Mittwoch, 30. Januar 2013

vertiefend -->> Zusammen mit Spaß und Kreativität bildet Faulheit die Dreifaltigkeit des modernen Kapitalismus, ja sein oberstes Gebot.

 

Manche mögen uns arm

Eine neue Ausgabe dieser Zeitschrift hatten wir lange Zeit nicht für nötig gehalten. Was wir zu sagen hatten, hatten wir gesagt. Wiederholung gehört zur Arbeit und widerspricht deswegen unserer Position. Bekanntlich war es nie unsere Absicht, zu Spezialisten der Arbeitslosigkeitsproblematik zu werden. Vielmehr geht es uns darum, die nötige Zeit zu erkämpfen, um uns fern von jenem Thema eben anderen Dingen zu widmen, die uns am Herzen liegen. Außerdem machten die wenigen Steine, die wir einst in den Sumpf der Öffentlichkeit warfen, ohne unser Zutun weiterhin Wellen. Eine zusätzliche Anstrengung unsererseits schien unnötig, und das fanden wir gut.


Wir unterbrechen diese wohltuende Schweigekur aus zwei Gründen. Der erste Anlaß ist ein oberflächlicher, nämlich des Kanzlers Anti-Faulheits-Aussage und die darauffolgende Pseudodebatte. Der tiefere Grund liegt in der tatsächlich stattfindenden Entwicklung, nämlich der Verschärfung von Kontrollen und Zwangsmaßnahmen gegen Arbeitslose. Einerseits eine Diskussion, die zumeist wirklichkeitsfremd bleibt, andererseits eine Wirklichkeit, die durchgesetzt werden soll, ohne daß sie je zur Diskussion gestellt würde. Da fühlt man sich beinahe verpflichtet, beide Gegensätze zu versöhnen.


Als sich die Medien auf die Suche nach kompetenten Widersachern in Faulheitsangelegenheiten begaben, wandten sie sich selbstverständlich an uns. Und selbstverständlich stimmten wir da mit Schröder überein. Es gibt genau so wenig ein Recht auf Faulheit wie es ein Recht gibt, dumme Sprüche in der Bild-Zeitung oder woanders zu machen. Es sind Freiheiten, die man sich nimmt, manche neigen dazu, andere nicht, und Punktum.

Wir haben immer gesagt, daß Faulheit bloß die Kehrseite von Fleiß, also in unserer Perspektive eine irrelevante Kategorie ist. Nach Schröders Bekenntnis zum altpreußischen Arbeitsethos erhob sich aber eine Welle der Empörung quer durch die deutsche Kulturlandschaft. Das war zu erwarten (gerade deswegen hatten ihm wahrscheinlich seine Kommunikationsberater einen solchen Diskurs zugeflüstert).

Im neuen Millennium wird Schweiß nur noch im Fitneßstudio toleriert, während Fleiß längst durch "positives Durchsetzungsvermögen in Teamarbeit" ersetzt wurde.

Zusammen mit Spaß und Kreativität bildet Faulheit die Dreifaltigkeit des modernen Kapitalismus, ja sein oberstes Gebot.

Ohne Faulheit des Konsumenten ist kein wirtschaftliches Wachstum zu schaffen.

Wer seinen Arsch selber abwischt, vernichtet Arbeitsplätze.

Vonder Rundumausstattung mit Informationen bis zum industriellen Fraß, von Freizeitgestaltung bis zu Personality Styling, alles steht schon vorgekaut, vorgefertigt, vorprogrammiert im Angebot.

Dem Einzelnen bleibt nur noch, das Programm ohne Mühe durchzuführen, dem Befehl ganz kreativ zu gehorchen und auch noch Spaß dabei zu haben.


Ja, die Arbeitsmoral ist antiquiert, da sie ohnehin von der Antriebskraft des Warenfetisches überflüssig gemacht worden ist.

Allgegenwärtiger als der Ruf des Muezzin in islamischen Ländern ist hier das Getöse um den neuen kategorischen Imperativ: Genieße Genosse, genieße! Zwar mußt Du dafür zahlungsfähig sein, also zunächst arbeiten, aber dann werden sich die Pforten des
Himmelreiches öffnen.

Ein 10jähriges Kind sagt seiner Mutter: "Mutti, Ich muß einen Job finden." "Warum das?" fragt sie. "Weil ich Geld brauche, um Telefoneinheiten für mein Handy zu kaufen." Als daraufhin die Mutter erklärt, daß Kinderarbeit in Deutschland verboten ist, wird das Kind völlig entsetzt. Arbeitsverbot ist Freizeitberaubung.

Da haben ethische Grundregeln ausgedient.


In der schizoiden Logik des Kapitalismus stand das Arbeitsethos schon immer in Widerspruch zu Konsumnormen. Als Arbeitnehmer soll sich der Mensch sparsam, bescheiden und altruistisch verhalten.

Als Konsument hingegen kann er nie verschwenderisch, großkotzig und egoistisch genug sein. Im neuen führenden Wirtschaftssektor wird versucht, diesen Widerspruch aufzulösen, indem die Grenze zwischen Arbeit und dem Restleben aufgehoben wird.

Angestrebt wird sozusagen ein Gesamtlebensentwurf, in dem Durchsetzungsvermögen und Selbstbezogenheit genau so wie Konformismus und Gruppenfähigkeit erforderlich sind. Rund um die Uhr und bruchlos werden sowohl die Arbeit als auch die Freizeit von einer einzigen Logik determiniert, der des Marktes.


In dieser Konstellation erscheint Arbeitslosigkeit wie ein schwarzes Loch.

Dort allein wird die alte Arbeitsmoral noch angewandt, als ob seit dreißig Jahren nichts geschehen wäre, als ob die "Arbeit" eines Internet-Designers sowohl formal als auch gesellschaftlich betrachtet immer noch etwas gemein hätte mit der Arbeit eines Tischlers im vorigen Jahrhundert. Menschen, die für die Allgemeinheit nichts leisten, sollen auch keine Unterstützung bekommen - In Zeiten des Sozialabbaus und der Schließung von "unrentablen" Einrichtungen, die "der Allgemeinheit" dienten, ist ein solches Argument schwer haltbar. Gemeinnützigkeit und Privatisierung vertragen sich nicht gut. Nichts wäre gefährlicher für die neue Arbeitswelt, als ihre gesellschaftliche Relevanz und ihren Nutzen zu hinterfragen.


Wir wurden kritisiert, weil wir das tatsächliche Leiden der Arbeitslosen angeblich leugneten. Wir wurden gelobt, weil wir Arbeitslose in die Spaßgesellschaft zu integrieren versuchten. Sowohl die Kritik als auch das Lob sind unzutreffend. Unter den aktuellen Umständen ist für die überwiegende Mehrheit die Muße genau so weit entfernt wie eine zufriedenstellende Stelle.

Die Frage ist, in welche Richtung wollen wir uns begeben? Zum Ziel des menschlichen Tuns wurde meistens das gute Leben erklärt. Dafür scheint die totale Mobilmachung der eigenen Zeit für den globalen Konkurrenzkrieg kein geeignetes Mittel zu sein. Diejenigen, die uns gern deprimiert und nach Arbeit bettelnd sähen, sind meistens Menschen, die für sich selbst jegliche Hoffnung eines guten Lebens aufgegeben haben. Keine angeblich zumutbare Maßnahme wird uns hindern, ihr Unglück ans Licht zu bringen.


Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

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