Experten fürchten das Schlimmste Von Ernst Röhl [Neues Deutschland]
Das Damenknie, nie war es so wertvoll wie heute. Derzeit endet der Rocksaum knapp darüber, und das ist auch gut so, weil dies nicht bloß eine Info aus der Glamourwelt der Mode ist, sondern vor allem ein Beweis für das prächtige Wirtschaftswachstum.
Nach einer Studie des Allensbacher Markt- und Meinungsforschungsinstituts bewegen sich die Rocksäume immer dann nach oben, wenn ein heimeliges Gefühl von Konjunktur die Massen ergreift. In der nächsten Krise sinkt der Saum dann wieder unter die Kniekehle.
Dies deckt sich mit der »Rocksaumtheorie« des amerikanischen Wirtschaftsforschers George Taylor, die sich zuerst in Absurdistan und auf den fernöstlichen Inseln der Skurilen durchsetzte. Nun also auch in Deutschland. In Rumänien noch nicht, hier kontrollieren Hellseherinnen das Geschäft mit den Prognosen. Die rumänischen Gesetze allerdings drohen Wahrsagerinnen, die sich irren, schärfste Strafen an.
Bloß gut, dass wir Deutschen auf das verlässliche Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« bauen können. In der Ausgabe zum Jahreswechsel 2010/11 lautete die Schlagzeile auf Seite eins: »Im nächsten Jahr wird alles besser.« Die »Süddeutsche Zeitung« stimmte begeistert ein: »2011 dürfte das Jahr der Arbeitnehmer werden, Experten rechnen mit höheren Lohnabschlüssen von mindestens drei Prozent.« Letzte Zweifel beseitigte »Die Welt«: »Die Löhne steigen so stark wie seit 17 Jahren nicht.«
Die Botschaft hör ich wohl, frage mich aber, ob sie sich wohl überprüfen ließe. Jedes Kind weiß doch, dass der Arbeitgeber jeden seiner Beschäftigten zu eiserner Verschwiegenheit vergattert: Kein Wort über Geld! Und kein Lohnempfänger wäre so ungezogen, gegen diese Vergatterung zu verstoßen. Der eine schämt sich, weil er so wenig kriegt, der andere hütet sich, den Neid der Besitzlosen zu erregen. Nur Fische sind schweigsamer.
Aber natürlich darf jeder insgeheim und unverbindlich auch mal an was Schönes denken, zum Beispiel an den demokratischen Grundsatz vom gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Doch ein schöner Traum wie dieser ist verderbliche Ware »Dem deutschen Jobwunder droht ein jähes Ende!« orakelt »Welt Online«. »Es sieht so aus, als stimme die Regierung dem Vorhaben Gleicher Lohn für gleiche Arbeit zu. Experten fürchten das Schlimmste «
Da staunt der Aufstocker, und der Leiharbeiter wundert sich. Gerechte Löhne wären demnach das Schlimmste, was der deutschen Wirtschaft passieren könnte. Und nicht mal auf Hartz IV ist Verlass. »Hartz IV«, motzt die Kanzlerin, »ist nicht dafür gedacht, dass man mit einer Kombination von Arbeitslosengeld II und ein bisschen Schwarzarbeit fürs ganze Leben darauf verzichten kann, wieder einen richtigen Job zu machen.«
Realitätsverlust ist seit eh und je ihre Stärke. Immer kompakter wird die Milliardärsdichte in Angela Merkels reichem Land der armen Kinder, immer größer die Zahl der Leute, die von ihrer Hände Arbeit nicht leben können. Dies ist für Prof. Hans-Werner Sinn vom Münchner Ifo-Institut (Zitat) der dümmste Spruch des Jahres. Muss man, fragt er treuherzig, von seiner Hände Arbeit denn unbedingt leben können?
Wenn er wollte, könnte er es uns sagen. Er lässt die Frage jedoch unbeantwortet in uns nachklingen und wendet sich den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zu. Zum Beispiel hat er alle Hände voll zu tun mit seinem Ifo-Geschäftsklima-Index, der mal »vorwiegend optimistisch« ist, dann wieder »überwiegend optimistisch«, »weiterhin optimistisch« oder sogar »extrem optimistisch«.
Der Ruf nach mehr Tafeln und Suppenküchen wird lauter, doch Professor Sinn findet die Armutsdebatte in Deutschland sinnlos. Und »Welt Online« gibt ihm Recht: »Deutsche fühlen sich arm doch allen geht's gut.« So sehen es Bestverdiener, die schwer unter ihrem Existenzmaximum stöhnen.
Und doch haben sie ein Herz für die »sozial Schwachen«. Keiner von ihnen käme auf die Idee, einen Minijobber arm zu nennen, bloß weil er kein Geld hat.
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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