Dienstag, 9. August 2011

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»Tarifgefüge kaputt«

Magdeburg: Lebensmittelmarkt entlohnt Verkäuferinnen mit rund 2,75 Euro pro Stunde – und »Naturalien«. Rabatt auf Einkünfte

Petra B. (Name geändert) bezieht Arbeitslosengeld II. Ihr monatliches »Gehalt« als Verkaufskraft und Kassiererin von 165 Euro wird vom Magdeburger Jobcenter auf ihre Leistungen angerechnet. Dafür muß die 50jährige jede Woche 14,9 Arbeitsstunden leisten. Das macht einen Stundenlohn von rund 2,75 Euro.



Um aus dem Hartz-IV-Teufelskreis herauszukommen, hatte Petra B. in diesem Jahr an einem von der Arbeitsagentur geförderten Schnellkurs für Verkäuferinnen teilgenommen. B. machte sich in ihrer Heimatstadt Magdeburg auf die Suche. Im »Pro-Cent-Markt«, der »Einzelhandel mit Waren verschiedener Art, Hauptrichtung Nahrungs- und Genußmittel, Getränke und Tabakwaren« betreibt und sich im sozial benachteiligten Stadtteil Olvenstedt befindet, wurde sie fündig. »Per Aushang wurden dort Mitarbeiter für den Verkaufsbereich gesucht«, erinnert sie sich.
Auf ihre Bewerbung hin habe man sie zunächst aufgefordert, einige Stunden unbezahlt auf Probe zu arbeiten. »Man wollte meine Eignung überprüfen«, so B. Wenige Tage später habe sie einen »provisorischen Arbeitsvertrag« erhalten, »damit ich was in der Hand habe für das Jobcenter«. Darauf seien die Wochenarbeitsstunden und das Monatsgehalt von 165 Euro vermerkt gewesen. Der »richtige« Arbeitsvertrag werde demnächst folgen, habe man B. versprochen. Sie reichte das Schreiben im Magdeburger Jobcenter ein, die Behörde verrechnete im August das Einkommen mit ihren Leistungen. Angesprochen auf den niedrigen Stundenlohn habe sie aber niemand.



Auf jW-Nachfrage wehrte Pressesprecher Christian Schmidt vergangene Woche ab: »Seien sie versichert, daß das Jobcenter alles unternimmt, um Fälle von Lohnwucher aufzudecken.« Allerdings könne eine Überprüfung des speziellen Sachverhaltes nur »einzelfallbezogen« erfolgen, was voraussetze, daß sich die »Kundin« selbst an die Behörde wendet. Einen Tag später fügte er hinzu, daß eine Prüfung des Sachverhaltes tatsächlich einen möglichen Fallbezug ergeben habe. Jedoch liege noch kein Arbeitsvertrag vor. Man sei über die vereinbarte Arbeitszeit nicht genau informiert. »Soweit sich, nach Vorlage entsprechender Unterlagen, ein Verdacht auf eine sittenwidrige Lohnzahlung ergäbe, würde eine Prüfung des konkreten Sachverhalts durch unser Haus eingeleitet werden«, versprach Schmidt.
Das Unternehmen selbst hält sich bedeckt. Eine Internetpräsenz gibt es nicht. Am Telefon erklärte ein Mitarbeiter des Magdeburger Marktes, daß der Marktleiter im Urlaub und kein Stellvertreter erreichbar sei. Er selbst dürfe keine Auskünfte geben. Ein Anruf beim Unternehmenssitz in Langelsheim (Niedersachsen) brachte mehr Erfolg. Ein Herr Eberhard, der keine Details über seine Stellung im Unternehmen bekanntgeben wollte, stellte klar, daß der Geschäftsführer für ein Gespräch nicht zur Verfügung stehe. Dann schwärmte er von der angeblichen Zufriedenheit der Mitarbeiter im Magdeburger Markt. Allerdings sei das Umfeld in Olvenstedt »sozial schwierig«. Es werde viel gestohlen, die Leute seien arm, »und es werden viele Häuser abgerissen«. Für den Marktbetreiber werfe das Geschäft so gut wie nichts ab. »Der fragt sich jeden Tag, ob es sich lohnt, weiterzumachen, weil da nichts bei rausspringt.«



Die Bezahlung sieht Eberhard nicht als dramatisch: »Man kann doch nicht danach gehen, was auf Arbeitsverträgen und Lohnzetteln steht. Die Mitarbeiter bekommen schließlich auch Lohn in Naturalien, indem sie auf ihre Einkäufe im Markt 20 Prozent Rabatt bekommen. Man muß doch mal überlegen, was das beispielsweise beim Einkauf von Milchprodukten, Eiern und Zucker ausmacht!« Ausgenommen vom Rabatt seien allerdings Tabakwaren und Alkohol. »Daß sowas konsumiert wird, wollen wir ja alle nicht.« Nirgends sonst gebe es so viel Rabatt. Auch bekämen die Angestellten immer pünktlich ihren Lohn und müßten nur die Stunden arbeiten, die im Arbeitsvertrag aufgeführt sind. Das sei keineswegs selbstverständlich.
Inmitten der »Olvenstedter Platte« hat der Markt für Eberhard auch eine soziale Funktion: »Da kann sich jeder prima ernähren. Wo kann man sonst zum Beispiel Brötchen für neun Cent kaufen? Da bekommen auch Leute, die wenig Geld haben, vielleicht mal die Möglichkeit, einen Schinken zu essen, den Edeka vielleicht nicht mehr verkaufen würde, weil er nicht so gut aussieht, aber trotzdem schmeckt.« Schlechte Presse wäre für den Markt eine »Katastrophe«. »Wenn der Unternehmer dann seinen Spaß verliert, dann würde das allen wehtun.«



Für ver.di-Bezirksgeschäftsführerin Annelie Schneider ist der Stundenlohn von rund 2,75 Euro »nicht nur sittenwidrig, sondern ein absoluter Hungerlohn«. Laut neuestem Tarifabschluß für den Bereich Sachsen-Anhalt stehe seit dem 1. Juni jedem im Verkauf Tätigen ein Mindestgehalt von 1490 Euro monatlich bei einer 38-Stunden-Woche zu. Das entspreche einem Stundenlohn von rund 9,31 Euro. Doch, so betonte sie gegenüber jW, »kann die Gewerkschaft erst tätig werden, wenn die Arbeitnehmer mit ihren Arbeitsverträgen zu uns kommen«. Das sei bislang nicht passiert, aber dringend nötig. »Wenn die Arbeitgeber sich daran gewöhnen, daß Löhne mit ALG-II-Subventionen gedrückt werden können, dann machen die damit das ganze Tarifgefüge kaputt«, so Schneider.
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