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Deprimierende Zustände
Psychische Krankheiten sorgen in Sachsen-Anhalt für bundesweit höchste Selbstmordrate. Zusammenhang mit sozialer Lage evident
Halle-Neustadt: Dieser Hohlweg zwischen zwei leerstehenden Hochhäusern bringt auch nicht jeden auf hellere Gedanken
Foto: flickr.com
Sachsen-Anhalt ist Spitzenreiter bei Suiziden. Dies geht aus einer Ende vergangener Woche veröffentlichten Untersuchung des statistischen Landesamtes in Halle hervor. Mit rund 15,2 Fällen auf 100000 Einwohner (Stand 2009) weist es die höchste Selbstmordrate im Bundesgebiet auf. Damit bringen sich in Sachsen-Anhalt im Verhältnis zur Bevölkerungszahl doppelt so viele Menschen um wie in der Großstadt Berlin, wo die Rate bei 7,72 liegt. Zudem seien psychische Störungen und Erkrankungen wie Alkoholabhängigkeit oder Depressionen im Land an der Mittelelbe auf dem Vormarsch, heißt es in der Studie.
Armut und Alkohol
Besonders Erwerbslose und Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Kredit- und Versicherungsgewerbe sind immer häufiger und länger von Depressionen betroffen. Neben Krebserkrankungen sorgen Depressionen mittlerweile für die längsten Krankenhausaufenthalte. Diese psychisch Erkrankten haben 2009 im Schnitt 35,4 Tage in Kliniken zugebracht, heißt es.
Immer schlimmer wird der verbreitete Alkoholmißbrauch. Die Studie legt nahe, daß er in engem Zusammenhang mit sozialer Benachteiligung und Armut steht. In Sachsen-Anhalt müssen 21,8 Prozent der Bevölkerung mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen. 529 von 100000 Einwohnern wurden 2009 wegen Alkoholproblemen in Krankenhäusern behandelt. Damit liegt das Land an dritter Stelle hinter Mecklenburg-Vorpommern, das auch bei den Einkommen als einziges Bundesland noch schlechter dasteht, und hinter Bremen. Die wenigsten stationär behandelten Alkoholprobleme verzeichneten im gleichen Jahr Hamburg und Baden-Württemberg.
Dr. Gisela Kondratjuk, ärztliche Direktorin im AMEOS-Fachklinikum für Psychiatrie in Haldensleben, bekommt die »besorgniserregende Entwicklung« bei ihrer täglichen Arbeit mit. Vor allem sehr junge Männer zwischen 16 und 25 Jahren und ältere, verwitwete würden »diesen Weg besonders häufig gehen«, so die Ärztin gegenüber junge Welt. »Die Belastung der Menschen ist größer geworden und Mißstände nähren Depressionen.« Auch Angst- und Panikstörungen, psychosomatische Beschwerden und das »Burn-out-Syndrom« kämen immer häufiger vor.
»Auf der einen Seite leiden Arbeitende oft unter enormer Belastung und großem Konkurrenzdruck«, konstatiert Kondratjuk. » Die Arbeit ist vielschichtiger geworden, es wird mehr Leistung gefordert, und die Angst vor dem Jobverlust ist immer da. Das führt auch zu Mobbing.« Auf der anderen Seite seien häufig Erwerbslose betroffen. »Sie geraten meist in Selbstwertkrisen, fühlen sich nicht mehr gebraucht, halten dem Ämterdruck nicht stand.« Zudem stecken hinter vielen körperlichen Beschwerden psychische Erkrankungen. Typisch seien zum Beispiel Rückenschmerzen: »Sie sind nicht selten ein Zeichen für das ›Tragen einer schweren seelischen Last‹.«Minister appelliert
Doch nicht nur Erwachsene leiden: »Es kommen immer mehr Kinder mit schweren Verhaltensauffälligkeiten zu uns.« Einerseits setzten Eltern ihre Kinder oft mit übergroßen Erwartungen unter Druck. »Die meinen es eigentlich nur gut, wollen sie auf hohe Anforderungen im späteren Leben vorbereiten und hetzen sie deshalb von Termin zu Termin.« Andererseits tobe bereits in Klassenzimmern der Konkurrenzkampf.
Thorsten Jakob, Pressesprecher der Barmer-GEK, bestätigte gegenüber jW die starke Zunahme psychischer Erkrankungen als Grund für Arbeitsunfähigkeit. Die größten Steigerungen gebe es bei Depressionen, gefolgt von Angst- und Anpassungsstörungen, psychosomatischen Problemen und Alkoholismus. Machten diese Störungen 2001 bundesweit noch einen Anteil von elf Prozent der gesamten krankheitsbedingten Fehlzeiten aus, waren es 2009 bereits 17,6 Prozent, so Jakob. Seit 1990 verzeichne die Kasse einen Zuwachs um 129 Prozent.
In Sachsen-Anhalt liegen psychische Leiden mit 12,9 Prozent aller Krankschreibungen hinter Skelett- und Atemwegserkrankungen auf Platz drei. Frauen seien häufiger als Männer betroffen, so Jakob: »Das läßt sich damit erklären, daß in Berufen mit hohem Krankenstand, beispielsweise in der Krankenpflege, im Einzelhandel und im sozialen Bereich, vorrangig Frauen beschäftigt sind.« Berufstätige Frauen seien noch immer stärker belastet durch Haushalt, Kinderbetreuung, Behördengänge, ist dem Kassenbericht zu entnehmen.
Sachsen-Anhalts Gesundheitsminister Norbert Bischoff (SPD) appellierte angesichts der Studie an die Unternehmen, für mehr betriebliche Gesundheitsförderung und ein gutes Arbeitsklima zu sorgen. Allerdings habe es »jeder auch selbst in der Hand, durch gesunde Lebensweise mit abwechslungsreicher Ernährung und viel Bewegung sowie wenig Alkohol und kein Nikotin die Weichen zu stellen«, so der Minister.Read more at www.jungewelt.de
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