Menopause und Frauengesundheit
Idealgewicht gibt es das? Gesundheitliche Implikationen des Körpergewichts bei FrauenB.-C. Zyriax 1 und E. Windler1
| (1) | Endokrinologie und Stoffwechsel des Alterns, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistraße 52, 20246 Hamburg |
![]() | E. Windler Email: Prof.Windler@t-online.de |
Online publiziert: 31. Oktober 2008 Zusammenfassung Mit der Industrialisierung nimmt das Körpergewicht zu. Zusätzlich erhöht sich das Verhältnis von Körperfettmasse zu Muskelmasse mit dem Ergebnis einer zentralen Adipositas. Die gesundheitlichen Auswirkungen sind vielfältig und betreffen den Bewegungsapparat und viele Stoffwechselfunktionen, kompromittieren die kardiorespiratorische Leistungsfähigkeit und erhöhen das Herz-Kreislauf- und Krebsrisiko. Für verschiedene Krebsarten scheinen die allgemeine und die zentrale Adipositas von unterschiedlicher Bedeutung zu sein, aber das Gesamtrisiko steigt bei Frauen mit Erreichen von Übergewicht, also einem BMI ≥25 kg/m2. Das Herz-Kreislauf-Risiko lässt sich differenzierter mit dem Taillenumfang abschätzen, wobei die Gefahr für die Entwicklung von Risikofaktoren bei Frauen mit einem Taillenumfang von ≥80 cm beginnt. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse spiegelt der Taillen-Hüft-Quotient mit einem Grenzwert für Frauen von 0,85 exakter wider. Das Risiko des Erreichens von Übergewicht, Adipositas, erhöhtem Taillenumfang und Taillen-Hüft-Quotient korreliert entscheidend mit einem Gewichtsanstieg im frühen Erwachsenenalter ab dem 20. Lebensjahr. Körperliche Aktivität und eine Ernährung, die es erlauben, diese Grenzwerte einzuhalten, sind der geeignete Weg, ein Gewicht mit einem geringen Gesundheitsrisiko zu halten, wobei ein Idealgewicht nur individuell definiert werden kann, da es von vielen Einflüssen, aber auch der persönlichen Zufriedenheit abhängt.
Schlüsselwörter Idealgewicht - Body-Mass-Index - Taillen-Hüft-Quotient - Herz-Kreislauf-Risiko - Krebsrisiko
Is there such a thing as ideal weight? Health implications of body weight in women
Abstract Generally speaking, the mean body weight tends to increase in industrialized populations. In addition, the ratio of body fat mass to muscle mass rises even at a given weight, resulting in central adiposity. The health implications are numerous and involve the locomotor system and various metabolic functions; they compromise cardiorespiratory fitness and increase the risk of cardiovascular events and cancer. General and central adiposity may differ in their relevance for various cancer sites, but the total risk increases in overweight women, i.e. with a BMI of ≥25 kg/m2. Cardiovascular risk is more accurately estimated by the waist circumference, as the development of risk factors starts in women with a waist circumference of ≥80 cm. The risk of cardiovascular events is more accurately reflected by the waist-to-hip ratio over a threshold value of 0.85. The risk of developing overweight, adiposity, elevated waist circumference and elevated waist-to-hip ratio correlates critically with an increase of weight in early adulthood from 20 years of age on. Physical activity and eating habits that allow individuals to stay within the given limits are the right way to maintain ideal weight associated with a low health risk. However, this can only be defined on an individual basis, since it depends on several factors, including personal contentment.
Keywords Ideal weight - Body Mass Index - Waist-to-hip ratio - Cardiovascular risk - Cancer risk
In den letzten Jahren wird der Gewichtsanstieg der Menschen in den westlichen Industrieländern allgemein beklagt. Mit immer neuen Zahlen zur Häufigkeit von Übergewicht und Adipositas werden bedrohliche Szenarien aufgebaut (Abb. 1). Andererseits werden aus Angst vor der Entstehung von Essstörungen insbesondere junge Frauen vor zu schlanken Vorbildern gewarnt. Es stellt sich also die Frage, welches Gewicht als erstrebenswert anzusehen ist.
Hierfür kann es mindestens 2 Maßstäbe geben: das subjektive Empfinden und die Gesundheit. Die eigene Einschätzung soll hier verständlicherweise nicht zur Debatte stehen. Sie wird einerseits vom Wunsch genährt, eine Idealfigur zu haben, und andererseits von Hungergefühl und damit verbundener Lebensqualität bestimmt. Hieraus kann sich ein Widerspruch entwickeln, für den die Medizin keine einfache und allgemein verbindliche Lösung anzubieten hat.
Objektiver zu beantworten ist die Frage nach den Implikationen des Körpergewichts für die Gesundheit. Das Körpergewicht kann Auswirkungen auf eine Fülle von Funktionen und metabolischen Vorgängen haben (Tab. 1). In diesem Beitrag sollen die Zusammenhänge des Körpergewichts und der Anthropometrie mit den beiden wesentlichen Todesursachen, Malignome und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, beleuchtet werden.
Abb. 1 Anteil von Übergewicht und Adipositas bei Frauen in Deutschland (Gesundheitssurvey, Robert-Koch-Institut 2003) Tab. 1 Gesundheitliche Auswirkungen von Übergewicht und Adipositas
Bewegungseinschränkung
Arthrose
Bandscheibenprolaps
Insulinresistenz Diabetes mellitus Typ 2
Niedriges HDL-Cholesterin
Hypertonus
Metabolisches Syndrom
Herzinsuffizienz
Koronare Herzkrankheit
Zerebrovaskuläre Erkrankungen
Schlafapnoesyndrom
Restriktive Ventilationsstörung
Kardiorespiratorische Einschränkung
Fettleber
Cholelithiasis
Hyperurikämie, Gicht
Sodbrennen und Refluxösophagitis
Varikosis
Thromboembolien
Erhöhtes Krebsrisiko
Brust, Uterus, Zervix und Ovarien
Kolorektal, Leber, Gallenblase, Ösophagus, Pankreas, Niere
Multiples Myelom, Non-Hodgkin-Lymphom
Fertilitätsstörungen
Schwangerschaftskomplikationen
Erhöhtes Risiko bei Narkose und Operationen
Entwicklung des Körpergewichts in Deutschland
Im Jahr 1960 lag das durchschnittliche Körpergewicht eines deutschen Erwachsenen bei einem BMI von 21 kg/m2. Heute beträgt es 26 kg/m2. Das bedeutet, dass ein Deutscher heute im Durchschnitt 15 kg mehr als vor 40 Jahren wiegt. Ebenfalls im Jahr 1960 waren koronare Herzkrankheit und Typ-2-Diabetes Raritäten, heute zählen sie zu den häufigsten chronischen Erkrankungen. Dringender Handlungsbedarf erwächst aus der Aussicht, dass das Körpergewicht 2040 30 kg/m2 erreichen könnte (Abb. 2). Das würde bedeuten, dass dann der überwiegende Teil der Deutschen übergewichtig wäre und jeder zweite Deutsche sogar adipös.
Abb. 2 Zunahme des BMI seit 1960 in Deutschland. (Nach Deutsches Ärzteblatt 2007) In der Hälfte der Bundesländer ist das bereits bei den Frauen der Fall, bei Männern sogar schon die Regel. Im Jahr 2008 liegt der Anteil der übergewichtigen Frauen mit einem BMI >25 kg/m2 in den verschiedenen Bundesländern zwischen 41 und 60% (Tab. 2). Im Laufe des Lebens erreichen ohnehin jetzt schon nahezu 80% der Frauen Übergewicht (BMI ≥25 kg/m2) und mehr als ein Drittel Adipositas (BMI ≥30 kg/m2; Abb. 1). Tab. 2 Häufigkeit des Übergewichts bei Frauen (BMI ≥25 kg/m2) im Jahr 2008 in Deutschland (Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz, Nationale Verzehrsstudie II)
Bundesland
Frauen (%)
Hamburg
41,4
Bremen
44,9
Rheinland-Pfalz
45,1
Berlin
46,2
Bayern
47,8
Baden-Württemberg
48,4
Schleswig-Holstein
50,1
Niedersachsen
50,1
Hessen
50,8
Brandenburg
51,5
Sachsen-Anhalt
52,3
Mecklenburg-Vorpommern
52,3
Nordrhein-Westfalen
53,3
Thüringen
56,7
Sachsen
57,2
Saarland
60,2
Es stellt sich daher die Frage, wie gefährlich diese Gewichtsentwicklung wirklich ist. Im Grunde braucht ein höheres Körpergewicht nichts Negatives zu sein. Athleten haben ein überdurchschnittliches Körpergewicht aufgrund ihrer Muskelmasse, aber nicht durch Fettgewebe. Messungen in der CORA-Studie (Coronary Risk for Atherosclerosis Study in Women) haben gezeigt, dass ein höherer BMI in der Bevölkerung in der Regel auf einen höheren Fettanteil zurückzuführen ist. Die Magermasse, die Knochen und Muskel einschließt, steigt nur marginal mit dem BMI an. Hohes Körpergewicht als Folge von Training ist die Ausnahme. Dennoch muss für die individuelle Einschätzung diese persönliche Komponente berücksichtigt werden. Der Körperfettanteil ist leicht durch eine Impedanzmessung zu bestimmen, unterscheidet allerdings nicht, wo die Fettdepots angesiedelt sind. Gerade die Körperfettverteilung bestimmt aber, ob es sich um eine allgemeine oder eine zentrale Adipositas handelt, die unterschiedliche gesundheitsbezogene Implikationen haben.
Gesundheitliche Risiken des Übergewichts
Übergewicht und Adipositas verursachen eine Fülle von gesundheitsbezogenen Störungen mit erhöhter Mortalität (Tab. 1; [7]). Sie schränken per se offenkundig die Leistungsfähigkeit ein und haben langzeitig Auswirkungen auf den Bewegungsapparat, den Stoffwechsel und die kardiorespiratorische Kapazität (Tab. 1). Übergewicht wird primär mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht, während der Zusammenhang mit Malignomen weniger wahrgenommen wird: Frauen mit morbider Adipositas (BMI ≥40 kg/m2) haben zumindest ein nahezu verdoppeltes Risiko, an Krebs zu versterben, gegenüber Frauen mit einem BMI, der als normal eingestuft wird, in manchen Studien auch das Vielfache (Abb. 3; [2, 8, 18, 19]).
Abb. 3 Anstieg des relativen Risikos für die Mortalität von Frauen an Malignomen mit dem Körpergewicht [2] Erstaunlich viele Krebsarten sind mit dem Körpergewicht assoziiert (Abb. 4). Der Risikoanstieg kann ganz erheblich sein, beispielsweise für das Endometriumkarzinom beträgt er mehr als 500%, und das Risiko für Karzinome der Niere, der Zervix, des Pankreas und des Ösophagus steigt drastisch an. Auch das Brustkrebsrisiko verdoppelt sich durch morbide Adipositas. Die Östrogenproduktion aufgrund der vermehrten Aromatase im Fettgewebe scheint den Anstieg der Krebsrate nicht allein zu erklären. Nicht nur hormonabhängige Tumore sind unter ihnen, sondern selbst solche, die man nicht mit dem Gewicht in Verbindung bringen würde wie das Multiple Myelom oder Lymphome. Dafür spricht auch, dass der hormoninduzierte Schutz für ein kolorektales Karzinom, wie er von der Hormonersatztherapie bekannt ist, nicht greift, denn selbst das Risiko für ein kolorektales Karzinom steigt mit dem BMI an.
Abb. 4 Relatives Risiko für die Mortalität von Frauen an verschiedenen Malignomarten bei Adipositas [2] Entscheidend für die Frage nach einem Idealgewicht oder einem zu empfehlenden Gewicht ist die Definition eines Grenzwertes. Die Abb. 3 zeigt aber, dass der Zusammenhang zwischen Gewicht und Krebsmortalität kontinuierlich ist, sodass nicht zu erwarten ist, dass ein präziser Grenzwert angegeben werden kann. Schon ein moderates erhöhtes Körpergewicht im Bereich von Übergewicht steigert das Krebsrisiko für Frauen um einige Prozent. Daraus mag noch nicht eine allgemeine Empfehlung für ein Gewicht von unter 25 kg/m2 abzuleiten sein.
Adipositas sollte vermieden werden, um das Krebsrisiko zu begrenzen
Sicher ist es aber berechtigt, vor Adipositas, also einem BMI ≥30 kg/m2, zu warnen, um dem Krebsrisiko zu begegnen. Dennoch ist es genauso adäquat, darauf hinzuweisen, dass mit zunehmendem Alter immer mehr übergewichtige Frauen Adipositas erreichen, sodass es ein grundsätzliches Ziel sein sollte, einen Gewichtsanstieg zu meiden, um das Krebsrisiko zu begrenzen (Abb. 1).
Differenzielle Bedeutung des Körpergewichts
Inwieweit eine zentrale Adipositas hinsichtlich Krebserkrankungen eine besondere Bedeutung hat, ist weniger gut als für Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Für einige Krebsarten scheint dies so zu sein, ist aber offenbar kein grundsätzliches Prinzip [1, 5, 16, 17], sodass daraus keine allgemeine Empfehlung für die Krebsprävention ableitbar ist. Für Herz-Kreislauf-Erkrankungen hingegen hat die Körperfettverteilung eindeutige Implikationen. Frauen haben beispielsweise einen deutlich höheren Fettanteil von 2030% des Körpergewichts gegenüber Männern mit 1020% Fettanteil, und dennoch beginnt das Herz-Kreislauf-Risiko 10 Jahre später zu steigen als bei Männern. Fett per se scheint also zumindest hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht gefährlich zu sein, sondern allenfalls bei ungünstiger Verteilung. Das wird auch durch andere Beispiele unterstützt wie Kreta mit einer sehr niedrigen KHK-Rate, aber einem vergleichsweise hohen BMI in der Bevölkerung von heutzutage etwa 28 kg/m2 [15].
Eine Änderung der Körperfettverteilung scheint für den Anstieg der Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhebliche Bedeutung zu haben.
Zunächst wurde aus den skandinavischen Ländern berichtet, dass der Taillenumfang in der Bevölkerung stärker zugenommen habe als das Körpergewicht. Das würde dafür sprechen, dass der Zuwachs an Körpergewicht auf Fettgewebe und zumindest zum großen Teil auf viszerales Fett zurückzuführen ist. Unlängst wurden aus den USA vergleichbare Daten publiziert. Zwischen 1960 und 2000 ist der mittlere Taillenumfang der Männer von ohnehin hohem Niveau von ca. 86 auf 89 cm gestiegen (Abb. 5). Für Frauen sind die Zahlen ungleich dramatischer. Der mittlere Taillenumfang ist in den 40 Jahren von etwa 77 cm auf 87 cm gestiegen [3]. Es ist zu beachten, dass diese Angaben für Personen mit demselben BMI und demselben Alter damals und heute gelten, in diesem Fall für 40-jährige Männer und Frauen mit einem BMI von 25 kg/m2.
Abb. 5 Zunahme des Taillenumfangs bei gleichem BMI in den USA seit 1960 [3] Das bedeutet, dass sich der Taillenumfang der Frauen bei gleichem BMI von einem Wert, der deutlich unter der kritischen Grenze von 80 cm lag, dem der Männer nahezu angeglichen hat. Da 1 cm Taillenumfang etwa 1 kg viszerales Fett widerspiegelt, entspricht der Anstieg des Taillenumfangs der Frauen einem Zuwachs von etwa 10 kg Fett. Bei gleichem BMI bedeutet das, dass die Muskelmasse gleichzeitig um denselben Betrag abgenommen hat. Das legt nahe, dass die Entwicklung hin zur zentralen Adipositas in hohem Maße durch zunehmende Bewegungsarmut verursacht ist. Da es aber nicht nur zu einer Änderung der Verteilung des Gewichts gekommen ist, sondern auch das mittlere Körpergewicht sowohl in den USA wie auch in Deutschland zugenommen hat, lassen die Daten darauf schließen, dass auch der Gewichtsanstieg zum großen Teil auf die Zunahme des viszeralen Fetts zurückzuführen ist. Determinanten der Entwicklung von kardiovaskulären Risikofaktoren Mit höherem Körpergewicht sind 3 klassische Risikofaktoren verbunden:
| | Hypertonus, |
| | Insulinresistenz bzw. Diabetes mellitus Typ 2 und |
| | niedriges HDL-Cholesterin. |
Frauen, die mit etwa 60 Jahren von einem oder einer Kombination dieser Risikofaktoren betroffen sind, kennzeichnet ein höheres Körpergewicht und ein kontinuierlicher Gewichtsanstieg spätestens ab dem 20. Lebensjahr, der zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr am stärksten ist. Diese 3 Risikofaktoren ergeben das metabolische Syndrom. Frauen ohne metabolisches Syndrom oder seiner Komponenten haben in der Regel während des Erwachsenenalters ihr Gewicht innerhalb von 5 kg gehalten.
Die Gewichtsentwicklung, die zum metabolischen Syndrom führt, ist identisch mit der, die mit der Zunahme des Taillenumfangs einhergeht. Der Taillenumfang ist ein etabliertes Maß für die zentrale Adipositas und steigt linear mit dem viszeralen Fett an. Die zentrale Adipositas bezieht sich prinzipiell auf das Omentum. Anders als das periphere Fettgewebe sind diese Adipozyten endokrin hoch aktiv. Sie produzieren eine Reihe von Hormonen und Zytokinen wie Adiponektin und Angiotensin oder TNF-α und Interleukin 6, das das CRP aktiviert. Ohne dass die Zusammenhänge bisher in allen Einzelheiten verstanden sind, gehen diese Signalsubstanzen mit den 3 Komponenten des metabolischen Syndroms, Hypertonus, Insulinresistenz und niedrigem HDL-Cholesterin, einher [13].
Der Taillenumfang ist ein guter Parameter zur Identifikation von Frauen mit Risikofaktoren oder dem metabolischen Syndrom
Deshalb ist es verständlich, dass ein erhöhter Taillenumfang Frauen mit Risikofaktoren charakterisiert. Das bedeutet aber noch nicht, dass der Taillenumfang ein ebenso guter Parameter für koronare Herzkrankheit (KHK) ist. Da Frauen mit KHK häufiger Risikofaktoren haben als gleichaltrige Frauen ohne KHK, ergibt sich im Mittel zwar ein gewisser Unterschied im Taillenumfang zwischen herzgesunden und KHK-kranken Frauen. Andererseits kann der Taillenumfang aber nicht spezifisch für KHK sein, da es auch viele Frauen mit Risikofaktoren, aber ohne KHK gibt. Das liegt daran, dass es weitere Einflüsse auf das KHK-Risiko gibt als die bekannten Risikofaktoren. Der Taillenumfang ist daher ein guter Parameter zur Identifikation von Frauen mit Risikofaktoren oder dem metabolischen Syndrom, nicht aber notwendigerweise ein spezifischer für das KHK-Risiko. Körpergewicht und kardiovaskuläres Risiko
Die Zunahme der zentralen Adipositas hat dennoch erhebliche Bedeutung hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos. Die Beziehungen sind nicht so einfach, wie oft gedacht, dass Koronarpatientinnen einen höheres Gewicht bzw. einen höheren BMI haben als gleichaltrige Frauen ohne KHK. Die CORA-Studie hat in Übereinstimmung mit einer Reihe anderer Studien gezeigt, dass genauso viele Frauen mit KHK Übergewicht haben wie Frauen ohne KHK [22]. Noch erstaunlicher und praktisch wichtig ist aber, dass etwa die Hälfte aller Frauen mit KHK gar nicht übergewichtig ist.
Aus Kohortenstudien wie der Framingham-Studie ist zwar offenkundig, dass Übergewicht und insbesondere Adipositas mit einem höheren kardiovaskulären Risiko einhergehen. Es ist aber auch gezeigt worden, dass nicht das Gewicht, sondern die damit verbundenen Risikofaktoren das kardiovaskuläre Risiko bestimmen [10, 21]. Adipöse Frauen mit 3 oder mehr Risikofaktoren haben ein um etwa 800% höheres Risiko. Das bedeutet, dass Übergewicht und Adipositas nur dann mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko einhergehen, wenn sie zur Entwicklung von Risikofaktoren geführt haben.
Diesen Zusammenhang kann man auf zweierlei Weise interpretieren. Einerseits sind Risikofaktoren speziell mit zentraler Adipositas verbunden. In der Tat liegt der Taillenumfang als Maß der zentralen Fettverteilung von Frauen mit KHK bei jedem BMI höher als der gleichaltriger gesunder Kontrollen. Das gilt für niedrigste bis höchste BMI-Werte, was erklärt, dass die Hälfte der Frauen mit KHK wie z. B. in der CORA-Studie nach dem BMI als normalgewichtig gelten würde. Sie haben aber trotz Normalgewicht eine zentrale Adipositas und deshalb Risikofaktoren. Der Anteil der Frauen, der trotz normalem BMI eine zentrale Adipositas entwickelt, nimmt mit dem Lebensalter erheblich zu (Abb. 6). Der BMI ist daher nur sehr eingeschränkt für die Erkennung des kardiovaskulären Risikos geeignet. Er birgt eher die Gefahr der Fehleinschätzung eines niedrigen Risikos bei einem BMI im definierten Normalbereich. Insofern ist der Taillenumfang zumindest für die Erkennung der Entwicklung kardiovaskulärer Risikofaktoren besser geeignet.
Abb. 6 Anteil der Frauen mit einem erhöhten Taillenumfang von ≥80 cm bei normalem BMI von ≤25 kg/m2 (Nationale Verzehrsstudie II; Robert Koch-Institut 2008) Anthropometrisches Maß für KHK-Risiko
Für die Ermittlung des KHK-Risikos jedoch sind weder das Gewicht bzw. der BMI noch der Taillenumfang spezifisch. Das liegt vermutlich daran, dass weitere Einflüsse außer den bekannten Risikofaktoren an der Entwicklung von KHK und dem Auslösen von kardiovaskulären Ereignissen beteiligt sind. Eine entscheidende Größe ist sicherlich die körperliche Aktivität. Zwar beeinflusst körperliche Aktivität auch das Körpergewicht, aber eine Reihe von Untersuchungen hat Effekte der körperlichen Aktivität unabhängig vom Körpergewicht gezeigt. Kurz gesagt, kann ein fitter Übergewichtiger ein niedrigeres KHK-Risiko haben als ein inaktiver Normalgewichtiger [9].
Ein körperlich aktiver Übergewichtiger kann ein niedrigeres KHK-Risiko haben als ein inaktiver Normalgewichtiger
Der Effekt der Fitness ist nicht in allen Details verstanden. Bekannt ist aber, dass körperliche Aktivität die Insulinsensitivität steigert und eine Insulinresistenz innerhalb von Tagen aufheben kann. Das lässt sich durch die Muskelbewegung erklären [12, 14]. Bewegung reduziert aber auch bevorzugt Fett in der Leber. Dieses Fett entwickelt sich parallel zur zentralen Adipositas und ist vermutlich in hohem Maße für die Insulinresistenz verantwortlich. Dies wird aber nicht allein die Ursache für die Senkung des kardiovaskulären Risikos durch körperliche Aktivität sein.
Um das KHK-Risiko besser zu erfassen, wird also ein Parameter benötigt, der zumindest die zentrale Adipositas und den Einfluss der körperlichen Aktivität reflektiert. Ein konventionelles Maß ist der Taillen-Hüft-Quotient (Abb. 7). Der Hüftumfang spiegelt Zweierlei wider: Er steigt bei allgemeiner Adipositas, insbesondere bei dem, was gemeinhin als Birnenform bezeichnet wird. Der Hüftumfang nimmt aber auch mit dem Trainingszustand durch die Glutealmuskulatur zu. Hinsichtlich des KHK-Risikos kann der Hüftumfang die Aussagekraft des Taillenumfangs also durch Adjustierung für die Fettverteilung und für den Trainingszustand verbessern.
Abb. 7 Bestimmung des Taillenumfangs und des Taillen-Hüft-Quotienten Differenzielle Bedeutung von Taillenumfang und Taillen-Hüft-Quotient
Der Taillen-Hüft-Quotient steigt mit dem BMI kaum an. Zwischen einem BMI von 20 und 40 kg/m2 nimmt der Taillen-Hüft-Quotient nur um etwa 20% zu, während sich im selben Bereich der Taillenumfang etwa verdoppelt. Über die gesamte BMI-Spanne liegt aber der Taillen-Hüft-Quotient der Frauen mit KHK höher als der gleichaltriger herzgesunder Frauen. Das zeigt, dass der Taillen-Hüft-Quotient das KHK-Risiko weitgehend unabhängig vom BMI und damit spezifischer widerspiegelt als das Gewicht bzw. der BMI und der Taillenumfang. Während der weit überwiegende Teil der Frauen der CORA-Studie sowohl mit KHK als auch ohne einen erhöhten Taillenumfang hatte, unterschied der Taillen-Hüft-Quotient die beiden Gruppen deutlich: Den überwiegenden Teil und mehr als doppelt so viele Frauen mit KHK als ohne charakterisierte ein erhöhter Taillen-Hüft-Quotient.
Der Taillen-Hüft-Quotient spiegelt das KHK-Risiko spezifischer wider als das Gewicht bzw. der BMI und der Taillenumfang
In einer Multivariatanalyse wird die besondere Aussagekraft des Taillen-Hüft-Quotienten noch deutlicher (Tab. 3; [22]). Vier klassische Risikofaktoren zeichnen Frauen mit koronarer Herzkrankheit aus. Neben dem überwiegend genetisch determinierten Faktor Lipoprotein(a) sind dies Hypertonus, Insulinresistenz bzw. Diabetes mellitus Typ 2 und niedriges HDL-Cholesterin, also die Faktoren des metabolischen Syndroms, die der Taillenumfang reflektiert. Unabhängig davon besteht aber ein signifikanter Einfluss des Taillen-Hüft-Quotienten. Tab. 3 Multivariatanalyse (logistische Regression) für die Assoziation konventioneller Risikofaktoren mit koronarer Herzkrankheit in der CORA-Studie [22]
Risikofaktor
p-Wert
Relatives Risiko (Odds Ratio)
Veränderung des Risikos (%)
95%-Konfidenzintervall
WHR ≥0,85
<0,0001
3,389
+239
2,0695,586
Diabetes, Insulinresistenz
0,0004
2,563
+156
1,5244,325
Hypertonus
<0,0001
3,599
+260
1,9826,769
HDL-Cholesterin ≥50 mg/dl (1,5 mmol/l)
0,0012
0,419
58,1
0,2470,710
Lipoprotein(a) >25,0 mg/dl
0,0070
2,035
+103,5
1,2173,429
Das zeigt, dass die Bedeutung des Taillen-Hüft-Quotienten über den Einfluss der zentralen Adipositas und des metabolischen Syndroms hinausgeht. Andererseits ist auch der Taillen-Hüft-Quotient nicht von der Gewichtsentwicklung unabhängig. Insbesondere die Gewichtszunahme zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr determiniert die Höhe des Taillen-Hüft-Quotienten im späteren Leben. Die Beziehung gilt parallel für den Taillen-Hüft-Quotienten und für KHK in gleichem Maße. Eine Gewichtszunahme in diesem Alter erhöht das Risiko für KHK genauso wie für einen erhöhten Taillen-Hüft-Quotienten, was die Bedeutung des Taillen-Hüft-Quotienten als Surrogat für KHK untermauert.
Richtwerte für ein gesundes Gewicht
Für das Herz-Kreislauf-Risiko scheint das Gewicht oder der BMI kein geeigneter Parameter. Der Taillenumfang ist dagegen ein nützlicher Suchparameter, um Frauen mit Risikofaktoren zu identifizieren. Für Frauen gilt ein Grenzwert von 80 cm (Tab. 4). In einer Präventionsstudie in Betrieben wurde kaum eine Frau mit einem Taillenumfang von weniger als 80 cm gefunden, die ein metabolisches Syndrom ausgebildet hatte (Abb. 8). Ab einem Taillenumfang von 80 cm stieg das Risiko für einen erhöhten Blutzucker, für Hypertonus und niedriges HDL-Cholesterin exponentiell an. Tab. 4 Anthropometrische Norm- und Grenzwerte für Frauen
Körpergewicht (BMI)
Untergewicht
BMI <18,5 kg/m2
Normalgewicht
BMI ≥18,5 kg/m2
Präadipositas (Übergewicht)
BMI ≥25,0 kg/m2
Adipositas 1. Grades
BMI ≥30,0 kg/m2
Adipositas 2. Grades
BMI ≥35,0 kg/m2
Adipositas 3. Grades
BMI ≥40,0 kg/m2
Körperfettanteil
Normal
2030%
Erhöht
≥30%
Taillenumfang
Erhöhtes Risiko für metabolisches Syndrom
≥80 cm
Hohes Risiko für metabolisches Syndrom
≥88 cm
Taillen-Hüft-Quotient
Erhöhtes Risiko für metabolisches Syndrom
≥0,85
Abb. 8 Taillenumfang und Häufigkeit des metabolischen Syndroms bei Frauen nach den Kriterien der International Diabetes Federation [IDF; Delay of Impaired Glucose Tolerance by a Healthy Lifestyle Trial (DELIGHT) 2008] Dennoch wird nicht jede Frau mit einem Taillenumfang über 80 cm ein metabolisches Syndrom oder einen der Risikofaktoren haben. Deshalb ist der Grenzwert von 80 cm sinnvoll für die Identifikation von möglichen Risikopatienten, nicht aber als Zielwert für eine populationsbezogene Präventionsinitiative. Ein Zielwert lässt sich vielmehr nur für den Einzelfall definieren, nämlich als der Wert, bei dem keiner der gewichtsabhängigen Risikofaktoren auftritt. Der aber kann individuell sehr unterschiedlich sein.
Der Grenzwert des Taillen-Hüft-Quotienten von 0,85 kann als Zielwert eines globalen Risikoindikators dienen
Für den Taillen-Hüft-Quotienten sind die Verhältnisse etwas schwieriger, wenn auch Analoges gilt. Der Grenzwert von 0,85 trennt sehr gut Frauen mit KHK und ohne, sodass er zur Identifikation von Hochrisikopatienten geeignet ist. Letztendlich ist natürlich die Arteriosklerose für das Risiko maßgeblich. Insofern konkurriert der Taillen-Hüft-Quotient mit nicht-invasiven Methoden der Detektion von Arteriosklerose wie der Duplexsonographie der Karotiden. Dennoch kann der Grenzwert des Taillen-Hüft-Quotienten von 0,85 als Zielwert eines globalen Risikoindikators dienen. Aus den genannten Gründen ist er sicherlich geeigneter als das Gewicht oder der Taillenumfang, um ein KHK-Risiko zu erkennen.
Für Krebserkrankungen sind diese weiterentwickelten anthropometrischen Parameter nicht hinreichend untersucht und vermutlich von unterschiedlicher Bedeutung für verschiedene Krebsarten [1, 5, 16, 17]. In der Krebsvorsorge scheint es daher sinnvoll, sich am BMI zu orientieren, wobei das Krebsrisiko bereits bei Übergewicht zu steigen beginnt. Andererseits erhöhen sich mit dem BMI auch immer der Taillenumfang und der Taillen-Hüft-Quotient, sodass die kardiovaskulären Grenzwerte von ≥80 cm bzw. ≥0,85 in der Regel auch den Bereich des Krebsrisikos einschließen. Deshalb sollten diese beiden Maße als Richtwerte in der Prävention grundsätzlich ausreichen.
Das gilt insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass die allgemeinen präventiven Maßnahmen wie Rauchverzicht, gesunde Ernährung und körperliche Aktivität für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs ohnehin weitgehend identisch sind. Die zentrale Adipositas spricht wie die allgemeine Adipositas auf Gewichtsreduktion an. Hierfür sind körperliche Aktivität und Kalorienreduktion die erwiesenen Maßnahmen. Allerdings haben sowohl die Zusammensetzung der Ernährung wie die körperliche Aktivität eigenständige, vom Gewicht unabhängige Effekte, von denen sich aber einige im Taillenumfang und insbesondere im Taillen-Hüft-Quotienten widerspiegeln.
Eine Vielzahl von Studien hat gezeigt, dass Gewichtsreduktion zur Senkung oder zum Verschwinden der Risikofaktoren führt [11, 14]. Darüber hinaus können die Morbidität und
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