Es gibt Schlimmeres Rendite, moderate Mieten, Wohnungsneubau: Linkspartei und Rosa-Luxemburg-Stiftung diskutierten über Situation und Zukunft der Mieterstadt Berlin Von Christan Linde (junge welt)
http://www.jungewelt.de/2011/03-24/023.php
Wie redet man sich die eigenen Verhältnisse schön? Man verweist zunächst auf abschreckende Beispiele, ehe man sich die eigene Lage vergegenwärtigt. Ein Rezept, das sich vor allem anbietet, wenn man über die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt sprechen will. So geschehen am Dienstag abend, als die Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus gemeinsam mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu einer Fachkonferenz eingeladen hatte.
Unter dem Motto »Soziale Wohnungspolitik für Berlin Segregation verhindern, Bevölkerungsvielfalt in den Wohnquartieren erhalten!« diskutierte die Regierungspartei knapp, sechs Monate vor dem Wahltermin mit Experten über Perspektiven der Mieterstadt Berlin. Und um die ist es nicht gut bestellt.
Die Mieten steigen, preisgünstige Wohnungen werden knapp und der Mietwohnungsbau ist praktisch zum Erliegen gekommen.
Die durchschnittliche Bruttokaltmiete liegt mittlerweile bei 6,35 Euro pro Quadratmeter, bei den Neuvermietungsmieten ist seit 2004 ein Anstieg um 17 Prozent zu verzeichnen, und die Mietbelastungsquote, also der Anteil des Einkommens, der für die Miete aufgebracht werden muß, hat sich weiter erhöht. Im Durchschnitt müssen die Haushalte in der Hauptstadt 23,6 Prozent ihres Einkommens für die Miete berappen.
Bei Menschen mit niedrigerem Einkommen liegt die Quote bei bis zu 40 Prozent und mehr.
Zuzügler spitzen Lage zu
Gern entdramatisiert man diese kürzlich von der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB) vorgelegten Daten, indem man auf die noch schlimmere Situation in anderen Großstädten verweist. Zum Beispiel München: Dort liegen die Mieten zwischen 11,80 Euro und 14,30 Euro pro Quadratmeter und Monat nettokalt, berichtete Beate Marschall vom Mieterverein München. »Durch Zuzügler wird sich die Lage in den kommenden Jahren weiter zuspitzen.« Selbst in Stadtteilen, in denen bisher günstiges Wohnen möglich war, zögen die Mieten bereits an.
Von diesen Verhältnissen sei man an der Spree dank »rot-roter« Koalition weit entfernt, betonte Klaus Lederer. Berlin verfüge noch immer über sechs landeseigene Wohnungsbaugesellschaften mit einem Anteil von knapp 15 Prozent am gesamten Mietwohnungsbestand, der massenhafte Zwangsumzug von Hartz-IV-Beziehenden sei durch großzügige Mietkostenübernahmeregelungen ausgeblieben und die Linke habe die aktuellen Probleme erkannt. Zwar bezeichnete Lederer den Verkauf der GSW mit 65000 Wohnungen im Jahre 2003 als »Fehler«, nannte die Privatisierungspolitik des SPD/PDS-Senates aufgrund der damaligen Haushaltslage allerdings »alternativlos«. »Wohnungsverkäufe haben stattgefunden unter dem Druck einer Haushaltsklage der Opposition.«
Im Stile eines Oppositionspolitikers formulierte der Linke-Landeschef Ziele, die, sollten die seit 2002 regierenden demokratischen Sozialisten nach dem 18. September (zum dritten Mal) auf den Regierungsbänken Platz nehmen, realisiert würden: So sollen die städtischen Wohnungsunternehmen sowohl über Zukäufe als auch durch den Neubau von Wohnungen den kommunalen Wohnungsbestand ausweiten. Die Verdrängung von sozial Benachteiligten müsse durch mietbegrenzende Maßnahmen verhindert und Diskriminierungen (etwa von Migranten) auf dem Wohnungsmarkt unterbunden werden.
Wien ist weit weg
Ausgerechnet ein Vertreter einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft war es dann, der den Ankündigungen einen Dämpfer versetzte. »Wir sind ein ganz normaler Marktteilnehmer«, stellte Frank Bielka (SPD), Vorstandsmitglied der degewo, klar. »Rendite, Mietdämpfung und Neubau das kann eine Wohnungsbaugesellschaft nicht leisten«, schrieb das SPD-Mitglied der Linkspartei ins Stammbuch.
Mehr noch: Bielka, der zwischen 1991 und 2003 Staatssekretär in verschiedenen Senatsverwaltungen war und zu den zahlreichen Spitzenfunktionären gehört, die nach ihrem Ausscheiden aus dem politischen Betrieb in die Chefetage eines Wohnungsunternehmens wechselten, stellte angesichts der großen Zahl von Ein-Personen-Haushalten eine gewagte These in den Raum: »Daß jeder seine eigene Wohnung erhalten muß, ist kein Naturgesetz«, so Bielka. »Darüber muß diskutiert werden.«Wie aus einer anderen Welt wirkte dagegen ein Bericht aus Wien. Dort befindet sich mehr als die Hälfte aller Mietwohnungen im Eigentum der Kommune oder gemeinnützigen Genossenschaften. Bestandsmieten dürfen per Gesetz selbst nach einer Sanierung nicht angehoben werden.
Auch die Preise im Bereich des öffentlich geförderten Wohnungsbaus unterliegen einem festgesetzten Richtwert, der aktuell bei fünf Euro nettokalt liegt, berichtete Wolfgang Förster, Bereichsleiter für Wohnungsbauforschung und Gebietsbetreuung in der Wiener Stadtverwaltung. Praktisch existiere ein lebenslanges Wohnrecht. Mietverträge können sogar vererbt werden.
Das Erfolgsrezept, so Förster, seien »Kontinuität, Mietrecht und öffentlicher Wohnungsbau«.
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