Betriebswirtschaftlich altern und sterben
[via Hälfte
Unabhängiger Mediendienst zur Arbeit und zur Erwerbslosigkeit]
Alfred Gebert
Der Neoliberalismus scheint nun die letzte Stufe des menschlichen Daseins erreicht zu haben. Alters- und Pflegeheime werden mit Kostenrahmen und nach Grundsätzen der Rentabilität geführt. Diese ersetzt den Wert der Würde und ökonomisiert die Menschen noch kurz vor dem Tod.
Im Zusammenhang mit der Neuregelung der Finanzierung für die Pflege in Alters- und Pflegeheimen und durch das Organisieren der Hilfe und Pflege zu Hause über das KVG wurde ein Prozess beschleunigt, der schon vor dem Inkrafttreten der KVG-Änderung am 1.1.2011 in einigen Kantonen begonnen hatte: Pflegeheime wurden zunehmend aus der Verbindung mit Gemeinden und Gemeindeverbänden herausgelöst. Das Schlagwort "Privatisierung" zeigt auf die Statusänderungen, auch wenn damit der Tatbestand nicht präzise erfasst wird.
Die Neuregelung der Finanzierung brachte mit sich, dass die Beiträge eines Kantons und/oder seiner Gemeinden einem Automatismus unterliegen: Die Leistungen der Krankenkassen sind für jede der 12 Pflegestufen festgelegt wie auch die Höchstbeiträge der Bewohnerinnen. Kanton und/oder Gemeinden haben die restlichen Pflegekosten (pro Pflegestufe) zu decken.
Budgetverantwortung im Vordergrund
Wie viel dabei auf eine Gemeinde entfällt, hängt weitgehend von den im betreffenden Kanton allgemein geltenden Regeln zur Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden ab. Aber dies ist weniger bedeutsam als der Automatismus, welcher aus dem System resultiert: Weil der Umfang der Kostenübernahme durch die Kassen fixiert ist, sind auch die Beiträge eines Kantons festgeschrieben, und was eine Gemeinde für ihre Einwohnerinnen in Pflegeheimen zu leisten hat, ist wiederum vom betreffenden Kanton vorgegeben. Für Heimleitungen liegt also eine Art "Budgetverantwortung" vor, wie wir sie im Fall von Managed Care (Abstimmung vom 17. Juni 2012) kennen sollten.
Auf der Kostenseite hat ein weiteres Element dazu beigetragen, dass die Stimmbürger einer Gemeinde sich weniger mit "ihrem" Heim zu beschäftigen haben. Seit rund zwanzig Jahren zielten die Kantone schrittweise auf Taxen, welche die sogenannten Vollkosten decken, d.h. die Heime hatten in unterschiedlichem Tempo je nach Kanton zunehmend Abschreibungen in die Taxen zu übernehmen.
Eine Gemeindeabstimmung über eine Teil- oder die Gesamtsanierung eines Heimes wird (sofern in einer Gemeinde überhaupt noch nötig) zu einem quasi symbolischen Urnengang: Der überwiegende Teil der Sanierungskosten vermag aus den Reserven des Alters- und Pflegeheimes gedeckt zu werden.
Man darf für manche Kantone behaupten, dass die in den Heimen verrechneten Kosten für Pflege und Betreuung in Alters- und Pflegeheimen bis in die Jahrtausendwende politisch festgelegt worden sind (so zum Beispiel im Kanton Luzern). Dass dieses "politisch festgelegt" dabei sehr viel tiefer ging als die meisten kommunalen Instanzen wahrnahmen, braucht hier nicht zu interessieren.
In der jüngeren Vergangenheit wurde es für Gemeinden und Gemeindeverbände immer weniger interessant, sich um Heimpolitik zu kümmern. Die offizielle Ideologie ist es seit dem 1.1.2011 auch, dass die Entscheide über die Taxen der 12 Pflegestufen betriebswirtschaftlich fundiert seien.
Dieses Parfum der "Betriebswirtschaft" passt ideal in das allgemeine Gesäusel der Privatisierung. Warum sollten sich auch die (politisch ausgewählte) Heimkommission, der Gemeinderat oder gar die Gemeindeversammlung noch um ein Pflegeheim kümmern, wenn es doch auf betriebswirtschaftlich klarer Basis (neu als Stiftung, AG des Öffentlichen Rechtes, usw.) geführt wird?
Kostenträchtige Menschen abwimmeln
Eine erste in Erfahrung gebrachte Konsequenz ist unerfreulich: Es gibt einige Heimleitungen, welche versuchen "kostenträchtige" Bewohner nicht ins Heim aufzunehmen. Da muss diese Leitung gegenüber Interessenten (auch Sozialdiensten von Spitälern) behaupten, es habe keine freien Betten oder man sei aktuell nach einigen Kündigungen personell unterdotiert.
Es ist nun einmal so, dass die Einteilung in Pflegestufen einem kleineren Teil von Bewohnern nicht gerecht werden kann: verhaltensauffällige dementiell Erkrankte, manche Psychiatrieerfahrene, betagte Alkoholiker, Bewohnerinnen mit severe depression, "schwierige" Bewohner, usw. benötigen für eine kunstgerechte und einfühlsame Betreuung in der Regel bedeutend mehr Zeit als die fast exklusiv auf somatisch Erkrankte ausgerichteten Pflegeeinstufungen (in der Deutschschweiz RAI und BESA) es erlauben.
Ein Mehr an Aufwand bedeutet aber weniger Einnahmen als für das "Globalbudget" nötig wären. Da wird ökonomisch richtig gehandelt, wenn ein freies Bett nicht mit einem "aufwändigen" neuen Bewohner besetzt wird.
Dazu kommt, dass eine grössere Zahl von Heimen alles andere als komfortabel mit qualifiziertem Pflegepersonal (das gerade für solche Bewohner notwendig wäre) dotiert ist. Dieser Tatbestand ist nicht exklusiv auf die Notwendigkeit zu kostengünstiger Leistungserbringung zurückzuführen. In einigen Regionen sind Pflegefachkräfte mit der notwendigen fachlichen und erfahrungsmässigen Basis ohnehin schwer zu rekrutieren.
Bei den vorangehenden knappen Hinweisen zu unerfreulicher Entwicklung geht es um eine vorläufige Trendmeldung. Ob sich das Unerfreuliche weiterverbreitet, wäre nur mit grösserem Aufwand in Erfahrung zu bringen. Und daran ist ein kantonales Gesundheits- oder Sozial-Departement kaum interessiert.
Sicher ist, dass es für die Gruppe der erwähnten potentiellen Heimbewohner schwierig ist, Unterstützung zu finden. Auch gut ausgebaute Spitex-Dienste könnten nur selten den notwendigen Betreuungsaufwand erbringen; sozialpsychiatrische Dienste vermögen nur ausnahmsweise betreuende Aufgaben mit einiger Intensität zu garantieren und Psychiatrische Kliniken bauen (zu Recht) ihre gerontopsychiatrischen Langzeitabteilungen ab.
Menschlichkeit noch möglich
Ohne vergangene Zeiten irgendwie zu romantisieren, ist doch auf die Institution des Gemeindeheims zurückzukommen. Dort wurden mehr oder weniger oft Abweichungen vom Budget von den zuständigen Instanzen akzeptiert, weil Einwohner so z.B. vor einem Eintritt in die Psychiatrie behütet werden konnten, weil es einer betagten Ehefrau einfach nicht mehr möglich ist, ihren periodisch randalierenden Mann zu beruhigen oder wenn Angehörige mit der Betreuung eines schwer verhaltensgestörten dementiell Kranken überfordert sind.
Dies wird auch in Zukunft in mehreren Heimen möglich bleiben. Aber wenn dann der angetippte Trend zur konsequent betriebswirtschaftlichen Führung des Heimes sich verstärkt, werden manche darunter leiden sicher nicht jene aus den sog. oberen sozialen Schichten.
Wir haben kürzlich mit einem Team qualitative Ausprägungen eines gemeindeeigenen Alters- und Pflegeheimes beurteilt, in dessen fünfköpfiger Heimkommission drei der sieben Mitglieder des Gemeinderates Sitz und Stimme hatten und wo das von der Gemeinde erlassene Heimreglement festhält: "Die oberste Aufsicht obliegt dem Gemeinderat."
So etwas widerspricht wahrscheinlich zentralen Aspekten "moderner Führung". (Und es wäre dann noch das Tüpfchen auf dem i, dass ein Mitglied der fünfköpfigen Heimkommission mindestens einen halben Tag pro Woche als Freiwilliger im Heim tätig ist.)
Der hier "viel zu stark" involvierte Gemeinderat hatte über die Zeit einer ganzen Reihe von engagierten Mitarbeiterinnen in eigener Kompetenz Zulagen ausgerichtet. Und er kennt jene fünf betagten Bewohnerinnen/Bewohner, welche ihrer somatischen und/oder psychischen Behinderungen wegen mindestens doppelt so viel Zeit für Betreuung und Zuwendung (!) benötigen, wie ihnen gemäss der Pflegeeinstufung zustehen würden.
Dieses gemeindeeigene Heim hat dann in der wissenschaftlichen Beurteilung von 29 komplexeren (nicht ISO-) Ausprägungen der Qualität, Qualitätsförderung und Qualitätssicherung glänzend reüssiert.
Zur Person: Dr. Alfred Gebert hat in den USA Gesundheitswesenforschung (Health Services Research) studiert und ist beratend für öffentliche Institutionen tätig. Zu seinen Publikationen gehört "Qualitätsbeurteilung und Evaluation der Qualitätssicherung in Pflegeheimen" (2. Aufl., Bern 2003). Dieses Buch wurde mit dem Vontobel-Preis für Altersforschung der Universität Zürich ausgezeichnet.
* * *
Betriebswirtschaftlich altern und sterben
Alfred Gebert
Der Neoliberalismus scheint nun die letzte Stufe des menschlichen Daseins erreicht zu haben. Alters- und Pflegeheime werden mit Kostenrahmen und nach Grundsätzen der Rentabilität geführt. Diese ersetzt den Wert der Würde und ökonomisiert die Menschen noch kurz vor dem Tod.
Im Zusammenhang mit der Neuregelung der Finanzierung für die Pflege in Alters- und Pflegeheimen und durch das Organisieren der Hilfe und Pflege zu Hause über das KVG wurde ein Prozess beschleunigt, der schon vor dem Inkrafttreten der KVG-Änderung am 1.1.2011 in einigen Kantonen begonnen hatte: Pflegeheime wurden zunehmend aus der Verbindung mit Gemeinden und Gemeindeverbänden herausgelöst. Das Schlagwort "Privatisierung" zeigt auf die Statusänderungen, auch wenn damit der Tatbestand nicht präzise erfasst wird.
Die Neuregelung der Finanzierung brachte mit sich, dass die Beiträge eines Kantons und/oder seiner Gemeinden einem Automatismus unterliegen: Die Leistungen der Krankenkassen sind für jede der 12 Pflegestufen festgelegt wie auch die Höchstbeiträge der Bewohnerinnen. Kanton und/oder Gemeinden haben die restlichen Pflegekosten (pro Pflegestufe) zu decken.
Budgetverantwortung im Vordergrund
Wie viel dabei auf eine Gemeinde entfällt, hängt weitgehend von den im betreffenden Kanton allgemein geltenden Regeln zur Aufgabenteilung zwischen Kanton und Gemeinden ab. Aber dies ist weniger bedeutsam als der Automatismus, welcher aus dem System resultiert: Weil der Umfang der Kostenübernahme durch die Kassen fixiert ist, sind auch die Beiträge eines Kantons festgeschrieben, und was eine Gemeinde für ihre Einwohnerinnen in Pflegeheimen zu leisten hat, ist wiederum vom betreffenden Kanton vorgegeben. Für Heimleitungen liegt also eine Art "Budgetverantwortung" vor, wie wir sie im Fall von Managed Care (Abstimmung vom 17. Juni 2012) kennen sollten.
Auf der Kostenseite hat ein weiteres Element dazu beigetragen, dass die Stimmbürger einer Gemeinde sich weniger mit "ihrem" Heim zu beschäftigen haben. Seit rund zwanzig Jahren zielten die Kantone schrittweise auf Taxen, welche die sogenannten Vollkosten decken, d.h. die Heime hatten in unterschiedlichem Tempo je nach Kanton zunehmend Abschreibungen in die Taxen zu übernehmen.
Eine Gemeindeabstimmung über eine Teil- oder die Gesamtsanierung eines Heimes wird (sofern in einer Gemeinde überhaupt noch nötig) zu einem quasi symbolischen Urnengang: Der überwiegende Teil der Sanierungskosten vermag aus den Reserven des Alters- und Pflegeheimes gedeckt zu werden.
Man darf für manche Kantone behaupten, dass die in den Heimen verrechneten Kosten für Pflege und Betreuung in Alters- und Pflegeheimen bis in die Jahrtausendwende politisch festgelegt worden sind (so zum Beispiel im Kanton Luzern). Dass dieses "politisch festgelegt" dabei sehr viel tiefer ging als die meisten kommunalen Instanzen wahrnahmen, braucht hier nicht zu interessieren.
In der jüngeren Vergangenheit wurde es für Gemeinden und Gemeindeverbände immer weniger interessant, sich um Heimpolitik zu kümmern. Die offizielle Ideologie ist es seit dem 1.1.2011 auch, dass die Entscheide über die Taxen der 12 Pflegestufen betriebswirtschaftlich fundiert seien.
Dieses Parfum der "Betriebswirtschaft" passt ideal in das allgemeine Gesäusel der Privatisierung. Warum sollten sich auch die (politisch ausgewählte) Heimkommission, der Gemeinderat oder gar die Gemeindeversammlung noch um ein Pflegeheim kümmern, wenn es doch auf betriebswirtschaftlich klarer Basis (neu als Stiftung, AG des Öffentlichen Rechtes, usw.) geführt wird?
Kostenträchtige Menschen abwimmeln
Eine erste in Erfahrung gebrachte Konsequenz ist unerfreulich: Es gibt einige Heimleitungen, welche versuchen "kostenträchtige" Bewohner nicht ins Heim aufzunehmen. Da muss diese Leitung gegenüber Interessenten (auch Sozialdiensten von Spitälern) behaupten, es habe keine freien Betten oder man sei aktuell nach einigen Kündigungen personell unterdotiert.
Es ist nun einmal so, dass die Einteilung in Pflegestufen einem kleineren Teil von Bewohnern nicht gerecht werden kann: verhaltensauffällige dementiell Erkrankte, manche Psychiatrieerfahrene, betagte Alkoholiker, Bewohnerinnen mit severe depression, "schwierige" Bewohner, usw. benötigen für eine kunstgerechte und einfühlsame Betreuung in der Regel bedeutend mehr Zeit als die fast exklusiv auf somatisch Erkrankte ausgerichteten Pflegeeinstufungen (in der Deutschschweiz RAI und BESA) es erlauben.
Ein Mehr an Aufwand bedeutet aber weniger Einnahmen als für das "Globalbudget" nötig wären. Da wird ökonomisch richtig gehandelt, wenn ein freies Bett nicht mit einem "aufwändigen" neuen Bewohner besetzt wird.
Dazu kommt, dass eine grössere Zahl von Heimen alles andere als komfortabel mit qualifiziertem Pflegepersonal (das gerade für solche Bewohner notwendig wäre) dotiert ist. Dieser Tatbestand ist nicht exklusiv auf die Notwendigkeit zu kostengünstiger Leistungserbringung zurückzuführen. In einigen Regionen sind Pflegefachkräfte mit der notwendigen fachlichen und erfahrungsmässigen Basis ohnehin schwer zu rekrutieren.
Bei den vorangehenden knappen Hinweisen zu unerfreulicher Entwicklung geht es um eine vorläufige Trendmeldung. Ob sich das Unerfreuliche weiterverbreitet, wäre nur mit grösserem Aufwand in Erfahrung zu bringen. Und daran ist ein kantonales Gesundheits- oder Sozial-Departement kaum interessiert.
Sicher ist, dass es für die Gruppe der erwähnten potentiellen Heimbewohner schwierig ist, Unterstützung zu finden. Auch gut ausgebaute Spitex-Dienste könnten nur selten den notwendigen Betreuungsaufwand erbringen; sozialpsychiatrische Dienste vermögen nur ausnahmsweise betreuende Aufgaben mit einiger Intensität zu garantieren und Psychiatrische Kliniken bauen (zu Recht) ihre gerontopsychiatrischen Langzeitabteilungen ab.
Menschlichkeit noch möglich
Ohne vergangene Zeiten irgendwie zu romantisieren, ist doch auf die Institution des Gemeindeheims zurückzukommen. Dort wurden mehr oder weniger oft Abweichungen vom Budget von den zuständigen Instanzen akzeptiert, weil Einwohner so z.B. vor einem Eintritt in die Psychiatrie behütet werden konnten, weil es einer betagten Ehefrau einfach nicht mehr möglich ist, ihren periodisch randalierenden Mann zu beruhigen oder wenn Angehörige mit der Betreuung eines schwer verhaltensgestörten dementiell Kranken überfordert sind.
Dies wird auch in Zukunft in mehreren Heimen möglich bleiben. Aber wenn dann der angetippte Trend zur konsequent betriebswirtschaftlichen Führung des Heimes sich verstärkt, werden manche darunter leiden sicher nicht jene aus den sog. oberen sozialen Schichten.
Wir haben kürzlich mit einem Team qualitative Ausprägungen eines gemeindeeigenen Alters- und Pflegeheimes beurteilt, in dessen fünfköpfiger Heimkommission drei der sieben Mitglieder des Gemeinderates Sitz und Stimme hatten und wo das von der Gemeinde erlassene Heimreglement festhält: "Die oberste Aufsicht obliegt dem Gemeinderat."
So etwas widerspricht wahrscheinlich zentralen Aspekten "moderner Führung". (Und es wäre dann noch das Tüpfchen auf dem i, dass ein Mitglied der fünfköpfigen Heimkommission mindestens einen halben Tag pro Woche als Freiwilliger im Heim tätig ist.)
Der hier "viel zu stark" involvierte Gemeinderat hatte über die Zeit einer ganzen Reihe von engagierten Mitarbeiterinnen in eigener Kompetenz Zulagen ausgerichtet. Und er kennt jene fünf betagten Bewohnerinnen/Bewohner, welche ihrer somatischen und/oder psychischen Behinderungen wegen mindestens doppelt so viel Zeit für Betreuung und Zuwendung (!) benötigen, wie ihnen gemäss der Pflegeeinstufung zustehen würden.
Dieses gemeindeeigene Heim hat dann in der wissenschaftlichen Beurteilung von 29 komplexeren (nicht ISO-) Ausprägungen der Qualität, Qualitätsförderung und Qualitätssicherung glänzend reüssiert.
Zur Person: Dr. Alfred Gebert hat in den USA Gesundheitswesenforschung (Health Services Research) studiert und ist beratend für öffentliche Institutionen tätig. Zu seinen Publikationen gehört "Qualitätsbeurteilung und Evaluation der Qualitätssicherung in Pflegeheimen" (2. Aufl., Bern 2003). Dieses Buch wurde mit dem Vontobel-Preis für Altersforschung der Universität Zürich ausgezeichnet.
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Menschenwürde was ist das?
Ein Tagungsbericht
Hälfte / Moitié. Im Auftrag der Landeskirchen, der Jüdischen Gemeinde Bern (IKK) sowie der Berner Konferenz für Sozialhilfe, Erwachsenen- und Kindesschutz (BKSE) lud am 12. Juni 2012 die Interkonfessionelle Arbeitsgruppe Sozialhilfe (IKAS) zu einer Fachtagung nach Bern ein. Thema: "Menschenwürde ein Luxus Die Sozialarbeit ist gefordert".
Am Vormittag hielt das Hauptreferat Prof. Dr. Eva Maria Belser (Universitäten Fribourg und Bern). Einleitend bekannte sie offen, eine Menschenwürde-Skeptikerin zu sein. Auch zu den Menschenrechten hätte sie ihre Bedenken. Belser tischte darauf eine Typologie der Grundrechte auf.
Theorie
Zuerst Begriffliches, dann Merkmale, dann eben die verschiedenen Arten: Freiheitsrechte, Gleichheitsrechte, Sozialrechte, Politische Rechte, Verfahrensrechte. Dann noch die Einschränkungen und zwischendurch wurden als Ursprünge die Magna Charta Libertatum, die Bill of rights und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung erwähnt und feministisch kommentiert: sie hätten nicht für Frauen und Besitzlose gegolten. Was übrigens so nicht stimmt. Die Unabhängigkeitserklärung wenigstens beginnt mit dem Satz: "Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind." Belser erklärte den Staat und nicht etwa private Personen für zuständig zum Schutz der Menschenrechte und illustrierte das so: "Wenn der Mann seine Frau umbringt übrigens die häufigste Todesursache von jungen Frauen dann ist das keine Verletzung der Menschenrechte." Leider versagte ihr die bildhafte Sprache beim Thema des Anlasses, bei der Menschenwürde. Was ist sie? Oberstes Konstitutionsprinzip des Staates, justiziables Grundrecht, Kerngehaltsgarantie? Belser wusste es nicht. Der letzte Punkt auf der Folie lautete: Problem: Unbestimmtheit der Menschenwürde. Die Referentin zeigte sich hier wortkarg. Dabei wäre auch diese am besten mit Bildern und Beispielen zu erklären. Gerade eine Juristin müsste den in der Sozialarbeit Tätigen sagen, dass nicht nur Menschen, sondern auch und gerade Gesetze die Menschenwürde verletzen. Wenn sie den Datenschutz bei Sozialhilfe-Empfängern aufheben. Wenn sie die abgewiesenen Asylbewerber in Zentren einsperren und ihnen höchstens noch Nothilfe gewähren. Wenn Fahnenflucht nicht mehr als Asylgrund anerkannt wird. Die Politik liefert derzeit zu viele Beispiele dafür, was die Menschenwürde tatsächlich verletzt. Und es gibt zu wenige Juristen und Juristinnen, die den Mut haben, darauf hin zu weisen. &nbs p; ;
Oswald Sigg
***Und Praxis
Am Nachmittag fanden die Workshops statt. In unserer Gruppe war es sehr eindrücklich, wie zwei Sozialarbeiterinnen, die in verschiedenen öffentlichen Sozialdiensten arbeiten, ihre Arbeitssituation schilderten. Wie sie unter Druck stehen durch all die Reglementierungen und Vorschriften, welche die Menschenwürde tangieren. Zum Beispiel den Zwang, KlientInnen zur Teilnahme an einem Integrationsprogramm zu verpflichten, auch in Fällen, wo diese das nicht wollen und den Sinn nicht einsehen und es deshalb für eine Integration auch nichts bringe. Vor allem auch, weil durch eine Zwangsmassnahme die Arbeitsbasis zwischen ihnen und diesen KlientInnen zerstört werde. Sie müssten sehr oft hoffen, dass diese Dossiers nicht kontrolliert würden, weil sie sonst vom Vorgesetzten getadelt würden und mühsame Begründungen für ihre Entscheide schreiben und zudem ihr Vorgehen mit den KlientInnen ändern müssten. Sie sagten auch, wie viele KollegInnen entweder ausgestiegen seien (teilweise unfreiwillig infolge eines Burnout) oder sich angepasst hätten und sie deshalb von dieser Seite keine Unterstützung erwarten könnten.
Zum Abschluss gab es ein Podium von Fachleuten der Sozialen Arbeit einerseits und SozialpolitikerInnen andererseits. Es wurde schnell ersichtlich dass zwischen Politik und Fachpersonen ein Graben besteht. Vor allem bezüglich Mitwirkungspflicht der KlientInnen. Einig waren sich jedoch beide Seiten darin, dass die fachliche Meinung ein grösseres Gewicht haben sollte gegenüber den Reglementen und Abläufen, die weitgehend von der Politik festgelegt werden. Zum Schluss wurden die Podiumsteilnehmenden nach ihren Wünschen befragt. Gewünscht wurde unter anderem, dass die Sozialziele als Grundrechte anerkannt würden und dass das Bonus/Malus-System wieder abgeschafft würde (Wunsch einer mutigen Politikerin!).
Markus Troxler
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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