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Spekulation mit Staatsschulden
Von Kurt Stenger
Wie aus langweiligen Zinspapieren echte Zockertitel geworden sind
An deregulierten Finanzmärkten sind Anleihen von Staaten ein Spekulationsobjekt wie eine Aktie oder eine Schweinehälfte.
Die Europäische Zentralbank muss sich in ihrem Frankfurter Euro-Tower längst mit Anleihekäufen um die Stabilität der Gemeinschaftswährung kümmern.
Foto: dpa/F. Rumpenhorst
Staatsanleihen von Industrieländern waren noch vor wenigen Monaten für Investoren an den Finanzmärkten so etwas wie der Sicherheitsanker im Depot. Sie beinhalten nämlich quasi eine doppelte Garantie: feststehende jährliche Zinszahlungen und die Rückzahlung des ursprünglichen Kreditbetrags (Nennwerts) zu einem bestimmten Zeitpunkt. Staatsanleihen sind für risikoreiche Investoren, die auf hohe Renditen aus sind, zu »langweilig«, während konservative Anleger sich für sie interessieren. Gerade Lebensversicherungen und Pensionsfonds legen einen Großteil der Ersparnisse ihrer Kunden in solche Papiere an.
Wie der Ausbruch der Euro-Krise vor rund eineinhalb Jahren vor Augen geführt hat, unterliegen auch Staatsanleihen den schwankenden Stimmungen an den Börsen, sie können im Extremfall zu Zockerpapieren mutieren oder den Anlegern Verluste bescheren. Sie sind nun mal keine physischen Schuldscheine, die bis zum Ende der Laufzeit in den Tresoren der Gläubiger liegen, sondern werden wie Aktien gehandelt und unterliegen dadurch Kursschwankungen. Eine große Nachfrage nach einem bestimmten Papier lässt dessen Kurs steigen, Verkaufsdruck dagegen diesen sinken. Da die Anleihe ein festverzinsliches Wertpapier ist, ändert sich durch die Kursschwankung auch die Rendite – und zwar umgekehrt proportional. Ein niedrigerer Kurs sorgt für eine höhere Rendite, was einfache Mathematik ist: Die garantierte Zinssatz bezieht sich auf den Nennwert der Anleihe. Wer sie später an der Börse zu einem geringeren Kurs als dem Nennwert erwirbt, erzielt eine jährliche Rendite seines Kapitals über dem Zinssatz und bekommt am Ende auch den Nennwert, also mehr als er selbst investiert hat, zurück. Die aktuelle Rendite ist gleichzeitig das Signal des Marktes, welche Zinsen man für die Ausgabe neuer Staatsanleihen aktuell verlangt.
Allerdings verkaufen Anleger ihre Anleihen im Normalfall nicht mit Verlust vor Ablauf, weshalb starke Kursschwankungen selten vorkommen. Spekulanten haben aber ein – noch relativ junges – Instrument gefunden, um hier doch das große Rad drehen zu können: sogenannte Credit Default Swaps (CDS). Dabei handelt es sich um Derivate, die ursprünglich als Versicherung gegen den Zahlungsausfall des Schuldners gedacht waren. Sie kosten nur einen Bruchteil der damit abgesicherten Staatsanleihen, sind wie alle Derivate mit einem Gewinn- bzw. Verlusthebel ausgestattet und ihr Handel ist äußerst intransparent. Spekulanten können hier mit geringem Kapitaleinsatz die Kurse in Bewegung bringen. Steigt der CDS-Preis einer Staatsanleihe massiv an, ist dies ein Signal, dass der Markt die baldige Pleite eines Landes erwartet, auch wenn es dafür keine realwirtschaftlichen oder fiskalischen Gründe gibt. Die Folge ist, dass Anleihenbesitzer aus Furcht vor einem Zahlungsausfall ihre Papiere verkaufen, deren Kurs dann massiv einbricht. Dadurch steigt die Rendite stark an, das Land muss für neue Anleihen derart hohe Zinsen bieten, dass es zahlungsunfähig wird oder von stärkeren Staaten gerettet werden muss.
Ratingagenturen, die die Bonität der Staatsanleihen bewerten, können in diesem Spiel durch Herabstufungen bestimmter Länder die Nervosität erst auslösen, die Spekulanten benötigen, um erfolgreich zu sein. Auf jeden Fall verschärfen die Agenturen die Krise: Wegen der Herabstufung muss der betreffende Staat höhere Zinsen bieten, die die Schuldensituation verschlechtern, wodurch es zu einer neuen Herabstufung durch die Ratingagenturen kommt ...
Die Spekulation mit Staatsschulden kam anfangs nur bei kleinen Ländern in Frage. So ist es kein Wunder, dass das schwächste Euro-Mitglied Griechenland am Anfang der Krise stand. Dass mittlerweile auch das EU-Schwergewicht Italien im Visier der Spekulanten ist und die Anleihenkurse in den Keller gegangen sind, obwohl sich die Schuldensituation seit Jahren weder verbessert noch verschlechtert hat, zeigt, wie groß die Angst vor Ansteckung geworden ist.
Die USA sind schon wegen ihrer schieren Größe für Spekulanten ein undankbares Opfer. Die Herabstufung der Bonität um eine Stufe hat wohl deshalb keinen großen Crash ausgelöst. Hinzu kommt, dass der Dollar die – wenngleich angeschlagene – Leitwährung ist. Und die großen Dollarbestände rund um den Globus werden in US-Staatsanleihen geparkt und verzinst.
Natürlich gibt es auch unter den Staaten Gewinnler der jetzigen Krise rund um Staatsanleihen: Im Euro-Raum gelten deutsche Papiere als wichtigster sicherer Hafen und sind daher unter Anlegern besonders gefragt. Daher ist der Kurs von Bundesanleihen deutlich gestiegen, wodurch die Renditen im Keller sind und der Bundesfinanzminister Anlegern rekordverdächtig niedrige Zinsen für neue Anleihen bieten kann. Die Griechenland-Probleme dürften dem Bundeshaushalt schon jetzt hohe Millionen-, wenn nicht Milliardenbeträge an Zinszahlungen erspart haben.
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Read more at www.neues-deutschland.deDer Euro befindet sich derzeit in einer Krise. Anhaltender Wertverlust sowie Spekulationen gegen die Währung sind Anlass für die EU und den IWF einen gigantischen Rettungsschirm in Höhe von 750 Milliarden Euro über die Gemeinschaftswährung zu spannen, um diese zu schützen.
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