringer Verdienst als arbeitslos.

Die Statistik zeigt, dass atypische Beschäftigung ein Problem der Thüringerinnen ist.

Zwei Drittel der Angestellten ohne echte Vollzeitstelle sind Frauen. Sie arbeiten in Berufen, in denen traditionell wenig gezahlt wird. Als Putzfrau, Verkäuferin oder als Kellnerin. "In diesen Berufen gibt es die klassische Vollzeitstelle kaum noch", sagt Undine Zachlot von der Gewerkschaft Verdi.

Regina Benitez ist keine geknickte Frau. Irgendwas muss man ja machen. Nach der Wende war in ihrem Beruf als Schneiderin bald Schluss. Also Putzen. Für höchstens ein Jahr.

Das dachte die 57-Jährige damals. "Komischerweise macht es mir immer noch Spaß." Sie mag das "Dankeschön" der Patienten und den Plausch mit den Kollegen.

Der Leistungsdruck hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen für die Putzfrauen im Erfurter Helios-Klinikum. Satt fünf Zimmer müssen sie heute acht oder neun in der gleichen Zeit schaffen.

Der Wettbewerb der Firmen in der Gebäudereinigung ist knallhart. Es geht um Cent-Beträge, die ein Anbieter billiger ist. Weil der Mindestlohn von sieben Euro gezahlt werden muss, können die Unternehmen nur günstiger sein, wenn ihre Putzkräfte in einer Stunde mehr Räume reinigen.

Wenn die Gebäudereiniger ihr Pensum nicht schaffen, arbeiten sie oft länger. "Diese Zeit wird in der Regel nicht bezahlt und ist unbezahlte Mehrarbeit", sagt Thomas Scheidler von der Gewerkschaft IG Bau. Diese vertritt auch die Interessen der Gebäudereiniger. Der Gewerkschaftssekretär arbeitet schon lange mit Regina Benitez zusammen. Sie ist die Betriebsrätin der 120 Service-Kräfte im Helios-Krankenhaus.

Ihre Kollegen sind gestresst, weil sie immer weniger Zeit haben, ihre Aufgaben zu erfüllen.

Die Betriebsrätin engagiert sich mit Kolleginnen aus anderen Firmen gemeinsam in der Fachgruppe Gebäudereiniger der IG Bau.

Heidrun Schuster arbeitet für die Eisenacher Filiale des bundesweit aktiven Dienstleistungsunternehmens Piepenbrock, einem Schwergewicht der Branche. Die Firma verdient ihr Geld neben der Gebäudereinigung mit Hausmeisterdiensten und Wachmännern. So wird beispielsweise der Deutsche Bundestag von Piepenbrock geschützt.

Heidrun Schuster ist auch Betriebsrätin. Sie ist freigestellt, das heißt sie putzt nicht mehr selbst, sondern kümmert sich um die Sorgen und Nöte ihrer Kollegen vor Ort. Die 53-Jährige bekommt pro Monat netto weniger als 900 Euro.

Das Geld ist eigentlich immer knapp. Wenn das Auto oder die Waschmaschine kaputtgehen, stößt Heidrun Schuster schnell an ihre finanziellen Grenzen. Sie würde ihrem Enkel gerne öfter Geschenke machen, aber dafür reicht es nicht. Es hat schon nicht bei den eigenen zwei Söhnen gereicht.

Unter ihren Kollegen gehört die Betriebsrätin zu den Privilegierten. Sie hat eine Vollzeitstelle. "Viele würden gerne mehr arbeiten, aber die Chefs erhöhen die Stundenzahl einfach nicht."

Teile und herrsche lautet das alte Prinzip aus der Staatskunst: Spalte Widersacher und Untergebene in kleine Gruppen und sie bleiben ohnmächtig.

Auf der Website von Piepenbrock ist zu lesen, dass der Mensch im Mittelpunkt steht und die Mitarbeiter das wichtigste Kapital der Firma seien.

Der Unternehmenssprecher verweist auf die ganz konkreten Anforderungen des Marktes. Viele Gebäude wie Kliniken, Schulen und Einkaufszentren lassen sich nur in der Früh oder spät abends reinigen.

Das Unternehmen sei bestrebt, möglichst viele seiner Mitarbeiter in Vollzeit anzustellen. Derzeit beträgt der Anteil der Teilzeitkräfte nach Piepenbrock-Angaben 46 Prozent.

Auch im Thüringer Einzelhandel wird die Mehrzahl des Personals auf Teilzeit- oder Stundenbasis bezahlt. Die Unternehmen entwickeln immer neue Vertragsformen und Modelle, wie sie die Angestellten beschäftigen.

Neu sind beispielsweise sogenannte Jahresarbeitszeitverträge. Darin einigen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf eine bestimmte Zahl an Stunden, die pro Jahr zu leisten sind. Die Unternehmen haben die Freiheit zu entscheiden, wann ein Mitarbeiter eingesetzt wird.

Das führt dazu, dass Angestellte zeitweise sehr viel arbeiten müssen und es dann aber auch Monate gibt, in denen sie gar nicht eingesetzt werden.
"In den heißen Phasen ist es aber gerade für junge Mütter schwierig, Arbeit und Familie unter einen Hut zu kriegen", sagt Undine Zachlot von Verdi. In der Branche wird viel von Flexibilität geredet. Flexibilität ist, so viel wird schnell klar, immer eine Forderung der Arbeitgeber an die Arbeitnehmer.
"Ich beobachte seit Längerem eine erhebliche Leistungsverdichtung", erklärt der Erfurter Rechtsanwalt Theo See.
Er vertritt häufig Mandanten vor Gericht, die gegen ihre Arbeitgeber klagen. Die Unternehmen im Handel planen, so berichtet der Jurist, ihren täglichen Personalbedarf an Umsatzzahlen aus der Vergangenheit. Es passiere dann nicht selten, dass an bestimmten Tagen viel zu wenig Mitarbeiter eingeteilt sind. "Wenn es zum Beispiel an einem Wochenende regnet, gehen viel mehr Leute shoppen. Das wird oft nicht mit in der Planung berücksichtigt", sagt Theo See.
Das Gefühl, die Arbeit einfach nicht mehr zu schaffen, kennt auch Christiane Thämer.

Sie ist Verkäuferin bei H&M, der sympathisch-coolen Modekette aus Schweden. Jedem Kunden ein Hallo - darauf trimmt die Geschäftsleitung ihr Personal. Christiane Thämer fällt es nicht immer leicht, alle Kunden zu begrüßen. Zu viel ist oft liegengeblieben.

Die Arbeit besteht nicht nur aus dem Kassendienst. Ware muss neu ausgeräumt und auf die Stangen gehängt werden.

Die Preisschilder druckt das Personal selbst aus. T-Shirts müssen wieder richtig zusammengelegt werden, wenn sie Kunden aus den Stapeln gerissen haben. Die 28-Jährige hat eine Tochter. Sie jobbt in Teilzeit und weiß frühestens am Mittwoch, wann sie in der nächsten Woche arbeiten muss.
Das macht es schwer, die Betreuung für ihr Kind zu organisieren. Keine Kita hat bis 20 Uhr geöffnet. Im Betriebsrat wollen sie erreichen, dass der Schichtplan einen Monat im Voraus erstellt wird.
Ohne "Flexis" läuft nicht mehr viel. "Flexis" sind das, was früher Aushilfe genannt wurde. Sie werden angerufen, wenn der Laden voller Kunden ist. "Mehr als zwei- oder dreimal nein sagen sollte man nicht, sonst gilt man als unflexibel", sagt Christiane Thämer.
Das Argument der Arbeitgeber: Genau diese Flexibilität suchen viele junge Leute.
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