Dienstag, 16. August 2011

Die #Logik #des #Krawalls [via Nachdenkseiten] #UK #lesenswerte #Zusammenstellung!!!

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  1. England ist heute ein zersplitterter, postmoderner Raum

    Wie sind wir so weit gekommen? In den letzten 30 Jahren hat sich die britische Wirtschaft transformiert, Industrie wurde zugunsten von Finanzdienstleistungen abgebaut. Dies fiel zusammen mit einem Machttransfer von der Working Class hin zu einer Elite, die das gegenwärtige Kabinett repräsentiert: privat beschulte, oxfordstudierte Millionäre, Söhne von Aristokraten und Bankiers.

    Es gab eine systematische Entmündigung des Arbeiters, der nun gern als prolliger „Chav“ verspottet wird – und eine Verarmung des politischen Bewusstseins in allen Bereichen der Gesellschaft. Die Kluft zwischen Arm und Reich war niemals größer. In den von den Ausschreitungen betroffenen Bezirken Hackney, Haringey und Lambeth stehen Häuser mit Millionenwert neben Elendswohnungen.

    Quelle: Tagesspiegel
  • Verkehrsregeln der Randale

    Welche Lehren zieht die Gewaltforschung aus den Krawallen in den britischen Städten? Wie lassen sich Krawalle von Massakern unterscheiden? Was ist ihre Vorgeschichte und wieso sind ähnliche Vorkommnisse in Deutschland unwahrscheinlich?

    In der Gewaltforschung unterscheidet man zwischen ethnisch bedingten Massakern und Krawallen (riots). Letztere Gewalt geht häufig von benachteiligten Minderheiten aus. “Rassenkrawalle” beginnen fast immer damit, dass Polizisten Menschen aus sozial schlecht gestellten Minderheiten misshandeln oder töten, also durch eine deutliche Wahrnehmung von Polizeibrutalität aufseiten der Minderheiten. So wie im Fall von Rodney King. Damals hatten Polizisten in Los Angeles auf den am Boden liegenden Afroamerikaner eingeprügelt und wurden vor Gericht freigesprochen. Auch bei der Randale in den französischen Vorstädten im letzten Jahrzehnt, hier ist der Tod von Jugendlichen durch polizeiliche Ignoranz der Anlass. Nach dem auslösenden Vorfall werden Brände gelegt, manchmal Barrikaden gebaut und Polizisten, je nach Land auch die Nationalgarde, werden angegriffen. Es gibt Tote und Schwerverletzte. Am Rande der Ereignisse beginnen Gruppen, dann auch Individuen, zu plündern. Plünderungen, anders als Brandstiftungen, geschehen im Rahmen der Ausschreitungen auf massenhafter Basis. Plündern ist ein Akt der verbreiteten Missachtung von Obrigkeit, es ist eine relativ risiko- und konfrontationsarme kriminelle Tätigkeit, und dadurch, dass Eigentum bereits beschädigt ist, sinkt die Hemmschwelle, so der Soziologe Randall Collins in seinem lesenswerten Buch “Dynamik der Gewalt” (2011).

    Wir haben in unserem Land diskriminierte Minderheiten, jede Menge sogar, Benachteiligung im Bildungssystem, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Auf die Frage, ob solche Krawalle mit Brandstiftung und Plünderorgien “auch bei uns” passieren könnten, reagieren Experten wie Politiker eher besonnen.

    Quelle: taz

  • Politik der Entpolitisierung

    Aus diesen nun Verbrecher und Kriminelle zu machen, die kein politisches Begehren aufweisen, ist Politik: eine Politik des Vergessenmachens, des Bemäntels, des Abwiegelns jeglicher Verantwortung. Die Bereitschaft zum Randalieren ist nicht unpolitisch, sie ist eine politische Erscheinung. Dem Willen zur Zerstörung wohnt somit auch ein stilles politisches Motiv inne.

    Quelle: ad sinistram

    Anmerkung: Ganz ähnlich kommentiert auch die FR: „Die unterschiedlichen Protestformen sind abhängig von Einkommen und Bildungsstand der Massen. Die Mittelschicht gestaltet Plakate, wird in Talkshows eingeladen, schreibt Gastbeiträge in Zeitungen und meldet ihre Protestroute ordnungsgemäß an. Andere schütten ihr Herz in der Dunkelheit aus. Ein 14-jähriger Engländer, der sieht, wie die Welt um ihn herum aufgemotzt, saniert und mit Eichenholz veredelt wird, derweil ihm nur die beschissene Bushaltestelle als Treffpunkt bleibt, äußert seine Wut anders als ein schlecht bezahlter Ingenieur und Familienvater aus einer Nebenstraße des Tel Aviver Rothschild Boulevard oder ein Student aus Teheran.

    Wir sollten aufhören, die einen mit Begriffen wie Plünderer und Randalierer zu entpolitisieren, während die anderen einer Demokratiebewegung zugeordnet werden, wo vielleicht sozioökonomische Aspekte im Vordergrund stehen.

  • Big Apple Orangen für

    Joel Berg ist seit 2001 Direktor der New York City Coalition Against Hunger (NYCCAH), der Dachorganisation von New Yorks 1200 Food Pantrys und Suppenküchen. Das enge Büro der NYCCAH liegt ironischerweise in unmittelbarer Nähe der Börse an der Wall Street…Mit dem Bild des Obdachlosen, der an der Fifth Avenue Mülltonnen nach Essbarem durchwühlt, werden viele New-York-Besucher vertraut sein. Doch laut Berg sind vor allem Familien mit Kindern von jener Sorte Armut betroffen, die zu Fragen führt wie: Milch oder Medikamente? Miete oder mehr als eine Mahlzeit pro Tag?

    In Großstädten wie New York fallen besonders Nicht-Weiße in die Kategorie der Hungergefährdeten – Immigranten und Schwarze. In ländlichen Gebieten sind es überwiegend Weiße. Arbeitslosigkeit ist nur ein Grund dafür. Viele Leute arbeiten, manche haben sogar zwei oder drei Jobs, verdienen damit aber nicht das Existenzminimum. Joel Berg: „Wir müssen den Menschen einen Mindestlohn garantieren, der ihnen das Überleben ermöglicht.“ Und das sei Aufgabe des Staates. Zweitens gehe es darum, das soziale Netz so weit auszubauen, dass die Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind, diese auch umstandslos erhalten. Berg betont das Wort „umstandslos“…„Ronald Reagan hat das Land in den Bankrott getrieben und die soziale Verantwortung des Staates für seine Bürger mit ,Kommunismus‘ gleichgesetzt.“… Amerika hat keine Tradition des Klassenkampfes.

    Quelle: Tagesspiegel

    Anmerkung Orlando Pascheit: War die treibende Kraft der Revolten in Großbritannien, der Klassenkampf? “These riots were not about government cuts: they were directed at high street stores, not parliament. And these riots were not about poverty … No, this was about behaviour” widerspricht der britische Premier und liefert ein wunderbares Beispiel für Klassenkampf von oben in der Semantik der Herrschaftssprache: das schlechte Benehmen der Unterschicht ist schuld. Es mag in den USA keine Tradition des Klassenkampfes geben und es mag ja noch etwas dauern, bis 52% der gesamten Staatsausgaben für den Schuldendienst fällig werden, wie kurz vor der Französischen Revolution. Allerdings nähert sich der Beitrag des amerikanischen Geldadels im Verhältnis zu seinem Vermögen tendenziell gegen Null, wie damals in Frankreich. Klassenkämpfe brauchen keine Tradition, sondern nur noch Anlässe, wie z.B. Sparprogramme für die schon immer zu kurz gekommenen Besitzlosen. Grundbedingungen wie die Ausgrenzung der ‚underdogs‘, die zunehmende Unsicherheit der Mittelschicht und die Perspektivlosigkeit von jungen Männern bilden schon längst die Suppe, aus der Revolutionen entstehen können – in Großbritannien, in den USA und auch sonst in Europa. Sicherlich, den USA steht noch eine folgenreiche, geschichtliche Erkenntnis bevor: die Erfahrung, dass die bestehende Ordnung nicht gottgewollt ist. Diese Erfahrung haben England und Frankreich hinter sich und mit “Kopf-ab” beantwortet. Das prägt, wenn auch mit abnehmender Tendenz. Mag sein, dass die USA als ganzes keine Erfahrung mit dem Klassenkampf haben, ihr Geldadel bzw. ihre republikanischen Handlanger schon. Der Rest der Bevölkerung sollte vielleicht einmal einen Blick auf die Entwicklung der Verteilung des Volkseinkommens richten.

    Klassenkampf ist nur Wort. Wie schrieb letztlich der Spiegel recht naiv: „Es geht nicht um Kapitalismuskritik, es geht um Krawall.“ Als ob eine Marxlektüre die Bedingung kommender Revolten sein müsse. Den jungen Leuten in London reichte die permanente Erfahrung ihrer Chancenlosigkeit in dieser Gesellschaft. Und es ist nicht vorbei, denn die Jugendlichen stoßen gerade in den betroffenen Vierteln auf viel Verständnis bei den Erwachsenen. Die USA mögen noch nicht soweit sein, die Ausgangslage ist aber da. Es steht allerdings zu befürchten, dass ein republikanischer Präsident, bevor er eingesteht, dass er nackt sei, diesen Umstand mit einem großen Krieg beantworten wird. Wir können nur hoffen, dass die USA ihre Wettbewerbsfähigkeit, in dem Sinne dass die Volkswirtschaft als ganzes wieder die Fähigkeit gewinnt, Einkommen für alle zu schaffen. Ökonomisch läuft dies zunächst auf eine Re-Industrialisierung der amerikanischen Volkswirtschaft hinaus, was schwierig genug sein wird.

  • Großbritannien: Die Logik des Krawalls

    Der Wirtschaftshistoriker Hans-Joachim Voth hat soziale Unruhen der vergangenen 90 Jahre in Europa untersucht. Ergebnis: Wenn der Staat seine Ausgaben um einen Prozentpunkt kürzt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Demonstrationen, Aufständen und revolutionären Umstürzen kommt, um das Eineinhalbfache. Dass die “Chavs” in Hackney, die ungebildeten Jugendlichen in Jogginghosen, nicht von höheren Studiengebühren betroffen sind, weil sie nicht studieren, ist dabei unerheblich. Aufrührer müssen nicht zugleich Opfer sein. Vielmehr dürfte es sich um das Gefühl der Ungerechtigkeit einer immer undurchlässigeren Gesellschaft handeln, das der explosiven Stimmung den Boden bereitet: der Eindruck, abgehängt zu sein. Knallt es aus irgendeinem Grund, liefert das Sparprogramm der Regierung den Zündstoff, der auch das Nachbarhaus in Brand steckt. Das eigene Lebensumfeld zerstören wie in Hackney – das ist kein Nihilismus, das ist das Gesicht von Perspektivlosigkeit. Die Abgehängten rufen keine politischen Parolen, tragen keine Transparente – was sollten sie darauf auch fordern? Zum bestehenden System, das ist seit 20 Jahren klar, gibt es keine Alternative, die eine Chance hat, verwirklicht zu werden. Auch die Finanzkrise hat daran nichts geändert, das hat mittlerweile auch der Dümmste begriffen – und reißt im Laden den Plasmafernseher von der Wand.

    Quelle: FAZ

  • Cameron setzt auf umfassende Härte

    Cameron bezeichnete die viertägigen Unruhen als Weckruf für das Land. “Soziale Probleme, die seit Jahrzehnten gären, sind vor unseren Augen explodiert”, sagte er. Der Regierungschef machte dafür eine Kultur der Faulheit, der Verantwortungslosigkeit und des Egoismus verantwortlich. Nicht Spannungen zwischen Bürgern unterschiedlicher Herkunft, Armut oder das Sparprogramm der Regierung seien Ursache der Unruhen, sondern Kriminalität und fehlendes persönliches Verantwortungsgefühl. “Eine der größten Lehren aus diesen Unruhen ist, dass wir ernsthaft über Verhalten sprechen und dann handeln müssen – denn schlechtes Betragen ist buchstäblich an der Türschwelle der Menschen angekommen.”

    Quelle: SZ

    Anmerkung WL: Wen meint Cameron eigentlich, wenn er eine Kultur „der Verantwortungslosigkeit und des Egoismus“ beklagt und woher ist das „schlechte Betragen“ eigentlich gekommen, das an der „Türschwelle der Menschen angekommen“ ist. Ich will nichts relativieren, im Gegenteil: Durch die „Riots“ sind fünf Menschen ums Leben gekommen, hunderte verletzt worden und Millionenschäden bei Unbeteiligten oft kleinen Leuten entstanden.

    Durch die Banker der Londoner City sind unzählige Menschen in den Ruin und in den Selbstmord getrieben worden, Familien wurden zerstört und Kinder sprichwörtlich auf der Straße gelandet und es sind Milliardenschäden bei Unbeteiligten oft kleinen Leuten entstanden. Die Häuser derjenigen, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten, wurden zwar nicht abgefackelt, aber sie verrotten. 2700 Menschen wurden festgenommen, aus dem Londoner Bankenviertel bisher kaum einer. Wenn Gier zum Erfolgsprinzip wird, braucht man sich nicht wundern, dass sie auch „an der Türschwelle der Menschen ankommt“.

    Dazu kommentiert in der FR: „Die unterschiedlichen Protestformen sind abhängig von Einkommen und Bildungsstand der Massen. Die Mittelschicht gestaltet Plakate, wird in Talkshows eingeladen, schreibt Gastbeiträge in Zeitungen und meldet ihre Protestroute ordnungsgemäß an. Andere schütten ihr Herz in der Dunkelheit aus. Ein 14-jähriger Engländer, der sieht, wie die Welt um ihn herum aufgemotzt, saniert und mit Eichenholz veredelt wird, derweil ihm nur die beschissene Bushaltestelle als Treffpunkt bleibt, äußert seine Wut anders als ein schlecht bezahlter Ingenieur und Familienvater aus einer Nebenstraße des Tel Aviver Rothschild Boulevard oder ein Student aus Teheran.

    Wir sollten aufhören, die einen mit Begriffen wie Plünderer und Randalierer zu entpolitisieren, während die anderen einer Demokratiebewegung zugeordnet werden, wo vielleicht sozioökonomische Aspekte im Vordergrund stehen.“

  • 149 Menschen infolge politisch motivierter Straftaten im Juni verletzt

    Im Juni dieses Jahres sind in Deutschland 149 Menschen infolge politisch motivierter Straftaten verletzt worden. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung (17/6727) auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion (17/6607) hervor.

    Bis zum 28. Juli sind danach dem Bundeskriminalamt (BKA) für Juni 2011 insgesamt 1.692 solcher Straftaten gemeldet worden, darunter 224 Gewalttaten und 837 Propagandadelikte. Bis zum genannten Stichtag konnten den Angaben zufolge 1.110 Tatverdächtige ermittelt werden. 92 von ihnen seien vorläufig festgenommen worden. Wie es in der Vorlage weiter heißt, wurden drei Haftbefehle erlassen.

    Von den 1.692 Straftaten entfielen laut Antwort 1.034 auf die politisch rechts motivierte Kriminalität. Die Zahl der darunter befindlichen Gewalttaten wird mit 68 angegeben und die der Verletzten mit 66.

    Die Zahl der politisch links motivierten Straftaten beläuft sich den Angaben zufolge auf 442, von denen 128 Gewalttaten waren. In diesem Bereich wurden laut Regierung 61 Verletzte registriert.

    Quelle: Deutscher Bundestag

    Anmerkung WL: Anders als in England finden bei uns Gewalttaten nur nicht an einem Tag und nicht an wenigen Orten statt.

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