Donnerstag, 31. März 2011

Therapie der #Nikotinabhängigkeit Eine Aufgabe für #Psychiatrie und #Suchtmedizin [Der Nervenarzt 2009]


 

Leitthema
Therapie der Nikotinabhängigkeit
Eine Aufgabe für Psychiatrie und Suchtmedizin

A. Batra1 , H.M. Friederich1 und U. Lutz1(1)  Sektion Suchtforschung und Suchtmedizin,
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Osianderstraße 24, 72076 Tübingen


Zusammenfassung  Das Rauchen ist nach Einschätzung der WHO das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko. Der Tabakkonsum führt zu gesundheitsbedingten Risiken und Folgeerkrankungen, die die Konsequenzen des Konsums anderer Suchtmittel bei weitem übertreffen. In Deutschland rauchen ca. 27% der erwachsenen Bevölkerung. Der Anteil tabak- bzw. nikotinabhängiger Raucher wird auf bis zu 60% geschätzt.

Viele dieser Raucher haben zahlreiche vergebliche Abstinenzversuche hinter sich.

Eine professionelle Unterstützung des entwöhnungswilligen Rauchers erhöht dessen Abstinenzchancen. Aktuelle Behandlungsleitlinien schlagen eine Kombination psychotherapeutischer Techniken (motivierende Gesprächsführung, verhaltenstherapeutisch orientierte Unterstützung im Einzel- oder Gruppensetting) mit einer medikamentösen Begleitbehandlung (Nikotinsubstitution, Bupropion oder Vareniclin) vor.

Einzelne Subgruppen (schwangere Raucherinnen, jugendliche Raucher und insbesondere Raucher mit einer psychiatrischen Komorbidität) bedürfen einer intensiveren psychotherapeutischen und gegebenenfalls auch medikamentösen Unterstützung.

Schlüsselwörter  Rauchen - Tabakabhängigkeit - Nikotin - Tabakentwöhnung
Treatment of tobacco dependence
A responsibility of psychiatry and addiction medicine
Summary  The World Health Organisation (WHO) considers smoking to be the biggest avoidable health risk. The consumption of tobacco leads to health hazards and resulting diseases, the consequences of which are far more serious than those emanating from other addictive substances. Approximately 27% of the German adult population smoke regularly and the proportion of smokers addicted to tobacco or nicotine is estimated to be around 60%. Many of these smokers have undertaken numerous unsuccessful attempts at abstinence. A professional support for smokers who are motivated to give up smoking enhances the chances of success. The current treatment guidelines recommend a combination of psychotherapeutic techniques (e.g. motivational interviewing, behavioural therapy-oriented support either individually or in groups) together with pharmacological support (e.g. nicotine replacement therapy, bupropione or varenicline). Certain subgroups (e.g. pregnant smokers, juvenile smokers and, in particular, smokers with a psychiatric co-morbidity) require a more intense psychotherapy and when necessary pharmacotherapeutic support.

Keywords  Smoking - Tobacco dependence - Nicotine - Smoking wthdrawal

In Deutschland sterben jährlich zwischen 110.000 und 140.000 Raucher an den Folgen tabakassoziierter Erkrankungen [18]. Diese Zahlen übersteigen bei weitem die alkohol- oder drogenassoziierten Todesfälle. Die Kosten für das Gesundheitswesen sind trotz des späteren Auftretens der tabakassoziierten Erkrankungen immens und werden inklusive der indirekten Kosten für Arbeitsunfähigkeit, Frühinvalidität, Übersterblichkeit auf 21 Mrd. EUR geschätzt [21].

Präventive Maßnahmen, schulische Aufklärungsprogramme, Preissteigerungen und Nichtraucherschutzgesetze zielen darauf, den Einstieg in den Tabakkonsum unattraktiver zu machen und ihn damit zu verhindern. Aufklärung über die Risiken des Rauchens, die Aufnahme der Raucherberatung in die erstattungsfähigen Aufgaben der hausärztlichen Versorgung und die breite Verfügbarkeit von Angeboten zur Tabakentwöhnung sollen zusätzlich dazu beitragen, aktuelle Raucher zum Ausstieg zu bewegen. Nur so können tabakassoziierte Folgeerkrankungen verhindert und die in Deutschland gleichbleibend hohen Raucherprävalenzen (aktuell 27%) [28] gesenkt werden.
Ansatzpunkte der Raucherberatung und Tabakentwöhnung

Bis zu 60% der Raucher entwickeln bei regelmäßigem Tabakkonsum eine Tabakabhängigkeit [14]. Die Entwicklung der Tabakabhängigkeit folgt sowohl psychologischen als auch neurobiologischen Mechanismen [13]. Lerntheoretische Theorien betrachten das Rauchen als (operant und klassisch konditionierte) erlernte Verhaltensweise, die initial in einer Phase der Experimentierfreudigkeit von Erwartungseffekten und sozialen Verstärkern eingeleitet und später durch funktionelle Bindungen an Stressoren, Stimuli oder Verstärker generalisiert und aufrechterhalten wird. Der Tabakkonsum wird bei vielen Rauchern zur Bewältigungsstrategie sowohl für positive als auch negative psychosoziale Stressoren und interne Spannungsbedingungen.

Neben der reinen Verhaltenskomponente spielen die psychotropen Effekte von Nikotin die größte Rolle bei der Entwicklung eines regelmäßigen und abhängigen Konsums [13]. Die psychotropen Wirkungen des Nikotins werden in Abhängigkeit vom Kontext der Nikotinaufnahme, der Intensität der Inhalation und Sättigung des Organismus mit Nikotin als stimulierend, konzentrationsfördernd, sedierend, appetitmindernd, anxiolytisch oder antidepressiv wahrgenommen.

Die Toleranzentwicklung gegenüber Nikotin setzt relativ rasch ein, nach einem etablierten regelmäßigen und intensiven Konsum entsteht eine körperliche Abhängigkeit, die bei Nikotinkarenz zu passageren Entzugssymptomen in Form von Rauchverlangen, Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Appetitsteigerung, Konzentrationsstörungen und depressiven Stimmungszuständen führen kann [16].

Als Grundlage für die Abhängigkeitsentwicklung auf neurobiologischer Ebene werden neuroadaptive Veränderungen sowohl im dopaminergen System (Nucleus accumbens) als auch im nikotinergen Acetylcholinrezeptorsystem angenommen [13].

Der Tabakkonsum wird von vielen abhängigen Rauchern dissonant erlebt: Dem Aufhörwunsch steht der Wunsch nach einer Fortsetzung des Tabakkonsums gegenüber. Das Verständnis der Tabakabhängigkeit als Zusammenspiel von psychologischen und neurobiologischen Faktoren betont die Vergleichbarkeit mit anderen stoffgebundenen Abhängigkeiten und begründet Therapieansätze, die eine motivierende Gesprächsführung zur Bewältigung der kognitiven Dissonanz und Förderung der Ausstiegsbereitschaft als Vorbereitung für eine psychotherapeutisch orientierte Behandlung des Rauchers mit dem Ziel einer längerfristigen Verhaltensänderung in Verbindung mit einer passageren pharmakologischen Unterstützung des Rauchers anbieten.

Die im Folgenden dargestellten Behandlungsempfehlungen entstammen den aktuellen, erst 2008 in einer aktualisierten Version erschienenen US-amerikanischen [10] Behandlungsempfehlungen bzw. den verfügbaren deutschsprachigen Leitlinien [2, 3, 9].
Therapeutische Optionen
Psychotherapeutische Interventionen

Die Beratung und Psychotherapie des Rauchers ist in Abhängigkeit von der Veränderungsbereitschaft des Rauchers als gestufte Interventionen anzugehen: Die alleinige Aufforderung zum Rauchverzicht, hat – sofern sie ärztlicher-/psychotherapeutischerseits gegeben wird – einen geringen, jedoch signifikanten Effekt auf die Aufhörmotivation und die langfristigen Abstinenzquoten (die Odds Ratio [OR] beträgt ca. 1,3, entsprechend einer Anhebung der langfristigen Erfolgsquoten von ca. 2% gegenüber einer neutralen Kontrollbedingung).

Eine Motivationsförderung unter Verwendung der Methoden der motivierenden Gesprächsführung nach Miller und Rollnick [20] verfolgt das Ziel, durch erkenntnisgeleitetes Fragen die Raucher zu einer Bilanzierung der Vorteile der Abstinenz und der Nachteile des Konsums anzuleiten und zur Steigerung der Veränderungsbereitschaft im Sinne des Modells von Prochaska und DiClemente [22] beizutragen.

Als Strukturierungshilfe der Motivationsarbeit nennen die Leitlinien [9, 10] das Schema der "5 Rs": Im ersten Schritt wird hierbei auf die "Relevanz" des Tabakstopps hingewiesen und durch die Benennung individuellen "Risiken" begründet. Die Motivationsförderung wird insbesondere durch die Ausarbeitung von möglichen Vorteilen und positiven Folgen des Rauchstopps ("rewards") zum Erfolg geführt, die Diskussion möglicher Hindernisse (im Sinne von Befürchtungen zu Scheitern, Ängsten vor der Gewichtszunahme, sog. "roadblocks") soll helfen, die Bedenken, die auf die Aufhörsituation bezogen geäußert werden, zu überwinden. Die Wiederholung der Empfehlung zur Abstinenz ("repetition") schließt diese Interventionskette der 5 Rs ab.

Die Dauer einer Kurzintervention korreliert mit dem Behandlungserfolg: Intensive Kontakte von mehr als 10 min Dauer erhöhen die langfristige Wirksamkeit der Kurzinterventionen (OR=2,3), individuelle Beratungen weisen die höchsten langfristigen Erfolgsquoten auf [10].

Eine bewusste und gezielte Verhaltensänderung hat den größten Wirkungsgrad. Allerdings bedarf eine professionell unterstützte Auseinandersetzung mit den individuell bedeutsamen Rückfallbedingungen einer sorgfältigen funktionalen Verhaltensanalyse. Als wirkungsvolle verhaltenstherapeutische Techniken haben sich der Aufbau externer sozialer Unterstützung, die Vermittlung von Problemlösestrategien sowie der Aufbau von Bewältigungsfertigkeiten unter Verwendungen von Verfahren zur Stimuluskontrolle und Selbstkontrollmethoden erwiesen [10].

Fehlen Angebote zur Gruppen- oder Einzelbehandlung, sind Selbsthilfematerialien wirkungsvolle Alternativen [19].

Optimal ist eine individualisierte therapeutische Unterstützung

Optimale Therapiebedingungen liegen vor, wenn eine Gesamttherapiezeit von mehr als 90 min überschritten wird, mehr als 8 Sitzungen angeboten werden, die ärztliche Unterstützung gegeben ist und die therapeutische Unterstützung individualisiert verläuft [10].

In Deutschland werden mehrere verhaltenstherapeutisch orientierte Behandlungsprogramme angeboten, dazu gehören beispielsweise das "Rauchfrei-Programm" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) oder das Programm "Nichtraucher in 6 Wochen" [6]. Beide sind als Gruppentherapieprogramme konzipiert und verfolgen das Ziel, nach einer ersten Phase der Abstinenzvorbereitung, die Komponenten der Motivationsförderung, Anleitungen zur Verhaltensbeobachtungen und zur Identifikation von Risikosituationen enthält, die Konsumbeendigung mit Hilfe der Techniken der Stimuluskontrolle, des Vertragsmanagements, der sozialen Unterstützung und operanten (Selbst-)Verstärkungsmöglichkeiten sowie Feedback (mittels CO-Messung) zu ermöglichen. Die Stabilisierung der Abstinenz erfolgt durch den Aufbau von Alternativverhalten (Entspannungstechniken, Aufbau von konsuminkompatiblen Freizeitverhalten), die Vermittlung eines allgemeinen gesundheitsförderlichen Verhaltens (Informationen zur körperlichen Aktivierung oder Ernährungsberatung) und die Vorbereitung einer erfolgreichen Bewältigung von Rückfallsituationen mit Hilfe von Rollenspielen oder kognitiven Vorbereitungen und Problemlösestrategien im Rahmen der Gruppengespräche.
Akupunktur und Hypnose

Zahlreiche andere Verfahren, die psychodynamische Therapie der Raucher, die Akupunkturbehandlung oder eine Hypnose bzw. Hypnotherapie weisen eine unklare Evidenz oder unzureichende Wirkung auf:

Die uneinheitliche Datenlage und methodischen Schwächen der vorliegenden Studien erlauben keine sichere Aussage und keine Leitlinienempfehlung zur Wirksamkeit der Hypnotherapie oder einer psychodynamischen Behandlung von Rauchern [1, 9, 10].

Die Akupunktur ist nach derzeitiger Datenlage nicht als effektive Behandlungsform zur Tabakentwöhnung anzusehen.
Welche Weiterentwicklungen in der psychotherapeutischen Behandlung sind zu erwarten?

In eigenen Untersuchungen [7, 8] konnte gezeigt werden, dass eine Subtypisierung von Rauchern auf der Basis von psychologischen Merkmalen möglich ist: Als relevante Untergruppen können depressive, körperlich stark abhängige oder Raucher mit Merkmalen der Hyperaktivität und des "novelty seeking" von Rauchern ohne diese psychologischen Besonderheiten isoliert werden [7].

Eine störungsspezifisch angepasste Therapie, die psychopathologische Merkmale (insbesondere bei der Behandlung von depressiven Rauchern) berücksichtigt, ermöglicht eine Steigerung der Erfolgsaussichten [8].

Selbst unter optimalen Behandlungsbedingungen sind derzeit bei Beachtung der Vorgaben für eine leitlinienorientierte Therapie langfristige Erfolgsraten von 30–35% kaum zu übertreffen. Es bleibt zu belegen, dass eine differenzielle störungsspezifisch modifizierte Therapie unter stärkerer Berücksichtigung der individuellen Funktionalität des Rauchens höhere Erfolgsquoten ermöglicht. Ergänzend wären auf der Basis einer Finanzierung langfristiger Therapieangebote auch Methoden zur Rückfallprävention unter Verwendung regelmäßiger Erinnerungshilfen (Telefon-Hotlines, Verwendung neuer Medien) sowie eine länger dauernde medikamentöse Unterstützung zur Substitution des Nikotins im Sinne einer Rückfallprophylaxe als Erfolg versprechend anzusehen.
Medikamentöse Therapiestrategien

Auch wenn die Entzugssymptomatik des Rauchers nicht lebensbedrohend und in den seltensten Fällen mit gravierenden Entzugssymptomen verbunden ist (Depressivität, Schlafstörungen, kognitive Leistungsstörungen), ist angesichts der niedrigen Schwelle zur Beschaffung und zum Konsum von Zigaretten die Entzugssymptomatik häufig ein Grund für einen Rückfall. Das Ausmaß der Entzugssymptomatik lässt sich im Vorfeld einer Raucherentwöhnungsbehandlung mit Hilfe des Fagerström-Tests für Nikotinabhängigkeit (FTND) [12, 25] abschätzen. Die Leitlinien schlagen eine an den FTND-Wert angepasste Empfehlung zum Einsatz von Medikamenten vor [9].

Höchste Effektivität hat die Kombination aus Verhaltens- und medikamentöser Therapie

Die medikamentöse Unterstützung des entwöhnungswilligen Rauchers zielt auf die Überwindung der mit dem Nikotinverzicht einsetzenden Abstinenzsymptome [10, 26].

Als therapeutische Prinzipien stehen in Deutschland neben der Nikotinsubstitution die Behandlung mit Bupropion und Vareniclin zur Verfügung (in einigen osteuropäischen Ländern ist darüber hinaus der Nikotinagonist Cytisin zur Behandlung zugelassen).

Die Verwendung der Nikotinersatztherapie ist aufgrund der rezeptfreien Verfügbarkeit der Produkte niederschwellig möglich. Allerdings ist die Bereitschaft der Raucher, die Nikotinersatztherapie ausreichend lange anzuwenden, gering. Ein wichtiger Faktor hierfür mag sein, dass die Kosten der medikamentösen Behandlung noch immer nicht von den Kassen übernommen werden, obgleich Hinweise daruf bestehen, dass die Finanzierung der Behandlung zu höheren Erfolgsquoten führt [29] und dabei kosteneffektiv ist [24].

Der Raucher soll durch die vorübergehende (2 bis 3 Monate währende), ausschleichend eingesetzte Gabe von Nikotin eine Linderung der Entzugssymptomatik erfahren. Als Medikamente zur Nikotinsubstitution wurden in Deutschland Nikotinkaugummi, Nikotinpflaster, Nikotininhaler, Nikotinlutschtabletten und -sublingualtabletten sowie ein Nikotinnasenspray zugelassen.

Aus suchttherapeutischer Sicht ist eine Entkopplung der Nikotinwirkung von der Darreichungsform zu bevorzugen, wie sie am ehesten durch das Nikotinpflaster gewährleistet wird. Doch auch zu den anderen Darreichungsformen (Kaugummi, Nikotinnasenspray oder Nikotintabletten) liegen ausreichend klinische Erfahrungen vor. Bei all diesen Produkten ist die kontinuierliche Gabe einer bedarfsweisen Applikation vorzuziehen. Gelegentliche Versuchungssituationen können mittels der Nikotinersatztherapeutika mit rascherem Wirkungseintritt (Nikotinkaugummi, Nikotintabletten oder Nasenspray) aufgefangen werden.

Die Wirksamkeit der Nikotinersatztherapie ist vielfach untersucht und in den Cochrane-Analysen metaanalytisch belegt [26]: Die Nikotinersatztherapie führt (unter Einbeziehung aller zugelassenen Produkte) zu einer Erhöhung der Erfolgaussichten einer Behandlung (OR ca. 1,7). Die unterschiedliche Wirksamkeit einzelner Darreichungsformen ist vermutlich auf die unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften zurückzuführen.

In den vergangenen Jahren wurden mehrfach Versuche unternommen, mittels einer Nikotinsubstitution durch Nikotinkaugummi oder Nikotininhaler das Prinzip der "harm reduction" auch bei Rauchern einzuführen. Bislang werden die gesundheitsbezogene Bedeutung eines reduzierten Konsums sowie die längerfristige Erfolgsaussicht dieses Konzeptes noch uneinheitlich beurteilt [15].

Alternativ zum Nikotinersatz stehen noch Bupropion, ein in Deutschland auch für die Depressionsbehandlung zugelassenes monozyklisches Antidepressivum, das die Dopamin- und Noradrenalinwiederaufnahme hemmt, sowie Varenicline, ein partieller Agonist am α4β2-nikotinergen Acetylcholinrezeptor, zur Verfügung. Beide Produkte weisen eine im Vergleich mit der Nikotinersatztherapie geringfügig höhere Effektivität auf [10, 17, 27].

Die Nebenwirkungsprofile (Bupropion: epileptische Anfälle, Schlafstörungen; Vareniclin: Schwindel, Übelkeit, Tremor evtl. auch depressive Verstimmungen, letzterer Aspekt ist noch nicht sicher belegt [11]) schränken die Verwendbarkeit dieser Produkte im Vergleich zu den Nikotinersatzpräparaten ein.

Der Stellenwert der medikamentösen Behandlung sollte in der Ergänzung einer psychotherapeutisch orientierten Maßnahme mit dem Ziel einer Verhaltensänderung gesehen werden.
Behandlung von Patienten mit psychischen Störungen

Patienten mit einer psychiatrischen Erkrankung weisen hohe Raucherprävalenzen auf (Schizophrenie: 65–70%, Suchterkrankungen: 80–100%). Für die hohe Prävalenz des Rauchens bei psychiatrischen Patienten werden unterschiedliche Erklärungen angenommen: Die synergistische Verstärkung des Belohnungssystems bei Patienten mit einer Alkohol- oder Opiatabhängigkeit, psychosoziale Umgebungsbedingungen, die Vorbildfunktion anderer Patienten in psychiatrischen Kliniken, Rauchen als Copingstrategie für Langeweile und Unruhezustände, aber auch die antidepressiven Eigenschaften des Nikotinkonsums sowie die positiven Wirkungen des Rauchens auf die Minussymptomatik bei schizophrenen Patienten, die hepatische Enzyminduktion mit der Folge des rascheren Abbaus der neuroleptischen oder antidepressiven Medikation bei schizophrenen und depressiven Patienten sowie die eingeschränkte Fähigkeit, Versuchungssituationen und negativen Affekten durch alternative Copingstrategien zu begegnen, werden als Ursachen genannt [4].

In der Remissionsphase ist die Behandlung der Tabakabhängigkeit Erfolg versprechend

Mehrere Untersuchungen belegen mittlerweile, dass die Behandlung der Tabakabhängigkeit bei psychiatrischen Patienten entgegen den Erwartungen früherer Jahre durchaus Erfolg versprechend sein kann, solange verhaltenstherapeutische Techniken mit Unterstützung medikamentöser Methoden unter professioneller Betreuung und engmaschiger, zum Teil einzeltherapeutischer Versorgung angeboten werden [23]. Die früher befürchtete Exazerbation einer psychiatrischen Erkrankung scheint kein relevantes Risiko zu sein, sofern unter der Abstinenz sowohl die Psychopathologie als auch die Serumspiegel einer laufenden antidepressiven oder neuroleptischen Behandlung überprüft werden.

Die Phase der Remission scheint eine gute Chance zur Behandlung einer Tabakabhängigkeit bei depressiven oder schizophrenen Patienten zu sein, bei abhängigen Patienten dagegen wird schon während einer qualifizierten Entgiftungsbehandlung zur Psychoedukation der Patienten sowie während einer Entwöhnungsbehandlung zur begleitenden Behandlung der Tabakabhängigkeit geraten. Während gegen die Verwendung der Nikotinersatztherapie bei psychiatrischen Patienten keine Argumente formuliert werden, ist unklar, ob Bupropion bei bipolaren Patienten sowie bei schizophrenen Patienten zur Behandlung der Tabakabhängigkeit ergänzend zur bestehenden Medikation eingesetzt werden kann. Auch bezüglich der Medikation mit Vareniclin ergeben sich nach neuerer Datenlage eher Hinweise auf eine nur eingeschränkte Verwendbarkeit. Hinweise auf eine erhöhte Suizidalität während der Behandlung sind letztlich hinsichtlich ihrer Validität noch nicht genügend untersucht [11, 27].

Auch wenn die Behandlungsergebnisse bei psychiatrischen Patienten geringer ausfallen als bei Rauchern ohne psychische Begleitsymptomatik, lohnt der Versuch einer Motivationsbehandlung und Einleitung einer Tabakentwöhnung bei Patienten in einer Remission.
Fazit für die Praxis

Die neurobiologischen sowie psychologischen Grundlagen der Tabakabhängigkeit sind vergleichbar mit den Erklärungsansätzen für die Entwicklung anderer stoffgebundener Abhängigkeitserkrankungen. Die erheblichen tabakattributablen Folgekosten für das Gesundheitswesen erfordern ein Umdenken hinsichtlich der aktuellen gesetzlichen Handhabe der Behandlungsangebote. Die therapeutischen Strategien seitens der Ärzteschaft, aber auch die Wahrnehmung der Tabakabhängigkeit als behandlungsbedürftige Erkrankung seitens der Leistungsträger (mit allen Konsequenzen der Finanzierung von Psychotherapie und Medikation) sollten analog zu den Vorgehensweisen bei Patienten mit einer Abhängigkeit von Alkohol oder illegalen Drogen als suchttherapeutische Maßnahme gestaltet werden. Die Motivierung zur Aufnahme einer Tabakentwöhnung sollte selbstverständlicher Teil der ärztlichen Beratung sein.

Die verfügbaren Behandlungsstrategien sind sowohl im psychotherapeutischen als auch im medikamentösen Bereich evidenzbasiert. Die Wirksamkeit insbesondere verhaltenstherapeutisch orientierter Gruppen- oder Einzeltherapieprogramme ist hoch, die medikamentöse Unterstützung des Entwöhnungsprozesses in den ersten Wochen der Abstinenz mittels Nikotinersatztherapeutika oder anderer Substanzen wie Bupropion oder Vareniclin ist bei regelmäßigen, abhängigen Rauchern sinnvoll und wirkungsvoll.

Auch bei Patienten mit psychiatrischen Störungen sind entgegen der Auffassungen in den letzten Jahren Behandlungsansätze Erfolg versprechend. Die Auswahl des optimalen Zeitpunktes für die Behandlung (in der Remissionsphase bzw. während einer stationären Behandlung einer anderen Suchterkrankung) sowie die intensive verhaltenstherapeutische und medikamentöse Unterstützung bestimmen die Erfolgsaussichten der Behandlung.
Interessenskonflikt   Der korrespondierende Autor weist auf folgende Beziehungen hin: Der Autor Prof. Dr. Anil Batra erhielt finanzielle Unterstützungen im Rahmen von Beraterverträgen, Vortragstätigkeiten und Drittmittel für wissenschaftliche Untersuchungen von den Firmen Pfizer Consumer Health Care, McNeil GmbH, Johnson & Johnson, Sanofi Aventis, Pfizer GmbH, GlaxoSmilthKline.

Literatur 1. Abbot NC, Stead LF, White AR et al (2000) Hypnotherapy for smoking cessation. Cochrane Database Systematic Reviews, Cochrane Database Syst Rev 2

 2. Andreas S, Batra A, Behr J et al (2008) Tabakentwöhnung bei COPD – S3 Leitlinie herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. Pneumologie 62(5):255–272

    
3. Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (2001) Therapieempfehlungen Tabakabhängigkeit. Arzneiverordnungen in der Praxis, Sonderheft

 4. Batra A (2000) Tabakabhängigkeit und Raucherentwöhnung bei psychiatrischen Patienten. Fortschr Neurol Psychiatr 68:80–92

    
5. Batra A (2002) Tabakabhängigkeit – evidenzbasierte Strategien der Behandlung. Z Ärztl Fortbild Qualitätssich

 6. Batra A, Buchkremer G (2006) Nichtrauchen! Erfolgreich aussteigen in sechs Schritten. Kohlhammer, Stuttgart

 7. Batra A, Collins SE, Torchalla I et al (2008) Multidimensional smoker profiles and their prediction of smoking following a pharmacobehavioral intervention. J Subst Abuse Treat 35:41–52

   
8. Batra A, Collins SE, Torchalla I et al (2009) A cluster-randomised trial of smoking cessation tailored to multidimensional smoker profiles (in press)

 9. Batra A, Schütz CG, Lindinger P (2006) Tabakabhängigkeit. In: Schmidt LG, Gastpar M, Falkai P, Gaebel W (Hrsg) Evidenzbasierte Suchtmedizin. Behandlungsleitlinie Substanzbezogene Störungen. Deutscher Ärzte Verlag Köln, S 91–142

 10. Fiore MC, Jaén CR, Baker T et al (2008) Treating tobacco use and dependence: Update. U.S. Department of Health and Human Services. Public Health Serv

 11. Grosshans M, Mutschler J, Hermann D et al (2009) Reduced affective symptoms during tobacco dependence treatment with varenicline. Addiction 104:859–861

   
12. Heatherton TF, Kozlowski LT, Frecker RC, Fagerström KO (1991) The Fagerström Test for Nicotine Dependence: A revision of the Fagerström Tolerance Questionnaire. Br J Addict 86:1119–1127

    
13. Heinz A, Batra A (2003) Neurobiologie der Alkohol- und Nicotinabhängigkeit. Kohlhammer, Stuttgart

 14. Hoch E, Mühlig S, Häfler M et al (2004) How prevalent is smoking and nicotine dependence in primary care in germany? Addiction 99:1586–1598

   
15. Hughes JR (2000) Reduced smoking: an introduction and review of the evidence. Addiction 95 [Suppl 1]:3–7

 16. Hughes JR (2007) Effects of abstinence from tobacco: valid symptoms and time course. Nicotine Tob Res 9:315–327

   
17. Hughes JR, Stead LF, Lancaster T (2003) Antidepressants for smoking cessation (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 4. Update Software, Oxford

 18. John U, Hanke M (2001) Tabakrauch-attributable Mortalität in den deutschen Bundesländern. Gesundheitswesen 63:363–369

    
19. Lancaster T, Stead LF (2003) Self-help interventions for smoking cessation. (Cochrane Review). In: The Cochrane Library, Issue 4. Oxford, Update Software

 20. Miller WR, Rollnick S (1991) Motivational Interviewing. Preparing people to change addictive behavior. Guilford Press, New York

 21. Neubauer S, Welte R, Beiche A et al (2006) Mortality, morbidity and costs attributable to smoking in Germany: update and a 10-year comparison. Tob Control 15:464–471

   
22. Prochaska JO, Velicer WF (1997) The transtheoretical model of health behaviour change. Am J Health Promot 12:38–48

   
23. Ratschen E, Britton J, Doody GA, McNeill A (2009) Smoke-free policy in acute mental health wards: avoiding the pitfalls. Gen Hosp Psychiatry 31:131–136

   
24. Salize HJ, Merkel S, Reinhard I et al (2009) Cost-effective primary care-based strategies to improve smoking cessation: more value for money. Arch Intern Med 169:230–235

   
25. Schumann A, Rumpf HJ, Meyer C et al (2003) Deutsche Version des Fagerström Test for Nicotine Dependence (FTND-G) und des Heaviness of Smoking Index (HSI-G), In: Glöckner-Rist A, Rist F, Küfner H (Hrsg) Elektronisches Handbuch zu Erhebungsinstrumenten im Suchtbereich (EHES). Version 3.00 (Mannheim, Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen)

 26. Silagy C, Lancaster T, Stead L et al (2006) Nicotine replacement therapy for smoking cessation. Cochrane Database syst Rev 2

 27. Stapleton JA, Watson L, Spirling LI et al (2007) Varenicline in the routine treatment of tobacco dependence: a pre-post comparison with nicotine replacement therapy and an evaluation in those with mental illness. Addiction 103:146–154

   
28. Statistisches Bundesamt Deutschland (Hrsg) (2006) Leben in Deutschland. Haushalte, Familien und Gesundheit – Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden

 29. Twardella D, Brenner H (2007) Effects of practitioner education, practitioner payment and reimbursement of patients' drug costs on smoking cessation in primary care: a cluster randomised trial. Tob Control 16:15–21

   
30. U.S. Department of Health and Human Services: The Health Consequences of Smoking: A Report of the Surgeon General. 2004; U.S. Department of Health and Human Services, Office on Smoking and Health

 31. Weltgesundheitsorganisation (WHO) – Regionalbüro für Europa (2002). Bericht über die Anti-Tabak-Politik in der europäischen Region der WHO. Kritischer Überblick über den Stand der Umsetzung des Dritten Aktionsplans für ein tabakfreies Europa 1997–2001. Gesundheitsdokumentationsdienst, WHO-Regionalbüro für Europa, Kopenhagen
 

Der Nervenarzt
Organ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde Organ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
© Springer Medizin Verlag 2009
10.1007/s00115-009-2744-y

Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen