Montag, 21. Januar 2013

Die 7 Standardmythen der Neoliberalen -->> Die Deregulierung der Arbeits- und Finanzmärkte führt zu Wohlstand für alle


Zbigniew Menschinski

Die 7 Standardmythen der Neoliberalen
 
[via tantejolesch.at]
 

"Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag."

An dieses Zitat vom größten "Experten" für Kriegspropaganda, Volksverhetzung und Lüge fühlt man sich erinnert, wenn man die Vorgehensweise der neoliberalen Drückerkolonnen in Politik und Medien in den letzten 25 Jahren betrachtet.

Sieben Glaubenssätze werden seit den Achtziger Jahren von den einschlägigen Meinungseliten im Dunstkreis des großen Geldes unermüdlich wiederholt:

Erstens.
Der Staat und seine Schulden sind unser größtes Problem.

Zweitens.
Privatisierungen sind ein Allheilmittel und Segen für die Menschen.

Drittens.
Die Deregulierung der Arbeits- und Finanzmärkte führt zu Wohlstand für alle.

Viertens.
Zu hohe Steuern treiben die Reichen und ihr Geld aus dem Land.

Fünftens.
Die Reichen und Topmanager sind die eigentlichen Leistungsträger, ihre Einkünfte sind zu gering.

Sechstens.
Die Unterschicht ist dumm und faul und neigt zu "spätrömischer Dekadenz".

Siebtens.
Es gibt eine demographische Lücke; sie lässt sich nur durch Erhöhung der Lebensarbeitszeit schliessen.


Schauen wir uns die sieben neoliberalen Dogmen näher an.

Dogma Nummer 1:
Der Staat und seine Schulden sind unser größtes Problem.

Die Fakten:
Nicht die Staatsschulden haben die Finanzkrise ausgelöst, sondern die exorbitante Privatverschuldung, vor allem in Großbritannien und den USA. In diesen Ländern wurden die Menschen durch Niedrigzins und den Abbau sozialer Netze in die Privatverschuldung gelockt und getrieben. In den USA beträgt die Staatsverschuldung rund 80% des BIP, die Privatverschuldung jedoch ca. 130%. In Großbritannien liegt die Staatsverschuldung bei ca. 60% des BIP, die Privatverschuldung bei sage und schreibe 180%. Zum Vergleich: In Deutschland und Österreich liegt die Staatsverschuldung bei ungefähr 75%, die Privatverschuldung bei 10% des BIP.
(vergleiche: DIE ZEIT Januar 2009)

Nicht jede Art von Staat ist den Neoliberalen ein Greuel. Nur der Sozialstaat ist ihnen ein Dorn im Auge. Den Militärstaat schätzen sie aufs Höchste, schützt und expandiert er doch ihren Einfluss. Der Militärstaat darf aus Sicht der Neoliberalen (in den USA treffender "Neocons" genannt) auch exorbitante Staatsschulden auftürmen. Das zeigen die Amtszeiten von Ronald Reagan und George W. Bush. Die neoliberalen "Chicago Boys" der Milton Friedman-Schule waren begeisterte Berater und Vollstrecker des Diktators Pinochet, als es darum ging, die sozialen und demokratischen Rechte der Chilenen abzuschaffen. Der Durchschnittslohn sank, der Anteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze stieg von 20 auf 44 Prozent (DER SPIEGEL).


Dogma Nummer 2:
Privatisierungen sind ein Allheilmittel und Segen für die Menschen.

Die Fakten:
Privatisierungen sind keineswegs eine Garantie für Effizienz und Qualität. Die Vorgänge beim Bau der Kölner U-Bahn zeigen, wohin der Abbau staatlicher Kontrollen führt. Auf dem Energiesektor betreibt heute ein Oligopol von vier Stromriesen (RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall) eine völlig willkürliche Preispolitik und erpresst die Regierungen.
(
wirtschaft.t-online.de).

Durch Schröders Steuerreform 2000/1 und Privatisierungs-Konstrukte wie Cross Border Leasing und Private Public Partnership sind Kommunen wie Gelsenkirchen oder Duisburg an den Rand des Konkurses geraten.


Dogma Nummer 3:
Die Deregulierung der Arbeits- und Finanzmärkte führt zu Wohlstand für alle.

Die Fakten:
Die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat ein in der Bundesrepublik bisher nie dagewesenes Lohndumping verursacht. HartzIV und die Lockerung der Leih- und Zeitarbeitsregelungen, durchgepeitscht von Wolfgang Clement, hat zu einem Millionenheer von Beschäftigten mit Tagelöhnerstatus geführt. Bereits 20% aller Beschäftigten erzielen nur noch Minilöhne. Mehr als zwei Millionen Menschen verdienen weniger als 6 Euro brutto pro Arbeitsstunde. Die daraus resultierende Schwächung der Binnennachfrage und Massenkaufkraft sind Gift für die heimische Wirtschaft (
meta.tagesschau.de).

Die Deregulierung der Finanzmärkte hat zum Beinahe-Kollaps und einem unbeschreiblichen Chaos geführt. Die Deregulierung hat Schwindelpapieren, Spekulanten und Scharlatanen Tür und Tor geöffnet. Mit Hunderten von Milliarden musste der "verhasste" Staat, also letztlich der Steuerzahler, einspringen, damit die Depots und Banken der Reichsten gerettet werden konnten. Vorerst zumindest.


Dogma Nummer 4:
Zu hohe Steuern treiben die Reichen und ihr Geld aus dem Land.

Die Fakten:
Wohin sollen die Vermögensmillionäre denn fliehen? Nach Frankreich, Holland oder Skandinavien? Nach Großbritannien oder den USA? In all diesen Ländern zahlen sie das Drei- bis Vierfache an vermögensbezogenen Steuern.

Eine Steuerstudie brachte es ans Licht des Tages: rund 7.000 Euro an Steuern entrichtet ein Vermögens-Millonärsehepaar im Schnitt pro Jahr.

Rund 15.000 Euro Steuern bezahlt ein Arbeitnehmerehepaar mit Durchschnittsverdienst und zwei Kindern. Rund 0,9 Prozent vom BIP betragen die vermögensbezogenen Steuern in Deutschland (und Österreich). Hingegen sind es in der Schweiz, in Japan und in Italien 2,5 Prozent, in Frankreich, Kanada, USA rund 3 Prozent und in Großbritannien über 4 Prozent (Quelle: OECD Revenue Statistics 2006).


Dogma Nummer 5:
Die Reichen und Topmanager sind die eigentlichen Leistungsträger, ihre Einkünfte sind zu gering.

Die Fakten:
Die Mehrzahl der bestbezahlten Topmanager sind Leistungsvernichter, nicht Leistungsträger. MÄRKLIN, GROHE, Rosenthal und Dutzende anderer Firmen wurden von sogenannten "Topberatern" filettiert, abteilungsweise verhökert und schließlich in den Konkurs getrieben.

Die globalen Wertpapier-, Fonds- und Bankenmanager haben Abermilliarden in sinnlosen Luxusprojekten verbrannt: Yachthäfen, Privatjets, Immobilien (mit Golfplatz gleich nebenan). Sie verrotten heute oder werden weit unter Wert verscherbelt.

Absurd ist die Mär vom armen deutschen Manager. Deutsche Manager von Großbetrieben erhalten im Schnitt 540.000 Euro pro Jahr, Schweizer Topmanager müssen sich mit 370.000 Euro "begnügen". In Holland erzielt ein Top-Manager gerade mal 230.000 Euro.
(
Wbl.).

Nach der Logik der neoliberalen Analysten müssten die Manageretagen in den Niederlanden völlig verwaist sein, und die Wirtschaft des Landes am Rande des Ruins stehen. Nun weist aber gerade Holland seit Jahren bessere Wachstumsraten und eine günstigere Arbeitslosenquote auf als Deutschland.


Dogma Nummer 6:
Die Unterschicht ist dumm und faul und neigt zu spätrömischer Dekadenz.

Die Fakten:
Die Unterschicht ist weder dumm noch faul, sie wird vielmehr seit nunmehr fast dreißig Jahren systematisch um echte Bildungschancen betrogen. Flächendeckende Vor- und Ganztagsschulen fehlen, die Streichung von Schüler-Bafög und die Erhebung von Studiengebühren lassen Talente aus den armen Schichten verkümmern.

Das Selbstwertgefühl der armen Schichten wird seit langem systematisch von den Seichtmedien (RTL, SAT1, BILD, etc.) und den einschlägigen Politkern der Sorte Sarrazin(SPD) und Metzger(GRÜNE) zerredet und erodiert.

Der Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien und aus prekären Familienverhältnissen, die studieren, ist seit 1982 (Abschaffung des Schüler-Bafögs) stetig zurückgegangen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aus diesen Schichten ein Studium beginnt, ist inzwischen 14 mal geringer als bei Kindern aus Selbständigen- oder Akademikerfamilien.

Dazu tragen auch die Studiengebühren bei. Studiengebühren halten jedenfalls die Abiturienten vom Studieren ab. Bis zu 18.000 von ihnen entschieden sich im Jahr 2006 wegen der Campusmaut gegen ein Studium, belegt eine Untersuchung des HIS.
(
Quelle: www.spiegel.de).


Dogma Nummer 7:
Die demographische Lücke lässt sich nur durch Erhöhung der Lebensarbeitszeit schliessen.

Die Fakten:
Im Jahr 1900 kamen 12,4 Erwerbsfähige (15-64 Jahre) auf eine alte zu versorgende Person (über 64 Jahre), 50 Jahre später nur noch 6,9; nach weiteren 50 Jahren (Jahr 2000) waren es 4,1 und für 2050 werden 2,0 prognostiziert. (Vergleiche M. Schlecht et al., Mythos Demografie)

Man sieht: Bereits seit über 100 Jahren versorgen immer weniger Beschäftigte immer mehr alte Menschen. Seit 1900 unterliegt die Gesellschaft diesem rasanten demographischen Wandel, der nun plötzlich seit einigen Jahren dramatisiert wird, ohne dass auch nur e i n e der heute vorausgesagten Folgen in den vergangenen 100 Jahren eingetreten wäre.

Seit über 100 Jahren nimmt die Produktivität pro arbeitender Person massiv und stetig zu. Der daraus resultierende gravierend zunehmende Output an Waren und Dienstleistungen sorgt selbst bei zurückgehender Beschäftigung dafür, dass auch ein Verhältnis von zwei oder 1,5 Beschäftigten zu einer alten Person sich problemlos meistern lässt, ohne dass bei Beschäftigten oder Ruheständlern irgendwelche Abstriche beim Lebensstandard nötig wären. Im Gegenteil.

Fazit:
Der Lebensstandard kann für alle wachsen, weil Produktivität und Output pro beschäftigter Person seit jeher viel stärker zunehmen als der Beschäftigungsgrad abnimmt. Das Gerede von der "demographischen Lücke" ist nichts weiter als Hysterie und Panikmache, um die Kassen der Privatversicherer zu füllen.


Woher die Verblendung?

Obwohl all diese Fakten jedem zugänglich sind, glauben immer noch viele Menschen an die sieben Standardlügen der neoliberalen Meinungs-Phalanx. Woher kommt das?

Ein Hauptgrund wurde bereits genannt: Die Massenpropaganda der gleichgetakteten Medien von ARD bis ZDF, von WAZ bis WELT, von RTL bis SAT1. Ab einem gewissen Zeitpunkt entwickeln zudem ständig wiederholte Täuschungen aus dem Mund von Meinungsführern eine Eigendynamik. Wird ein bestimmtes Quantum an Berieselung langfristig verabreicht, glauben schliesslich große Teile der Bevölkerung ganz ungeprüft, wie selbstverständlich an die widersprüchlichsten Dinge. Man denke nur an die alle zehn Jahre radikal wechselnden Diät-Mythen.

Einen zweiten Hauptgrund für die lemminghafte Gefolgschaft vieler ökonomischer Laien nennt der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman: "Die jährlichen Gesamtmittel der wirklich unabhängigen wirtschaftswissenschaftlichen Institute belaufen sich auf ein paar zig Millionen Dollar… Dies bedeutet, dass bereits ein paar wenige reiche Spinner in der Lage sind, mit einem von ihnen unterhaltenen Netz von "Denkfabriken", "Forschungseinrichtungen", Stiftungen und so weiter kräftig mitzumischen und eine Wirtschaftsideologie ihrer Wahl salonfähig zu machen." (Paul Krugman, Schmalspurökonomie, Frankfurt/M., 2000).

Die meisten Politiker sind mit wenig Lebenserfahrung aus dem echten Arbeitsleben, aber mit sehr viel ökonomischer Naivität gesegnet. Angela Merkel, Franz Müntefering, Cem Özdemir oder Claudia Roth hingen und hängen mit geradezu gläubiger Inbrunst an den Lippen der modernen Heizdeckenverkäufer vom Schlage eines Jörg Asmussen, Hans Tietmeyer oder Josef Ackermann.

Beim Politiker-Typus Schröder, Fischer, Clement liegen die Dinge etwas anders. Hier lassen sich Narzissmus, Parvenu-Eifer und das nackte Interesse an skrupelloser Bereicherung als treibende Motive nicht völlig ausschliessen.

Auch wenn es dazu bisher keine Studien oder Recherchen gibt: Wer sich im nachhinein ihr Gebaren näher ansieht, wird das Gefühl nicht los, dass sie ihr Gehirn jahrelang jedes Wochenende durch eine Scientology-Waschanlage (auch Managerseminare genannt) gejagt haben. Dass die Erfolgs"ethik" von Scientology und das "Moral"verständnis der Neoliberalen zu annähernd 100 Prozent deckungsgleich sind, dürfte kein aufmerksamer Beobachter ernsthaft bestreiten.



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