Freitag, 25. März 2011

#Kinder #brauchen eine #Schmerztherapie für Kinder · Telefonkonferenz mit Experten [via idw]


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V., Barbara Ritzert,
24.03.2011 12:05

Kinder brauchen eine Schmerztherapie für Kinder · Telefonkonferenz mit
Experten

"Kinder, die an chronischen Schmerzen leiden, sind in Deutschland
katastrophal unterversorgt", mahnt Dr. Raymund Pothmann vom Hamburger
Zentrum Integrative Kinderschmerztherapie und Palliativmedizin auf dem
Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt.

Telefonkonferenz für Medien
Heute, 24.03.2011 · 13.00 bis 13.30 Uhr
Tel.: 0180 366 55 11
Code: 240311
Experte: Dr. Raymund Pothmann, Hamburg

Kinder sind keine "kleinen Erwachsenen". Zwischen dem Schmerzsystem von
Früh- und Neugeborenen und dem von Erwachsenen bestehen deutliche
anatomische und funktionelle Unterschiede. Während früher davon
ausgegangen wurde, dass Neugeborene wegen ihres noch unausgereiften
Nervensystems keine Schmerzen empfinden, gehen Forscher inzwischen sogar
vom Gegenteil aus: Neu- und Frühgeborene reagieren besonders sensibel auf
Schmerzreize.

Schon im frühen Säuglings- und Kindesalter hinterlassen Schmerzreize im
Gehirn eine Gedächtnisspur, die nach Jahren noch aktiv sein kann.  Werden
Schmerzen im Kindesalter nicht ausreichend behandelt, können
Chronifizierungsprozesse bereits früh einsetzen. "Trotz dieser
Erkenntnisse nehmen chronische Schmerzen bei Kindern kontinuierlich zu",
stellt der Hamburger Pädiater Dr. Raymund Pothmann in Frankfurt fest.
Über 200 000 Kinder leiden beispielsweise an wiederkehrenden ausgeprägten
Migräneattacken, fast jedes zweite Kind klagt schon im Grundschulalter
über wiederholt auftretenden Spannungskopfschmerz.

"DAS GIBT SICH EBEN NICHT VON ALLEINE".  Viele Eltern bagatellisieren
wiederholt auftretende Schmerzen ihrer Kinder mit dem Spruch "das wächst
sich aus". Doch das scheint Wunschdenken zu sein, denn über die Hälfte der
"Kopfschmerzkinder" kämpfen auch Jahrzehnte nach dem ersten Auftreten noch
gegen das Hämmern unter der Schädeldecke. Aus mangelnder Kenntnis
verabreichen Eltern und Ärzte Schmerzmittel häufig erst spät,  zu selten
und zu niedrig dosiert. Neuerdings versuchen aber Kinderärzte, das
'Schmerzgedächtnis' zu 'löschen', indem sie Schmerzmittel höher dosieren"
warnt Pothmann. "Das ist bei einer Kopfschmerzfrequenz von mehr als
dreimal proWoche allerdings kontraproduktiv und führt eher zu einer
weiteren Chronifizierung.

Bei chronischem Spannungskopfschmerz und Bauchschmerzen: möglichst keine
Medikamente! Grundsätzlich sollten insbesondere Spannungskopfschmerzen
nicht medikamentös behandelt werden Bei diesen Schmerzen sind nicht-
medikamentöse Strategien wirksamer als Schmerzmittel. Vor allem
Muskelentspannungsverfahren wie Progressive Entspannung, TENS ,
psychologische Verfahren und  Hypnotherapie haben sich bewährt.
Auch bei wiederkehrenden Bauchschmerzen  sollte das Kind ohne Medikamente
auskommen. "Wichtig ist bei funktionellen Bauchschmerzen, dass das Kind
lernt, den Schmerz als 'Blähungen' zu interpretieren", betont Pothmann.

AKUTER MIGRÄNEKOPFSCHMERZ BRAUCHT MEDIKAMENTE. Gerade im Kindesalter ist
es zwingend notwendig, dass die Medikation zum frühest möglichen Zeitpunkt
erfolgt. Bei jüngeren Kindern lassen sich Migräneattacken mit Ibuprofen
behandeln.  Dieser Wirkstoff  ist statistisch in einer Dosis von 10
Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht bei Migräne wirksamer als das in
Deutschland weit verbreitete Paracetamol in vergleichbarer Dosierung.
Kindern  über 12 Jahre können das Imigran Nasenspray  in einer Dosierung
von 10 Milligramm anwenden. Dies ist als einziges  Triptan für die
Behandlung kindlicher Migräne zugelassen. Über die Schmerztherapie hinaus
ist es jedoch wichtig, die Umwelt, soziale Umstände, Lebenseinstellungen,
Stress, Lebensgewohnheiten und die Ernährung genau unter die Lupe zu
nehmen, um die Ursachen und Auslösemechanismen zu identifizieren.  Dabei
hilft es, mit dem Kind ein Schmerztagebuch zu führen.  Mögliche Auslöser
sind ein erniedrigter Blutzuckerspiegel, körperlicher und psychischer
Stress, Ernährung, Lichtveränderungen (z.B. direktes Sonnenlicht am
Schreibtisch; lange Bildschirmzeiten), aber auch äußerer Druck durch
Stirnbänder, Haarreifen, Schwimmbrillen oder Ähnliches.

SCHMERZEN KEHREN HÄUFIG WIEDER. Welche Rolle bei wiederkehrenden
chronischen Schmerzen das soziale Umfeld spielt untersuchte unter anderem
ein kanadisches Ärzteteam am Hospital for Sick Children in Toronto. In
einer Follow-up-Studie befragte das Team telefonisch, 143 Kinder (bzw.
deren Eltern) und Jugendliche zwischen fünf und 23 Jahren, die  ein bis
sechs Jahre zuvor in der Kinderklinik wegen chronischer Kopf-, Bauch- ,
Muskel-, Gelenkschmerz oder anderen chronischen Schmerzzuständen behandelt
worden waren.  Es stellte sich heraus, dass zum Befragungszeitpunkt 62
Prozent der Teilnehmer unter anhaltenden Schmerzen litten.  Bei vier von
zehn Befragten war der aktuelle Schmerz der gleiche wie bei der
Erstaufnahme. Sieben von 10 Mädchen hatten Dauerschmerzen, bei den Jungen
waren es weniger als die Hälfte. Bei Mädchen scheint auch das soziale
Umfeld im Zusammenhang mit Schmerzen eine deutlich größere Rolle zu
spielen als bei Jungen. Diese und ähnliche Beobachtungen rücken in der
Schmerztherapie bei Kindern immer stärker den Patienten und sein soziales
Umfeld in den Mittelpunkt.

Doch was bringt die Forschung, wenn in der Praxis die Strukturen fehlen?
Gerade einmal acht Betten  stehen laut Pothmann in Deutschland für die
Therapie von Kindern zur Verfügung, die wegen  problematischer
schmerzhafter chronischer Erkrankungen stationär versorgt werden müssen,
und zwar in der  "Schmerzstation Leuchtturm" der Kinderklinik Datteln in
Westfalen. "Normale psychosomatische Kliniken sind mit der Versorgung
kindlicher Schmerzpatienten überfordert", konstatiert der Hamburger
Kinder- und Jugendarzt. Er zieht ein erschütterndes Resümée: "Selbst
sterbende Kinder müssen noch völlig unnötige Schmerzen ertragen, weil sie
nicht adäquat mit Opiaten versorgt werden. Obwohl wir wissen, wie wichtig
die Opiattherapie ist, hat sich in der Praxis kaum etwas geändert."

Seit zwei Jahren können todkranke Menschen in der so genannten
"spezialisierten ambulanten Palliativversorgung" (SAPV) begleitet werden.
Palliativteams schließen mit Krankenkassen Verträge ab, um das bestehende
Angebot von Vertragsärzten, Krankenhäusern und Pflegediensten zu ergänzen
und dabei besonders auf die Belange schwerkranker Patienten eingehen zu
können.  "Doch bisher gibt es in Deutschland nur vier SAPVs für
schwerstkranke Kinder", sagt Pothmann.

Pressestelle während der Tagung:
Raum "Klausur" · Ebene C1 · Congress Center Messe Ffm
Ludwig-Erhard-Anlage 1 · Tel.: 069 7575-73101

Pressestelle nach der Tagung:
Barbara Ritzert · ProScience Communications GmbH
Andechser Weg 17 · 82343 Pöcking
Tel: 08157 9397-0 · Fax: 08157 9397-97
ritzert@proscience-com.de

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse
Wissenschaftliche Tagungen

Sachgebiete:
Medizin

Die gesamte Pressemitteilung erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/de/news414939

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1437

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